European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0190OB00002.16G.1207.000
Spruch:
Der Berufung wird Folge gegeben.
Der angefochtene Bescheid wird dahin abgeändert, dass ***** aufgrund seines Antrags vom 24. Juni 2013 von der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer in die Liste der Oberösterreichischen Rechtsanwälte einzutragen ist.
Begründung:
1. Der Berufungswerber war ab 2. Mai 1984 in die Liste der Oberösterreichischen Rechtsanwälte eingetragen.
1.1. Mit Beschluss des Landesgerichts ***** vom ***** 2006, AZ *****, wurde auf Antrag der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer über das Vermögen des Berufungswerbers das Konkursverfahren eröffnet. 41 Gläubiger meldeten Forderungen in Höhe von insgesamt 664.295,19 EUR an.
1.2. Mit Schreiben vom 22. September 2006 verzichtete der Berufungswerber auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft.
1.3. Der vom Berufungswerber in der Tagsatzung vom ***** 2006 mit seinen Gläubigern abgeschlossene Zwangsausgleich, der die Zahlung einer 20‑%igen Quote, zahlbar innerhalb von zwei Monaten ab Annahme des Zwangsausgleichs, jedoch längstens innerhalb zweier Jahre, vorsah, wurde mit Beschluss des Landesgerichts ***** vom 28. Dezember 2006 (rechtskräftig) bestätigt.
1.4. Ein vom Berufungswerber am 28. August 2009 gestellter Antrag auf (Wieder-)Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte wurde mit Bescheid des Ausschusses der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 17. März 2010, AZ 222/09, abgewiesen. Der vom Berufungswerber dagegen erhobenen Berufung gab die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission mit Beschluss vom 5. Juli 2010, AZ Bkv 5/10 (RIS-Justiz RS0120676 [T1]), nicht Folge. Eine dagegen vom Berufungswerber eingebrachte Beschwerde wurde vom Verfassungsgerichtshof mit Erkenntnis vom 15. Juni 2011, AZ B 1297/10, VfSlg 19.406, abgewiesen.
1.5. Am 24. Juni 2013 stellte der Berufungswerber beim Ausschuss der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer neuerlich den Antrag auf Wiedereintragung in die Liste der Rechtsanwälte. Der Ausschuss (Plenum) führte dazu ein Ermittlungsverfahren durch, in welchem er den Berufungswerber am 11. Dezember 2013 einvernahm. Bei dieser Einvernahme stellte der Berufungswerber den Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens, insbesondere zum Beweis dafür, dass er krankheitsbedingt nicht in der Lage gewesen sei, vernünftig wie ein verantwortungsvoller Rechtsanwalt zu reagieren, und dass eine solche Gefahr für ihn nun mit ausreichender Wahrscheinlichkeit nicht mehr bestehe.
1.6. Mit Bescheid vom 15. Jänner 2014, AZ 381/13, wies der Ausschuss der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer die Anträge des Berufungswerbers vom 11. Dezember 2013 auf Einholung eines Sachverständigengutachtens und vom 24. Juni 2013 auf Wiedereintragung in die Liste der Oberösterreichischen Rechtsanwälte gemäß § 5 Abs 2 RAO ab.
1.7. Mit Beschluss vom 3. Dezember 2014, GZ 19 Ob 1/14g‑9, AnwBl 2015/8421, 489, hob der Oberste Gerichtshof den Bescheid des Ausschusses der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 15. Jänner 2014 zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Der Oberste Gerichtshof begründete die Aufhebung wie folgt:
Zur Klärung der Frage, ob die vom Berufungswerber in den Jahren 2000 bis 2006 gesetzten gravierenden Disziplinarvergehen diesem auch subjektiv vorwerfbar sind und auf einem Charaktermangel beruhen, erweist sich daher die Einholung des beantragten Sachverständigengutachtens als unumgänglich.
Im fortgesetzten Verfahren wird der Ausschuss der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer daher das Gutachten eines medizinischen Sachverständigen einzuholen haben, das insbesondere über folgende Fragen Auskunft geben soll:
Zunächst:
- Ob bei Vorliegen eines Burn-Out-Syndroms die Diskretions- und Dispositionsfähigkeit des Betroffenen grundsätzlich so sehr eingeschränkt bzw ausgeschlossen sein kann, dass er nicht mehr wie ein verantwortungsvoller Rechtsanwalt agieren kann, insbesondere nicht mehr in der Lage ist, für seine medizinische Betreuung zu sorgen oder seine berufliche Tätigkeit entsprechend einzuschränken oder ganz einzustellen,
- ob es heute noch möglich ist, das Vorliegen eines Burn-Out-Syndroms bei einem Betroffenen in den Jahren 2000 bis 2006 verlässlich festzustellen.
Falls die obigen Fragen bejaht werden:
- Ob der Berufungswerber in diesem Zeitraum an einem Burn-Out-Syndrom litt,
- ob dadurch seine Diskretions- und Dispositionsfähigkeit so erheblich eingeschränkt bzw ausgeschlossen war, dass er nicht mehr wie ein verantwortungsvoller Rechtsanwalt agieren konnte,
- ob der Berufungswerber noch heute an einem BurnOut-Syndrom leidet,
- mit welcher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, dass der Berufungswerber in Stress- und Frustrationssituationen, wie sie in einer Rechtsanwaltskanzlei typisch sind, neuerlich an einem Burn-Out-Syndrom erkranken kann.
Bei der vom Ausschuss der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer nach Vorliegen dieses Gutachtens vorzunehmenden Interessenabwägung wird aber nicht nur auf die Schwere der vom Berufungswerber gesetzten Verfehlungen, die Höhe des seinen ehemaligen Mandanten verursachten Schadens, seine allfälligen Beiträge zur Schadensgutmachung sowie auf den Schaden für das Ansehen der Rechtsanwaltschaft, sondern auch darauf Bedacht zu nehmen sein, ob er das Unrecht seiner Disziplinarvergehen eingesehen hat und ob auch aufgrund geänderter familiärer und anderer Lebensumstände sowie aufgrund einer reiferen Einstellung zum Rechtsanwaltsberuf erwartet werden kann, dass ein ähnliches Verhalten in Zukunft unterbleiben wird.
In diesem Zusammenhang sei klargestellt, dass es für die Beurteilung eines möglichen Risikopotentials nicht auf eine mögliche Integration des Berufungswerbers in die Struktur einer bestehenden Anwaltskanzlei ankommt, da es dem Berufungswerber als eingetragenem Rechtsanwalt jederzeit von Gesetzes wegen freisteht, diesen Beruf selbständig auszuüben. Der Oberste Gerichtshof vermag auch nicht die vom Berufungswerber geltend gemachten Bedenken zu teilen, dass es gegen das Grundrecht der Erwerbsfreiheit verstoßen soll, wenn die Rechtsanwaltsordnung nur eine uneingeschränkte Tätigkeit als Rechtsanwalt (und keine „Rechtsanwälte zweiter Kategorie“, an deren Zuverlässigkeit geringere Anforderungen zu stellen sind) vorsieht. Der Berufungswerber sei in diesem Zusammenhang darauf verwiesen, dass das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbstätigkeit nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofs nur dann durch einen Bescheid verletzt wird, wenn dieser einem Staatsbürger den Antritt oder die Ausübung einer bestimmten Erwerbstätigkeit untersagt, ohne dass ein Gesetz die Behörde zu einem solchen die Erwerbstätigkeit einschränkenden Bescheid ermächtigt, oder wenn die Rechtsvorschrift, auf die sich der Bescheid stützt, verfassungswidrig oder gesetzwidrig ist, oder wenn die Behörde bei der Erlassung des Bescheids ein verfassungsmäßiges Gesetz oder eine gesetzmäßige Verordnung in denkunmöglicher Weise angewendet hat (VfGH 15. 6. 2011, B 1297/10 mwH). Es ist aber nicht unsachlich, auch von angestellten Rechtsanwälten und Rechtsanwaltsanwärtern zu fordern, dass sie dem Kriterium der Vertrauenswürdigkeit entsprechen.
1.8. Daraufhin hat der Ausschuss der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer am 17. Juni 2015 Prim. Dr. ***** mit der Erstellung eines schriftlichen Gutachtens über die Frage des Vorliegens eines Burn-Out-Syndroms beim Berufungswerber im Zeitraum von 2000 bis 2006 beauftragt und dabei insbesondere um Auskunft zu den vom Obersten Gerichtshof im Aufhebungsbeschluss aufgeworfenen Fragen ersucht.
1.9. ***** Sachverständige hat das Gutachten am 17. Jänner 2016 erstellt. ***** gelangte zu folgendem gutachterlichen Ergebnis:
– Das so genannte „Burn-Out-Syndrom“ ist ein bis dato in die gültigen Diagnoseschemata (ICD 10 und DSM V) nicht aufgenommener Begriff. Im ICD, dem Diagnosemanual der WHO, wird unter Punkt Z73.0 ein „Erschöpfungssyndrom“ angeführt; in einem Kapitel, das sich mit den Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und sohin zur Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten führen, befasst; es handelt sich beim „Burn-Out-Syndrom“ um keine eigenständige Erkrankung, sondern um einen Prozess, der zu Erkrankungen führen kann, der aber im Wesentlichen ein Problem der Lebensführung darstellt;
– Die von ***** beschriebene Symptomatik, die er als Vorliegen eines „Burn-Out-Syndroms“ qualifiziert, ist nicht zwingend als „Erkrankung“ zu werten, sondern zum Großteil als physiologische Reaktion zu verstehen; die geäußerten Symptome sind typisch für diese Situationen, bei denen durch unrealistisch gesteigerte Anstrengung die Grenzen der naturgemäß limitierten Leistungsfähigkeit überschritten wurden; die von ***** beschriebene Symptomatik ist daher eine normalpsychologisch nachvollziehbare bzw physiologisch erwartbare vegetative Reaktionsbildung, wobei *****, der von seiner Persönlichkeitsstruktur her nicht dazu neigt, sich in übermäßiger Selbstkritik zu verlieren, bei an sich ungestörter Kognition die Entscheidung getroffen hat, seiner massiven externen Belastung durch eine massive Zunahme seiner Arbeitsintensität zu begegnen, was zu der von ihm behaupteten Symptomatik geführt hat;
– bei ***** sind im Zeitraum 2000 bis 2006 immer wieder erhöhte Belastungen mit entsprechender Reaktionsbildung vorgelegen, die aus diagnostischer Sicht einer Anpassungsstörung F43.23 entsprechen;
– das „Burn-Out-Syndrom“, beschrieben als Mechanismus der intrinsisch motivierten Selbstausbeutung, unterscheidet sich bei der von ***** vorliegenden extrinsisch motivierten Selbstüberlastung in den ursächlichen Komponenten der faktischen Überforderung;
– aus psychiatrisch-gutachterlicher Sicht finden sich keine Hinweise auf eine Symptomatik, die im fraglichen Zeitpunkt zu einer wesentlichen Einschränkung oder gar Aufhebung der Diskretions- und Dispositionsfähigkeit geführt hätte;
– aktuell finden sich bei ***** keine diagnosewertigen Symptome.
Die Anpassungsstörung ist als leichte psychische Erkrankung zu qualifizieren. Für die von ***** beschriebenen Symptome, die die Konsequenz der von ihm verursachten Überforderungssituation waren, war nicht die der Rechtsanwaltstätigkeit inhärente Stress- und Frustrationssituation maßgeblich, sondern seine Unwilligkeit, sich mit den drohenden Konsequenzen biografischer Entwicklungen und eigener Fehlentscheidungen zu arrangieren. Eine nur auf der Rechtsanwaltstätigkeit an sich beruhende pathologische Reaktionsbildung kann mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Nicht ausgeschlossen werden können weitere defizitäre biografische Entwicklungen mit problematischen Kompensationsstrategien, wie sie bei ***** bereits in der Vergangenheit aufgetreten sind. Aufgrund der bisherigen Erfahrungen und der an sich ungestörten Reflexionsfähigkeit sind diese nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen.
1.10. Am 16. März 2016 fand eine Sitzung des Plenums des Ausschusses der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer statt, welche von 14:22 Uhr bis 14:30 Uhr dauerte. Über Frage des Ausschusses erläuterte ***** Sachverständige, dass die festgestellte Anpassungsstörung des Berufungswerbers als leichte psychische Erkrankung zu qualifizieren sei. Das im Akt festgestellte Verhalten des ***** stehe in keinem ursächlichen Zusammenhang mit dem festgestellten Krankheitsbild.
Der Berufungswerber gab ergänzend an, dass er die seinerzeit bestehende Verbindlichkeit gegenüber seinem Bruder zur Gänze getilgt habe: die (im Innenverhältnis von der Ex-Frau zu tragenden) Verbindlichkeiten betreffend das Objekt *****straße ***** (Wohnung seiner Ex-Frau) würden 155.000 EUR betragen, bei einem Marktwert der Wohnung von zumindest 250.000 EUR.
2. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 30. Juni 2016 wies der Ausschuss der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer (Plenum) den Antrag des Berufungswerbers vom 24. Juni 2013 auf Wiedereintragung in die Liste der Oberösterreichischen Rechtsanwälte gemäß § 5 Abs 2 RAO als unbegründet ab.
2.1. Der Ausschuss der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer (Plenum) traf die eingangs bereits angeführten Feststellungen zum Verfahrensgang (oben Punkte 1., 1.1.–1.8.). Er stellte darüber hinaus (im Einzelnen) fest, dass im Zeitraum von 1997 bis 2003 insgesamt 20 Disziplinarverfahren gegen den Berufungswerber geführt und mit einem Schuldspruch erledigt worden waren. Diese Disziplinarverfahren betrafen in erster Linie Zahlungsverpflichtungen, auch Unterhaltsrückstände gegenüber minderjährigen Kindern, die Nichtabrechnung von Fremdgeldern gegenüber Mandanten, sowie hauptsächlich auch den Vorwurf mangelhafter Aktenbearbeitung, das Nichtabrechnen von Akten nach Vollmachtskündigung und die Nichtrücküberweisung nicht verbrauchter Kostenvorschüsse.
Mit rechtskräftigem Erkenntnis des Disziplinarrates der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 16. Juni 2003 wurde über den Berufungswerber als Zusatzstrafe die Disziplinarstrafe der Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer von sechs Monaten verhängt, wobei die Disziplinarstrafe unter Bestimmung einer Probezeit von zwei Jahren bedingt nachgesehen wurde.
Mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 7. November 2005 wurde über den Berufungswerber die Disziplinarstrafe der Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer von sechs Monaten verhängt. Gleichzeitig wurde die mit Erkenntnis des Disziplinarrates der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 16. Juni 2003 für die Disziplinarstrafe der Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft für die Dauer von sechs Monaten gewährte Strafnachsicht widerrufen. Die vom Berufungswerber erhobene Berufung wurde mit Beschluss der Obersten Berufungs- und Disziplinarkommission vom 11. September 2006 als verspätet zurückgewiesen.
Weitere 25 anhängige Disziplinarverfahren wurden im Hinblick auf den Verzicht auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft nicht mehr weitergeführt. Diese Verfahren betreffen die Nichtzahlung von Versicherungsprämien, die Nichtbeantwortung von Anfragen von Klienten und Kollegen, die Nichtweiterleitung von Gerichtsstücken, die Nichterfüllung eines rechtskräftigen Berufungsurteils mit persönlicher Zahlungspflicht, unberichtigte Kammerbeiträge, Untätigkeit und Fristversäumnisse.
Aufgrund des vom Berufungswerber während seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt verursachten Schadens musste die Oberösterreichische Rechtsanwaltskammer an ehemalige Klienten aus dem Vertrauensschadensfonds insgesamt 19.112,64 EUR auszahlen.
Der Berufungswerber hat an die 41 Gläubiger, die sich am Konkursverfahren beteiligt hatten, über die 20‑%ige Quote hinaus keine Zahlungen geleistet. [Vom Berufungswerber bestrittene Feststellung:] Der Berufungswerber hat keine Beiträge zur Schadensgutmachung an die Oberösterreichische Rechtsanwaltskammer geleistet.
Der Berufungswerber arbeitet derzeit in einem Anstellungsverhältnis als juristischer Mitarbeiter und IT‑Beauftragter in der Rechtsanwaltskanzlei *****. Er ist Sachbuchautor und Vortragender in Schulen sowie bei Seminaren; außerdem arbeitet er als Lebens- und Sozialberater. Sein Einkommen betrug im Jahr 2015 – laut seinen Angaben – 54.850,13 EUR netto. Seine persönliche Situation, insbesondere im Hinblick auf seine Kinder, hat sich verbessert.
Schließlich stellte der Ausschuss der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer (Plenum) fest, dass ***** Sachverständige im Gutachten vom 17. Jänner 2016 zu dem unter 1.9. angeführten gutachterlichen Ergebnis gekommen ist.
2.2. In seiner rechtlichen Beurteilung gelangte der Ausschuss der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer zum Ergebnis, dass der Berufungswerber weiterhin vertrauensunwürdig sei.
Er habe gegen die Pflicht verstoßen, bei der Abwicklung von Treuhandschaften und beim Umgang mit Klientengeldern besondere Sorgfalt anzuwenden und jeden Anschein einer Unredlichkeit zu vermeiden. Auch eine Konkurseröffnung stehe der Vertrauenswürdigkeit entgegen, insbesondere dann, wenn sie durch ein dem Schuldner zurechenbares Verhalten verursacht wurde.
Das langjährige (mehr als neun Jahre dauernde) Wohlverhalten seit der letzten Verfehlung alleine reiche noch nicht aus, um die Vertrauensunwürdigkeit zu beseitigen. Die Tätigkeit als juristischer Mitarbeiter unter der Weisungsgewalt und Aufsicht eines Rechtsanwalts, welcher die Verantwortung für die anvertrauten Gelder und die ordnungsgemäße Aktenführung trage und dessen Kanzleiorganisation Termine und Fristen überwache, sei keine Berufsstellung, welche die für einen Anwalt erforderliche Vertrauenswürdigkeit unter Beweis stellen könnte. Der Berufungswerber habe seine Verfehlungen bereits in reiferem Alter begangen; ihre Schwere und Wiederholung lasse auf Charaktermängel schließen.
Er habe disziplinäre Handlungen von 1997 bis 2006 gesetzt, grobe Sorglosigkeit im Umgang mit seinen Mandanten sowie in seiner eigenen wirtschaftlichen Gebarung und in der Wahrung des Standesansehens gezeigt, weshalb trotz längerem Wohlverhalten noch keine günstige Prognose gerechtfertigt sei.
Aus dem eingeholten Gutachten gehe hervor, dass die vom Berufungswerber beschriebenen Symptome nichts anderes gewesen seien als die üblichen Symptome der Folgen der eigenen Überforderung; die Diskretions- und die Dispositionsfähigkeit seien zu keinem Zeitpunkt ausgeschlossen gewesen. Der Berufungswerber habe nur an einer Anpassungsstörung gelitten, die für die ihm vorgeworfenen standesrechtlichen Verletzungen nicht kausal gewesen sei. Wenn er selbst die massiven Verletzungen von Kernpflichten des Standesrechts, die zu finanziellen Schäden von 41 Personen geführt hätten, nicht auf eigenes Fehlverhalten zurückführe, sondern auf ein „Burn-Out-Syndrom“, so zeige dies, dass er nach wie vor das Unrecht seiner Disziplinarvergehen nicht eingesehen habe.
Auch wenn nach dem Gutachten mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht davon auszugehen sei, dass es zu einer Wiederholung des zur Schädigung von Klienteninteressen führenden Verhaltens kommen werde, stehe für die Standesbehörde aufgrund der im Gutachten beschriebenen Persönlichkeitsstruktur fest, dass eine derartige Reaktion auch nicht auszuschließen sei.
Zu berücksichtigen sei auch, dass bei Bewilligung des Antrags auf Wiedereintragung eine Vielzahl von unerledigten Disziplinarverfahren fortzusetzen wäre.
Die vom Berufungswerber ins Treffen geführte Stabilisierung seiner finanziellen Verhältnisse sei nur möglich gewesen, weil die Gläubiger aufgrund des Zwangsausgleichs 80 % ihrer Forderungen nicht bekommen hätten.
3. Gegen den angefochtenen Bescheid richtet sich die rechtzeitige Berufung aus den Berufungsgründen der Mangelhaftigkeit des Verfahrens, der unrichtige Tatsachenfeststellung und der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Berufungsantrag auf Abänderung im antragsstattgebenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag gestellt.
Rechtliche Beurteilung
Der Berufung kommt im Sinne einer Abänderung des angefochtenen Bescheids Berechtigung zu.
3.1. Unter dem Berufungsgrund der Mangelhaftigkeit des Verfahrens rügt der Berufungswerber, dass sich der Ausschuss der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer (Plenum) am 16. März 2016 von 14:00 bis 14:22 Uhr unter Ausschluss des Berufungswerbers mit ***** Sachverständigen besprochen habe; daran habe sich die Anhörung des Disziplinarbeschuldigen in einer Dauer von 8 Minuten angeschlossen.
Die gerügte Mangelhaftigkeit liegt nicht vor, da nicht dargetan wird (und auch gar nicht dargetan werden kann), welche Auswirkung diese mögliche Besprechung auf die Gutachtenserörterung hatte. Aus dem Protokoll der Anhörung geht hervor, dass vom Ausschuss (wenige) Fragen gestellt wurden und dass auch der Berufungswerber die Möglichkeit hatte, Fragen zum Gutachten zu stellen. Er erklärte jedoch, keine Fragen zu haben, was auch die kurze Dauer der Verhandlung erklärt. Er hat die nun in der Berufung bemängelte Vorgangsweise bei der Anhörung nicht gerügt und sich – nach dem Protokoll – auch nicht erkundigt, was der Inhalt der möglichen „Vorbesprechung“ war.
3.2. Als unrichtig bekämpft der Berufungswerber die Feststellung, dass auf den Betrag von 19.112,64 EUR, den die Oberösterreichische Rechtsanwaltskammer aus dem Vertrauensschadensfonds an ehemalige Klienten gezahlt habe, keine Beträge zur Schadensgutmachung geleistet worden seien. Er begehrt die Ersatzfeststellung, dass für die Zahlung aus dem Vertrauensschadensfonds (19.112,64 EUR), die erst nach der Zwangsausgleichstagsatzung geltend gemacht worden sei, die 20‑%ige Quote (3.822,53 EUR) bezahlt worden sei.
Trotz der ungenauen Formulierung ist dem Kontext zu entnehmen, dass der Ausschuss der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer von der Zahlung der Quote auf alle angemeldeten Forderungen ausgeht; gemeint ist im gegebenen Zusammenhang, dass der Berufungswerber über die Quote hinaus keine Zahlungen zur „Schadensgutmachung“ geleistet hat.
3.3. Die Rechtsrüge des Berufungswerbers ist berechtigt.
(a) Bei jedem Antrag auf Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte hat die Standesbehörde gemäß § 5 Abs 2 RAO auch die Vertrauenswürdigkeit des Eintragungswerbers zu prüfen. Das Eintragungshindernis des § 5 Abs 2 RAO beruht nicht auf der Anwendung strafgesetzlicher Bestimmungen, sondern darauf, dass der Eintragungswerber – wann immer (OBDK Bkv 2/77, AnwBl 1978/972, 515; RIS‑Justiz RS0071684) – Handlungen begangen hat, die ihn vertrauensunwürdig machen.
Für die Erlangung der Berufsbefugnis als Rechtsanwalt genügt es nicht, nur die Voraussetzungen für einen sachkundigen Rechtsberater zu erfüllen; der Eintragungswerber muss auch Gewähr dafür bieten, ein charakterlich integrer Rechtsfreund zu sein, dem die rechtsuchende Bevölkerung vertrauen darf (OBDK Bkv 1/91, AnwBl 1992/4269, 739 [Strigl]). Es kommt darauf an, ob das gesamte berufliche und charakterliche Verhalten geeignet ist, Vertrauen in die korrekte Berufsausübung – auch zum Schutz der rechtsuchenden Bevölkerung – zu erwecken (OBDK Bkv 4/00, AnwBl 2001/7755, 346 [Strigl]).
Nach der Rechtsprechung ist dabei ein strenger Maßstab anzulegen. Es ist unmaßgeblich, in welchen Bereichen die Ursachen für den Verlust der Vertrauenswürdigkeit liegen, weil es nur darauf ankommt, ob das erforderliche Maß an Vertrauenswürdigkeit dem Rechtsanwalt überhaupt zukommt (VfGH B 1009/06, VfSlg 17.999). Der Rechtsanwaltsstand verlangt, dass sich Standesangehörige eines einwandfreien, absolut verlässlichen Verhaltens befleißigen und insbesondere in Geldangelegenheiten Sauberkeit walten lassen (OBDK Bkv 2/77, AnwBl 1978/972, 515).
(b) Grundsätzlich ist richtig, dass selbst bei längerem Wohlverhalten die Fortdauer der Vertrauensunwürdigkeit dann anzunehmen ist, wenn sie auf Verfehlungen beruht, die im reiferen Alter begangen wurden und deren Schwere und Wiederholung auf das Fehlen eines integren Charakters schließen lassen.
(c) Nach dem im Gefolge des Beschlusses des Obersten Gerichtshofs vom 3. Dezember 2014, AZ 19 Ob 1/14g, eingeholten Gutachten, dessen wesentlicher Inhalt im angefochtenen Bescheid wiedergegeben ist (siehe oben 1.9.), ist dem Berufungswerber als Reaktion auf entscheidende einschneidende Lebensveränderungen und eine hohe Belastung im privaten Bereich (gerichtliche Auseinandersetzungen mit der geschiedenen Frau; „Kampf um die Kinder“ und Eifersucht der neuen Ehefrau auf eben diese Kinder) eine „Anpassungsstörung“ zu attestieren. Entgegen den Ausführungen des Berufungswerbers im ersten Rechtsgang lag bei ihm zu keinem Zeitpunkt eine schwere psychische Erkrankung vor.
Trotz der an sich nicht eingeschränkten Diskretions- und Dispositionsfähigkeit war er offensichtlich nicht mehr in der Lage, die für einen Rechtsanwalt unbedingt erforderliche Unterscheidung zwischen fristgebundenen Arbeiten, der Erledigung von Causen, durch deren Honorierung er seine eigenen Verbindlichkeiten erfüllen kann, und allen übrigen Rechtssachen treffen, was zu der von ihm selbst geschilderten „Abwärtsspirale“ führte.
Im Gutachten wird zusammenfassend ausgeführt, dass zwar weitere defizitäre biografische Entwicklungen mit problematischen Kompensationsstrategien, wie sie beim Berufungswerber bereits in der Vergangenheit aufgetreten sind, nicht ausgeschlossen werden können, dass jedoch aufgrund der bisherigen Erfahrungen und der an sich ungestörten Reflexionsfähigkeit diese nicht mit hoher Wahrscheinlichkeit anzunehmen sind. Davon geht auch der angefochtene Bescheid aus; dieser verneint dessen ungeachtet aber die erforderliche Vertrauenswürdigkeit. Damit werden aber wesentliche Aspekte außer Acht gelassen:
(d) In der Zwischenzeit ist beim Berufungswerber eine berufliche, wirtschaftliche und soziale Konsolidierung eingetreten, wenn auch in Bezug auf die finanziellen Verhältnisse mithilfe der gesetzlich eingeräumten Möglichkeit eines Zwangsausgleichs. Dieser Zwangsausgleich wurde fristgerecht erfüllt. Das Einkommen aus der Anstellung als juristischer Mitarbeiter sowie aus freiberuflicher Tätigkeit als Vortragender und Buchautor ermöglichte es dem Berufungswerber, seinen Zahlungsverpflichtungen pünktlich nachzukommen, sodass nunmehr die wirtschaftlichen Verhältnisse als geordnet anzusehen sind.
(e) Der angefochtene Beschluss stützt sich zentral darauf, dass der Berufungswerber seine Verfehlungen erst in reiferem Alter und über einen Zeitraum von rund neun Jahren hindurch gesetzt hat, weshalb ein Wohlverhalten über die neun Jahre seit seiner Emeritierung noch keine günstige Prognose rechtfertige (auch nicht im Zusammenhang mit der aus dem Gutachten hervorgehenden günstigen Prognose). Als juristischer Mitarbeiter stehe er nämlich unter der Weisungsgewalt und Aufsicht eines Rechtsanwalts und habe daher seine Vertrauenswürdigkeit nicht unter Beweis stellen können.
Dem steht entgegen, dass die Zeit, in der der Berufungswerber massiv berufliche Verfehlungen begangen hat, mit der Zeit seiner persönlichen Krisen und seiner problematischen Kompensationsstrategien dazu zusammenfällt. Eine Wiederholung ähnlicher Vorkommnisse ist nach dem Gutachten – aufgrund der bisherigen Erfahrungen und der an sich ungestörten Reflexionsfähigkeit des Berufungswerbers – für die Zukunft nicht wahrscheinlich. Dass sich künftige Verfehlungen gänzlich ausschließen lassen, wie es der Ausschuss der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer fordert, würde grundsätzlich für jeden Eintragungswerber gelten – wobei aber durchaus zuzugestehen ist, dass bei einem Wiedereintragungsantrag das frühere Verhalten des Eintragungswerbers nicht ausgeblendet werden darf.
Da der Berufungswerber seit seiner Emeritierung den Beruf eines Rechtsanwaltes nicht mehr ausüben durfte, kann ihm auch nicht vorgeworfen werden, dass er seine Vertrauenswürdigkeit nicht in der verantwortlichen Tätigkeit als Rechtsanwalt beweisen konnte, sondern nur Schlüsse aus seiner untergeordneten Tätigkeit als juristischer Mitarbeiter gezogen werden können.
Dem Berufungswerber ist vielmehr zugute zu halten, dass er es zwischen seinem 50. und 60. Lebensjahr auf sich genommen hat, dauerhaft in der untergeordneten Position tätig zu sein, um eine dem Rechtsanwaltsberuf möglichst ähnliche Tätigkeit auszuüben. Seine besondere Qualifikation für diese Tätigkeit ergibt sich aus dem langjährigen aufrechten Dienstverhältnis mit seinem Arbeitgeber, sowie seiner zusätzlichen Tätigkeit als Autor von Fachbüchern und als Referent in Fachseminaren, was überdurchschnittlichen Fleiß und Interesse für sein Fachgebiet beweist.
(f) Auch nach dem persönlichen Eindruck, den der Berufungswerber anlässlich der Berufungsverhandlung hinterließ, verfügt er über das erforderliche Fachwissen, Auftreten und Engagement für die Ausübung des Berufs eines Rechtsanwalts. Er konnte glaubwürdig vermitteln, dass er mittlerweile über die im seinerzeitigen Aufhebungsbeschluss angesprochene „reifere Einstellung“ zum Rechtsanwaltsberuf verfügt. Die Befürchtung, dass er im Falle der Wiedereintragung in die Liste der Rechtsanwälte diese leichtfertig aufs Spiel setzen würde, indem er eigene Verbindlichkeiten (Versicherungsprämien) nicht erfüllt, auf Briefe von Kollegen nicht antwortet, Unterlagen an neue Vertreter nicht herausgibt, oder gar für Klienten bei ihm eingegangene Gelder nicht weiterleitet oder Fristen versäumt, erscheint nicht stets gerechtfertigt.
(g) Der Umstand, dass gegen den Berufungswerber Disziplinarverfahren wiederaufleben, kann nicht (über die Prüfung der Vertrauenswürdigkeit) zu seinen Lasten gehen, wäre doch ansonsten im Fall der Anhängigkeit von Disziplinarverfahren zum Zeitpunkt einer Emeritierung eine Wiedereintragung ausgeschlossen.
Im Gegenteil hat der Berufungswerber, welcher am 27. Februar 2017 das 61. Lebensjahr vollendet, durch eine Wiedereintragung seine Verantwortung für früheres Fehlverhalten zu tragen. Wie aus den oben wiedergegebenen Feststellungen hervorgeht, wurde gegen den Berufungswerber rechtskräftig die Disziplinarstrafe der befristeten Untersagung der Ausübung der Rechtsanwaltschaft verhängt. Infolge seiner Emeritierung und der Abweisung seiner Anträge auf Wiedereintragung konnte er diese Disziplinarstrafe noch gar nicht verbüßen, was erst durch eine Wiedereintragung möglich wird.
(h) Der hier zum Tragen kommende Rechtsstandpunkt kann folgendermaßen zusammengefasst werden:
Das Fehlverhalten des Berufungswerbers war nicht auf das Fehlen eines integren Charakters oder eine generell fehlende Eignung für die beruflichen Erfordernisse zurückzuführen, sondern auf eine spezifische private Lebenssituation, auf welche er falsch reagiert hat. Die Wiederholung einer gleichartigen biografischen Situation, der der Berufungswerber zwischen den Jahren 2000 und 2006 mit „problematischen Kompensationsstrategien“ begegnet ist, und die Gefahr, dass er auf „neuerliche defizitäre biografische Entwicklungen“ wieder falsch reagieren würde, ist nach dem eingeholten Gutachten nicht wahrscheinlich. Die Wiedereintragung des Berufungswerbers in die Liste der Oberösterreichischen Rechtsanwälte stellt nach Ansicht des Senats kein höheres Risiko dar als die Eintragung eines Eintragungsbewerbers, dessen Kompensationsstrategien angesichts entscheidender, einschneidender Lebensveränderungen noch nicht erprobt wurden.
Es besteht daher kein Grund, dem Berufungswerber, welcher für die Ausübung des Berufs eines Rechtsanwalts fachlich besonders qualifiziert erscheint, sich in geordneten wirtschaftlichen Verhältnissen befindet und schon aufgrund der noch gegen ihn durchzuführenden Disziplinarverfahren unter ständiger Aufsicht seiner Standesbehörde stehen wird, die Wiedereintragung zu versagen.
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