OGH 10ObS47/16h

OGH10ObS47/16h7.6.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und Mag. Ziegelbauer sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Reinhard Drössler (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Andreas Hach (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) als weitere Richter in der Sozialrechtssache der klagenden Partei A*****, gegen die beklagte Partei Pensionsversicherungsanstalt, 1021 Wien, Friedrich-Hillegeist-Straße 1, vertreten durch Dr. Josef Milchram, Dr. Anton Ehm, Mag. Thomas Mödlagl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Ausgleichszulage, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 26. Februar 2016, GZ 23 Rs 55/15g‑13, womit über Berufung der klagenden Partei das Urteil des Landesgerichts Feldkirch als Arbeits- und Sozialgericht vom 5. Oktober 2015, GZ 34 Cgs 140/15w‑9, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:010OBS00047.16H.0607.000

 

Spruch:

Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.

Begründung

Die Klägerin lebt seit 2010 in einer Lebensgemeinschaft. Sie wohnt mit ihrem Lebensgefährten sowie mit ihrer Tochter im gemeinsamen Haushalt in einer Mietwohnung. Die Klägerin bezieht eine Invaliditätspension von monatlich 730,70 EUR. Der Lebensgefährte der Klägerin bezieht Arbeitslosengeld von täglich 27,62 EUR, er hat zwei Sorgepflichten und bezahlt für diese monatlich insgesamt 250 EUR. Die Tochter der Klägerin bezieht monatlich 850 EUR Notstandshilfe.

Die Klägerin, ihr Lebensgefährte und ihre Tochter bezahlen die Kosten für Miete und Betriebskosten in Höhe von monatlich 612,17 EUR zu je einem Drittel. Ebenso bezahlen sie die monatlichen Stromkosten von 35 EUR zu je einem Drittel. Der Lebensgefährte der Klägerin bezahlt allein die Kosten für die Haushaltsversicherung. Die Klägerin trägt den Großteil der Kosten für die Lebensmittel, die sie für sich, ihren Lebensgefährten und ihre Tochter einkauft. Für Lebensmittelkosten erhält die Klägerin von ihrem Lebensgefährten monatlich etwa 70 EUR bis 100 EUR und von ihrer Tochter monatlich 50 EUR. Für besondere Anschaffungen oder Reparaturen fehlt im Haushalt der Klägerin meistens das erforderliche Geld. Anfallende Kosten werden von demjenigen gezahlt, der gerade noch etwas Geld übrig hat.

Die Ehe der Klägerin wurde im Jahr 2001 einvernehmlich geschieden. Die Klägerin hat gegenüber ihrem früheren Ehemann auf Unterhalt verzichtet, weil sie zum Zeitpunkt der Scheidung über ausreichendes eigenes Einkommen verfügte.

Mit Bescheid vom 23. 4. 2015 sprach die Beklagte aus, dass der Anspruch der Klägerin auf Ausgleichszulage unter Berücksichtigung ihrer Lebensgemeinschaft mit 28. 2. 2015 ende.

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Weitergewährung einer Ausgleichszulage in Höhe von 141,61 EUR über den 28. 2. 2015 hinaus. Sie erhalte keine finanziellen Zuwendungen ihres Lebensgefährten, die als anspruchsmindernd anzurechnen wären.

Die Beklagte wandte zusammengefasst ein, dass die sich aus der Lebensgemeinschaft der Klägerin ergebenden Synergieeffekte zu berücksichtigen seien. Die Lebensgefährten wirtschafteten gemeinsam, weshalb eine Anrechnung stattzufinden habe. Die durch die Lebensgemeinschaft bewirkte tatsächliche Erleichterung der wirtschaftlichen Lebensführung sei als geldwerter Vorteil im Sinn der Gewährung einer „freien Station“ anzusehen. Auch die der Klägerin von ihrer Tochter zufließenden Geldbeträge seien bei der Berechnung der Ausgleichszulage zu berücksichtigen. Der der Klägerin nach ihrer Ehescheidung gegenüber ihrem geschiedenen Gatten zustehende Unterhaltsanspruch sei ebenfalls auf die Ausgleichszulage anzurechnen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Der Gesetzgeber habe die Berücksichtigung des Einkommens des Lebensgefährten bei der Ausgleichszulage nicht vorgesehen, sodass für die Anrechnung nur tatsächliche bedarfsmindernde Zuwendungen des Lebensgefährten in Betracht kämen. Die Klägerin erhalte von ihrem Lebensgefährten monatlich 204 EUR an anteiliger Miete, 11,66 EUR an anteiligen Stromkosten und zwischen 70 EUR und 100 EUR an Lebensmittelkosten. Die Zuwendungen des Lebensgefährten würden daher monatlich zwischen 285,66 EUR und 315,66 EUR betragen, wodurch das Einkommen der Klägerin den maßgeblichen Ausgleichszulagenrichtsatz überschreite. Die Zuwendungen der Tochter der Klägerin seien nicht zu berücksichtigen, weil die Klägerin keinen Unterhaltsanspruch gegen ihre Tochter habe.

Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil über Berufung der Klägerin ab und gab dem Klagebegehren statt. Es sei zu prüfen, ob der Ausgleichszulagenwerber trotz der Lebensgemeinschaft für Wohnung und Ernährung Gelder aufwenden müsse, die in etwa dem in § 292 Abs 3 Satz 2 ASVG genannten Wert für die „freie Station“ von 278,72 EUR für das Jahr 2015 entsprechen. Dies sei hier der Fall: Die Klägerin zahle monatlich für die Miete 204 EUR und für anteilige Stromkosten 11,66 EUR. Da die Klägerin von ihrem Lebensgefährten bis zu 100 EUR monatlich für Lebensmittelkosten erhalte, sei davon auszugehen, dass sie selbst jedenfalls 100 EUR für Lebensmittel aufwende, weil sie nach den Feststellungen den Großteil der Kosten für Lebensmittel trage. Gesamt zahle die Klägerin daher monatlich 315 EUR, sodass eine zusätzliche Anrechnung einer „freien Station“ weder zur Hälfte noch zur Gänze in Frage komme. Aus diesen Gründen komme auch eine Anrechnung des von der Tochter gewährten Sachbezugs nicht in Frage. Dass die Klägerin einen Unterhaltsanspruch gegen ihre Tochter hätte, habe die Beklagte im Verfahren erster Instanz nicht behauptet. Hinweise darauf, dass die Klägerin gegenüber ihrem geschiedenen Ehemann rechtsmissbräuchlich auf einen Unterhaltsanspruch verzichtet hätte, lägen nicht vor. Eine dahingehende Behauptung habe die Beklagte nicht aufgestellt. Mangels weiterer anrechenbarer Einkünfte gebühre der Klägerin daher die Ausgleichszulage in Höhe der Differenz des Einzelrichtsatzes für 2015 zu der von ihr bezogenen Invaliditätspension.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil zur Frage, ob bei einer Lebensgemeinschaft ein Sachbezug nach der Sachbezugswerteverordnung als Einkommen auch dann anzurechnen sei, wenn die Lebensgefährten die für die Lebenshaltung aufgewendeten Kosten gemeinsam tragen und diese Aufwendungen des Ausgleichszulagenwerbers dem Betrag für eine volle freie Station entsprechen, höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie die Abweisung des Klagebegehrens anstrebt.

Die Klägerin erstattete keine Revisionsbeantwortung.

Rechtliche Beurteilung

Entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts ist die Revision der beklagten Partei im Hinblick auf die zwischenzeitig (jeweils am 22. Februar 2016) ergangenen Entscheidungen 10 ObS 147/15p und 10 ObS 9/16w sowie die am 10. Mai 2016 ergangene Entscheidung 10 ObS 46/16m, die sich mit der hier zu lösenden Rechtsfrage auseinandersetzen, nicht zulässig.

1. Ebenso wie in der Entscheidung 10 ObS 46/16m erhält die Klägerin keine Sachleistungen (wie etwa eine Wohnmöglichkeit) von ihrem Lebensgefährten, sondern lediglich Geldzahlungen von diesem sowie von ihrer Tochter.

2. Die Entscheidungen 10 ObS 147/15p, 10 ObS 9/16w und 10 ObS 46/16m lassen sich wie folgt zusammenfassen:

2.1 Bei der Feststellung des Anspruchs auf Ausgleichszulage sind grundsätzlich sämtliche Einkünfte des Pensionsbeziehers in Geld oder Geldeswert nach Ausgleich mit Verlusten und vermindert um die gesetzlich geregelten Abzüge zu berücksichtigen (§ 292 Abs 3 ASVG). Es kommt nicht darauf an, aus welchem Titel und von wem die Einkünfte zufließen, ob sie dem Empfänger für oder ohne Gegenleistung zufließen und ob sie allenfalls der Steuerpflicht unterliegen (RIS‑Justiz RS0085296).

2.2 Im Ausgleichszulagenrecht fehlt es an einer gesetzlichen Grundlage dafür, dem Ausgleichszulagenbezieher unter Anwendung des Familienrichtsatzes das Einkommen des im gemeinsamen Haushalt lebenden Lebensgefährten nach der Art einer zwischen Ehegatten (eingetragenen Partnern), die im gemeinsamen Haushalt leben, bestehenden engen Wirtschaftsgemeinschaft zuzurechnen. Im Fall einer Lebensgemeinschaft kommt daher nur die Berücksichtigung im Einzelnen festgestellter, bedarfsmindernder Zuwendungen des Lebensgefährten in Betracht.

2.3 Eine pauschalierte Anrechnung von Synergieeffekten sieht der Gesetzgeber bei Lebensgemeinschaften – anders als bei aufrechter Ehe oder eingetragener Partnerschaft in Form des Familienrichtsatzes – nicht vor.

2.4 Für die Beurteilung des Anspruchs der Pensionsbezieherin auf Ausgleichszulage ist daher entscheidend, inwieweit sie im maßgeblichen Zeitraum ihren Unterhaltsbedarf mindernde Zuwendungen von ihrem Lebensgefährten erhalten hat.

2.5 Der Oberste Gerichtshof hat bereits in der Entscheidung 10 ObS 147/15p näher begründet, dass entgegen der Rechtsansicht des Berufungsgerichts das Unterbleiben derAnrechnung nicht von der Voraussetzung abhängt, dass die Höhe der vom Ausgleichszulagenwerber in der Lebensgemeinschaft getragenen Aufwendungen für Lebenshaltungskosten betragsmäßig den Sachbezugswert nach der Sachbezugswerteverordnung erreicht. Ein betragsmäßiger Vergleich des Sachbezugswerts nach der Sachbezugswerteverordnung und der vom Ausgleichszulagenwerber konkret getragenen Aufwendungen ist daher – worauf die Revisionswerberin zutreffend hinweist – für die Anrechnung des Sachbezugs bzw deren Unterbleiben nicht maßgebend.

2.6 Werden die Wohnungskosten ab Aufnahme der Lebensgemeinschaft zu gleichen Teilen von beiden Lebensgefährten getragen, kommt es zu keiner Anrechnung von Sachbezugswerten, weil Synergieeffekte bei Lebensgemeinschaften keine Berücksichtigung finden sollen und in diesem Fall jeder Lebensgefährte „seine“ Kosten selbst trägt.

3.1 Die Beklagte wendet sich in ihrer Revision ausschließlich gegen die Rechtsansicht des Berufungsgerichts, wonach das Unterbleiben der Anrechnung von der Voraussetzung abhänge, dass die Höhe der vom Ausgleichszulagenwerber in der Lebensgemeinschaft getragenen Aufwendungen für Lebenshaltungskosten betragsmäßig den Sachbezugswert nach der Sachbezugswerteverordnung erreiche. Dies ist zwar inhaltlich wie ausgeführt berechtigt, führt aber für sich allein genommen nicht zu einem anderen als dem vom Berufungsgericht erzielten Ergebnis.

3.2 Die Klägerin trägt die Kosten für die Miete und den Strom der gemeinsam bewohnten Wohnung gleichteilig mit ihrem Lebensgefährten und ihrer Tochter. Auch in diesem Fall kommt es – wie in der Entscheidung 10 ObS 46/16m – zu keiner Anrechnung, weil Synergieeffekte bei Lebensgemeinschaften keine Berücksichtigung finden sollen und hier beide Lebensgefährten – auch unter Berücksichtigung der gleichteiligen Leistungen der Tochter der Klägerin – „ihre“ Kosten selbst tragen.

3.3 In der Entscheidung 10 ObS 46/16m wurde ausgeführt, dass keine bedarfsmindernde Zuwendung des Lebensgefährten vorliegt, wenn jeder Lebensgefährte die Kosten für Lebensmitteleinkäufe durch abwechselnde Finanzierung selbst trägt. Konsequenterweise kann es daher auch im vorliegenden Fall zu keiner Anrechnung kommen, in dem die Klägerin die Kosten für Lebensmittel nach den unangefochtenen Feststellungen zum Großteil selbst zu tragen hat und dafür nur relativ geringfügige Beiträge von ihrem Lebensgefährten und von ihrer Tochter erhält. Die damit inhaltlich übereinstimmenden Rechtsausführungen des Berufungsgerichts, dass die Klägerin selbst zumindest 100 EUR für Lebensmittel im Monat aufwendet, werden in der Revision auch nicht in Frage gestellt.

3.4 Nähere Feststellungen über die vom Lebensgefährten der Klägerin getragenen Kosten für die Haushaltsversicherung hat das Erstgericht nicht getroffen, insbesondere nicht zur Höhe solcher Zahlungen. Da die Beklagte darauf in ihrer Revision aber nicht eingeht, bedarf es auch zu diesem Punkt keiner weiteren Ausführungen. Dies gilt ebenso für die weiteren Rechtsausführungen des Berufungsgerichts, dass kein Hinweis für einen rechtsmissbräuchlichen Verzicht der Klägerin auf die Geltendmachung eines Unterhaltsanspruchs gegen ihren geschiedenen Ehegatten vorliegt.

3.5 Weitere Zuwendungen der Tochter an die Klägerin stehen nicht fest. Darüber hinaus enthält die Revision keine Ausführungen zur Frage, ob und inwieweit Zuwendungen der Tochter an die Klägerin (insbesondere auch entgegen der Rechtsansicht des Erstgerichts) anrechenbar wären, sodass auch auf diesen rechtlich gesondert zu beurteilenden Aspekt nicht einzugehen ist.

4. Mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO war die Revision daher zurückzuweisen.

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