European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0120OS00015.17Y.0518.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Zur Entscheidung über die Berufungen werden die Akten dem Oberlandesgericht Graz zugeleitet.
Dem Angeklagten fallen auch die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil wurde der Angeklagte Gaith M***** des Verbrechens der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB schuldig erkannt.
Danach hat er von Frühsommer 2012 bis zum Jahresende 2013 in I***** und anderen Orten in Syrien sich als Mitglied an der terroristischen Vereinigung Liwa al‑Tawhid Idlib (Tawhid Brigade in Idlib) in dem Wissen beteiligt (§ 278 Abs 3 StGB), dass er dadurch diese in ihrem Ziel, das syrische Regime unter Präsident Bashar al-Assad zu stürzen und statt dessen einen radikalislamistischen Gottesstaat (Kalifat) gemäß den Gesetzen der Scharia in Syrien zu errichten, und deren strafbare Handlungen, nämlich die zur Erreichung dieses Ziels als erforderlich angesehenen terroristischen Straftaten nach § 278c Abs 1 StGB, fördert, indem er sich der terroristischen Vereinigung Liwa al-Tawhid Idlib (Tawhid Brigade in Idlib) als Kämpfer anschloss, bei dieser eine militärische Ausbildung an Schusswaffen und für den Häuserkampf absolvierte, bei der Produktion von Propagandamaterial mitwirkte und an deren militärischen Operationen teilnahm.
Rechtliche Beurteilung
Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 4, Z 5, Z 5a, Z 9 lit a und lit b, Z 10 und Z 11 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten, der keine Berechtigung zukommt.
Den Antrag auf Ladung von Univ.‑Prof. Dr. Ednan A***** als (weiteren) Sachverständigen, zum Beweis dafür, dass der erhobene Zeigefinger nicht als Hitlergruß der islamischen Welt anzusehen ist, sondern einfach nur das Glaubensbekenntnis der Muslime darstellt und daher nicht daraus geschlossen werden kann, dass jemand radikal oder extrem ist, durfte das Erstgericht schon deshalb ohne Verletzung von Verteidigungsrechten abweisen (ON 83 S 24), weil ein weiterer Sachverständiger im Strafverfahren nur dann beizuziehen ist, wenn das bereits vorliegende Gutachten mangelhaft im Sinn des § 127 Abs 3 erster Satz StPO ist und diese Bedenken durch nochmalige Befragung des bestellten Sachverständigen nicht behoben werden können. Ein aus § 281 Abs 1 Z 4 StPO garantiertes Überprüfungsrecht hinsichtlich eines bereits durchgeführten Sachverständigenbeweises hat der Beschwerdeführer demnach nur dann, wenn er in der Hauptverhandlung einen in § 127 Abs 3 erster Satz StPO angeführten Mangel von Befund oder Gutachten aufzeigt und das dort beschriebene Verbesserungsverfahren erfolglos bleibt (vgl RIS‑Justiz RS0117263).
Vorliegend wurden aber Mängel im Sinn des § 127 Abs 3 erster Satz StPO der bereits vorliegenden Expertise des Sachverständigen Dr. Guido S*****, der ohnehin im Wesentlichen zu den laut Antrag unter Beweis zu stellenden Ergebnissen gelangte (US 18 iVm ON 70 S 44 f), gar nicht behauptet.
Die in der Beschwerde
nachgetragenen Argumente als Versuch einer
Antragsfundierung sind aufgrund des (insoweit geltenden) Neuerungsverbots unbeachtlich (RIS‑Justiz RS0099618, RS0099117).
Der Erledigung der Mängelrüge (Z 5) sind zunächst folgende wesentliche Grundsätze voranzustellen:
Eine Überprüfung der tatrichterlichen Beweiswürdigung, wie sie nur die im einzelrichterlichen Verfahren vorgesehene Berufung wegen Schuld ermöglicht, ist im Verfahren vor den Kollegialgerichten nicht vorgesehen (§ 283 Abs 1 StPO). Das Gericht ist gemäß § 270 Abs 2 Z 5 StPO verpflichtet, die schriftliche Urteilsbegründung in gedrängter Darstellung abzufassen und darin mit Bestimmtheit anzugeben, welche entscheidenden Tatsachen als erwiesen oder als nicht erwiesen angenommen wurden und aus welchen Gründen dies geschah, ohne dagegen sprechende wesentliche Umstände mit Stillschweigen zu übergehen. Es ist weder gehalten, den vollständigen Inhalt sämtlicher Aussagen und Verfahrensergebnisse in extenso zu erörtern und darauf zu untersuchen, inwieweit sie für oder gegen diese oder jene Geschehensvariante sprechen, noch muss es sich mit den Beweisresultaten in Richtung aller denkbaren Schlussfolgerungen und mit jedem gegen seine Beweiswürdigung möglichen, im Rahmen der Nichtigkeitsbeschwerde dann konkret erhobenen Einwand im Voraus auseinandersetzen (RIS‑Justiz RS0106295, RS0098377 [insbes T7, T16]; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 428). Es hat die Beweismittel nicht nur einzeln, sondern (vor allem) in ihrem inneren Zusammenhang sorgfältig zu prüfen und nicht nach starren Beweisregeln, sondern nach seiner freien, aus der gewissenhaften Prüfung aller für und wider vorgebrachten Beweismittel gewonnenen Überzeugung zu entscheiden (§ 258 Abs 2 StPO; vgl RIS‑Justiz RS0106642 [T2]). Dass aus den formell einwandfreien Prämissen auch für den Angeklagten günstigere Schlussfolgerungen möglich wären, die Erkenntnisrichter sich aber dennoch (mit logisch und empirisch einwandfreier Begründung) für eine für den Angeklagten ungünstigere Variante entschieden haben, ist als Akt freier Beweiswürdigung mit Mängelrüge nicht bekämpfbar (RIS‑Justiz RS0098400, RS0098362).
Bezugspunkt der Mängelrüge (Z 5) ist ausschließlich der Ausspruch des Schöffengerichts über entscheidende Tatsachen, also über schuld‑ oder subsumtionsrelevante Tatumstände (RIS‑Justiz RS0106268). Die entscheidenden Tatsachen sind von den erheblichen Tatsachen zu unterscheiden; damit sind Verfahrensergebnisse gemeint, welche die Eignung haben, die dem Gericht durch die Gesamtheit der übrigen Beweisergebnisse vermittelte Einschätzung vom Vorliegen oder Nichtvorliegen einer entscheidenden Tatsache maßgebend zu beeinflussen. Mit ihnen muss sich die Beweiswürdigung bei sonstiger Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) auseinandersetzen. Die in den Entscheidungsgründen zum Ausdruck kommende sachverhaltsmäßige Bejahung oder Verneinung bloß einzelner von mehreren erheblichen Umständen, welche erst in der gebotenen Gesamtschau mit anderen zum Ausspruch über entscheidende Tatsachen führen, kann aus § 281 Abs 1 Z 5 StPO nicht bekämpft werden, es sei denn, die Tatrichter hätten in einem besonders hervorgehobenen Einzelpunkt erkennbar eine notwendige Bedingung für Feststellungen hinsichtlich einer entscheidenden Tatsache erblickt (RIS‑Justiz RS0116737; Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 409 f).
Zuletzt sei noch darauf hingewiesen, dass die gesetzmäßige Darlegung einer Nichtigkeit nach Z 5 die Berücksichtigung der Gesamtheit der Entscheidungsgründe erfordert (RIS‑Justiz RS0119370, RS0116504).
Dem Angeklagten liegt zur Last, sich in Syrien als Mitglied an einer terroristischen Vereinigung in dem Wissen beteiligt zu haben, dass er deren Ziel, das syrische Regime zu stürzen und statt dessen einen islamistischen Gottesstaat zu errichten, sowie die zu dessen Erreichung als erforderlich angesehenen terroristischen Straftaten nach § 278c Abs 1 StGB förderte, indem er sich der terroristischen Vereinigung Liwa al-Tawhid Idlib als Kämpfer anschloss, bei dieser eine militärische Ausbildung an Schusswaffen und für den Häuserkampf absolvierte, bei der Produktion von Propagandamaterial mitwirkte und an deren militärischen Operationen teilnahm (US 1 iVm US 7 f).
Die von der Mängelrüge (Z 5) bekämpften Feststellungen zu seiner Person (US 3 f), wonach er während seiner Zeit im Flüchtlingsheim in D***** „nach der Scharia“ lebte, obwohl die hiezu ergangene Aussage des einzigen Belastungszeugen zahlreiche nicht erörterte Widersprüche aufweise, er nach Verlassen Syriens die IS‑Fahne auf seinen USB‑Stick geladen habe (vgl jedoch die bei ihm sichergestellte, aus ON 16 S 87 ersichtliche Datei), ihm mittlerweile klar sei, dass der erhobene Zeigefinger das Erkennungszeichen der Islamisten sei und er im Besitz einer Datei sei, welche Adolf Hitler zeige, obwohl es sich dabei laut Rüge lediglich um einen „schlechten Scherz“ gehandelt habe, betreffen insgesamt weder entscheidende noch erhebliche Tatsachen, weil sie keine Rückschlüsse auf seine Intentionen zum Zeitpunkt der ihm vorgeworfenen Tathandlungen zulassen.
Soweit die Rüge die Aktenwidrigkeit (Z 5 fünfter Fall) der Konstatierung behauptet, Gaith M***** sei im Besitz von Videos mit islamistischer Ausrichtung gewesen (US 4), weil die beiden Propagandafilme, an denen er mitgewirkt habe, keinen derartigen Inhalt aufwiesen, geht sie schon im Ansatz daran vorbei, dass der bezeichnete Nichtigkeitsgrund nur dann vorliegt, wenn das Urteil den eine entscheidende Tatsache betreffenden Inhalt einer Aussage oder Urkunde in seinen wesentlichen Teilen unrichtig oder unvollständig wiedergibt, nicht jedoch, wenn die getroffenen Feststellungen vom Inhalt der Aussage oder Urkunde abweichen (RIS-Justiz RS0099431 [insbes T7, T15]). Dass sich das Erstgericht auf ein heruntergeladenes „IS‑Video“ beziehe, erschöpft sich in einer hypothetischen Behauptung, ohne dass ein Begründungsmangel zur Darstellung gebracht wird. Im Übrigen wird dem Angeklagten eine propagandistische oder sonstige Unterstützung des Islamischen Staates nicht vorgeworfen.
Indem die Beschwerde die von den Tatrichtern angenommene Motivation des Nichtigkeitswerbers, die bei ihm sichergestellten Foto‑ und Videodateien noch eineinhalb Jahre nach seiner Flucht neuerlich zu sichern, weil sie Ausdruck seiner Überzeugung seien (US 4, 8 und 14), unter Hinweis auf seine – vom Erstgericht überwiegend als unglaubwürdig eingestufte (vgl US 9 ff) – Verantwortung, er habe diese lediglich deshalb neu abgespeichert, weil sein Mobiltelefon „voll“ gewesen sei (vgl ON 70 S 14 f), in Abrede zu stellen sucht, kritisiert sie bloß unzulässig die Beweiswürdigung nach Art einer im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen Schuldberufung.
Die Feststellungen zur Organisation, zu den Zielen und zu den – zum Teil mit anderen islamisch ausgerichteten terroristischen Vereinigungen – durchgeführten bewaffneten Aktionen der Liwa al-Tawhid Idlib und insbesondere zu den beiden ihr zuzurechnenden Selbstmordanschlägen (US 4 ff) stützte das Tatgericht vor allem auf das Sachverständigengutachten Dris. Guido S***** (US 12 f iVm ON 21 und ON 70 S 39 ff), wobei in diesem auch die – von der Beschwerde gerügte – Feststellung Deckung findet, dass diese Gruppierung erklärt hatte, nicht an einer Oppositionskonferenz in K***** teilzunehmen (US 15 iVm ON 21 S 10). Inwieweit es sich dabei um eine dem Islamischen Staat vergleichbare Organisation handelte, betrifft keine entscheidende Tatsache; das Beschwerdevorbringen kann daher insoweit auf sich beruhen.
Der Verantwortung des Angeklagten, er habe mangels diesbezüglicher Information nicht gewusst, dass es sich bei Liwa al-Tawhid Idlib um eine terroristische Vereinigung gehandelt habe, schenkten die Tatrichter mit der im Einklang mit den Gesetzen folgerichtigen Denkens und grundlegenden Erfahrungssätzen stehenden Begründung schon deshalb keinen Glauben, weil er im Rahmen seiner Vernehmung vor dem Landesamt für Verfassungsschutz selbst angab, Informationen über seine Einheit insbesondere über Facebook erhalten zu haben (ON 16 S 101), er sich – zumal ihm die Unterscheidung bekannt gewesen sei (vgl ON 25 S 11, ON 70 S 7) bewusst nicht der freien syrischen Armee, sondern der Liwa al-Tawhid Idlib angeschlossen habe, aus seiner Teilnahme an Demonstrationen gegen das Regime trotz der verworrenen Situation auf sein politisches Interesse geschlossen werden könne (vgl ON 70 S 48), er den Zeugen Abdelrauf M***** und Rami G***** in der Asylunterkunft in D***** die Videos und Fotos, welche ihn in Kampfmontur und mit Waffen sowie Fahnen und Emblemen der Organisation zeigten, vorspielte und diese Dateien in Österreich bewusst weiter aufbewahrte (US 13 f). Die in vernetzter Betrachtung aus diesen Erwägungen unter Berücksichtigung der Absolvierung einer dreimonatigen Kampfausbildung sowie der Mitwirkung an der Produktion von Propagandamaterial (US 13) gezogene Schlussfolgerung, er habe über die Ausrichtung und die Zielsetzungen der Organisation Bescheid gewusst (US 7 f, 14), ist daher entgegen dem Beschwerdevorbringen aus dem Blickwinkel der Begründungstauglichkeit nicht zu beanstanden.
Indem die Rüge im Wege eigenständiger Beweiswerterwägungen aus dem bloß kurzfristigen Betrieb eines Twitterkontos durch Liwa al-Tawhid Idlib erst ab Juli 2013, der in Wahrheit ein Eintreten für Versammlungs‑, Demonstrations‑ und Meinungsfreiheit des Angeklagten belegenden Teilnahme an Demonstrationen, aus der Einschätzung des Sachverständigen, wonach Rekrutierungen weniger etwas mit der Organisation als mit lokalen Faktoren zu tun gehabt hätten und die Vorstellung, vor der Entscheidung, zu Liwa al-Tawhid zu gehen, sei schon eine salafistische Ausrichtung des erst fünfzehnjährigen Angeklagten vorgelegen, wahrscheinlich sei und dessen Bekundung, in Syrien seien generell Kindersoldaten rekrutiert worden (ON 70 S 49), die „völlig unzureichende Begründung für die Tatsachenfeststellungen hinsichtlich des Vorsatzes des Angeklagten beim Anschluss an diese Widerstandseinheit“ abzuleiten sucht, bekämpft sie im Ergebnis einmal mehr die Beweiswürdigung nach Art einer nur im Einzelrichterverfahren vorgesehenen Schuldberufung.
Eben dies gilt auch für das auf eigenständige Würdigung der Verfahrensergebnisse gegründete Vorbringen der Mängelrüge, wonach den Angaben des Zeugen Rami G***** zur Teilnahme des Nichtigkeitswerbers an militärischen Operationen (US 8) bloß ein vom Erstgericht gerade nicht angenommener Beweiswert (vgl US 16) zuzuerkennen sei. Dass die näheren Umstände des Einsatzes des Angeklagten nicht konstatiert wurden, macht die Urteilsannahmen – entgegen der Rüge (Z 5 erster Fall) – keineswegs undeutlich.
Dem der Sache nach erhobenen Einwand der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) zuwider hat sich das Erstgericht mit den divergierenden Angaben dieses Zeugen im Ermittlungsverfahren (ON 2 S 35) und in der Hauptverhandlung (ON 70 S 10 f) zu einer ihm durch Schläge des Angeklagten zugefügten Verletzung sehr wohl auseinandergesetzt und auch dessen Angaben zur Teilnahme an Kampfhandlungen im Urteil berücksichtigt (US 16 iVm ON 83 S 3, 5).
Auch soweit die Beschwerde die mangelnde Verwertung (Z 5 zweiter Fall) der im Beweisverfahren hervorgekommenen Integrationsbemühungen Gaith M*****s und der Angaben der ihn behandelnden Psychotherapeutin Mag. Uta W***** moniert, zumal diese bei lebensnaher Betrachtung der psychischen Struktur eines radikal islamistischen Kämpfers gänzlich zuwiderliefen, spricht sie – wie bereits eingangs der Ausführungen zur Mängelrüge dargelegt – keine entscheidende oder erhebliche Tatsache an.
Das eingangs der Tatsachenrüge (Z 5a) erstattete Vorbringen, wonach zunächst auf die zur Mängelrüge gemachten Ausführungen verwiesen wird und sie auch „unter dieser Ziffer geltend gemacht werden“, entspricht nicht der Strafprozessordnung (RIS‑Justiz RS0115902).
Z 5a will
als Tatsachenrüge nur geradezu unerträgliche Feststellungen zu entscheidenden Tatsachen (das sind schuld- oder subsumtionserhebliche Tatumstände, nicht aber im Urteil geschilderte Begleitumstände oder im Rahmen der Beweiswürdigung angestellte Erwägungen) und völlig lebensfremde Ergebnisse der Beweiswürdigung durch konkreten Verweis auf aktenkundige Beweismittel (bei gleichzeitiger Bedachtnahme auf die Gesamtheit der tatrichterlichen Beweiswerterwägungen) verhindern. Tatsachenrügen, die außerhalb solcher Sonderfälle auf eine Überprüfung der Beweiswürdigung abzielen, beantwortet der Oberste Gerichtshof ohne eingehende eigene Erwägungen, um über den Umfang seiner Eingriffsbefugnisse keine Missverständnisse aufkommen zu lassen (RIS‑Justiz RS0118780).
Mit dem Vorbringen, der Angeklagte wäre aus Syrien geflohen, statt sich als „radikaler Moslem“ anderen Widerstandseinheiten anzuschließen, dem Hinweis auf einzelne Passagen des Sachverständigengutachtens und Einschätzungen des Experten sowie Hinweisen auf das lediglich kurzfristige Bestehen eines offenbar nur der Aquirierung von Geldgebern eingerichteten Twitterkontos der Liwa al-Tawhid Idlib, die Integrationsbemühungen des Nichtigkeitswerbers im Inland gegenüber völlig fehlenden islamistischen Aktivitäten und den Umstand, dass eine Psychotherapie in Gegenwart zweier Frauen mit der Persönlichkeit eines „radikal‑islamischen Moslems“ nicht vereinbar sei, vermag der Beschwerdeführer keine erheblichen Bedenken im oben aufgezeigten Sinn zu wecken.
Die gesetzmäßige Darstellung eines materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes erfordert striktes Festhalten an den zum Tatsächlichen getroffenen Urteilsfeststellungen in ihrer Gesamtheit und die auf dieser Grundlage zu führende Darlegung, dass dem Gericht bei der Beurteilung des Urteilssachverhalts ein Rechtsirrtum unterlaufen sei (RIS‑Justiz
Indem die Rechtsrüge (Z 9 lit a) die vom Erstgericht getroffenen Feststellungen zur subjektiven Tatseite (US 7 f) pauschal als „Rechtsausführungen“ tituliert und sie der Sache nach unter weitwendiger Wiederholung der Ausführungen der Mängelrüge bestreitet, verfehlt sie den dargestellten Anfechtungsrahmen des geltend gemachten materiell-rechtlichen Nichtigkeitsgrundes.
Weshalb der Tatbestandsausschlussgrund (vgl Plöchl in WK2 § 278c Rz 21) des § 278c Abs 3 StGB auf die nach § 278b Abs 2 StGB beurteilten Tathandlungen des Angeklagten Anwendung finden sollten, sagt die Beschwerde (Z 9 lit b, dSn Z 9 lit a) nicht. Im Übrigen bekämpft sie auch insoweit der Verfahrensordnung zuwider die zum Vorsatz getroffenen Konstatierungen.
Die Subsumtionsrüge (Z 10) bestreitet die Feststellungen, wonach der Angeklagte neben anderen Förderungshandlungen auch an militärischen Operationen teilgenommen habe. Damit strebt sie jedoch keine andere rechtliche Unterstellung der Tat an (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 644) und bringt damit den geltend gemachten Nichtigkeitsgrund nicht zur Darstellung.
Ob das Tatgericht angesichts einer Jugendstraftat auch generalpräventive Erwägungen (vgl § 5 Z 1 JGG) einzelfallbezogen zu Recht in Anschlag gebracht hat (US 19 f), ist nicht Gegenstand der Z 11 (vgl RIS‑Justiz RS0099892, RS0091800). Auch das übrige, insbesondere die Berücksichtigung eines reumütigen Geständnisses einfordernde Vorbringen der Sanktionsrüge stellt sich als Berufungsvorbringen dar.
Zu einem von der Generalprokuratur vorgeschlagenen amtswegigen Vorgehen (§ 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO) infolge eines Rechtsfehlers mangels Feststellungen (§ 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO; RIS‑Justiz RS0092267 [T1]) zur Annahme inländischer Strafgerichtsbarkeit und damit zu einer Aufhebung des Urteils sah sich der Oberste Gerichtshof hingegen nicht veranlasst.
Nach dem Urteilsinhalt ist der Angeklagte syrischer Staatsangehöriger (US 1 f), der sich (erst) seit Anfang April 2014 in Österreich aufhält (US 3). Der Tatort der „von Frühsommer 2012 bis zum Jahresende 2013“ begangenen Taten (US 7 f iVm US 17) liegt im Ausland, nämlich in Syrien (US 7 f iVm US 1). Feststellungen zu einem inländischen Handlungsort im Sinn der §§ 62, 67 Abs 2 StGB wurden nicht getroffen.
Bei Auslandstaten ist zu unterscheiden, ob sie nach § 64 StGB unabhängig von den Gesetzen des Tatorts nach österreichischem Strafrecht zu ahnden sind oder ob die Anwendbarkeit der österreichischen Strafgesetze davon abhängt, dass die Tat auch nach den Gesetzen des Tatorts mit Strafe bedroht ist, wobei in diesem Fall bei Erledigung des Strafanspruchs im Ausland auch der inländische Strafanspruch erloschen ist (§ 65 StGB).
Das dem Angeklagten zur Last gelegte Verbrechen der terroristischen Vereinigung nach § 278b Abs 2 StGB wird vom Deliktskatalog des § 64 Abs 1 Z 9 StGB erfasst. Durch diese (mit BGBl I 2002/134 neu geschaffene) Bestimmung wurde Art 9 des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (2002/475/JI) innerstaatlich (vollständig) umgesetzt (vgl 1166 BlgNR XXI. GP 20 ff; eines Rückgriffs auf die [subsidiäre] Regelung des § 64 Abs 1 Z 6 StGB bedarf es daher insoweit nicht – vgl Schwaighofer SbgK § 64 Rz 97, 115; Salimi in WK2 StGB § 64 Rz 85 f).
Nach § 64 Abs 1 Z 9 StGB unterliegt eine entsprechende Auslandstat (ohne Rücksicht auf die Gesetze des Tatorts) inländischer Gerichtsbarkeit, wenn – soweit hier von Bedeutung – der Täter entweder zum Zeitpunkt der Tat oder zum Zeitpunkt der Einleitung des Strafverfahrens die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt (lit a), er im Inland wohnhaft oder gewöhnlich aufhältig ist (lit b) oder zur Zeit der Tat Ausländer war, sich im Inland aufhält und nicht ausgeliefert werden kann (lit f).
Eine Anknüpfung nach § 64 Abs 1 Z 9 lit b StGB setzt ihrem Wortlaut nach voraus, dass „der Täter seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat“.
Die Generalprokuratur vertritt hiezu den Standpunkt, dass nach Sinn und Zweck der Bestimmung allein auf den Tatzeitpunkt abzustellen sei. Sie begründet dies wie folgt:
Die Z 9 lit b des § 64 Abs 1 StGB präzisiert hingegen den Zeitpunkt, in dem der Wohnsitz oder gewöhnliche Aufenthalt im Inland als Anknüpfungspunkt für die inländische Gerichtsbarkeit vorliegen muss, nicht. Daraus kann jedoch nicht der Schluss gezogen werden, dass das Bestehen eines inländischen Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts zu jedem nur denkbaren Zeitpunkt (etwa zur Zeit der Tatbegehung, der Verfahrenseinleitung, des Urteils erster Instanz etc) die inländische Gerichtsbarkeit zu begründen vermag. Entscheidend ist vielmehr das Bestehen eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts im Inland zum Zeitpunkt der Tat (vgl Salimi in WK2 StGB § 64 Rz 113 iVm Rz 67 sowie [jeweils zu Z 4a lit a leg cit] Schwaighofer SbgK § 64 Rz 78 und 13 Os 147/15i). Bei einem Abstellen auf den – an sich zufallsabhängigen, vorweg nicht determinierbaren –Zeitpunkt der Durchführung des Strafverfahrens würde ein hinreichender Bezug der Tat zu österreichischen und/oder – mit Blick auf den Rahmenbeschluss – gemeinschaftlichen Interessen (vgl § 64 Abs 1 Z 9 lit a, c bis e StGB) fehlen. Schließlich ergibt sich auch aus dem (oben im Wortlaut zitierten) Art 9 Abs 1 lit c des Rahmenbeschlusses, dass darin zwischen diesen beiden Anknüpfungen (Staatsangehöriger oder Gebietsansässiger) in Bezug auf die Frage, wann die jeweilige Voraussetzung erfüllt sein muss, keine Unterscheidung getroffen und erkennbar auf den Zeitpunkt der Tat abgestellt wird.
Im Übrigen regelt den Fall, dass sich der Täter nach der Begehung der Tat in Österreich aufhält, § 64 Abs 1 Z 9 lit f StGB.
...
Da Feststellungen dazu, dass der Angeklagte (bereits) zur Zeit der Tat seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in Österreich hatte, den Entscheidungsgründen nicht zu entnehmen sind (vgl US 2 f), kann die inländische Gerichtsbarkeit nicht auf § 64 Abs 1 Z 9 lit b StGB gestützt werden.
Auch für die Annahme eines anderen (in § 64 Abs 1 Z 9 StGB genannten) Anknüpfungspunktes für die inländische Gerichtsbarkeit – in Betracht zu ziehen wäre insbesondere § 64 Abs 1 Z 9 lit f StGB – fehlen im Übrigen entsprechende Konstatierungen in den Entscheidungsgründen.
Hiezu hat der Oberste Gerichtshof erwogen:
Art 9 Abs 1 lit c des Rahmenbeschlusses des Rates vom 13. Juni 2002 zur Terrorismusbekämpfung (2002/475/JI) determiniert ebenso wie der ihn umsetzende § 64 Abs 1 Z 9 lit b StGB („der Täter seinen Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat“) als Anknüpfungspunkt für das Bestehen inländischer Gerichtsbarkeit, dass der Täter Staatsangehöriger oder Gebietsansässiger des Mitgliedstaats ist. Folgende Überlegungen sprechen dafür, inländische Gerichtsbarkeit auch bei Bestehen eines Wohnsitzes oder gewöhnlichen Aufenthalts zum Zeitpunkt der Einleitung des Strafverfahrens anzunehmen (gegenteilig 11 Os 137/16f):
Angesichts der Zielsetzung des genannten Rahmenbeschlusses, vor dem Hintergrund des internationalen Kampfes gegen Terrorismus die inländische Gerichtsbarkeit bei solcherart motivierten Straftaten auszuweiten, liegt ein Bezug zu österreichischen oder gemeinschaftlichen Interessen auch dann vor, wenn eine einer in § 64 Abs 1 Z 9 StGB genannten strafbaren Handlung verdächtige Person nach dem Zeitpunkt ihrer Begehung ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt im Inland begründet, weil damit deren Absicht verbunden ist, einen bleibenden Aufenthalt in Österreich zu nehmen oder beständige und dauerhafte Beziehungen in Österreich zu knüpfen (vgl § 66 JN, § 1 Abs 6 und Abs 8 MeldeG). Denn der bereits damit geschaffene Bezug zu Österreich lässt unter Berücksichtigung des in Rede stehenden Deliktskatalogs Rückwirkungen auf den Rechtsfrieden im Inland befürchten, die eine Strafverfolgung auch wegen im Ausland begangener Straftaten rechtfertigen.
In diesem Sinn erfolgte auch die Umsetzung von Art 9 Abs 1 lit c des Rahmenbeschlusses in Bezug auf Staatsangehörige eines Mitgliedstaats. Danach genügt es gemäß § 64 Abs 1 Z 9 lit a StGB, wenn der Täter zur Zeit der Tat Österreicher war oder wenn er die österreichische Staatsbürgerschaft später erworben hat und zur Zeit der Einleitung des Strafverfahrens noch besitzt. Bereits daraus erhellt, dass das Gesetz einen nachträglich entstandenen Inlandsbezug für die inländische Strafgewalt ausreichen lässt. Da – wie bereits erwähnt – auch der Rahmenbeschluss nicht zwischen Staatsangehörigen und Gebietsansässigen differenziert, käme es einer nicht am Gesetzeszweck orientierten (RIS‑Justiz RS0106113 [T9]) und damit unzulässigen teleologischen Reduktion gleich, § 64 Abs 1 Z 9 lit b StGB auf den Tatzeitpunkt zu beschränken.
Letztlich spricht aber auch die Verwendung des Präsens in dieser Bestimmung – im Gegensatz zur Vergangenheit, soweit auf den Zeitpunkt der Tat abgestellt wird (lit c, lit d, lit e, aber auch lit f leg cit; vgl auch Art 9 Abs 1 lit a und b des Rahmenbeschlusses [„begangen wurde“]) für diese Auslegung. Auch der Anwendungsbereich von lit f leg cit geht dadurch nicht verloren, weil von ihr sonstige im Inland aufhältige Personen erfasst werden (Durchreisende, Urlauber etc).
Diesem Ergebnis steht auch § 64 Abs 1 Z 4a lit a StGB und die hiezu ergangene Entscheidung 13 Os 147/15i nicht entgegen, weil diese Bestimmung die Fälle der Staatsbürgerschaft und des gewöhnlichen Aufenthalts im Gegensatz zu § 64 Abs 1 Z 9 lit a und b StGB gleich behandelt und damit das Abstellen auf den Tatzeitpunkt bei der Beurteilung eines Bezugs zu österreichischen Interessen (vgl Salimi in WK2 StGB § 64 Rz 67) auf unterschiedlichen Prämissen beruht.
Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten war daher bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Entscheidung über die Berufungen folgt (§ 285i StPO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.
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