OGH 2Ob88/17f

OGH2Ob88/17f20.6.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Danzl als Vorsitzenden, die Hofräte Dr. Veith und Dr. Musger, die Hofrätin Dr. E. Solé sowie den Hofrat Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V***** Y*****, vertreten durch Dörk Pätzold, Rechtsanwalt in Wien, dieser vertreten durch PHH Prochaska Havranek Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. R***** J*****, und 2. M*****, beide vertreten durch Dr. Herbert Salficky, Rechtsanwalt in Wien, wegen 35.000 EUR sA und Feststellung, über die außerordentliche Revision der erstbeklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 9. März 2017, GZ 133 R 4/17m‑45, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom 11. November 2016, GZ 20 Cg 34/15a‑41, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0020OB00088.17F.0620.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Das angefochtene Urteil, das im Übrigen unbekämpft und somit rechtskräftig ist, wird in seinen Punkten 1. und 3.a) einschließlich der darin enthaltenen rechtskräftigen Teile dahingehend abgeändert, dass diese Punkte wie folgt zu lauten haben:

„1. Die erstbeklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 27.000 EUR samt 4 % Zinsen seit 20. 5. 2015 und die mit 3.126,34 EUR (darin 521,06 EUR USt) bestimmten Vertretungskosten binnen 14 Tagen zu bezahlen.

3. Abgewiesen werden

a) das Mehrbegehren, die erstbeklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weitere 8.000 EUR samt 4 % Zinsen aus 35.000 EUR vom 24. 5. 2012 bis 19. 5. 2015 sowie aus 8.000 EUR seit 20. 5. 2015 zu zahlen;“

Die klagende Partei ist schuldig, der erstbeklagten Partei die mit 456,31 EUR (darin enthalten 42,05 EUR USt und 204 EUR Pauschalgebühr) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Der Kläger wurde bei einem Unfall am 24. 5. 2012 verletzt. Er begehrte mit der am 20. 5. 2015 eingebrachten Klage ua an Schmerzengeld die Verurteilung der beiden beklagten Parteien zur Zahlung von 35.000 EUR samt 4 % Zinsen seit 24. 5. 2012 zur ungeteilten Hand.

Die beklagten Parteien bestritten in der Klagebeantwortung ua die behauptete Fälligkeit der Klagsforderung zum 24. 5. 2012, weil die Fälligkeit eines Schadenersatzbegehrens die Fälligstellung des begehrten Betrags voraussetze. Diese sei am Unfalltag noch nicht erfolgt.

Zu diesem Vorbringen äußerte sich der Kläger im weiteren Verfahren nicht. Er brachte insbesondere nicht vor, die Beklagten wären vor Klagseinbringung zur Schadenersatzleistung aufgefordert worden.

Der Erstbeklagte wurde mit dem nur wegen des Zinsenzuspruchs angefochtenen Urteil des Berufungsgerichts rechtskräftig zur Zahlung von 27.000 EUR Schmerzengeld verurteilt. 4 % Zinsen aus diesem Betrag sprach das Berufungsgericht seit 24. 5. 2012 zu. Das Zahlungsmehrbegehren wies es ab. Den Zinsenzuspruch bzw den Beginn des Zinsenlaufs begründete es nicht und ließ die Revision nicht zu.

Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision des Erstbeklagten mit dem Antrag, das Urteil des Berufungsgerichts dahingehend abzuändern, dass das Zinsenbegehren von 4 % aus 27.000 EUR vom 24. 5. 2012 bis 19. 5. 2015 abgewiesen werde; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision als jedenfalls unzulässig zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Der Revisionswerber bringt in seinem Rechtsmittel vor wie schon in der Klagebeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil das Berufungsgericht bei seinem Zinsenzuspruch mit Beginn des Zinsenlaufs am Unfalltag von der oberstgerichtlichen Rechtsprechung abgewichen ist. Die Revision ist auch berechtigt.

Nach ständiger oberstgerichtlicher Rechtsprechung tritt die Fälligkeit einer Schadenersatzforderung erst ein, wenn der Schaden feststellbar und zumindest vom Beschädigten zahlenmäßig bestimmt worden ist (RIS‑Justiz RS0023392).

Verzugszinsen für Schmerzengeld gebühren erst ab dem Tag der Einmahnung (RIS‑Justiz RS0023392 [T5]).

Ein Ersatzanspruch wird erst mit der zahlenmäßig bestimmten Geltendmachung durch Mahnung, Klage oder Klagserweiterung fällig, sodass Verzugszinsen auch erst ab diesem Zeitpunkt mit Erfolg gefordert werden können (RIS‑Justiz RS0023392 [T6]).

Dieser Rechtsprechung wird in der aktuellen Kommentarliteratur nicht widersprochen ( Reischauer in Rummel , ABGB 3 [2004] § 1323 Rz 16; § 1325 Rz 52; Danzl in KBB 5 [2017] § 1334 Rz 1; ders , Schmerzengeld 10 [2013] 311f; Wittwer in Schwimann , ABGB-TaKom 3 [2015] § 1334 Rz 7; Größ in Kletečka/Schauer , ABGB‑ON 1.02 [2015] § 1334 Rz 5; Harrer/Wagner in Schwimann/Kodek , ABGB 4 [2016] § 1325 Rz 92). Auch jüngere Untersuchungen billigen diese Rechtsprechung ( M. Bydlinski , Materiellrechtliche Fragen der Klageausdehnung – Vertretung und Fälligkeit, FS Kerschner [2013] 123 [141–143]; zumindest bei bloß fahrlässig verursachten Schäden M. Radler , Fälligkeit von Schadenersatzansprüchen, JBl 2015, 557 [570f]).

Die gegenteilige Ansicht von Schwebisch , Die gesetzlichen Fälligkeitskonzepte des ABGB (2015) 134–145, wonach „aus der Natur des Schadenersatzanspruchs (§ 1418 Satz 1 ABGB) folgt, dass der Geschädigte mit Eintritt des Schadens seine Forderung geltend machen kann“ und damit die Schadenersatzforderung im Zeitpunkt des Schadenseintritts fällig wird, bietet keinen Anlass, von der bisherigen Rechtsprechung abzugehen.

Die Argumente des Revisionsgegners, wonach das Rechtsmittel mangels Entscheidungsgegenstands unter 5.000 EUR jedenfalls unzulässig wäre (§ 502 Abs 2 ZPO), überzeugen nicht:

Dass Zinsen und Kosten als Nebenforderungen bei der Frage der Zulässigkeit der Revision unberücksichtigt bleiben (RIS‑Justiz RS0108266), bedeutet nur, dass sie sich auf den Entscheidungsgegenstand nicht erhöhend auswirken, nicht aber, dass der (übrige) Entscheidungsgegenstand für die Zulässigkeit der Revision nicht zu berücksichtigen wäre.

Der Rechtssatz RIS‑Justiz RS0023392 samt Beisätzen wird vom Revisionsgegner nur unvollständig zitiert; er ist auf die obigen Ausführungen zu verweisen. Unzutreffend ist die Behauptung, der Rechtssatz betreffe (nur) Sach- und Anlegerschäden. In den in diesem Rechtssatz indizierten Entscheidungen SZ 41/79, 2 Ob 23/82 (= RIS‑Justiz RS0023392 [T5]), 3 Ob 677/82, 2 Ob 40/88, 2 Ob 9/89 und 2 Ob 175/00z waren auch Schmerzengeldansprüche streitgegenständlich.

Auch aus der Rechtssatzkette RIS‑Justiz RS0050338 ist für den Revisionsgegner nichts gewonnen, weil es dort nicht um die Fälligkeit, sondern um den Beginn der Verjährungsfrist einer Schadenersatzforderung geht. So wird etwa aus der Entscheidung 1 Ob 147/01a = RIS‑Justiz RS0050338 (T10) deutlich, dass auch noch nicht fällige Schadenersatzansprüche verjähren können.

Dem Kläger stehen daher – wie vom Rechtsmittelwerbern ausdrücklich zugestanden (Seite 4 der Revision) – die Zinsen erst ab Klageeinbringung zu.

Für die Vorinstanzen musste die Kostenentscheidung im Hinblick auf die Geringfügigkeit des Zinsenbegehrens im Vergleich zum Gesamtanspruch nicht abgeändert werden (§ 43 Abs 2 ZPO).

Die Kostenentscheidung für das Revisionsverfahren gründet auf den §§ 41, 50 ZPO.

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