OGH 6Ob120/17s

OGH6Ob120/17s7.7.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. T***** GmbH, 2. T***** L***** GmbH, beide *****, vertreten durch huber ebmer partner Rechtsanwälte GmbH in Linz, gegen die beklagte Partei Dr. J***** S*****, vertreten durch Dr. Heinz Stöger, Rechtsanwalt in Wien, wegen 3.720.465,50 EUR sA, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 27. April 2017, GZ 2 R 39/17v‑13, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0060OB00120.17S.0707.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Entgegen der vom Berufungsgericht vertretenen Auffassung erlitten die Klägerinnen bereits mit Zustellung der Abgabenbescheide des Finanzamts im März 2011 den von ihnen behaupteten Vermögensnachteil, den sie dem Beklagten als ihrem damaligen Vertreter in steuerlichen Angelegenheiten zurechnen wollen (RIS‑Justiz RS0123388). Dass ausgehend davon der von den Klägerinnen behauptete Anspruch verjährt wäre, steht im Revisionsverfahren nicht in Frage.

2. Nach den vom Berufungsgericht zitierten und zu RIS‑Justiz RS0118357 indizierten Entscheidungen kann zwar die Anspruchsverjährung nicht in Gang gesetzt werden, solange das Scheitern der „Rettungsversuche“ des schließlich Geschädigten (durch die Vornahme von Verfahrenshandlungen) zur Vermeidung oder Minderung eines Schadens noch nicht feststeht; es wäre nicht sachgerecht, dass dem Geschädigten dessen Bemühungen zur Abwendung des Schadenseintritts durch Beteiligung, insbesondere Erhebung von Rechtsmitteln im Verfahren insofern zum Nachteil gereichen sollten, als die Verjährungsfrist während des anhängigen Verfahrens läuft bzw allenfalls sogar abläuft (3 Ob 70/03w). Der Oberste Gerichtshof hatte dabei jedoch jeweils Verwaltungs- (3 Ob 70/03w) oder Gerichtsverfahren (1 Ob 203/11a – der dort Beklagte hatte ein behauptetermaßen falsches Gutachten erstattet) zu beurteilen, durch die sich erst ergab, ob überhaupt ein Schaden entstanden war (vgl 3 Ob 70/03w: „obwohl der Schadenseintritt solange offen bleibt“). Diese Rechtsprechung ist auf Sachverhalte wie den vorliegenden nicht anwendbar, in denen bereits während des Verfahrens der Schadenseintritt feststeht (vgl 1.).

3. Allerdings entspricht es ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs, dass die Verjährungseinrede gegen Treu und Glauben verstößt, wenn die Fristversäumnis des Berechtigten auf ein Verhalten seines Gegners zurückzuführen ist (RIS‑Justiz RS0014838, RS0034537); dabei kann die Frage, ob die Einrede gegen Treu und Glauben verstößt, nur nach den konkreten Umständen des Einzelfalls beurteilt werden (RIS‑Justiz RS0014838 [T15]). Dies ist hier zu bejahen, worauf schon das Erstgericht hingewiesen hat:

Nach den Feststellungen teilte der Beklagte nach Zustellung der Entscheidung des Unabhängigen Finanzsenats im Dezember 2011, mit der die Berufung der Zweitklägerin gegen die Körperschaftssteuerbescheide 2006 bis 2008 als unbegründet abgewiesen worden war (die Berufungsverfahren betreffend die Erstklägerin waren ausgesetzt worden), dem Geschäftsführer der Klägerinnen mit, er teile die Ansicht des Senats nicht; der Beklagte hatte bereits nach der Betriebsprüfung gegenüber dem Geschäftsführer „intensiv und insistierend“ einen Fehler seinerseits verneint und gegen die Abgabenbescheide des Finanzamts für die Klägerinnen auf eigene Kosten Berufungen erhoben. In weiterer Folge wandte sich die Zweitklägerin, vertreten durch einen Rechtsanwalt, der für den Beklagten (gratis) tätig war, an die Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts. Für den Geschäftsführer war damals klar, dass es ein „Formalerfordernis“ (bei Erstellung der Abgabenerklärungen) gegeben hatte, welches vom Beklagten nicht erfüllt worden war (konkret: Antragstellung nach §§ 10 ff KStG), er ging jedoch davon aus, dass Argumentationslinie und Ausführungen des Beklagten und des Rechtsanwalts bezüglich eines anzunehmenden schlüssigen Handelns bei der Antragstellung „glaubwürdig und stichhaltig“ waren, worin ihn auch sein (nunmehriger) Steuerberater bestätigte. Der Beklagte erweckte damals beim Geschäftsführer den Eindruck, ganz sicher zu sein, dass die Klägerinnen „die Verfahren“ gewinnen würden; es war ihm allerdings auch bewusst, dass es dafür keine Garantie gab. Der Beklagte hatte außerdem den Eindruck erweckt, er werde für einen allfälligen Schaden „geradestehen“, sollten die Klägerinnen „die Verfahren“ wider Erwarten verlieren. Der Verfassungsgerichtshof lehnte in weiterer Folge im September 2012 die Behandlung der Beschwerde der Zweitklägerin ab, der Verwaltungsgerichtshof wies sie als unbegründet ab. Nach Zustellung letzterer Entscheidung über den Beklagten im August 2015 machten die Klägerinnen am 22. 1. 2016 die vorliegende Schadenersatzklage gerichtsanhängig.

4. Dieser Sachverhalt ist in rechtlicher Hinsicht außerdem mit jenen zu vergleichen, in denen der Oberste Gerichtshof in Anlegerprozessen Beschwichtigungsversuchen von Anlageberatern unter anderem die Auswirkung zuerkannte, dass der Anleger selbst bei früherer Erkennbarkeit des Schadenseintritts dem Verjährungseinwand des Anlageberaters die „Replik der Arglist“ entgegenhalten kann (vgl bloß 6 Ob 103/08b; RIS-Justiz RS0014838 [T17, T18]). Dazu kommt, dass der Oberste Gerichtshof bereits wiederholt ausgesprochen hat, dass die Erhebung des Verjährungseinwands gegen Treu und Glauben verstoßen kann, wenn aus einem auch im eigenen Interesse gelegenen Zuwarten des Gegners mit kostenintensiver Prozessführung bis zur Beendigung eines präjudiziellen Rechtsstreits Anspruchsverjährung abgeleitet wird (RIS-Justiz RS0034537 [T7]). Hier hat der Beklagte nicht nur beschwichtigt, sondern auch selbst die Bekämpfung der nachteiligen Entscheidungen empfohlen und veranlasst.

Auch wenn der vom Beklagten (angeblich) verursachte Schaden im Vermögen der Klägerinnen bereits mit Zustellung der Abgabenbescheide im März 2011 eingetreten war, konnte der Geschäftsführer aufgrund des Verhaltens des Beklagten und des diesem zuzurechnenden Rechtsanwalts darauf vertrauen, dass sich diese zwar in den „Abgabenverfahren“ um eine Beseitigung des Schadens kümmern würden; er musste jedoch nicht davon ausgehen, dass sich der Beklagte im Fall eines für die Klägerinnen ungünstigen Verfahrensausgangs auf Verjährung berufen würde.

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