OGH 2Ob141/17z

OGH2Ob141/17z27.7.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.-Prof. Dr.

Danzl als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Veith, Dr. Musger und Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei I***** B*****, vertreten durch Mag. iur. Oliver Lorber Rechtsanwalts GmbH in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die beklagten Parteien 1. E***** B*****, 2. N***** K*****, und 3. (nunmehr) U***** AG, *****, die zweitbeklagte und die drittbeklagte Partei vertreten durch Mag. Claudia Egarter, Rechtsanwältin in Klagenfurt am Wörthersee, wegen 14.365 EUR sA (Revisionsinteresse 11.865,40 EUR sA), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Berufungsgericht vom 19. April 2017, GZ 4 R 89/17f‑31, womit infolge Berufung der zweitbeklagten und der drittbeklagten Partei das Urteil des Bezirksgerichts Klagenfurt vom 15. Februar 2017, GZ 40 C 413/16z‑27, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0020OB00141.17Z.0727.000

 

Spruch:

I. Die Bezeichnung der drittbeklagten Partei wird von „R***** AG“ auf „U***** AG“ berichtigt.

II. Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der zweitbeklagten und der drittbeklagten Partei die mit 1.032,91 EUR (darin 172,15 EUR USt) bestimmten Kosten ihrer Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Zu I.:

Nach der am 6. 9. 2016 von den Hauptversammlungen beider Gesellschaften beschlossenen und am 1. 10. 2016 zu FN ***** und FN ***** im Firmenbuch eingetragenen Verschmelzung der übertragenden R***** AG mit der übernehmenden U***** AG ist diese gemäß § 225a Abs 3 AktG Gesamtrechtsnachfolgerin der übernommenen AG. Die Parteibezeichnung war daher gemäß § 235 Abs 5 ZPO von Amts wegen zu berichtigen.

Zu II.:

Am 7. 11. 2015 ereignete sich in K***** ein Verkehrsunfall, an dem der Kläger als Lenker seines Pkw und die Erstbeklagte als Lenkerin eines von der Zweitbeklagten gehaltenen und bei der drittbeklagten Partei haftpflichtversicherten Pkw beteiligt waren. Der Kläger wurde bei dem Unfall verletzt, am Klagsfahrzeug trat wirtschaftlicher Totalschaden ein. Das Alleinverschulden trifft die Erstbeklagte.

Der Kläger begehrt den Ersatz seines Schadens, den er zuletzt mit 14.365 EUR sA bezifferte.

Während die Erstbeklagte den gegen sie erlassenen Zahlungsbefehl rechtskräftig werden ließ, bestritten die zweitbeklagte und die drittbeklagte Partei ihre Haftung. Es liege eine „echte Schwarzfahrt“ vor.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren mit 11.865,40 EUR sA statt und wies das Mehrbegehren von 2.499,60 EUR (unbekämpft und daher insoweit rechtskräftig) ab. Soweit wesentlich, stellte es fest:

Die Erstbeklagte und die Zweitbeklagte sind seit dem 2. 9. 2014 – mit kurzfristigen Unterbrechungen – „ein Paar“, wobei keine Wohngemeinschaft besteht. Auch zum Zeitpunkt des gegenständlichen Unfalls „waren sie zusammen“. Sie hatten den Ankauf des Pkw je zur Hälfte gemeinsam finanziert. Die Erhaltungs-, Reparatur- und Versicherungskosten trägt die Zweitbeklagte. Die Erstbeklagte verfügt über keine Lenkberechtigung, was der Zweitbeklagten bekannt war.

Zwischen der Erstbeklagten und der Zweitbeklagten gab es auch immer wieder einmal einen Streit. Im Zuge eines solchen hatte die (richtig) Erstbeklagte einmal die Luft aus den Reifen des Beklagtenfahrzeugs gelassen und auch die Kennzeichen abmontiert und weggeworfen. Sie ersetzte der Zweitbeklagten damals den Schaden, wurde aber wegen des Vergehens der Urkundenunterdrückung strafgerichtlich verurteilt.

Auch am Tag des Unfalls war es in der Wohnung der Zweitbeklagten zu einem Streit gekommen. Die Erstbeklagte verließ daraufhin die Wohnung. Der Fahrzeugschlüssel hing ebenso wie der Wohnungsschlüssel, der im Schloss der Wohnungstür steckte, an einem Schlüsselbund. Die Erstbeklagte zog den Wohnungsschlüssel ab und nahm – von der Zweitbeklagten unbemerkt – den Schlüsselbund mit. Anschließend unternahm sie ohne Wissen der Zweitbeklagten die Fahrt, die zum Unfall führte. Die Zweitbeklagte erfuhr erst durch einen Anruf der Erstbeklagten von dem Unfall. Als sie anschließend Nachschau hielt, stellte sie fest, dass die Schlüssel fehlten.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass es sich um eine schuldhaft ermöglichte Schwarzfahrt handle.

Das Berufungsgericht änderte diese Entscheidung dahin ab, dass es das Klagebegehren zur Gänze abwies. Es sprach zunächst aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Möge das gemeinsam angeschaffte Fahrzeug in der Vergangenheit auch einmal Gegenstand von Aggressionshandlungen der Erstbeklagten gewesen sein, so habe doch nichts dafür gesprochen, dass die Erstbeklagte das nächste Mal das Fahrzeug in Betrieb nehmen könnte. Für eine solche Vermutung müssten naheliegende, offenbare Gründe vorhanden sein, wie etwa in der Vergangenheit mehrfach geäußertes Interesse am Lenken des Fahrzeugs, Versuche zu solchen Handlungen, offenbare „Autoleidenschaft“ oder ähnliches mehr. Nichts davon liege hier vor. Besondere Sicherungsmaßnahmen seien im konkreten Fall daher nicht erforderlich gewesen.

Über Antrag des Klägers ließ das Berufungsgericht die ordentliche Revision nachträglich doch zu. Im Hinblick auf die Nahebeziehung zwischen Halterin und Schwarzfahrerin und jene Rechtsprechung, die an die Sorgfaltspflichten bei der Verwahrung der Autoschlüssel strengste Anforderungen stelle, könnte dem Berufungsgericht eine „erhebliche Fehlbeurteilung“ unterlaufen sein.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen das Berufungsurteil erhobene Revision des Klägers ist jedoch entgegen diesem den Obersten Gerichtshof gemäß § 508a Abs 1 ZPO nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Weder in der zweitinstanzlichen Zulassungsbegründung noch im Rechtsmittel wird eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO dargetan:

1. In der Frage, ob ein Fahrzeughalter die Schwarzfahrt nach § 6 Abs 1 zweiter Satz EKHG schuldhaft ermöglicht hat, nimmt die Rechtsprechung einen strengen Standpunkt ein. Demnach sind an die Sorgfaltspflichten von Halter und Betriebsgehilfen zur Verhinderung einer Schwarzfahrt strengste Anforderungen zu stellen (RIS‑Justiz RS0058440, RS0058473, RS0065730). Ein besonders hohes Maß an Sorgfalt und Voraussicht muss insbesondere dann verlangt werden, wenn mit der Möglichkeit einer Schwarzfahrt durch Personen gerechnet werden muss, die mit dem Fahrzeughalter in einer besonderen, eine solche Fahrt erleichternden Beziehung stehen (RIS‑Justiz RS0058478).

2. Dennoch darf die Pflicht des Fahrzeughalters zur Sicherung des Fahrzeugs gegen die unbefugte Inbetriebnahme nicht überspannt werden. Sicherungsmaßnahmen müssen nicht nur möglich und zumutbar, sondern auch als erforderlich erkennbar sein (2 Ob 55/93 ZVR 1995/94; 2 Ob 33/04y; RIS‑Justiz RS0058210). Entscheidend sind letztlich die Umstände des Einzelfalls; eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO liegt im Regelfall nicht vor (2 Ob 33/04y).

3. Der gegenständliche Fall ist ähnlich jenem, den der Oberste Gerichtshof zu 2 Ob 55/93 (ZVR 1995/94) entschieden hat. Dort hatte sich der im Familienverband lebende 20-jährige Sohn des Fahrzeughalters, der keine Lenkberechtigung besaß, ein Duplikat des Fahrzeugschlüssels anfertigen lassen, um mit dem Fahrzeug verbotene Schwarzfahrten zu unternehmen. Zu dem Originalschlüssel hatte er leichten Zugang, weil er sich auf dem an der Innenseite der Haustür steckenden Schlüsselbund befand. Der Oberste Gerichtshof verneinte ein schuldhaftes Ermöglichen der Schwarzfahrt, weil der Fahrzeughalter – im Gegensatz zu anderen Fällen, in denen Angehörige schon früher Schwarzfahrten unternommen hatten (vgl 2 Ob 33/04y mwN) oder die Autoleidenschaft des Angehörigen bekannt war (vgl auch 2 Ob 230/05w ZVR 2006/63 [Kathrein]: „Faschingsstimmung und Autobegeisterung“) – von einer besonderen Autoleidenschaft seines Sohnes keine Kenntnis hatte und sich auch sonst keine Anhaltspunkte dafür ergeben hatten, dass der Sohn das Fahrzeug unbefugt in Betrieb nehmen könnte.

4. Die ein Verschulden der Zweitbeklagten verneinende Rechtsansicht des Berufungsgerichts hält sich im Rahmen dieser Rechtsprechung. Sie ist vertretbar und wirft unter den besonderen Umständen des konkreten Einzelfalls daher keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf:

Die Erstbeklagte wohnte nicht bei der Zweitbeklagten, sie war (nur) Besucherin. Verdachtsmomente, wie ein geäußertes Interesse am Lenken des Fahrzeugs, Versuche zu solchen Handlungen in der Vergangenheit, offenbare „Autoleidenschaft“ oder ähnliches lagen nach der unwidersprochenen Feststellung des Berufungsgerichts nicht vor. Anhaltspunkte, aufgrund deren mit einer Schwarzfahrt zu rechnen war, wurden auch nicht schon dadurch begründet, dass die Erstbeklagte das Fahrzeug „mitfinanziert“ hatte und möglicherweise Miteigentümerin des Fahrzeugs war. Ebenso wenig war die Gefahr einer unbefugten Inbetriebnahme durch die früheren Aggressionshandlungen gegen das Fahrzeug (Entlüften der Reifen; Abmontieren und Wegwerfen der Kennzeichen) indiziert. Mag daraus zwar auf die Neigung der Erstbeklagten zu unüberlegten Reaktions- oder Trotzhandlungen nach Streitigkeiten mit der Zweitbeklagten zu schließen sein, so deutete bis zu dem gegenständlichen Vorfall doch nichts auf eine mögliche Schwarzfahrt hin (darauf abstellend auch 2 Ob 33/04y).

5. Da es somit der Lösung von Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO nicht bedarf, ist die Revision zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO. Die beklagten Parteien haben auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen.

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