OGH 7Ob62/17v

OGH7Ob62/17v17.5.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei H* S*, vertreten durch Dr. Georg Legat, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagten Parteien 1. DI A* R*, 2. DI Al* R*, vertreten durch Dr. Harald Bisanz, Rechtsanwalt in Wien, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 14 C 232/15t des Bezirksgerichts Mödling, über den Rekurs der klagenden Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom 25. Jänner 2017, GZ 58 R 98/16h‑19, womit das Urteil des Bezirksgerichts Mödling vom 27. Juli 2016, GZ 14 C 254/16d‑13, aufgehoben und die Wiederaufnahmsklage zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2018:E118293

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, den beklagten Parteien die mit 551,85 EUR (darin enthalten 91,97 EUR an USt) bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Begründung:

Im wiederaufzunehmenden Verfahren erhoben Ing. A* und L* R* gegen den Wiederaufnahmskläger (dort Beklagten) das Klagebegehren: „Es wird im Verhältnis zwischen den klagenden Parteien als Eigentümer des Grundstücks * und der beklagten Partei als Eigentümer des Grundstücks *, festgestellt, dass die Grundstücksgrenze zwischen den Grundstücken * an der roten Linie der einen integrierten Bestandteil dieses Spruchs bildenden Skizze und somit im Abstand von 0,31 bis 0,34 m parallel zur bestehenden Katastergrenze verläuft.“

Diesem Klagebegehren wurde mit Urteil vom 26. 8. 2014 stattgegeben. Über Berufung des Wiederaufnahmsklägers (dort Beklagten) wurde das angefochtene Urteil mit Beschluss vom 3. 3. 2015 aufgehoben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung aufgetragen. Unter einem wurde die erstklagende Partei auf „Verlassenschaft nach dem am 13. 8. 2014 verstorbenen Ing. A* R*“ berichtigt. Mit dem im zweiten Rechtsgang erlassenen Urteil vom 10. 7. 2015 hat das Erstgericht der Klage neuerlich stattgegeben.

Mit Schenkungsvertrag vom 22. 7. 2015 hat L* R*, die Erbin nach Ing. A* R*, die Liegenschaft * je zur Hälfte ihrem Sohn DI A* R* und ihrem Enkelsohn DI Al* R* geschenkt. Die Eigentumsübertragung wurde am 22. 9. 2015 vollzogen.

Mit Urteil des Berufungsgerichts vom 21. 12. 2015, AZ 58 R 69/15t, wurde die Parteienbezeichnung der klagenden Parteien – infolge rechtskräftigen Einantwortungsbeschlusses – auf * R* berichtigt und der Berufung nicht Folge gegeben.

Mit seiner am 12. 4. 2016 beim Erstgericht eingelangten Wiederaufnahmsklage begehrt der Wiederaufnahmskläger gegen DI A* R* und DI A* R* die Wiederaufnahme des Verfahrens AZ 14 C 232/15t des Bezirksgerichts Mödling samt Aufhebung des Urteils des Bezirksgerichts Mödling zu GZ 14 C 232/15t‑40, in eventu auch des bestätigenden Berufungsurteils vom 21. 12. 2015 zu AZ 58 R 69/15t sowie die Abweisung der Klage im wiederaufgenommenen Verfahren.

Die Beklagten beantragten die Abweisung der Wiederaufnahmsklage und wandten ein, sie seien nicht Parteien des Vorprozesses gewesen.

Das Erstgericht wies die Wiederaufnahmsklage nach Durchführung einer mündlichen Streitverhandlung mit Urteil ab. Es bejahte die Passivlegitimation der Beklagten als Einzelrechtsnachfolger und begründete die Klagsabweisung mit einer Verletzung der Diligenzpflicht des Klägers.

Das Berufungsgericht hob aus Anlass der Berufung das Urteil des Erstgerichts und das vorangegangene Verfahren auf und wies die Wiederaufnahmsklage zurück. Die Vorschrift des § 234 ZPO sei auf jede Art von Einzelrechtsnachfolge anzuwenden. Auch ein Wiederaufnahmsklagebegehren könne grundsätzlich nur gegen die Parteien des Vorprozesses gerichtet werden. Den Beklagten als Einzelrechtsnachfolgern der Hauptprozesspartei sei die aktive und passive Rechtsmittelklagslegitimation abzusprechen. Aus Anlass der Berufung habe das Berufungsgericht, weil es an der Sachlegitimation der Beklagten fehle, in analoger Anwendung des § 543 ZPO das angefochtene Urteil aufzuheben und die Wiederaufnahmsklage als zur Bestimmung einer Tagsatzung für die mündliche Verhandlung ungeeignet zurückzuweisen gehabt.

Dagegen richtet sich der Rekurs des Klägers mit einem Abänderungsantrag.

Die Beklagten begehren, dem Rekurs keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Gegen die Zurückweisung einer Wiederaufnahmsklage durch das Berufungsgericht ist analog § 519 Abs 1 Z 1 ZPO der Rekurs unabhängig vom Streitwert und vom Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage zulässig (6 Ob 120/11g, 1 Ob 121/16z, vgl RIS‑Justiz RS0043836, RS0043882). Er ist aber nicht berechtigt.

1. Der Rechtsmittelwerber macht geltend, dass bei der Wiederaufnahmsklage aktiv‑ und passivlegitimiert auch die von der Rechtskraft der Vorentscheidung erfassten Einzelrechtsnachfolger seien.

2. Gemäß § 234 ZPO hat die Veräußerung einer streitverfangenen Sache oder Forderung auf den Prozess keinen Einfluss. Der Erwerber ist nicht berechtigt, ohne Zustimmung des Gegners als Hauptpartei in das Verfahren einzutreten. „Veräußerung“ ist jeder Wechsel in der Rechtszuständigkeit an der vom Klagebegehren betroffenen Sache oder Forderung außerhalb einer Gesamtrechtsnachfolge (RIS‑Justiz RS0039302). § 234 ZPO gilt für jede Art der Einzelrechtsnachfolge (RIS‑Justiz RS0039231).

§ 234 ZPO dient einerseits der Erhaltung der freien Verfügungsmöglichkeit des Klägers über den eingeklagten Anspruch, diese Norm soll aber auch andererseits ihrer Intention nach verhindern, dass sich eine Partei durch Veräußerung des Streitgegenstands ihrer Sachlegitimation entledigt, um auf diese Weise einen Anspruch des Gegners scheitern zu lassen. Soweit ist die Bestimmung (auch) eine prozessuale Schutzvorschrift zugunsten des Gegners (RIS‑Justiz RS0039314). Sie bildet nach der herrschenden Irrelevanztheorie insofern eine Ausnahme gegenüber § 406 ZPO, als für die Frage der Aktiv- und Passivlegitimation der Zeitpunkt der Streitanhängigkeit entscheidet; für die anderen Entscheidungsgrundlagen bleibt es dagegen bei der Maßgeblichkeit des Zeitpunkts des Schlusses der Verhandlung der Tatsacheninstanz (RIS‑Justiz RS0109183).

3.1 Im Zusammenhang mit Rechtsmittelklagen vertritt der Oberste Gerichtshof, dass den Einzelrechtsnachfolgern der Hauptprozessparteien die aktive und passive Rechtsmittelklagelegitimation abzusprechen ist. Das im Verfahren mit den Überträgern ergehende Urteil wirkt auch gegen den Übernehmer (RIS‑Justiz RS0032968, RS0044324).

3.2 Begründet wurde dies (bereits unter Ablehnung der Kritik von Fasching) mit der konsequenten Beachtung der in der Judikatur anerkannten „Irrelevanztheorie“, der Deckung der Legitimation für die Rechtsmittelklage mit der Rechtsmittellegitimation und dem unlösbaren Konnex der Rechtsmittelklagen mit dem Vorprozess; dass sich die Rechtskraftwirkung auf den Einzelrechtsnachfolger erstreckt, verhilft diesem ebensowenig (ohne Prozesseintritt als Hauptpartei oder Nebenintervenient) zur Rechtsmittellegitimation im Vorprozess wie zur Klagslegitimation für Rechtsmittelklagen, dies auch nicht bei Einzelrechtsnachfolge nach Beendigung des Vorprozesses (2 Ob 2276/96m).

3.3 In den Entscheidungen 10 Ob 59/07k (Vergleichsanfechtung auch durch Rechtsnachfolger); 7 Ob 234/09a (Berichtigungsantrag nur durch Prozessparteien); 8 Ob 78/09t (insolvenzrechtliche Ansprüche auch durch Rechtsnachfolger) nahm der Oberste Gerichtshof auf die eben dargestellte Vorjudikatur ausdrücklich, und ohne sie abzulehnen, Bezug. Die Frage der Legitimation der Einzelrechtsnachfolger im Zusammenhang mit Rechtsmittelklagen wurde letztlich aber offen gelassen, weil die Entscheidungen nicht unmittelbar Rechtsmittelklagen betrafen.

3.4 Die Rechtsansicht des Obersten Gerichtshofs wird in der Lehre kritisiert.

Fasching (LB2 Rz 2035, Komm IV 474 f) will zwar auch von der Rechtskraft der Vorentscheidung erfassten Einzelrechtsnachfolgern die Klagslegitimation für Rechtsmittelklagen zubilligen, vertritt aber selbst noch in Komm III 101 eine andere Ansicht.

Klicka in Fasching/Konecny 2 § 234 Rz 32, 34 ff vertritt, der Einzelrechtsnachfolger sei aktiv und passiv klagslegitimiert. Die Rechtsmittelklage (ausschließlich) gegen den Rechtsnachfolger fördere die Prozessökonomie. Bei der Beseitigung einer Entscheidung durch eine Rechtsmittelklage gehe es materiell‑rechtlich nur mehr um eine Rechtsposition des Erwerbers, das heißt um die Beseitigung einer ihn belastenden Entscheidung, da er als Rechtsnachfolger – und nicht mehr der Rechtsvorgänger – von den Entscheidungswirkungen erfasst werde. Erkenne man den Sinn und Zweck des § 234 ZPO im Schutz der Gegenpartei vor einer Möglichkeit des Gegners, sich durch Veräußerung des Streitgegenstands einer nachteiligen Entscheidung zu entziehen und in einer Abwehr von nutzlos gewordenem Verfahrensaufwand, so spreche nichts für eine Anwendung des § 234 ZPO auf die Erhebung einer Rechtsmittelklage, weil der Anspruch der Gegenpartei auf Rechtsschutz durch die Fällung einer Sachentscheidung über den geltend gemachten Anspruch bereits erfüllt worden sei, weshalb sich die Schutzfunktion des § 234 ZPO bei der Erhebung einer Wiederaufnahmsklage nicht mehr verwirkliche. Dazu komme der praktische Aspekt, dass der Veräußerer keine besondere Motivation haben werde, eine Rechtsmittelklage zu erheben bzw das Verfahren als Wiederaufnahmsbeklagter ernsthaft zu führen. Dies seien die besseren Argumente dafür, dass für die Erhebung einer Rechtsmittelklage der Rechtsnachfolger aktiv‑ und passivlegitimiert sei. Dabei sei es gleichgültig, ob der Rechtsübergang während des Vorprozesses oder erst nach dessen rechtskräftigem Abschluss erfolge. Es sei auch nur konsequent, dass der Wiederaufnahmskläger berechtigt sei, auch diejenigen Wiederaufnahmsgründe geltend zu machen, die materiell nur ihm als Rechtsnachfolger zustünden, doch greife die Wiederaufnahmsklage in diesen Fällen nur ein, soweit sich diese Gründe auf Tatsachen beziehen, die durch die Rechtskraft präkludiert seien und durch den Rechtsnachfolger nicht mit eigener Klage (Oppositions‑ bzw Feststellungsklage) geltend gemacht werden könnten, mithin nur Einwendungen vor dem Rechtsübergang. Es wäre unter dem Blickwinkel des Rechtsstaatsprinzips, des rechtlichen Gehörs und des Art 6 EMRK untragbar, wenn unselbständige Einwendungen die für oder gegen den Rechtsnachfolger materiell zustünden, aber vor dem Rechtsübergang entstanden seien (als nova reperta) niemals vorgebracht werden könnten.

Jelinek in Fasching/Konecny 2 Vor §§ 529 ff ZPO Rz 19; Garber (EvBl 2010, 125, Glosse zu 8 Ob 78/09z) und Rechberger/Simotta, Grundriss Rz 1074 FN 4 schließen sich im Wesentlichen der Rechtsansicht Klickas an. G. Kodek in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG § 73 Rz 18 bezeichnet die Judikatur zu § 234 ZPO als nicht unproblematisch.

4.1 Der Lehre ist zuzugestehen, dass der Veräußerer regelmäßig kein Interesse haben wird, Zeit und Geld in die Verteidigung der Rechte des Erwerbers zu investieren, ohne dass das Verhältnis zum Erwerber ihn dazu zwingt, was aber nicht selten der Fall sein wird. Dieses Argument gilt aber bereits für den unmittelbaren Anwendungsfall des § 234 ZPO im Hauptprozess.

4.2 Wird das Exekutionsverfahren vom Neugläubiger bzw gegen den Neuschuldner betrieben, stellen alle in diesem Verhältnis einschlägigen Einwendungen einen Oppositionsgrund dar, und zwar unabhängig davon, ob die entsprechenden Tatsachen vor oder nach dem sonst maßgeblichen Zeitpunkt gemäß § 35 Abs 1 EO entstanden sind, da nach der von der Rechtsprechung vertretenen Irrelvanztheorie derartige Einwendungen im Titelverfahren nicht berücksichtigt werden (Dullinger in Burgstaller/Deixler‑Hübner EO20 § 35 Rz 67 mwN unter Hinweis auf Klicka, Zivilprozessuale Fragen bei Unternehmensveräußerung, ecolex 1990, 205 und unter Rückgriff auf 3 Ob 31/03k).

4.3 Im Übrigen ist der von der Lehre befürwortete Parteiwechsel ebenso problematisch. So werden die Interessen des Prozessgegners zu wenig beachtet. Muss beispielsweise der frühere Beklagte die Wiederaufnahmsklage gegen den Einzelrechtsnachfolger richten, steht er bei Teilverkäufen oder Teilabtretungen nunmehr einer Mehrzahl von Gegnern gegenüber. Müssen noch dazu Ermittlungen um die Person(en) des (der) Einzelrechtsnachfolger(s) angestellt werden, besteht die Gefahr, dass die Fristen versäumt werden, innerhalb der die Rechtsmittelklagen erhoben werden müssen. Darüber hinaus kann eine Wiederaufnahmsklage gleichzeitig mit der Erhebung eines Rechtsmittels gegen dieselbe Entscheidung oder während des anhängigen Rechtsmittelverfahrens eingebracht werden. Folgte man der Ansicht der Lehre, könnte dem Prozessgegner im Rechtsmittelverfahren der Veräußerer und im gleichzeitig anhängigen Wiederaufnahmsverfahren der Erwerber gegenüberstehen.

Zu bedenken ist weiters, dass die Parteien im wiederaufzunehmenden Verfahren gemäß § 234 ZPO dieselben bleiben, ihnen daher ein Interesse am Wiederaufnahmsverfahren keinesfalls abgesprochen werden kann.

4.4 Der Oberste Gerichtshof sieht sich daher nicht veranlasst, von seiner langjährigen (GlUNF 3300), ständigen Rechtsprechung abzugehen. Die Wiederaufnahmsklage steht trotz ihrer selbständigen Gestaltung in einem unlösbaren Konnex mit dem Vorverfahren und dem dort geltenden § 234 ZPO. Die Klagslegitimation für die Wiederaufnahmsklage als Rechtsmittelklage entspricht daher vollständig der Rechtsmittellegitimation im Vorverfahren, aktiv‑ und passivlegitimiert sind die Parteien des Vorverfahrens oder deren Gesamtrechtsnachfolger, nicht jedoch deren Einzelrechtsnachfolger.

5. Das Berufungsgericht hat die Rechtslage zutreffend erkannt.

6. Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

Stichworte