OGH 1Ob17/17g

OGH1Ob17/17g27.2.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Jürgen E*****, vertreten durch Mag. Dr. Florian Legit, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei H***** OG, *****, vertreten durch die Stingl und Dieter Rechtsanwälte OG, Graz, wegen Feststellung (Anfechtung eines Vergleichs), über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom 24. November 2016, GZ 2 R 148/16a‑59, mit dem das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 20. Juni 2016, GZ 11 Cg 65/14y‑48, abgeändert wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0010OB00017.17G.0227.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Nach § 1385 ABGB kann ein Irrtum den Vergleich nur insoweit ungültig machen, als er die Wesenheit der Person oder des Gegenstands betrifft. Da der Vergleich dem Zweck dient, strittige oder zweifelhafte Rechte einverständlich neu festzulegen (§ 1380 ABGB) und damit die Strittigkeit oder Zweifelhaftigkeit zu beseitigen, kann er nicht angefochten werden, wenn ein Partner beim Abschluss über den wahren Sachverhalt geirrt hat (§ 1387 ABGB), verlöre doch sonst der Vergleich seinen Sinn. Die Irrtumsanfechtung kommt jedoch in Betracht, wenn der Irrtum dasjenige Wesentliche betrifft, was die Parteien zur Zeit des Vergleichsabschlusses als feststehend, unzweifelhaft und unstreitig (als „Vergleichsgrundlage“) angenommen haben (RIS‑Justiz RS0032529; RS0032543). Nach herrschender Ansicht reicht ein gemeinsamer Irrtum aus (RIS‑Justiz RS0032529 [T4]; Neumayr in KBB4 § 1385 ABGB Rz 1; A. Heidinger in Schwimann/Kodek, ABGB4 § 1385 Rz 8). Ein Vergleich ist demnach anfechtbar, wenn beide Parteien einem für den Vergleichsabschluss ursächlichen (vgl RIS‑Justiz RS0016187) wesentlichen Geschäftsirrtum hinsichtlich einer Grundlage des Vergleichs unterliegen (RIS‑Justiz RS0032511 [T4]; Neumayr aaO Rz 2). Es können nur solche Umstände als unstrittige Vergleichsgrundlage angesehen werden, bei denen auch dem Vertragspartner ersichtlich ist, dass insoweit eine übereinstimmende Ansicht beider Parteien vorliegt (8 ObA 58/01i = RIS‑Justiz RS0032529 [T9]; RS0032543 [T8]). Für die Voraussetzungen der Irrtumsanfechtung trifft grundsätzlich den Anfechtenden die Behauptungs‑ und Beweislast (8 ObA 58/01i = RIS‑Justiz RS0032529 [T8]; RS0032543 [T7]).

2. Vergleichsgegenstand des gerichtlichen Vergleichs war die Provision der Beklagten für die Vermittlung eines Käufers für ein vom Kläger zu errichtendes Chalet. Zwar nahmen die Parteien bei Abschluss des Vergleichs an, dass der Provisionsanspruch der Beklagten besteht, „indem sich die [Käuferin] an den Kaufvertrag auch zukünftig gebunden fühlen und der Kaufvertrag ... zum Zwecke der rechtswirksamen Ausgestaltung noch im Sinne des KSchG und BTVG und unter Einhaltung der darin normierten Schutzbestimmungen zu Gunsten von Verbrauchern saniert bzw ergänzt und das Bauprojekt zwischen dem Kläger und der [Käuferin] vollständig abgewickelt wird“, jedoch war dem Kläger bei Abschluss des Vergleichs das Risiko bewusst, dass dieser von der Käuferin jederzeit wegen Nichtigkeit angefochten werden kann. Er hoffte aber auf die rechtliche Sanierung des Kaufvertrags. Die Beklagte stand bei Vergleichsabschluss auf dem Standpunkt, dass ihr die Provision jedenfalls zustand, weshalb sie den Vergleich auch ohne Sanierung des Kaufvertrags durch dessen Vertragsteile abgeschlossen hätte.

Die Beurteilung des Berufungsgerichts, die Parteien hätten dem Vergleichsabschluss nicht übereinstimmend die Abwicklung des Kaufvertrags zugrunde gelegt, weil die Beklagte den Vergleich auch ohne Sanierung des Kaufvertrags abgeschlossen hätte und der Kläger auf die rechtliche Sanierung des Kaufvertrags bloß hoffte, wodurch kein gemeinsamer Irrtum vorliege, ist im konkreten Einzelfall nicht zu beanstanden. Vertretbar argumentierte das Berufungsgericht, hätten die Parteien übereinstimmend die Zahlung der Provision von der Sanierung des Kaufvertrags abhängig machen wollen, wäre es ihnen freigestanden, eine Rückzahlungsverpflichtung der Beklagten für den Fall in den Vergleich aufzunehmen, dass der Kaufvertrag für nichtig erklärt oder aufgehoben werden sollte.

Wenn der Kläger nunmehr mit dem Wegfall der Geschäftsgrundlage (vgl dazu Ertl in Rummel 3 § 1385 ABGB Rz 1; Rummel, Anmerkungen zum gemeinsamen Irrtum und zur Geschäftsgrundlage, JBl 1981, 1 ff) argumentiert, führt dies zu keiner anderen Beurteilung. Das Institut des Wegfalls der Geschäftsgrundlage wird eingeschränkt und als letztes Mittel zur Beseitigung vertraglicher Bindungen nur dann angewendet, wenn die geltend gemachte Änderung der Verhältnisse in keiner Weise vorauszusehen war und auch nicht dem Bereich jener Partei zuzuschreiben ist, die sich auf diese Änderung beruft (RIS‑Justiz RS0017454 [T1]). Nur der Wegfall einer von beiden Parteien gemeinsam dem Vertragsabschluss unterstellten Voraussetzung könnte als Wegfall der Geschäftsgrundlage gewertet werden (RIS‑Justiz RS0017487). Damit liegen aber aus den vom Berufungsgericht dargelegten Gründen die Voraussetzungen für die Auflösung des Vergleichs wegen Wegfalls der Geschäftsgrundlage nicht vor.

3. Das erstmals in der Revision angedeutete kollusive Zusammenwirken der Käuferin mit der Beklagten verstößt gegen das Neuerungsverbot (§ 504 Abs 2 ZPO) und ist daher unbeachtlich.

4. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).

Stichworte