OGH 7Ob6/17h

OGH7Ob6/17h29.3.2017

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Heimaufenthaltssache des Bewohners L***** T*****, geboren am ***** 1948, *****, vertreten durch den Verein VertretungsNetz- Sachwalterschaft, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung (Bewohnervertreter Mag. G***** K*****), *****, vertreten durch Mag. Nikolaus Weiser, Rechtsanwalt in Wien, Sachwalterin G***** P*****, Einrichtungsleiter Primar Dr. A***** W*****, MSc, H***** S*****, MBA, Dir. H***** L*****, vertreten durch Dr. Andreas Joklik, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, über den Revisionsrekurs des Vereins gegen den Beschluss des Landesgerichts Korneuburg als Rekursgericht vom 7. Dezember 2016, GZ 23 R 132/16y‑17, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Gänserndorf vom 9. Oktober 2016, GZ 2 Ha 1/16f‑11, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0070OB00006.17H.0329.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben. Die Heimaufenthaltssache wird an das Erstgericht zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung zurückverwiesen.

 

Begründung:

Der Bewohner brach am 31. 12 .2015 auf der Straße zusammen, wurde reanimiert und im Landeskrankenhaus M***** erstversorgt. Er wurde mit der Diagnose eines akuten transmoralen Myokardinfarkts in kardiogenem Schock ins Krankenhaus S***** transferiert und am 2. 1. 2016 bei einer Dreistammerkrankung mit fadenförmiger Hauptstammstenose einer Akut‑Bypass‑Operation unterzogen. Im Rahmen der Versorgung war es zu einer diffusen Hypoxie gekommen, die im Krankenhaus S***** therapiert wurde. Nach Stabilisierung wurde der Patient am 22. 1. 2016 von der Intensivstation auf die „Phase B“ übernommen. Am 18. 2. 2016 wurde er im stabilen Allgemeinzustand, fieberfrei und kardiorespiratorisch stabil in ein Pflegeheim entlassen. Aufgrund der neurologischen Defizite bzw kognitiven Störungen war bereits zum Zeitpunkt der Entlassung aus dem Spital, ab dem 10. 3. 2016 eine Rehabilitation im Kur‑ und Rehabilitationszentrum ***** geplant, insbesondere im Bereich der Neuropsychologie, Physiotherapie, Ergotherapie und medizinischen Trainingstherapie. Dort wurde er am 10. 3. 2016 aufgenommen, allerdings am 16. 3. 2016 vorzeitig wieder entlassen.

Mit dem – ohne mündliche Verhandlung – gefassten Beschluss hat das Erstgericht den Antrag des Vereins festzustellen, der Bewohner sei während seines Aufenthalts im Kur‑ und Rehabilitationszentrum ***** durch Überwachung seines Aufenthalts durch ein elektronisches Überwachungssystem in Verbindung mit der Anordnung, ihn zurückzuhalten, in seiner Freiheit beschränkt gewesen, abgewiesen. Es führte in rechtlicher Hinsicht aus, dass die Behandlung des Bewohners, welcher vor Eintritt seiner schweren Erkrankung nicht psychisch erkrankt und nicht pflege‑ und betreuungsbedürftig gewesen sei, fachlich qualifiziert durch eine erfolgversprechende Rehabilitation fortgeführt werden sollte. Die personenbezogene Anwendbarkeit des HeimAufG sei ausgeschlossen, weshalb der gemäß § 19a HeimAufG gestellte Antrag auf nachträgliche Überprüfung einer Freiheitsbeschränkung abzuweisen sei.

Das Rekursgericht bestätigte diesen Beschluss. Die geltend gemachte „Nichtigkeit“ (wegen Nichtdurchführung einer mündlichen Verhandlung und– daraus folgend – der Verletzung des rechtlichen Gehörs) verneinte es. Es liege keine Nichtigkeit vor, sondern allenfalls ein Verfahrensmangel, für dessen Behandlung § 58 Abs 1 Z 3 und Abs 3 AußStrG maßgeblich sei. Ein solcher sei durch den bloßen Formfehler der Nichtdurchführung einer mündlichen Verhandlung ebensowenig gegeben wie durch einen Verstoß gegen das rechtliche Gehör. Der Verein habe ohnedies schriftlich Stellung zu den Einwendungen der Einrichtungsleitung beziehen können.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Revisionsrekurs des Vereins mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Einrichtungsleiter begehren in der freigestellten Revisionsrekursbeantwortung (§§ 19a, 11 Abs 3 HeimAufG iVm § 48 Abs 1 AußStrG), den Revisionsrekurs zurückzuweisen; hilfsweise ihm keine Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist zulässig, er ist auch im Sinne des Aufhebungsantrags berechtigt.

1.1 Das HeimAufG regelt die Voraussetzungen für die Überprüfung von Freiheitsbeschränkungen in Alten‑und Pflegeheimen, in Behindertenheimen und in anderen Einrichtungen, in denen wenigstens drei psychisch kranke oder geistig behinderte Menschen ständig betreut oder gepflegt werden können. In Krankenanstalten – wie hier das Kur‑ und Rehabilitationszentrum – ist dieses Bundesgesetz nur auf Personen anzuwenden, die dort wegen ihrer psychischen Krankheit oder geistigen Behinderung der ständigen Pflege und Betreuung bedürfen. Vom Zweck der Regelungen des HeimAufG sind jene Fälle umfasst, in denen die Bedürftigkeit des Patienten unabhängig von der konkret im Krankenhaus behandelten körperlichen Beeinträchtigung (sei es infolge eines Unfalls oder einer Krankheit) bereits besteht. Ein solcher Patient soll auch während seines Krankenhausaufenthalts nicht den ihm außerhalb des Krankenhauses in den Einrichtungen nach § 2 Abs 1 HeimAufG zukommenden besonderen Schutz verlieren (RIS‑Justiz RS0121803 [T5], 7 Ob 194/12y = RIS-Justiz RS0121803 [T6 und T7]). Der Geltungsbereich des HeimAufG wird somit nach seinem § 2 Abs 1 letzter Satz in Krankenanstalten personenbezogen abgegrenzt.

1.2 Wenn die medizinische Behandlung in einer Krankenanstalt noch nicht abgeschlossen und damit nicht klar ist, dass der Patient endgültig der dauernden Pflege und Betreuung bedürfen wird, so unterliegt er nicht dem HeimAufG, selbst wenn dieser Zustand mehrere Monate dauert (RIS‑Justiz RS0121803 [T7]). Die Beurteilung der personenbezogenen Anwendbarkeit des HeimAufG erfordert daher konkrete Feststellungen zum Zustand des Patienten, insbesondere ob er „austherapiert“ ist, dh seinen Endzustand erreicht hat.

2. Die in § 66 Abs 1 Z 1 AußStrG genannten Anfechtungsgründe des § 58 Abs 1 Z 1 AußStrG (Verletzung des rechtlichen Gehörs) und des § 58 Abs 1 Z 3 AußStrG (Unterbleiben einer zwingend angeordneten mündlichen Verhandlung) können auch dann in einem Revisionsrekurs geltend gemacht werden, wenn sie vom Rekursgericht verneint worden sind. Wegen der ausdrücklichen Anordnung in § 66 Abs 1 AußStrG und des Fehlens einer § 519 ZPO vergleichbaren Bestimmung gibt es keine Grundlage für die Annahme einer diesbezüglichen Rechtsmittelbeschränkung (RIS‑Justiz RS0121265).

2.1 § 14 HeimAufG schreibt zwingend eine mündliche Verhandlung vor, zu der der Bewohner, sein Vertreter, seine Vertrauensperson, der Leiter der Einrichtung, die anordnungsbefugte Person und erforderlichenfalls auch zur Verfügung stehende Auskunftspersonen zu laden sind. Die mündliche Verhandlung hat zwei Funktionen. Zum einen soll der Richter die für seine Entscheidung erforderlichen Feststellungen auf der Grundlage einer mündlichen Verhandlung treffen. Zum anderen dient sie der Wahrung des Parteiengehörs. Vor dem Hintergrund des Art 5 Abs 4 EMRK ist das Verfahren kontradiktorisch ausgestaltet. Unter dem Vertreter des Bewohners ist nicht nur der Bewohnervertreter zu verstehen, sondern auch ein gewillkürter und der gesetzliche Vertreter (Barth/Engel Heimrecht [2004] § 14 Anm 1 und 2; Bürger/Halmich Heimaufenthaltsgesetz § 14 Anm 1 und 2; Zierl/Wall/Zeinhofer Heimrecht Band 1, 207 f; Strickmann Heimaufenthaltsrecht², 201 ff).

2.2 Durch § 19a Abs 1 HeimAufG wird die nachträgliche Überprüfung freiheitsbeschränkender Maßnahmen durch den Bewohner bzw seinen Vertreter ermöglicht. Durch die Schaffung spezieller (und zugleich gelockerter) Bestimmungen für das Verfahren bei der nachträglichen Überprüfung in Abs 2 und 3 wird klargestellt, dass die nicht erwähnten Verfahrensbestimmungen des HeimAufG nicht anwendbar sind.

Wie § 14 HeimAufG schreibt aber auch § 19a Abs 2 HeimAufG eine zwingende mündliche Verhandlung vor, zu der das Gericht den Bewohner, seinen Vertreter, seine Vertrauensperson, den Leiter der Einrichtung und die Person, die die Freiheitsbeschränkung angeordnet hat, zu laden hat. Eine Lockerung der Verfahrensvorschrift wird hier gerade nicht vorgenommen.

2.3 Indem das Erstgericht die zwingend vorgesehene mündliche Verhandlung unter Beiziehung der in § 19a Abs 2 HeimAufG genannten Personen nicht durchführte, haftet dem Verfahren ein in § 58 Abs 1 Z 3 AußStrG genannter schwerer Mangel an.

3.1 Ein derartiger Verfahrensfehler wirkt aber– anders als die Nichtigkeitsgründe der ZPO – nicht absolut, sondern führt nur dann zur Aufhebung der vom Verfahrensmangel betroffenen Entscheidung, wenn der angefochtene Beschluss im Sinn des § 58 Abs 1 AußStrG nicht schon „aufgrund der Angaben im Rekursverfahren“ zu bestätigen ist (1 Ob 94/12y; vgl RIS‑Justiz RS0120213).

Die – auch aufgezeigte – Relevanz des Mangels der Nichtdurchführung der mündlichen Verhandlung zur Klärung der personenbezogen zu beurteilenden Frage des Geltungsbereichs des HeimAufG im Zusammenhang mit Krankenanstalten erfordert eine (ausführliche) Sachverhaltsfeststellung, die der Gesetzgeber ausdrücklich unter gleichzeitiger Teilnahme der angeführten Personen– erforderlichenfalls unter Beiziehung eines Sach‑verständigen – vorgenommen wissen möchte. Dass dadurch relevante Verfahrensergebnisse erzielt werden können, kann nicht ausgeschlossen werden.

So hat der Oberste Gerichtshof auch schon in seiner Entscheidung 7 Ob 101/13y dahin Stellung genommen, dass von einer Ladung der Bewohnerin zu einer Verhandlung nach § 19a Abs 2 HeimAufG selbst aus therapeutischen Interessen nicht abgesehen werden darf. Wird dem Bewohner die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung verwehrt, so liegt darin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs, die zur „Nichtigkeit“ des Verfahrens führt, kann doch nicht ausgeschlossen werden, dass dadurch relevante Verfahrensergebnisse erzielt worden wären. Dies hat umso mehr für den völligen Entfall der zwingend vorgeschriebenen mündlichen Verhandlung nach § 19a HeimAufG zu gelten.

4. Gemäß § 58 Abs 3 AußStrG war die Heimaufenthaltssache an das Erstgericht zurückzuverweisen.

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