OGH 10ObS156/16p

OGH10ObS156/16p21.2.2017

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Univ.‑Prof. Dr. Neumayr als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Schramm, die Hofrätin Dr. Fichtenau sowie die fachkundigen Laienrichter Mag. Dr. Werner Hallas (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Karl Schmid (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei G*****, vertreten durch Dr. Susanne Fürst, Rechtsanwältin in Wels, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich‑Hillegeist‑Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram und andere Rechtsanwälte in Wien, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 27. Oktober 2016, GZ 11 Rs 95/16v‑16, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wels als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 24. Mai 2016, GZ 30 Cgs 20/16i‑5, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:010OBS00156.16P.0221.000

 

Spruch:

 

Der außerordentlichen Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 418,78 EUR (darin enthalten 69,80 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Mit Bescheid vom 18. 1. 2016 stellte die beklagte Partei die dem Kläger zu seiner monatlichen Bruttopension von 710,97 EUR gewährte Ausgleichszulage in Höhe von 171,81 EUR ab 1. 2. 2016 vorläufig ein.

Der Kläger begehrt die Weitergewährung der Ausgleichszulage über den 31. 1. 2016 hinaus. Er habe zwei Bekannte (ein geschiedenes Ehepaar) in seine Mietwohnung aufgenommen, die für die Möglichkeit, bei ihm zu wohnen, insgesamt etwa 350 bis 400 EUR monatlich zahlen. Die Frau sei ebenfalls Ausgleichszulagenbezieherin, der Mann erhalte von der Gebietskrankenkasse bzw dem Arbeitsmarktservice etwa 660 EUR monatlich. Da die Kosten der Wohnung (Miete, Betriebskosten, Strom, GIS‑Gebühren und Kabel‑TV) insgesamt 675 EUR monatlich betragen, sei die Einstellung der Ausgleichszulage nicht gerechtfertigt.

Die beklagte Partei beantragte Klageabweisung und wendete ein, der Kläger lukriere aus Vermietung und Verpachtung ein Einkommen von zumindest 350 EUR monatlich, das – mangels Aufzählung in § 292 Abs 4 ASVG – Nettoeinkommen iSd § 292 Abs 3 ASVG darstelle. Addiere man die Einnahmen aus Vermietung und Verpachtung von zumindest 350 EUR zur Bruttopension des Klägers in Höhe von 710,97 EUR, sei der Richtsatz bei weitem überschritten, dies selbst wenn man berücksichtige, dass von den Mieteinnahmen noch Betriebs‑ und Erhaltungskosten abgezogen werden müssen.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Es stellte fest, dass die vorläufige Einstellung der Ausgleichszulage ab 1. 2. 2016 nicht zu Recht erfolgt sei und verpflichtete die beklagte Partei zur Leistung einer Ausgleichszulage von monatlich 171,81 EUR. Es stellte fest, dass der Kläger in seine Mietwohnung ein geschiedenes Ehepaar aufgenommen hat, das sich das Schlafzimmer teilt. Er selbst schläft im Kinderzimmer. Das Wohnzimmer sowie Küche und Bad werden gemeinsam benützt. Der Kläger hat für die Wohnung 515 EUR an Miete samt Betriebs‑ und Heizkosten zu zahlen, 80 EUR an Stromkosten und 36 EUR an Kabelfernsehen sowie alle zwei Monate für Rundfunk und Fernsehen 40 EUR. Von den beiden Mitbewohnern erhält er monatlich 300 EUR bis 400 EUR als Beitrag zu Miete und Betriebskosten (von der Mitbewohnerin regelmäßig 200 EUR und vom Mitbewohner bis zu 200 EUR). Für sonstige Lebenshaltungskosten wird Geld zusammengelegt, Einkäufe werden gemeinsam getätigt und bestritten.

Rechtlich ging das Erstgericht davon aus, dass– ähnlich wie bei Lebensgemeinschaften – nur die Berücksichtigung einzelner festgestellter bedarfsmindernder Zuwendungen der Mitbewohner in Betracht komme. Eine Zuwendung im Sinn der Übernahme für vom Kläger zu tragende anteilige Kosten liege nicht vor, weil jeder der Mitbewohner etwa ein Drittel der Aufwendungen für die Wohnung trage, sodass sich für den Kläger kein Gewinn ergebe.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei nicht Folge und sprach aus, dass die Revision nicht zulässig sei. Die teilweise Überlassung der Wohnung sei nach dem Inhalt der getroffenen Vereinbarung als Untermietvertrag zu qualifizieren. Auch die aus der Untervermietung erzielten Einkünfte seien Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung iSd § 2 Abs 3 EStG. Deren Höhe sei als Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten zu ermitteln (§ 2 Abs 4 Z 2 EStG). Da die für den Haushalt des Steuerpflichtigen aufgewendeten Beträge nicht in Abzug zu bringen seien (§ 20 Abs 1 EStG), bedürfe es einer Aufteilung der vom Kläger zu tragenden Aufwendungen auf jenen Bereich, der seiner Lebensführung zuzuordnen sei, und jenen Bereich, der der Sicherung und Erhaltung der Einnahmen aus der Untervermietung diene. Gemäß § 273 ZPO sei davon auszugehen, dass ein Drittel des Aufwands für die Wohnung auf den Kläger entfalle und je ein weiteres Drittel auf die beiden Untermieter. Da die Zahlungen der Untermieter nicht nur hinter den vom Kläger zu tragenden Gesamtaufwendungen für die Wohnung in Höhe von 651 EUR monatlich zurückblieben, sondern nicht einmal den auf die beiden Untermieter entfallenden Anteil an den Gesamtaufwendungen für die Wohnung von 217 EUR pro Person erreichen, ergäben sich keine Einkünfte im Sinne eines Überschusses der Einnahmen über die Werbungskosten. Nur wenn der Kläger von seinen Mitbewohnern einen höheren Betrag an Untermiete erhielte als er selbst anteilig an Hauptmiete, Betriebs‑, Heiz‑, Strom‑ und sonstigen Kosten aufzuwenden habe, würde ihm ein für die Bemessung der Ausgleichszulage maßgebliches Einkommen zufließen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der beklagten Partei ist zur Klarstellung der Rechtslage zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

Die Revisionswerberin vertritt im Wesentlichen den Standpunkt, die vom Berufungsgericht herangezogenen steuerrechtlichen Normen (§ 16 Abs 1 EStG und § 20 EStG) stellten schon vom Ansatz her kein taugliches Instrument zur Lösung der gegenständlichen Rechtsfragen dar. Die Einkünfte aus der Untervermietung seien als ausgleichszulagen-schädliches Einkommen anzusehen.

Dazu ist auszuführen:

1.1 Voraussetzung des Anspruchs auf Ausgleichszulage ist, dass die Pension zuzüglich eines „aus übrigen Einkünften des Pensionsberechtigten erwachsenden Nettoeinkommens“ nicht die Höhe des für ihn geltenden Richtsatzes (§ 293 ASVG) erreicht (§ 292 Abs 1 ASVG).

1.2 Den Begriff des Nettoeinkommens im Sinn dieser Bestimmung definiert § 292 Abs 3 Satz 1 ASVG als „Summe sämtlicher Einkünfte in Geld oder Geldeswert nach Ausgleich mit Verlusten und vermindert um die gesetzlich geregelten Abzüge“. Es sind grundsätzlich sämtliche Einkünfte des Pensionsberechtigten in Geld oder Geldeswert zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0085296 [T1]). Darauf, aus welchem Titel und von wem die Einkünfte zufließen, ob sie dem Empfänger für oder ohne Gegenleistung zufließen und ob sie allenfalls der Steuerpflicht unterliegen, kommt es nicht an (RIS‑Justiz RS0085296). Von der Berücksichtigung sämtlicher Einkünfte des Pensionsberechtigten sind nur die in § 292 Abs 4 ASVG taxativ aufgezählten Einkünfte ausgenommen (RIS‑Justiz RS0085360 [T1]). Ein Fall des § 292 Abs 4 ASVG liegt hier nicht vor.

1.3 Ausgehend vom Zweck der Ausgleichszulage, dem Pensionsbezieher in pauschaler Weise einen Betrag zur Verfügung zu stellen, mit dem ihm die Bestreitung eines angemessenen Lebensunterhalts ermöglicht wird, ist die „Summe der Einkünfte ... nach Ausgleich mit Verlusten“ nach § 292 Abs 3 ASVG somit jener Betrag, der dem Pensionisten letztlich real zur Verfügung steht (RIS‑Justiz RS0117784 [T1]). Mit anderen Worten soll dem Ausgleichszulagenbezieher real ein Einkommen zur Verfügung stehen, das seine Lebenshaltungskosten deckt (Tomandl, Entscheidungsanmerkung zu 10 ObS 137/15t, ZAS 2016/16, 89 [93]).

1.4 Die in § 292 Abs 3 ASVG verwendete Formel zur Umschreibung des Nettoeinkommens hat große Ähnlichkeit mit dem Einkommensbegriff des Steuerrechts. Der Oberste Gerichtshof hat bereits mehrfach zum Ausdruck gebracht, dass im Sozialversicherungsrecht nicht einfach die Regeln des Einkommensteuerrechts angewendet werden können, weil es keine völlige Übereinstimmung der Begriffsbildung gibt und unterschiedliche Ziele der Sozialversicherungsgesetze und der Steuergesetze bestehen (RIS‑Justiz RS0085210; ausführlich 10 ObS 421/01m, SSV‑NF 16/67). Die Ablehnung einer generellen Rezeption des Steuerrechts schließt aber nicht aus, im Einzelfall auftretende Zweifelsfragen unter Zuhilfenahme steuerrechtlicher Normen zu klären (10 ObS 364/89, SSV‑NF 4/1). Diese auf Binder (Probleme der pensionsversicherungsrechtlichen Ausgleichszulage, ZAS 1981, 89 ff) zurückgehende Auffassung hat in der Literatur grundsätzlich Zustimmung gefunden (Schrammel, Probleme der Ausgleichszulage, ZAS 1992, 9 [11]; Tomandl, Anmerkung zu 10 ObS 137/15t, ZAS 2016/16, 89 [92]).

2.1 Der vorliegende Fall ist dadurch gekennzeichnet, dass der Kläger für die von ihm bewohnte Wohnung monatliche Wohnungskosten in Höhe von insgesamt 675 EUR zu entrichten hat. Diese Kosten sind ausgleichszulagenrechtlich neutral; sie richten sich (im Wesentlichen) auch nicht nach der Zahl der Bewohner und verändern sich nicht dadurch, dass ein Mitbewohner einen Beitrag zu den Wohnungskosten leistet; die gesamten Wohnungskosten sind unabhängig von solchen Umständen an dritte Personen abzuführen.

2.2 Die Situation des Klägers ist mit derjenigen zu vergleichen, in der mehrere Personen gemeinsam eine Wohnung mieten und die Kosten nach Kopfteilen tragen. Wie bereits unter 2.1 ausgeführt, hat die Art der Aufbringung der Wohnungskosten keinen Einfluss auf die Ausgleichszulage.

2.3 In diesem Sinn stehen die Beiträge, die der Kläger von seinen Mitbewohnern erhält, dem Kläger nicht real zur Verfügung, weil er sie – gemeinsam mit seinem Wohnungskostenanteil – an den Vermieter (und weitere Personen) abzuführen hat. Er ist nur derjenige, der die Beiträge der Bewohner zur Abdeckung der Wohnungskosten bei sich bündelt und weiterleitet.

Selbst wenn diese Beiträge als „Einkünfte“ klassifiziert würden, wäre zu berücksichtigen, dass sie umgehend an Dritte abgeführt werden und in diesem Sinn als „Verluste“ gegenzurechnen wären. Als Durchlaufposten bilden sie daher – entgegen der Ansicht der beklagten Partei – kein „Nettoeinkommen“, das § 292 Abs 3 ASVG als relevant für die Anrechnung ansieht.

2.4 Ähnlich wie bei Lebensgefährten (vgl 10 ObS 47/16h) führen Synergieeffekte aus dem gemeinsamen Wohnen ausgleichzulagenrechtlich nicht zu einer Anrechnung; wie bereits dargestellt entrichten die Mitbewohner an den Kläger keine bedarfsmindernden Zuwendungen.

3. Zusammenfassend ist dem Standpunkt der beklagten Partei nicht zu folgen, dass die dem Kläger von den Mitbewohnern geleisteten 350 bis 400 EUR monatlich ausgleichszulagenschädlich seien.

Der Revision ist daher keine Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit a ASGG.

Stichworte