OGH 15Os82/17y

OGH15Os82/17y23.8.2017

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. August 2017 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Danek als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Mag. Lendl sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Michel‑Kwapinski, Mag. Fürnkranz und Dr. Mann in Gegenwart des Richteramtsanwärters Limberger, LL.M., als Schriftführer in der Strafsache gegen Mario O***** wegen des Vergehens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB, AZ 25 Hv 41/16b des Landesgerichts Eisenstadt, über die von der Generalprokuratur gegen mehrere Vorgänge und das Urteil vom 5. Juli 2016 (ON 21) in diesem Verfahren erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Janda, und der Verteidigerin Dr. Herberstein, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0150OS00082.17Y.0823.000

 

Spruch:

 

Im Verfahren AZ 25 Hv 41/16b des Landesgerichts Eisenstadt verletzen

1./ die in der Hauptverhandlung am 5. Juli 2016 erfolgte Verlesung des Protokolls über die Vernehmung des Zeugen Dr. K***** § 252 Abs 1 iVm § 488 Abs 1 StPO;

2./ die Unterlassung der Zurückweisung des Anschlusses des Mag. R***** als Privatbeteiligter

a./ hinsichtlich der in der Anzeige vom 25. November 2015 geltend gemachten Forderung in Höhe von 2.753,44 Euro sowie

b./ hinsichtlich der in der Hauptverhandlung am 17. Juni 2016 als Kosten für die Einbringung einer Sachverhaltsdarstellung geltend gemachten Forderung in Höhe von 500,56 Euro

jeweils § 67 Abs 4 Z 1 StPO,

3./ der im Abwesenheitsurteil vom 5. Juli 2016 ohne Anhörung des Angeklagten ergangene Zuspruch von 500,56 Euro an den Privatbeteiligten Mag. R***** § 245 Abs 1a iVm § 488 Abs 1 StPO sowie § 366 Abs 2 erster Satz, § 369 Abs 1 und § 393 Abs 4 StPO.

Dieser Ausspruch wird aufgehoben und es wird der Privatbeteiligtenanschluss des Mag. R***** zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit und wegen der Aussprüche über Schuld und Strafe sowie über die Beschwerde gegen den unter einem nach § 494a StPO gefassten Beschluss werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

 

Gründe:

Im Verfahren AZ 25 Hv 41/16b des Landesgerichts Eisenstadt legte die Staatsanwaltschaft Eisenstadt Mario O***** mit Strafantrag vom 3. Mai 2016 (ON 15) ein als Vergehen des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB beurteiltes Verhalten zur Last.

In der am 17. Juni 2016 – zulässigerweise – in Abwesenheit des Angeklagten durchgeführten Hauptverhandlung gab der als Zeuge vernommene Privatbeteiligte Mag. Thomas R***** zu den von ihm in seiner am 25. November 2015 eingebrachten Sachverhaltsdarstellung (ON 2) geltend gemachten privatrechtlichen Ansprüchen in Höhe von 2.753,44 Euro (ON 2 S 11) – hinsichtlich welcher schon nach den Beilagen zur Anzeige ein rechtskräftiger Zahlungsbefehl des Bezirksgerichts Mattersburg vom 27. August 2015, AZ 2 C 966/15g (ON 2 S 95 ff), sowie eine Bewilligung der Fahrnisexekution des genannten Gerichts vom 19. Oktober 2015, AZ 3 E 2824/15f (ON 2 S 101 f),vorlagen – an, dass es „zwischenzeitig“ betreffend der ihm zustehenden Kapitalforderung einen rechtskräftigen Exekutionstitel gebe, weshalb er nunmehr als Forderung lediglich 500,56 Euro „als Kosten für die Einbringung der Sachverhaltsdarstellung“ geltend mache (ON 18 S 4). Dieser Betrag war nicht Gegenstand der ursprünglichen Forderung von 2.753,44 Euro, die sich alleine aus geschuldetem Honorar, Zinsen und Kosten aus dem Mahnklage‑ und Exekutionsverfahren zusammengesetzt hatte (ON 2 S 107). Nach Vernehmung auch des Zeugen Karl S***** wurde die Hauptverhandlung auf unbestimmte Zeit vertagt.

Zur Hauptverhandlung am 5. Juli 2016 erschien der Angeklagte nach ordnungsgemäßer Ladung wiederum nicht (ON 20 S 2). In seiner Abwesenheit verlas der Einzelrichter „die bisherigen Verhandlungsergebnisse“, die– auch das Protokoll der Vernehmung des in der Hauptverhandlung nicht vernommenen Zeugen Dr. Johann K***** (ON 13 S 11 ff) enthaltende – „Polizeianzeige, die Polizeierhebungsergebnisse und die Ergebnisse der VJ‑Anfrage“ und schloss die Verhandlung (ON 20 S 2 f).

Mit Abwesenheitsurteil vom selben Tag (ON 21) wurde Mario O***** des Vergehens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall StGB schuldig erkannt und zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von neun Monaten verurteilt, wobei gemäß § 43a Abs 3 StGB ein Teil der Freiheitsstrafe von sechs Monaten unter Bestimmung einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

Unter einem wurde der Angeklagte schuldig erkannt, dem Privatbeteiligten Mag. R***** binnen 14 Tagen einen Betrag von 500,56 Euro zu bezahlen (ON 21 S 2).

Gemäß § 53 Abs 3 StGB iVm § 494a Abs 1 Z 2 und Abs 6 StPO fasste der Einzelrichter weiters den Beschluss auf Absehen vom Widerruf der mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 14. Mai 2013, AZ 65 Hv 16/13d, gewährten bedingten Strafnachsicht unter Verlängerung der Probezeit auf fünf Jahre.

Gegen dieses Urteil richtet sich die fristgerecht (und rechtswirksam: RIS‑Justiz RS0101785) angemeldete (ON 1 S 10) und ausgeführte Berufung wegen vorliegender Nichtigkeitsgründe sowie der Aussprüche über Schuld und Strafe (ON 24) sowie die gemäß § 498 Abs 3 StPO als erhoben zu betrachtende Beschwerde gegen den gemäß § 494a StPO gefassten Beschluss, über welche vom Oberlandesgericht Wien noch nicht entschieden wurde.

Rechtliche Beurteilung

Die Vorgangsweise des Landesgerichts Eisenstadt steht – wie die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt – mehrfach mit dem Gesetz nicht im Einklang:

1./ Protokolle über die Vernehmung von Zeugen sowie Amtsvermerke und andere amtliche Schriftstücke, in denen Aussagen von Zeugen festgehalten worden sind, dürfen bei sonstiger Nichtigkeit nur in den in § 252 Abs 1 StPO geregelten Ausnahmefällen verlesen werden. Aus dem Nichterscheinen des Angeklagten zur Hauptverhandlung vom 5. Juli 2016 konnte dessen Einverständnis (im Sinn des § 252 Abs 1 Z 4 StPO) zur Verlesung der – auch das Protokoll der Vernehmung des Zeugen Dr. K***** enthaltenden – „Polizeianzeige [und der] Polizeierhebungsergebnisse“ nicht abgeleitet werden (RIS‑Justiz RS0117012). Da auch keiner der Fälle des § 252 Abs 1 Z 1 bis 3 StPO vorlag, war die Verlesung im Umfang des Protokolls über die Vernehmung des Zeugen Dr. K***** unzulässig.

Ein aus der Verwertung dieser Aussage im Rahmen der Beweiswürdigung (in der das Erstgericht hinsichtlich der Abschlüsse der rechtsgeschäftlichen Vereinbarungen zwischen dem Angeklagten und den Geschädigten sowie dem Unterbleiben von Zahlungen pauschal auch die Angaben „der Betroffenen“ bzw „der Geschädigten“, damit auch die Aussage des Zeugen Dr. K***** anführt; US 6) resultierender nachteiliger Einfluss für den Angeklagten ist nicht ersichtlich, weil ihn der genannte Zeuge nicht konkret – im Besonderen nicht über seine des Tatsächlichen geständige Verantwortung hinaus – belastet hat (vgl ON 13 S 15 f sowie ON 14 S 21). Die (auch in der Berufungsschrift ON 24 nicht relevierte) Gesetzesverletzung war daher bloß festzustellen.

2./ Verfügt das Opfer einer Straftat in Ansehung ihm aus dieser entstandener Schäden bereits über einen (rechtskräftigen zivilrechtlichen) Exekutionstitel, kann es sich dem Strafverfahren nicht mehr als Privatbeteiligter anschließen (RIS‑Justiz RS0096819; Spenling, WK‑StPO Vor §§ 366 bis 379 Rz 37 und 54 ff; Lendl, aaO § 393 Rz 32).

Der Anschluss von Mag. R***** mit einer Forderung in der Höhe von 2.753,44 Euro wäre daher– angesichts des offensichtlichen Bestehens eines rechtskräftigen Zahlungsbefehls über den begehrten Betrag und der Bewilligung der Fahrnisexekution vom Einzelrichter bei Prüfung des Strafantrags (§ 485 Abs 1 StPO) – gemäß § 67 Abs 4 Z 1 StPO zurückzuweisen gewesen.

3./ Aufwendungen des Geschädigten für die ihm zur zweckentsprechenden Geltendmachung seiner Ansprüche entstandenen Kosten sind kein durch die Tat entstandener Schaden (vgl RIS‑Justiz RS0130256), der eine Opferstellung als Voraussetzung für Privatbeteiligung (vgl § 65 Z 2 StPO) begründen könnte. Die von Mag. R***** ungeachtet dieser Umstände in der Hauptverhandlung vom 17. Juni 2016 hinsichtlich 500,56 Euro „als Kosten für die Einbringung der Sachverhaltsdarstellung“ (ON 18 S 4) abgegebene Anschlusserklärung hätte daher ebenfalls gemäß § 67 Abs 4 Z 1 StPO als offensichtlich unberechtigt zurückgewiesen werden müssen.

Der im Abwesenheitsurteil (ON 21 S 2) erfolgte Zuspruch eines entsprechenden Kostenersatzes (vgl § 393 Abs 4 StPO) im Rahmen des Adhäsionserkenntnisses hätte die Zulässigkeit des Privatbeteiligtenanschlusses zur Vorbedingung (vgl Lendl, WK‑StPO § 393 Rz 32) und entsprach demnach gleichfalls nicht dem Gesetz.

4./ Nach § 245 Abs 1a StPO (iVm § 488 Abs 1 StPO) ist der Angeklagte über die gegen ihn erhobenen privatrechtlichen Ansprüche zu vernehmen und zur Erklärung aufzufordern, ob und in welchem Umfang er diese anerkennt. Bei dieser Vernehmung handelt es sich um ein der Gewährleistung des beiderseitigen rechtlichen Gehörs dienendes Erfordernis, ohne dessen Beachtung ein Zuspruch an den Privatbeteiligten nicht erfolgen darf (vgl RIS‑Justiz RS0101178, RS0101197; Kirchbacher, WK‑StPO § 245 Rz 23). Da der Angeklagte zu den geltend gemachten Ansprüchen nicht gehört wurde, verletzt der Zuspruch auch deshalb das Gesetz.

Die zu 2./ bis 4./ aufgezeigten Rechtsfehler gereichen dem Angeklagten zum Nachteil. Der Oberste Gerichtshof sah sich veranlasst, der Feststellung der Gesetzesverletzungen konkrete Wirkung zuzuerkennen. Eine im Sinn des Art 1 des 1. ZPMRK geschützte Position des Privatbeteiligten steht dem – schon mangels Rechtskraft des Schuldspruchs – nicht entgegen.

Zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten wegen Nichtigkeit und wegen der Aussprüche über Schuld und Strafe sowie über die gemäß § 498 Abs 3 StPO als erhoben zu betrachtende Beschwerde werden die Akten dem Oberlandesgericht Wien zugeleitet.

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