European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2017:0120OS00103.16P.0126.000
Spruch:
Die Nichtigkeitsbeschwerde wird verworfen.
Gründe:
Mit dem angefochtenen Urteil, das auch in Rechtskraft erwachsene Freisprüche des Tuncay A***** und eines weiteren Angeklagten enthält, wurde der Genannte des Verbrechens des betrügerischen Anmeldens zur Sozialversicherung oder Bauarbeiter‑Urlaubs‑ und Abfertigungskasse nach § 153d Abs 1 und Abs 3 (zu ergänzen: erster und zweiter Fall) StGB schuldig erkannt.
Danach hat er in W***** gewerbsmäßig Anmeldungen von Personen zur Sozialversicherung Wiener Gebietskrankenkasse in dem Wissen, dass die in Folge der Anmeldung auflaufenden Sozialversicherungsbeiträge nicht vollständig geleistet werden sollen, wobei diese in der Folge auch nicht vollständig geleistet wurden, in Auftrag gegeben, indem er durch die abgesondert verfolgte Georgina O*****, welche Lohnverrechnerin in den nachgenannten Unternehmen war, die nachstehenden Anmeldungen vornehmen ließ, und zwar
1. von November bis Dezember 2013 von 28 Dienstnehmern auf die K***** KG;
2. von September bis November 2013 von 27 Dienstnehmern auf die E***** GmbH;
3. in einem nicht mehr feststellbaren Zeitraum seit Jänner 2014 von 14 Dienstnehmern auf die I***** GmbH;
4. von Februar bis Juli 2014 durch Anmeldung von 18 Dienstnehmern auf die H***** GmbH;
5. von Februar bis Juli 2014 für Yavuc K***** durch Anmeldung von 22 Dienstnehmern auf die H***** GmbH.
Rechtliche Beurteilung
Gegen dieses Urteil wendet sich die auf § 281 Abs 1 Z 10 StPO gestützte Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft, welche sich als nicht berechtigt erweist.
Die Subsumtionsrüge moniert zwar zu Recht, dass die tatrichterlichen Feststellungen sämtliche für eine Unterstellung unter §§ 12 zweiter Fall, 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall, 15 Abs 1 StGB erforderlichen objektiven und subjektiven Tatbestandselemente enthalten (US 5 ff) und daher diesbezüglich ein entsprechender Schuldspruch hätte ergehen müssen.
Das Schöffengericht war irrig von einem Scheinkonkurrenzverhältnis ausgegangen.
Vorliegend hat der Angeklagte Tuncay A***** Georgina O***** damit beauftragt, Dienstnehmer, die tatsächlich für die E***** GmbH arbeiteten, zum Schein auf im Ersturteil bezeichnete andere Gesellschaften anzumelden, welche „zeitnah in die Insolvenz geführt wurden“ (US 5). Mitarbeiter der Wiener Gebietskrankenkasse wurden durch die Vorspiegelung, die jeweils in der Anmeldung genannte Gesellschaft sei Dienstgeberin, irrtumsbedingt zur Abstandnahme von der Beitragseinhebung bei der wirklichen Dienstgeberin, die ja Beitragsschuldnerin ist, gebracht. Dieses Verhalten ist, da auch alle Feststellungen zur subjektiven Tatseite getroffen wurden, dem Tatbestand des Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB zu subsumieren. Der (vom Vorsatz umfasste) 5.000 Euro übersteigende Schaden des Sozialversicherers liegt dabei darin, dass er die Sozialversicherungsbeiträge nicht hereinbringen konnte (Kirchbacher/Presslauer in WK2 StGB § 153d Rz 29 f). Die tatrichterlichen Konstatierungen, wonach es dem Angeklagten jeweils darauf ankam, sich durch die wiederkehrende Begehung der Taten über mehrere Monate hindurch ein nicht bloß geringfügiges Einkommen von mehr als 400 Euro monatlich zu verschaffen, tragen die Qualifikation nach § 148 erster Fall StGB (§ 70 Abs 1 Z 3 StGB).
Der Angeklagte hat somit in echter Konkurrenz zu dem vom Erstgericht abgeurteilten Verbrechen des betrügerischen Anmeldens zur Sozialversicherung oder Bauarbeiter‑Urlaubs‑ und Abfertigungskasse nach § 153d Abs 1 und Abs 3 erster und zweiter Fall StGB das Vergehen des schweren, gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 12 zweiter Fall, 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall, 15 Abs 1 StGB begangen.
Soweit in der Literatur (Kert in SbgK § 146 Rz 405; Reindl‑Krauskopf, Sozialbetrug aus strafrechtlicher Sicht, DRdA 2008, 389 [393]; Wonisch, Die gerichtlichen Straftatbestände des Sozialbetrugsgesetzes [SozBeG 2004/152], ZAS 2008, 14 [21]) vertreten wird, § 153d StGB (idF vor BGBl I 2015/112) wäre gegenüber § 146 StGB als exklusivere Norm anzusehen, kann dem nicht zugestimmt werden. Exklusivität meint Fälle, in denen zwei Tatbestände sich widersprechende Merkmale enthalten, sodass es unmöglich ist, ein Verhalten unter beide Tatbestände zu subsumieren (Ratz in WK2 Vorbem §§ 28–31 Rz 3 ff). Das trifft auf den hier vorliegenden Fall gerade nicht zu.
Ebensowenig liegt ein Scheinkonkurrenzverhältnis vor. Spezialität umfasst Konstellationen, in denen ein Tatbestand alle Merkmale des anderen und zusätzlich mindestens ein weiteres enthält (Burgstaller, Die Scheinkonkurrenz im Strafrecht, JBl 1978, 396). Da § 153d StGB weder eine Täuschung erfordert, noch eine irrtumsbedingte Vermögensverfügung vorsieht, verlangt dieser Tatbestand gerade kein betrügerisches Handeln im Sinne des § 146 StGB. Der Begriff „betrügerisch“ findet sich nur noch im Titel des § 153d StGB. Da demnach kein Fall von Spezialität vorliegt (vgl 13 Os 142/07t; aA Bugelnig in SbgK § 153d Rz 115) und auch Subsidiarität und Konsumtion nicht vorliegen, stehen die strafbaren Handlungen zueinander im Verhältnis echter Konkurrenz (vgl Ratz in WK2 §§ 28–31 Rz 81; aA Bertel/Schwaighofer/Venier BT I13 § 153d Rz 1).
Für dieses Ergebnis spricht auch, dass es sich bei § 153d – im Gegensatz zu § 146 StGB – nicht um ein reines Vermögensdelikt handelt (EBRV 689 BlgNR XXV. GP 24). Vielmehr soll § 153d StGB auch den fairen und redlichen Wettbewerb schützen, weil Arbeitgeber, die keine oder nur unzureichende Sozialversicherungsbeiträge abführen, durch niedrigere Fixkosten einen Wettbewerbsvorteil erlangen (Bugelnig in SbgK § 153d Rz 25; Kirchbacher/Presslauer in WK2 § 153d Rz 2; vgl zu § 153e StGB 12 Os 27/13g; Derntl, Sozialmissbrauch und Sozialbetrug, in Kert/Kodek, Handbuch Wirtschaftsstrafrecht, Rz 5.19).
Dennoch bleibt die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft erfolglos: Die Anklagebehörde begehrt nämlich ausschließlich eine Subsumtion unter §§ 146, 147 Abs 2, 148 zweiter Fall, 15 Abs 1 StGB und bezeichnet die erstgerichtliche Qualifikation nach § 153d StGB als rechtsirrig vorgenommen. Dem Obersten Gerichtshof ist es daher verwehrt, zusätzlich zu dem vom Erstgericht erfolgten Schuldspruch einen solchen wegen des Vergehens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 12 zweiter Fall, 146, 147 Abs 2, 148 erster Fall, 15 Abs 1 StGB zu fällen (vgl § 290 Abs 1 erster Satz StPO; SSt 51/35).
Soweit die Staatsanwaltschaft auch die Annahme der Qualifikation nach § 148 zweiter Fall StGB anstrebt, verfehlt sie im Übrigen prozessordnungskonforme Darstellung materieller Nichtigkeit, weil sie nicht von den erstgerichtlichen Konstatierungen ausgeht (RIS‑Justiz RS0099810).
Das Schöffengericht hat nämlich – im Gegensatz zum Beschwerdevorbringen – nicht festgestellt, dass es der Angeklagte „jeweils“ ernstlich für möglich hielt und sich damit abfand, dass die Wiener Gebietskrankenkasse in einem 5.000 Euro übersteigenden Betrag am Vermögen geschädigt wird. Die Rechtsmittelwerberin hat in diesem Zusammenhang auch keinen Feststellungsmangel geltend gemacht. Anzumerken ist, dass die Konstatierung, wonach der Angeklagte es hinsichtlich der unter 1./ bis 5./ des erstgerichtlichen Schuldspruchs genannten Gesellschaften jeweils für möglich hielt dadurch der Wiener Gebietskrankenkasse einen 5.000 Euro übersteigenden Schaden zuzufügen, die Subsumtion unter § 148 zweiter Fall StGB nicht trägt, weil hinsichtlich jeder einzelnen Anmeldung eine eigene Tat anzunehmen ist (vgl Kirchbacher in WK2 StGB § 148 Rz 10).
Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher – im Ergebnis in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – zu verwerfen.
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