OGH 10ObS45/17s

OGH10ObS45/17s25.4.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Schramm und die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Wiesinger (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. iur. Hannes Schneller (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei W*****, vertreten durch Dr. Gerhard Wildmoser, Rechtsanwalt in Linz, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, wegen Invaliditätspension, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 11. Jänner 2017, GZ 11 Rs 121/16t‑73, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00045.17S.0425.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1.1 Nach Rechtsprechung und Lehre zu § 255 Abs 2 Satz 4 ASVG (idF BudgetbegeleitG 2011) führen nicht alle Zeiten der Kindererziehung, des Wochengeldbezugs und des Präsenz‑ oder Zivildienstes zu einer Verlängerung des 15‑jährigen Rahmenzeitraums, sondern nur diejenigen Zeiten dieser Qualifikation, die im 15‑jährigen Rahmenzeitraum gelegen sind (10 ObS 143/15z, ARD 6509/10/2016 [Lindmayr]; 10 ObS 8/15x, SSV‑NF 29/10; 10 ObS 12/14h, SSV‑NF 28/13; Födermayer in SV‑Komm [139. Lfg] § 255 ASVG Rz 114; Sonntag, ASVG7 § 255 Rz 73). Wenngleich der nicht ganz eindeutige Gesetzeswortlaut die Möglichkeit offen lässt, dass im Fall eines Zeitraums von mehr als 15 Jahren zwischen dem Ende der Ausbildung und dem Stichtag alle Versicherungsmonate nach § 8 Abs 1 Z 2 lit a, d, e und g ASVG, wann immer sie nach dem Ende der Ausbildung gelegen sind, den 15‑jährigen Rahmenzeitraum verlängern, entspricht diese Auslegung nicht der Intention des Gesetzgebers. Die Rahmenfristerstreckung steht nämlich im Zusammenhang damit, dass in diesen speziellen Zeiten der qualifizierte Beruf nicht ausgeübt werden konnte, aber die dafür maßgebenden Gründe (Kindererziehung, Wochengeldbezug, Präsenz‑ oder Zivildienstleistung) vom Gesetzgeber als schützenswert angesehen werden. Eine länger zurückliegende, vor der jeweiligen (allenfalls verlängerten) Rahmenfrist gelegene Zeit der Kindererziehung, des Wochengeldbezugs, des Präsenzdienstes oder des Zivildienstes steht demgegenüber in keinem Zusammenhang mit der Unmöglichkeit der Ausübung eines qualifizierten Berufs in den unmittelbar vor dem Stichtag gelegenen 15 Jahren (10 ObS 143/15z, ARD 65009/10/2016 [Lindmayr]).

1.2 Wenn der Revisionswerber dieser Rechtsprechung lediglich entgegensetzt, der Wortlaut des § 255 Abs 2 Satz 4 ASVG ließe auch die Berücksichtigung von außerhalb des Rahmenzeitraums gelegenen Versicherungsmonaten zu, was dem sozialpolitischen Zwecken der Regelung eher gerecht werde (und für ihn zu einem günstigeren Verfahrensergebnis führen würde), gelingt es ihm nicht, eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.

2.1 Angebliche Mängel des Verfahrens erster Instanz, die vom Berufungsgericht nicht als solche anerkannt worden sind, können in einer Revision nicht neuerlich geltend gemacht werden (RIS‑Justiz RS0042963). Ein Mangel des Berufungsverfahrens im Sinn des § 503 Z 2 ZPO liegt nur dann vor, wenn das Berufungsgericht die Erledigung einer Mängelrüge überhaupt unterlassen oder eine Mängelrüge in Verletzung verfahrensrechtlicher Vorschriften nur unvollständig behandelt hat (RIS‑Justiz RS0043086).

2.2 Im vorliegenden Verfahren hat das Berufungsgericht die unterbliebene Einholung eines weiteren berufskundlichen Gutachtens durch das Erstgericht als verfahrensrechtlich unbedenklich angesehen, weil es (zusammengefasst) die Auffassung vertrat, dass der dem Sachverständigen unterlaufene Schreib‑ bzw Rechenfehler nicht entscheidungswesentlich sei und auch die nach Vorliegen des berufskundlichen Sachverständigengutachtens eingetretene Verschlechterung des medizinischen Leistungskalküls nichts an der Verweisbarkeit auf den allgemeinen Arbeitsmarkt ändern könnte. Der Verweis des Sachverständigen auf eine Vielzahl von in Parallelverfahren eingeholten berufskundlichen Gutachten wurde vom Berufungsgericht unter Hinweis darauf nicht als Verstoß gegen den Unmittelbarkeitsgrundsatz angesehen, dass die Anforderungen an die im berufskundlichen Sachverständigengutachten genannten Verweisungsberufe (zB leichte Tischarbeiten oder Tätigkeiten als Bürohausbote) offenkundig seien. Damit hat das Berufungsgericht den angeblichen Mangel des Verfahrens erster Instanz mit einer ausführlichen Begründung unter Verwendung ausschließlich verfahrensrechtlicher Argumente verneint. Nur soweit der Kläger in seiner Berufung geltend machte, das berufskundliche Gutachten erweise sich für die Feststellung seines (äußerst unsteten) Berufsverlaufs als „unbrauchbar“, erachtete das Berufungsgericht die Mängelrüge als nicht gesetzmäßig ausgeführt, weil keine konkreten andersartigen (entscheidungswesentlichen) Feststellungen zum Berufsverlauf genannt waren, die bei Einholung eines weiteren berufskundlichen Gutachtens hervorgekommen wären. Dies vermag keine Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens zu begründen.

3. Mangels erheblicher Rechtsfragen im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO ist die außerordentliche Revision des Klägers als unzulässig zurückzuweisen.

Stichworte