European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0010OB00100.17P.0628.000
Spruch:
Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.
Begründung:
Die Obsorge für die achtjährige H***** steht mittlerweile dem Vater und der Mutter gemeinsam zu, wobei die hauptsächliche Betreuung im Haushalt der Mutter festgelegt wurde. Im Zeitpunkt der Entscheidung des Erstgerichts war bei diesem sowohl ein Obsorge‑ als auch ein Kontaktrechtsverfahren des Vaters anhängig.
Nachdem der Vater im Rahmen des Pflegschaftsverfahrens zumindest zwei Mal gezielt Teile des Pflegschaftsakts an eine Tageszeitung weitergegeben hatte, die darüber in zwei Artikeln berichtete, um so den Gang des Pflegschaftsverfahrens in seinem Interesse zu beeinflussen oder zumindest zu beschleunigen, verpflichtete das Erstgericht den Vater hinsichtlich seiner Tochter zur Geheimhaltung jener Tatsachen über deren Privat‑ und Intimleben, insbesondere über ihren physischen und psychischen Gesundheitszustand, über ihre aktuellen Lebensumstände sowie der Tatsachen, die die emotionale Beziehung der Tochter zu ihren Eltern betreffen, soweit er davon ausschließlich durch das Pflegschaftsverfahren Kenntnis erlangt hat oder künftig noch erlangen wird (§ 140 Abs 3 AußStrG), insbesondere zur Geheimhaltung über den Inhalt eines Sachverständigengutachtens, der Befunde eines Krankenhauses, der Berichte einer Familienorganisation und der Berichte der Familiengerichtshilfe.
Das Rekursgericht bestätigte über den Rekurs des Vaters den erstinstanzlichen Beschluss und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, um zu klären, wie konkret eine gerichtliche Geheimhaltungsverpflichtung gemäß § 140 Abs 3 AußStrG formuliert sein müsse bzw wie flexibel sie gefasst sein dürfe.
Rechtliche Beurteilung
Entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG; RIS‑Justiz RS0107859) – Ausspruch des Rekursgerichts ist der Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG nicht zulässig. Die Entscheidung kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 71 Abs 3 AußStrG):
1.1. Nach der Rechtsprechung darf der Begriff der Bestimmtheit eines Unterlassungsbegehrens nicht allzu eng ausgelegt werden, weil es praktisch unmöglich ist, alle nur denkbaren Eingriffshandlungen zu beschreiben. Gedacht ist vorrangig an allgemeine Verbote im Verein mit konkreten Einzelverboten (RIS‑Justiz RS0000845 [T14]; RS0037607; RS0037733). Bei der Fassung eines Unterlassungsgebots liegt regelmäßig keine erhebliche Rechtsfrage vor, ist doch dabei immer auf die Umstände des Einzelfalls abzustellen (RIS‑Justiz RS0037671 [T3, T4, T5]). Werden in einem Urteilsspruch Beispielsfälle „insbesondere“ angeführt, so wird das Unterlassungsgebot dadurch nur verdeutlicht, aber nicht eingeschränkt (vgl RIS‑Justiz RS0037478 [T6]).
1.2. Mit der Entscheidung 1 Ob 63/10m (1 Ob 78/10t) wies der Oberste Gerichtshof den außerordentlichen Revisionsrekurs einer Mutter von Minderjährigen zurück. In diesem Fall verpflichtete das erstinstanzliche Gericht, bestätigt durch das Rekursgericht, die Eltern gemäß § 140 Abs 3 AußStrG zur Geheimhaltung bestimmter Tatsachen über das Privat‑ und Intimleben der Minderjährigen, insbesondere über deren physischen und psychischen Gesundheitszustand und deren aktuelle Lebensumstände, von denen sie ausschließlich durch das Pflegschaftsverfahren Kenntnis erlangt hätten oder noch erlangen würden.
Abgesehen davon, dass auch die Fassung eines Spruchs über die Anordnung einer Geheimhaltungspflicht nach § 140 Abs 3 AußStrG von den Umständen des Einzelfalls abhängt, entsprechen die Entscheidungen der Vorinstanzen der zitierten Judikatur und der Spruch ist ausreichend bestimmt.
Die Geheimhaltungspflicht gemäß § 140 Abs 3 AußStrG darf nur für solche Informationen angeordnet werden, die ausschließlich durch das Pflegschaftsverfahren vermittelt wurden. Ein solcher Beschluss ist daher auf jene Informationen zu beschränken, welche die Eltern aus dem Verfahren erhalten haben. Die Weitergabe dieser Informationen an jeden Dritten wird dadurch strafbar. Für die objektive Reichweite der Geheimhaltungspflicht und damit die Strafbarkeit ist nur der Inhalt des Beschlusses des Pflegschaftsgerichts maßgebend. Der Beschluss muss daher die Tatsachen und die betroffenen Personen detailliert bezeichnen (ErläutRV 296 BlgNR XXI. GP 89 [zur Vorgängerbestimmung des § 182d AußStrG idF KindRÄG 2001, BGBl I 2000/135, auf dessen Erläuterungen die ErläutRV 224 BlgNR XXII. GP 90 {zu § 140 Abs 3 AußStrG} verweisen]; ebenso Zankl/Mondel in Rechberger 2 § 140 AußStrG Rz 4; Beck in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 140 Rz 9; ähnlich Deixler‑Hübner, Die neuen familienrechtlichen Verfahrensbestimmungen, in Ferrari/Hopf [Hrsg], Reform des Kindschaftsrechts [2001] 115 [124]). Das Erstgericht hat den konkreten Umfang der Verschwiegenheitspflicht im Beschluss angeordnet und dies auch mit genauen Beispielen („insbesondere“) illustriert, wodurch der Vater über den Inhalt der Geheimhaltung im Klaren sein muss.
2. Der Vater erachtet § 140 Abs 3 AußStrG iVm § 301 Abs 2 zweiter Fall StGB als verfassungsrechtlich problematisch, weil dadurch ein Pflegschaftsgericht ermächtigt werde, ein bestimmtes konkretes Verhalten unter Strafsanktion zu stellen. Dies widerspreche „aber den Garantien des Art 7 EMRK und dem Determinierungsgebot des Art 18 Abs 1 B‑VG“.
Der erkennende Senat teilt die unkonkret geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken des Vaters zu § 140 Abs 3 AußStrG nicht. Die Bestimmung des § 301 Abs 2 zweiter Fall StGB ist hier nicht präjudiziell. Der Verfassungsgerichtshof hat wiederholt im Hinblick auf das Rechtsstaatsprinzip (Art 18 Abs 1 B‑VG) ausgesprochen, dass der Gesetzgeber klar und unmissverständlich zum Ausdruck zu bringen hat, wo er strafen will, und die Rechtsordnung dem Einzelnen die Möglichkeit geben muss, sich dem Recht gemäß zu verhalten. Auch Art 7 EMRK schließt das Gebot in sich, Strafvorschriften so klar zu gestalten, dass es dem Einzelnen möglich ist, sein Verhalten am Gesetz zu orientieren (VfGH G 531/2015 ua; vgl die Rechtsprechung des EGMR zu Art 7 Abs 1 EMRK in RIS‑Justiz RS0122524; RS0122531; RS0122558). Der Gesetzgeber kann auch die Übertretung einer verwaltungsbehördlichen (durch Gesetz ausreichend determinierten) Verfügung zum Tatbild einer Strafnorm erklären (VfGH G 280/1991, G 281/1991, G 325/1991 = VfGHSlg 12.947 = JBl 1992, 377; E. Steininger in Triffterer/Rosbaud/Hinterhofer, SbgK zum StGB § 1 StGB Rz 12). Nichts anderes kann für die Übertretung einer zivilgerichtlichen, durch Gesetz ausreichend determinierten Entscheidung – wie hier den auf § 140 Abs 3 AußStrG gegründeten Beschluss – gelten. Abgesehen davon, dass der Vater keinerlei Rechtsprechung für seine Ansicht zitiert, dass durch diese Bestimmung die Aufgabe des Gesetzgebers, den Straftatbestand genau und bestimmt zu definieren, (in verpönter Weise) an den Pflegschaftsrichter „delegiert“ werde, zeigen seine Darlegungen demnach auch keine Verfassungswidrigkeit auf.
3. Nach § 140 Abs 2 AußStrG dürfen Mitteilungen über Umstände des Privat‑ und Familienlebens, an deren Geheimhaltung ein begründetes Interesse einer Partei oder eines Dritten besteht, soweit deren Kenntnis ausschließlich durch das Verfahren vermittelt wurde, nicht veröffentlicht werden. Soweit es das Wohl eines Minderjährigen verlangt, hat das Gericht Personen zur Geheimhaltung bestimmter Tatsachen, von denen sie ausschließlich durch das Verfahren Kenntnis erlangt haben, zu verpflichten (Abs 3 Satz 1 leg cit). Die Frage der Geheimhaltung im Interesse des Wohls des betroffenen Minderjährigen ist unter Bedachtnahme auf alle konkreten Umstände des Einzelfalls zu lösen (1 Ob 63/10m = RIS‑Justiz RS0118102 [T2]).
Im ersten der vom Vater initiierten Zeitungsartikel wurden Informationen veröffentlicht, die das Privatleben sowie den Gesundheitszustand der Minderjährigen betreffen. Dabei ging es um Äußerungen einer vom Gericht beauftragten Gutachterin zu Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs der Minderjährigen durch ihren Vater. Weiters wurde in dem Artikel deren emotionale Beziehung zu ihren Eltern beleuchtet, etwa wie sie sich beim Zusammentreffen mit ihrem Vater verhält, und es wurden von ihr getätigte Äußerungen, wonach ihre Mutter ihr verbieten würde, ihren Vater „lieb zu haben“, veröffentlicht. Schließlich gab der Vater auch Informationen aus einem gerichtlichen Gutachten weiter, die die Frage der Beibehaltung der alleinigen Obsorge durch die Mutter aufgrund deren Bedürfnisprioritäten betreffen. Im zweiten vom Vater initiierten Zeitungsartikel wird auf ein eingeholtes Sachverständigengutachten sowie auf einzelne vom Erstgericht gesetzte Schritte und auf einen Beschluss des Rekursgerichts eingegangen.
Die Beurteilung der Vorinstanzen, dass es objektiv im Interesse des Wohls der Minderjährigen liege, dass ihr Privat‑ und Intimleben, insbesondere bezüglich ihres physischen und psychischen Gesundheitszustands, ihrer aktuellen Lebensumstände sowie ihrer emotionalen Beziehung zu beiden Elternteilen, nicht in die Öffentlichkeit getragen werde, sodass die Voraussetzungen für die Anwendung des § 140 Abs 3 AußStrG gegeben seien, ist nicht zu beanstanden. Die (entbehrlichen) „grundsätzlichen Erwägungen“ des Rekursgerichts zur Einschaltung von Medien sind nicht tragend für die Begründung und enthalten auch keine näheren rechtlichen Darlegungen. Nicht nachvollziehbar ist die Argumentation des Vaters, die Abwägung zwischen den Rechten seines Kindes auf Geheimhaltung und dessen Rechten auf unbeeinträchtigte Kontakte zu ihm sollte zur Beurteilung führen, „dass der vorliegende Sachverhalt nicht unter § 140 Abs 3 AußStrG subsumierbar“ sei. Die Verbreitung von Tatsachen über das Privat‑ und Intimleben seiner Tochter über Medien entspricht – wovon die Vorinstanzen vertretbar ausgingen – nicht dem Wohl des Kindes. Entgegen der Meinung des Vaters bedarf es bei der Weitergabe solcher Informationen keiner „konkreten negativen Auswirkungen auf das Kindeswohl“.
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