OGH 14Os69/16b

OGH14Os69/16b20.12.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 20. Dezember 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Oeljeschläger als Schriftführerin in der Strafsache gegen David P***** wegen des Verbrechens nach § 3g VerbotsG und einer weiteren strafbaren Handlung über die Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt als Geschworenengericht vom 11. Mai 2016, GZ 14 Hv 32/16h‑21, nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Oberstaatsanwalt Dr. Denk, MBA LL.M., des Angeklagten und seines Verteidigers Mag. Tschernitz zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0140OS00069.16B.1220.000

 

Spruch:

In Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde werden der Wahrspruch der Geschworenen und das darauf beruhende Urteil aufgehoben und wird die Sache zur nochmaligen Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht Klagenfurt als Geschworenengericht verwiesen.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde David P***** aufgrund des Wahrspruchs der Geschworenen von der Anklage, er habe sich am 17. Oktober 2015 in K***** auf andere als die in den §§ 3a bis 3f VerbotsG 1947 bezeichnete Weise im nationalsozialistischen Sinne betätigt, indem er als Fußballspieler des Vereins A***** im Zuge eines vor Publikum ausgetragenen Fußballspiels gegenüber den Fußballspielern des (gegnerischen) zweisprachigen Vereins D***** Florian K***** und Niklas T***** skandierte, „es gibt nur einen Führer und ihr scheiß Jugos gehört’s alle vergast und erschossen“, wobei er zur Untermauerung seiner Aussage die rechte Hand zum sogenannten „Hitlergruß“ erhob und darüber hinaus während des gesamten Spielverlaufs auf seinen beiden Socken im Wadenbereich gut sichtbar die Zahl „88“ trug, gemäß „§ 259 Z 3“ (richtig: § 336) StPO freigesprochen.

Rechtliche Beurteilung

Die aus § 345 Abs 1 Z 1 und 8 StPO ergriffene Nichtigkeitsbeschwerde der Staatsanwaltschaft ist berechtigt.

Die aus Z 1 geäußerte Kritik, die gemäß § 323 Abs 1 StPO durchgeführte Rechtsbelehrung habe bloß in Anwesenheit des Vorsitzenden, nicht jedoch der weiteren Berufsrichter stattgefunden, verfehlt ihr Ziel, weil der in Anspruch genommene Nichtigkeitsgrund bloß darauf abstellt, ob alle Richter der ganzen Verhandlung bis zu deren Schluss (§ 319 StPO) beigewohnt haben. Beratung und Abstimmung sind nicht erfasst (vgl RIS‑Justiz RS0119277; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 122 und 149), daher ebenso wenig die (durch den Vorsitzenden vorzunehmende) Erteilung der Rechtsbelehrung.

Zutreffend zeigt die Instruktionsrüge (Z 8) jedoch auf, dass die Rechtsbelehrung – entgegen § 321 Abs 2 StPO – keine Ausführungen zum Verhältnis von Haupt- und Eventualfrage enthält. Als Folge der Verneinung der Hauptfrage wird ohne Verweis auf die Eventualfrage ausschließlich „der Freispruch des Angeklagten“ angeführt (ON 20 S 45). Das Verhältnis der Fragen zueinander ergibt sich auch nicht aus dem Fragenschema (vgl RIS‑Justiz RS0100900, RS0100674; Philipp , WK‑StPO § 321 Rz 24). Unter dem Aspekt der Beschwer (vgl RIS‑Justiz RS0122334) ist – wie die Beschwerdeführerin zutreffend aufzeigt – ein für deren Standpunkt nachteiliger Einfluss dieses Fehlers auf die Entscheidung dergestalt, dass die Geschworenen über die Konsequenzen der Verneinung der Hauptfrage (ungeachtet der Beantwortung der Eventualfrage) in die Irre geführt wurden, nicht auszuschließen, weshalb – in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur – bereits aus diesem Grund die Aufhebung des (gesamten) Wahrspruchs und des darauf beruhenden Urteils unumgänglich war (RIS‑Justiz RS0100908, RS0101053).

Im weiteren Verfahren wird zu beachten sein (vgl zum Ganzen auch 14 Os 88/16i):

Die Frage, welche Fassung des zwischen Tatbegehung und Urteilsfällung in erster Instanz geänderten Tatbestands auf die dem Angeklagten laut Anklagevorwurf zur Last gelegte Tat anzuwenden ist, hat der Schwurgerichtshof selbst zu beantworten und das Fragenschema grundsätzlich darauf entsprechend abzustimmen. Den Günstigkeitsvergleich gemäß § 61 StGB durch Hauptfrage und Eventualfrage nach Tatbestandsverwirklichung nach altem und neuem Recht an die Geschworenen heranzutragen, widerspräche dem Gesetz (RIS-Justiz RS0115123). Ebenso wenig ist es zulässig, in der Rechtsbelehrung gesetzliche Merkmale von strafbaren Handlungen darzulegen, auf welche die (Haupt- oder Eventual‑)Frage nicht gerichtet ist; die Instruktion hat vielmehr eindeutig zu sein und den Geschworenen eine richtige Vorstellung von der aufgrund der Fragestellung in Betracht kommenden Rechtslage zu vermitteln ( Philipp , WK‑StPO § 321 Rz 11). Die Beurteilung, welches Strafgesetz günstiger ist, richtet sich primär nach der angedrohten Strafe, hat aber auch andere Auswirkungen der Strafgesetze in Bezug auf Entfall, Einschränkung oder Erweiterung der Strafbarkeit zu berücksichtigen ( Höpfel in WK 2 StGB § 61 Rz 13).

Vorliegend beantragte die Staatsanwaltschaft, eine Eventualfrage nach dem Tatbestand der Verhetzung nach § 283 Abs 2 StGB idF BGBl I 2011/103 zu stellen (ON 20 S 32). Die an die Geschworenen gerichtete Eventualfrage war allerdings auf Begehungsweisen des § 283 Abs 1 idF BGBl I 2011/103 gerichtet (vgl zur Natur des § 283 StGB [aF] als kumulatives Mischdelikt mit rechtlich nicht austauschbaren Tatbeständen nach Abs 1 und 2 Plöchl in WK 2 StGB § 283 Rz 1). Die Rechtsbelehrung wiederum enthält– neben einer Erläuterung der (nicht abgefragten) Begehungsweisen des § 283 Abs 2 StGB idF BGBl I 2011/103 – eine Darlegung der gesetzlichen Merkmale des § 283 Abs 1 Z 2 StGB idF BGBl I 2015/154, wobei hinsichtlich des subjektiven Tatbestands überdies irreführend bedingter Vorsatz als ausreichend bezeichnet wurde; zudem findet sich eine (nicht näher erläuterte) Wiedergabe des Tatbestands des § 115 StGB.

Im Tatzeitpunkt pönalisierte § 283 Abs 1 StGB idF BGBl I 2011/103 das öffentliche Auffordern oder Aufreizen zu Gewalt gegen eine Kirche oder Religionsgesellschaft, andere im Tatbestand näher definierte Gruppen oder gegen ein Mitglied einer solchen Gruppe ausdrücklich wegen dessen Zugehörigkeit zu dieser Gruppe. Nach Abs 2 war ebenso zu bestrafen, wer gegen eine in Abs 1 bezeichnete Gruppe (nicht aber deren einzelne Mitglieder [ Plöchl in WK 2 § 283 Rz 18]) hetzte oder sie in einer die Menschenwürde verletzenden Weise beschimpfte und dadurch verächtlich zu machen suchte.

§ 283 StGB in der im Urteilszeitpunkt geltenden Fassung (BGBl I 2015/154) enthält in Abs 1 Z 1 und 2 nunmehr drei Tatbestandsvarianten, nämlich Auffordern zu Gewalt sowie (dem „Hetzen“ nach § 283 Abs 2 aF entsprechendes [vgl EBRV 689 BlgNR 25. GP 41], allerdings auch bloß in Bezug auf einzelne Gruppenmitglieder mögliches) Aufstacheln zu Hass (Z 1), und das Beschimpfen einer der in Z 1 bezeichneten Gruppen in einer Weise, die geeignet ist, diese Gruppe in der öffentlichen Meinung verächtlich zu machen (Z 2).

Abhängig von der Begehungsweise ist weiters zu beachten, dass die mehreren in Betracht kommenden Fassungen des § 283 StGB die Tatbestandsverwirklichung an unterschiedlich strenge Voraussetzungen knüpfen: § 283 Abs 1 (außer im Fall der Gefährdung der öffentlichen Ordnung) und 2 StGB idF BGBl I 2011/103 verlangten objektiv die Wahrnehmbarkeit für eine breite Öffentlichkeit (vgl Plöchl in WK 2 StGB § 283 Rz 13 [etwa 150 Personen]), § 283 Abs 1 Z 1 und 2 StGB idF BGBl I 2015/154 erfordern hingegen bloß öffentliche Begehung (vgl Jerabek in WK 2 StGB § 69 Rz 1 f [etwa 10 Personen]) auf eine Weise, dass es vielen Menschen zugänglich wird (vgl Murschetz in WK 2 StGB § 169 Rz 13 [etwa 30 Personen]). § 283 Abs 1 Z 2 StGB idF BGBl I 2015/154 setzt allerdings subjektiv die Vorsatzform der Absicht, die Menschenwürde anderer zu verletzen, voraus (zur Intention des Gesetzgebers, solcherart ein „Korrektiv“ für die Ausweitung des objektiven Tatbestands zu schaffen vgl erneut EBRV 689 BlgNR 25. GP , 41).

Davon ausgehend ist Voraussetzung für die Beurteilung vor dem 1. Jänner 2016 gesetzten Täterverhaltens als Vergehen der Verhetzung nach § 283 StGB in allen Begehungsvarianten Wahrnehmbarkeit der Handlung für eine breite Öffentlichkeit, weil bei deren Fehlen Nichterfüllung des insoweit günstigeren Tatzeitrechts zum Freispruch führt. Gleiches gilt für Hetzen (§ 283 Abs 2 StGB aF) oder Aufstacheln zu Hass (§ 283 Abs 1 Z 1 idgF), welches sich bloß auf einzelne Mitglieder der geschützten Gruppen bezieht. In der Variante des Beschimpfens ist ohne Absicht (die Menschenwürde anderer zu verletzen) § 283 Abs 1 Z 2 StGB idgF nicht erfüllt, demnach dieses Strafgesetz in seiner Gesamtauswirkung günstiger.

Bei Vorliegen sämtlicher Merkmale der Tatbestände nach Tatzeit- und Urteilszeitrecht, wäre die Tat ersterem zu subsumieren, weil die Zugänglichkeit für eine breite Öffentlichkeit nunmehr einen höher strafbedrohten Qualifikationstatbestand erfüllt (§ 283 Abs 2 StGB idgF).

Der Günstigkeitsvergleich ist auf Grundlage des konkreten – von den Geschworenen im Wahrspruch festgestellten – Urteilssachverhalts vorzunehmen (RIS-Justiz RS0112939 [insbesondere T4]; vgl auch RS0120637). Die Frage ist daher so zu stellen, dass die Geschworenen durch ihre Antwort die Sachverhaltsgrundlage zur Beurteilung sämtlicher Tatbestandsmerkmale – soweit nach dem Vorgesagten erforderlich, von altem und neuem Recht – klären. Demnach wäre hier eine Eventualfrage nach Verhetzung grundsätzlich an den Tatbestandsmerkmalen des Tatzeitrechts auszurichten. Ist die Begehungsweise des Beschimpfens indiziert, wäre in Richtung § 283 Abs 2 StGB idF BGBl I 2011/103 zu fragen und zu belehren, wobei allerdings zusätzlich das Tatbestandsmerkmal der Absicht, die Menschenwürde zu verletzen (aus § 283 Abs 1 Z 2 StGB idgF), in diese (eine) Frage aufzunehmen und auch darüber zu instruieren wäre. Wird diese Frage (zur Gänze) bejaht, hat der Schwurgerichtshof die rechtsrichtige Subsumtion nach dem (günstigeren) Tatzeitrecht vorzunehmen (vgl Ratz , WK‑StPO § 345 Rz 51 f; RIS-Justiz RS0121837 [zur Aufnahme von Elementen ausländischen Rechts zur Beurteilung beiderseitiger Strafbarkeit nach § 65 Abs 1 StGB]).

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