European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0150OS00045.17G.0719.000
Spruch:
Der Antrag wird zurückgewiesen.
Gründe:
Gegenstand des Verfahrens AZ 113 Hv 108/16d des Landesgerichts für Strafsachen Wien sind die Veröffentlichungen 1.) auf der Website www.h *****.at vom 18. Oktober 2016 mit der Überschrift „Nächste Prügel-Affäre um Politiker“ und 2.) auf S 14 des periodischen Druckwerks „H*****“ vom 19. Oktober 2016 mit der Überschrift „Spital! Prügel‑Vorwürfe gegen Grünen‑Politiker“ mit dem Inhalt, der 45‑jährige „Grünen‑Politiker“ und Ersatzgemeinderat in W***** im Bezirk U***** Andreas R. habe einen 65‑Jährigen schwer verletzt, er habe das Opfer gepackt, dieses sei zu Sturz gekommen und habe unter anderem einen Achillessehnenriss und einen Sprunggelenksbruch erlitten,
Mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 15. Dezember 2016 (ON 12) wurden die Antragsgegnerinnen für diese Veröffentlichungen gemäß § 7a Abs 1 Z 2 MedienG (jeweils) zur Zahlung einer Entschädigung an den Antragsteller verurteilt.
Der gegen dieses Urteil erhobenen Berufung der Antragsgegnerinnen (ON 16) gab das Oberlandesgericht Wien als Berufungsgericht mit Erkenntnis vom 29. März 2017, AZ 17 Bs 42/17a (ON 21 der Hv‑Akten) nicht Folge.
Unter Zugrundelegung der erstgerichtlichen Feststellungen (US 2 bis 6) erwog das Berufungsgericht, dass an der Identität des Antragstellers ohne Hinzutreten weiterer Umstände kein öffentliches Interesse bestünde, das dessen schutzwürdiges Interesse an der Geheimhaltung seiner Identität „als Verdächtiger einer Straftat, die sich an der Grenze von Vergehen und Verbrechen bewegt“, überwiegen würde.
Nicht jedes lokale politische Engagement könne zu einem Entfall des Schutzes vor identifizierender Berichterstattung schlechthin führen. Beim Antragsteller handle es sich um einen Ersatzgemeinderat einer kleinen Landgemeinde ohne öffentliche oder politische Entscheidungsfunktion. Er sei weder ein bekannter Politiker noch eine sonstige Person des öffentlichen Lebens, sodass ohne Hinzutreten weiterer Umstände kein öffentliches Interesse an der „restriktiv zu betrachtenden“ Preisgabe der Identität des Antragstellers bestanden habe (US 12 f).
Rechtliche Beurteilung
Gegen diese Urteile richtet sich der Antrag der Antragsgegnerinnen D***** GmbH und A***** GmbH auf Erneuerung des Strafverfahrens gemäß § 363a StPO per analogiam iVm § 41 Abs 1 MedienG (RIS‑Justiz RS0122228), mit welchem sie eine Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung nach Art 10 MRK geltend machen.
1./ Soweit sich der Erneuerungsantrag gegen das (auch tatsächlich mit Berufung bekämpfte) Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 15. Dezember 2016 richtet, war er zurückzuweisen, weil Erneuerungsanträge nur gegen letztinstanzliche Entscheidungen nach Ausschöpfung des (vertikalen und horizontalen) Instanzenzugs möglich sind (vgl 15 Os 116/16x, 15 Os 117/16v).
2./ Der gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien vom 29. März 2017 gerichtete Erneuerungsantrag ist aus nachstehenden Gründen offenbar unbegründet (§ 363b Abs 2 Z 3 StPO iVm § 41 Abs 1 MedienG):
Für einen – wie hier – nicht auf ein Urteil des EGMR gestützten Erneuerungsantrag, bei dem es sich um einen subsidiären Rechtsbehelf handelt, gelten alle gegenüber dem EGMR normierten Zulässigkeitsvoraussetzungen der Art 34 und 35 MRK sinngemäß (RIS‑Justiz RS0122737).
Demnach hat – weil die Opfereigenschaft nach Art 34 MRK nur anzunehmen ist, wenn der Beschwerdeführer substantiiert und schlüssig vorträgt, in einem bestimmten Konventionsrecht verletzt zu sein (Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 13 Rz 16) – auch ein Erneuerungsantrag gemäß § 363a StPO per analogiam deutlich und bestimmt darzulegen, worin eine (vom angerufenen Obersten Gerichtshof sodann selbst zu beurteilende) Grundrechtsverletzung zu erblicken sei.
Ferner kann der Oberste Gerichtshof erst nach Rechtswegerschöpfung angerufen werden. Dem Erfordernis der Ausschöpfung des Rechtswegs wird entsprochen, wenn von allen effektiven Rechtsbehelfen Gebrauch gemacht wurde (vertikale Erschöpfung) und die geltend gemachte Konventionsverletzung zumindest der Sache nach und in Übereinstimmung mit den innerstaatlichen Verfahrensvorschriften im Instanzenzug vorgebracht wurde (horizontale Erschöpfung; vgl RIS‑Justiz RS0122737 [T13]), soll dem Staat doch materiell Gelegenheit gegeben werden, die behauptete Rechtsverletzung zu verhindern oder zu beseitigen (zur Rechtswegerschöpfung vgl Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 13 Rz 28 ff, 36 ff).
Diesem zuletzt genannten Erfordernis der horizontalen Rechtswegerschöpfung werden die Erneuerungswerberinnen nicht gerecht. Denn weder in ihrer schriftlichen Äußerung zu den medienrechtlichen Anträgen (ON 3) noch in der Hauptverhandlung (ON 11) noch in der Berufungsausführung (ON 16) haben sich die Antragsgegnerinnen formell auf eine Verletzung des Rechts auf freie Meinungsäußerung berufen oder eine solche der Sache nach deutlich und bestimmt geltend gemacht. Die bloße Zitierung einer Bestimmung der MRK in der Berufungsverhandlung (vgl das Protokoll der Verhandlung ON 20 S 1: „Der Vertreter der Antragsgegnerinnen trägt vor wie ON 16 und beruft sich auf Art 10 EMRK“) wiederum entspricht nicht den durch die Verfahrensordnung aufgestellten Anforderungen an eine prozessförmige Geltendmachung (vgl § 285 Abs 1 letzter Satz iVm § 285a Z 2, § 285d Abs 1 Z 1 StPO) und reicht dazu nicht hin. Ohne prozessordnungskonformes Vorbringen, durch welche gesetzliche Bestimmung, unrichtige oder unverhältnismäßige Anwendung des Gesetzes Art 10 MRK verletzt worden sein soll (zu den einzelnen Eingriffsschranken des Abs 2 des Art 10 MRK: gesetzliche Grundlage, legitimes Ziel und Verhältnismäßigkeit vgl Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 23 Rz 19 ff), wird das zuständige Gericht nämlich nicht in die Lage versetzt, den möglichen Konventionsverstoß zu prüfen und erforderlichenfalls Abhilfe zu schaffen (Grabenwarter/Pabel, EMRK6 § 13 Rz 36; Meyer-Ladewig/Nettesheim/von Raumer, EMRK4 Art 35 Rz 17). Dies gilt hier umso mehr, als die Bestimmung des § 7a MedienG nach ihrer Zielrichtung nicht ausschließlich dem Schutz der Meinungsäußerungsfreiheit dient und insofern nicht bloß als „Ausführungsgesetz“ zu Art 10 MRK konzipiert ist, sondern gerade einen Ausgleich zwischen den konfligierenden Grundrechten der Art 8 und 10 MRK gewährleisten soll, weshalb die einseitige Ausdehnung des einen zugleich zur Einschränkung des anderen Rechts führt.
Im Übrigen ist anzumerken, dass im konkreten Fall die von den beiden vorbefassten Gerichten übereinstimmend vorgenommene Abwägung der unterschiedlichen Interessen keinen Bedenken begegnet.
Denn ausgehend von den Feststellungen war der Antragsteller – bloß – Ersatzmitglied des Gemeinderats einer Gemeinde (mit rund 4.000 Einwohnern) im Mühlviertel, hatte als solcher „selbstredend nicht einmal ein Stimmrecht und daher sehr wenig politischen Einfluss“ und war bis dato medial nicht in Erscheinung getreten (US 4 und 8 im [Erst‑]Urteil des Landesgerichts). Berücksichtigt man weiters, dass die bestehende Verdachtslage in keinem Zusammenhang mit einer politischen Tätigkeit des Antragstellers stand und auch sonst keine Angelegenheit von allgemeinem Interesse betraf, sowie den für das Gewicht des Anonymitätsinteresses des Betroffenen wesentlichen Umstand (vgl RIS‑Justiz RS0125775 [T6]), dass in einem überaus frühen Verfahrensstadium, nämlich bereits einen Monat vor Erstellung des Abschlussberichts (§ 100 Abs 2 Z 4 StPO) durch die Polizei, berichtet wurde, kann das öffentliche Interesse an der Bekanntgabe der Identität des Antragstellers nicht als überwiegend angesehen werden.
Der Antrag der Antragsgegnerinnen auf Erneuerung des Verfahrens gemäß § 363a StPO per analogiam war daher bereits bei nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen.
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