OGH 5Ob221/16k

OGH5Ob221/16k19.12.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden sowie den Hofrat Dr. Höllwerth, die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin N*****, vertreten durch MMag. Dr. Susanne Binder‑Novak, Rechtsanwältin in St. Pölten, gegen die Antragsgegner 1. G***** S*****, und 2. M***** S*****, beide vertreten vertreten durch Dr. Stefan Gloß und andere Rechtsanwälte in St. Pölten, wegen Einräumung eines Notwegs, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom 4. August 2016, GZ 7 R 87/16y‑80, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Lilienfeld vom 9. Mai 2016, GZ 4 Nc 14/13b‑76, in der Hauptsache bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0050OB00221.16K.1219.000

 

Spruch:

Der Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Die Antragstellerin ist schuldig, den Antragsgegnern binnen 14 Tagen die mit 917,02 EUR (darin enthalten 152,84 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsrekursbeantwortung zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Der Revisionsrekurs ist entgegen dem nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG iVm § 9 Abs 3 NotwegeG [NWG]) Ausspruch des Rekursgerichts nicht zulässig.

2. Nach § 2 Abs 1 zweiter Fall NWG ist das Begehren um Einräumung eines Notwegs unzulässig, wenn der Mangel der Wegeverbindung auf eine auffallende Sorglosigkeit des Grundeigentümers zurückzuführen ist. Dieser Begriff entspricht der groben Fahrlässigkeit im Sinne des § 1324 ABGB (RIS‑Justiz RS0071130). Die Frage, ob der Mangel auf eine auffallende Sorglosigkeit zurückgeht, ist stets nach den Umständen des Einzelfalls zu beurteilen (RIS‑Justiz RS0071136 [T2]). Sie begründet nur dann eine erhebliche Rechtsfrage, wenn den Vorinstanzen eine gravierende Fehlbeurteilung unterlaufen ist. Derartiges liegt hier nicht vor.

3. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen kaufte die Antragstellerin 1963 eine Liegenschaft samt der 1932 errichteten Schutzhütte mit allen Rechten und Verbindlichkeiten. Die Verkäufer bestätigten im Kaufvertrag, dass Fahrrechte auf Zufahrtswegen und Straßen ersessen worden seien. Die Antragstellerin überprüfte das Bestehen von ersessenen Wegeservituten nicht und unternahm auch nichts in Richtung Verbücherung. Sie schloss mit dem Rechtsvorgänger der Antragsgegner 1966 einen Wegevertrag ab, der (nach dem Wortlaut nur) dem jeweiligen Bewirtschafter der in der Folge verpachteten Hütte ein jederzeit kündbares Recht einräumte, den Privatweg durch motorisierte und nicht motorisierte Fahrzeuge landesüblicher Spurweite zu befahren. Ab 1999 wurde die Schutzhütte jahrelang umfangreich ausgebaut und renoviert. Seit dem Umbau wird der (auch) über die Grundstücke der Antragsgegner (und durch den Hof ihres landwirtschaftlichen Betriebs) führende Weg aufgrund der vermehrt erforderlichen Service‑ und Wartungsarbeiten wesentlich häufiger von Dritten befahren. Es werden nicht nur Wanderer und Bergsteiger bewirtet, sondern immer wieder private Familienfeiern, Bankette, Seminare, Konferenzen und (vom Pächter veranstaltete) Partys auf der Hütte abgehalten. Etliche Gäste befuhren dabei den Weg und stellten ihre Fahrzeuge auf Wiesengrundstücken der Antragsgegner ab. Im November 2012 kündigten die Antragsgegner den Wegevertrag zum 30. 11. 2013 auf. Die Antragstellerin bekämpfte die Wirksamkeit dieser Aufkündigung. Das gerichtliche Verfahren ist noch nicht rechtskräftig beendet.

4. Der Oberste Gerichtshof hat zu 5 Ob 405/84 = RIS‑Justiz RS0071123 die Unterlassung der rechtzeitigen Verbücherung eines (angeblich durch Ersitzung erworbenen) Wegerechts für sich alleine nicht schon als eine zum Ausschluss des Rechts auf Einräumung eines Notwegs führende auffallende Sorglosigkeit beurteilt.

5. Das Verhalten der Antragstellerin beschränkte sich nicht auf den Erwerb der Liegenschaft und die Unterlassung der Verbücherung – laut Zusicherung der Verkäufer – ersessener Fahrrechte. Sie schloss mit dem früheren Liegenschaftseigentümer nach dem Kauf einen Wegevertrag, der sie auf ein jederzeit kündbares, nur dem jeweiligen Bewirtschafter der Hütte zustehendes, obligatorisches und damit auf Einzelrechtsnachfolger lediglich im Fall der ausdrücklichen Überbindung übergehendes Fahrrecht beschränkte. Ein Verzicht auf die Einräumung eines Notwegs durch eine vertragliche Regelung über die Einschränkung einer Wegeservitut (hier eines ersessenen Fahrrechts) wurde in der Judikatur des Obersten Gerichtshofs als auffallende Sorglosigkeit angesehen (1 Ob 265/02f; 6 Ob 36/16m; RIS-Justiz RS0117575).

6. Die Behauptungs- und Beweislast für das Fehlen eines groben Verschuldens trifft die Antragstellerin (1 Ob 145/12y). Sie beruft sich nicht darauf, dass der Abschluss eines verbücherungsfähigen Vertrags über die Einräumung der Servitut des Fahrrechts trotz des festgestellten jahrelangen guten Einvernehmens mit den Grundeigentümern zu keinem Zeitpunkt eine realistische Möglichkeit gewesen sei oder die Voraussetzungen für die laut Kaufvertrag ersessene Servitut nicht vorgelegen seien.

7. Die Nachlässigkeit der Parteien soll durch die Bestimmungen des NWG nicht gefördert werden, lediglich der schuldlose und damit schutzwürdige Erwerber einer Liegenschaft soll geschützt werden (RIS‑Justiz RS0071074). Der Oberste Gerichtshof hat im Fall des Ausbaus eines Schutzhauses zu einem ganzjährigen Beherbergungsbetrieb, verbunden mit einer Intensivierung der Nutzung und des Wegebedarfs, eine auffallende Sorglosigkeit bereits bejaht (1 Ob 585/89; RIS‑Justiz RS0071097 [T1]).

8. Insgesamt gesehen begründete die Rechtsauffassung der Vorinstanzen, welche eine auffallende Sorglosigkeit bejahten, keine zu korrigierende Fehlbeurteilung.

9. Dieses Ergebnis steht nicht in Widerspruch zu der sowohl im Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts als auch im Revisionsrekurs der Antragsteller genannten Entscheidung 4 Ob 5/15m. Der Oberste Gerichtshof gab in dieser Entscheidung zunächst die Rechtsprechung wieder, wonach weder ein obligatorisches Wegerecht noch eine bloß prekaristisch gewährte Nutzung bei Vorliegen der sonstigen Voraussetzungen die Einräumung eines dinglichen Notwegs hindere. Anschließend wird ausgeführt, dass ein Verhalten der Antragstellerin, das faktisch zum Widerruf einer prekaristischen Nutzung geführt habe, daher nicht als eine zum Mangel einer Wegverbindung führende auffallende Sorglosigkeit qualifiziert werden könne, weil eine den Notweg ausschließende Wegverbindung auch ohne den Widerruf nicht bestanden habe.

10. Zunächst besteht der Vorwurf gegen die Antragstellerin im vorliegenden Fall nicht darin, dass sie gegen bestimmte Verpflichtungen aus der zum 30. 11. 2013 aufgekündigten Wegevereinbarung verstoßen hätte, wie etwa das unterlassene Sperren von Weidegattern. Die auffallende Sorglosigkeit wird dadurch begründet, dass sie sich zu keinem Zeitpunkt – nämlich weder bei Erwerb der Liegenschaft und anschließender Vereinbarung eines beschränkten obligatorischen Fahrrrechts noch bei Ausbau der Hütte und Intensivierung des Betriebs – um eine (dingliche) Sicherung eines ausreichenden Fahrrechts gekümmert hatte.

11. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 25 Abs 1 NWG.

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