VfGH B1297/10

VfGHB1297/1015.6.2011

Keine Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte durch Versagung der Wiedereintragung in die Liste der Rechtsanwälte wegen Vertrauensunwürdigkeit; keine der RAO widersprechende Zusammensetzung der erstinstanzlichen Behörde bei Beschlussfassung

Normen

B-VG Art83 Abs2
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
RAO §5 Abs2, §26 Abs4, §28 Abs1
B-VG Art83 Abs2
StGG Art6 Abs1 / Erwerbsausübung
RAO §5 Abs2, §26 Abs4, §28 Abs1

 

Spruch:

Der Beschwerdeführer ist durch den angefochtenen Bescheid weder in einem verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht noch wegen Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt worden.

Die Beschwerde wird abgewiesen.

Begründung

Entscheidungsgründe:

I. Sachverhalt, Beschwerdevorbringen und Vorverfahren

1. Der Beschwerdeführer war ab 7. März 1980 in der vom Präsidenten des Oberlandesgerichtes Linz geführte Verteidigerliste, ab 2. Mai 1984 in der Liste der Oberösterreichischen Rechtsanwälte eingetragen und übte die Rechtsanwaltschaft in Linz, ab 20. August 2001 auch mit einer Filiale in Wien aus. Über Antrag der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer (im Folgenden: OÖRAK) vom 28. Juni 2006 wurde mit Beschluss des Landesgerichtes Linz vom 21. September 2006 über das Vermögen des Beschwerdeführers der Konkurs eröffnet. Mit Schreiben vom 22. September 2006 verzichtete der Beschwerdeführer auf die weitere Ausübung der Rechtsanwaltschaft. Im Konkursverfahren meldeten 41 Gläubiger Forderungen in Höhe von insgesamt € 664.295,19 an. Der am 22. Dezember 2006 angenommene Zwangsausgleich wurde mit einer Quote von 20 % mit Beschluss des Landesgerichtes Linz vom 19. Jänner 2007 bestätigt. Wegen nicht ordnungsgemäßer Abrechnung von Klientengeldern bezahlte die OÖRAK an ehemalige Klienten des Beschwerdeführers insgesamt € 19.112,64 aus dem Vertrauensschadensfonds.

2. Der Beschwerdeführer arbeitet in einer Anwaltssozietät als juristischer Angestellter und IT-Beauftragter sowie freiberuflich als Fachbuchautor und Vortragender und verdient etwa € 42.000,-- pro Jahr. Er hat Verbindlichkeiten in Höhe von € 240.000,--, auf die er monatlich € 1.700,-- zurückzahlt. Er ist verheiratet und hat drei Kinder, wobei nur für ein Kind Unterhaltspflichten bestehen.

3. Mit Schreiben vom 26. August 2009 beantragte der Beschwerdeführer bei der OÖRAK die Wiedereintragung in die Liste der Rechtsanwälte ab 1. Oktober 2009. Nach Durchführung von Erhebungen, insbesondere der Einvernahme des Beschwerdeführers am 9. Dezember 2009, wies der Ausschuss der OÖRAK den Antrag mit Bescheid vom 17. März 2010 unter Hinweis auf rechtskräftige disziplinarrechtliche Verurteilungen des Beschwerdeführers und insgesamt 14 zum Zeitpunkt des Verzichts des Beschwerdeführers auf die Ausübung der Rechtsanwaltschaft anhängige Disziplinarverfahren, die gemäß §33 Abs2 RAO abgebrochen worden waren, mangels Vertrauenswürdigkeit iSd §5 Abs2 RAO ab.

4. Dagegen erhob der Beschwerdeführer Berufung, der die Oberste Berufungs- und Disziplinarkommission (im Folgenden: OBDK) mit als Bescheid zu wertendem Beschluss vom 5. Juli 2010 nicht Folge gab.

Dem Berufungsvorbringen, die Behörde sei nicht ordnungsgemäß zusammengesetzt gewesen, weil nicht alle Mitglieder des Ausschusses bei der Einvernahme des Beschwerdeführers anwesend gewesen seien, hielt die OBDK §26 Abs4 RAO idF des Berufsrechtsänderungsgesetzes 2010 (BRÄG 2010), BGBl. I 141/2009, entgegen, der zufolge in dieser Angelegenheit der Ausschuss mit einfacher Mehrheit zu entscheiden habe, wobei dem Vorsitzenden nur bei Stimmengleichheit ein Stimmrecht zukomme, und zur Beschlussfassung jeweils die Anwesenheit von mindestens der Hälfte ihrer Mitglieder erforderlich sei. Diese seit 1. Jänner 2010 in Kraft stehende Bestimmung sei auf die in der Ausschusssitzung vom 17. März 2010 gefällte angefochtene Entscheidung anzuwenden. In dieser Sitzung seien 12 Ausschussmitglieder anwesend gewesen, sodass das gesetzliche Quorum erfüllt sei. Laut Protokoll über die Sitzung vom 9. Dezember 2009 hätten acht der Anwesenden auch an der Anhörung des Disziplinarbeschuldigten teilgenommen. Da damit die nach dem Gesetz erforderliche Anzahl von an der Entscheidung beteiligten Gremiumsmitgliedern auch an der Befragung teilgenommen habe, könne keine Rede davon sein, dass die Anhörung durch "quasi ersuchte Mitglieder" erfolgt sei. Da dem Gesetz nicht entnommen werden könne, dass die ebenfalls vorgesehenen notwendigen Erhebungen nicht auch durch einen die Vernehmung ergänzenden Fragebogen erfolgen könnten, sei das Verfahren vor der Behörde erster Instanz als mängelfrei zu beurteilen.

Die OBDK erachtete auch die rechtliche Würdigung des erstinstanzlichen Bescheides für zutreffend und nahm als erwiesen an, dass für die Zukunft keine für den Beschwerdeführer günstige Prognose getroffen werden könne, weshalb sich bei Wahrnehmung der gegenüber dem Anwaltsstand und der rechtsuchenden Bevölkerung bestehenden Verantwortung eine Wiedereintragung verbiete.

5. Dagegen richtet sich die auf Art144 B-VG gestützte Beschwerde, in der die Verletzung in den verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter und auf freie Erwerbsausübung behauptet wird.

6. Die OBDK legte die Verwaltungsakten vor, erstattete eine Gegenschrift und beantragte die Abweisung der Beschwerde.

II. Rechtsquellen

Die maßgeblichen Bestimmungen der Rechtsanwaltsordnung, RGBl. Nr. 96/1868 idF BGBl. I 141/2009 (im Folgenden: RAO), lauten:

"§5. (1) und (1a) …

(2) Die Eintragung in die Liste ist zu verweigern, wenn der Bewerber eine Handlung begangen hat, die ihn des Vertrauens unwürdig macht. Der Ausschuß hat die notwendigen Erhebungen zu pflegen und, wenn die Eintragung verweigert werden soll, den Bewerber vorher einzuvernehmen.

(3) - (6) …

§26. (1) Der Ausschuß besteht in Rechtsanwaltskammern, in deren Liste der Rechtsanwälte am 31. Dezember des der Wahl des Ausschusses vorangegangenen Kalenderjahrs nicht mehr als 100 Rechtsanwälte eingetragen sind, aus 5 Mitgliedern, mit 101 bis 250 Rechtsanwälten aus 10 Mitgliedern, mit 201 bis 1 000 Rechtsanwälten aus 15 Mitgliedern und mit mehr als 1 000 Rechtsanwälten aus 30 Mitgliedern. Der Präsident und die Präsidenten-Stellvertreter sind Mitglieder des Ausschusses.

(1a) - (2) …

(3) Im Ausschuss und in den Abteilungen führen der Präsident, ein Präsidenten-Stellvertreter oder das an Lebensjahren älteste Mitglied den Vorsitz; sind diese verhindert, kann die Vorsitzführung auch an ein vom Ausschuss gewähltes Mitglied des Ausschusses übertragen werden.

(4) Der Ausschuss und die Abteilungen entscheiden mit einfacher Mehrheit. Der Vorsitzende hat nur bei Stimmengleichheit ein Stimmrecht. Zur Beschlussfassung des Ausschusses und der Abteilungen ist jeweils die Anwesenheit von mindestens der Hälfte ihrer Mitglieder erforderlich. Für alle Entscheidungen im Zusammenhang mit den dem Ausschuss nach §28 Abs1 lita zukommenden Aufgaben mit Ausnahme der Entscheidung über die Eintragung in die Liste der Rechtsanwälte oder deren Verweigerung sowie die Verweigerung der Eintragung oder die Streichung einer Gesellschaft, zur Ausstellung von Beglaubigungsurkunden für Kanzleibeamte (§28 Abs1 litb), zur Einbringung der Jahresbeiträge (§28 Abs1 litd), sowie, wenn eine sofortige Beschlussfassung erforderlich ist, zur Bestellung von Rechtsanwälten nach §28 Abs1 lith und nach den §§45 oder 45a ist das vom Ausschuss oder der Abteilung dazu bestimmte Mitglied namens des Ausschusses oder der Abteilung berufen. Wird nach der Geschäftsordnung der Kammer bei der Bestellung von Rechtsanwälten nach den §§45 oder 45a das in alphabetischer Reihenfolge nächste Kammermitglied aus dem Kreis der Rechtsanwälte herangezogen, so kann der betreffende Beschluss ohne gesonderte Beschlussfassung von der Kammerkanzlei im Namen des Ausschusses oder der Abteilung ausgefertigt werden.

(5) - (6) …

§28. (1) Zu dem Wirkungskreise des Ausschusses gehören:

a) die Führung der Rechtsanwaltsliste (§§1 und 5 ff), insbesondere die Entscheidung über die Eintragung in dieselbe, sowie über die Resignation eines Mitgliedes, die Ausstellung der Ausweiskarte für die elektronische Anwaltssignatur (amtliche Lichtbildausweise), die Überwachung der Rückstellungspflichten in Ansehung der Ausweiskarte und die Führung der Liste der Rechtsanwalts-Gesellschaften, insbesondere die Entscheidung über die Verweigerung der Eintragung oder die Streichung einer Gesellschaft;

b) - n) …

(2) - (3) …"

III. Erwägungen

Der Verfassungsgerichtshof hat über die - zulässige - Beschwerde erwogen:

1. Der Beschwerdeführer stützt die Beschwerde auch auf die Verletzung in Rechten wegen Anwendung eines verfassungswidrigen Gesetzes, erstattet aber kein Vorbringen, welche Gesetzesbestimmung er für verfassungswidrig hält bzw. wogegen er Bedenken hegt. Da beim Verfassungsgerichtshof aus Anlass dieses Beschwerdeverfahrens keine Bedenken gegen die dem Bescheid zugrunde liegenden gesetzlichen Bestimmungen entstanden sind, ist auszusprechen, dass der Beschwerdeführer nicht durch die Anwendung einer rechtswidrigen generellen Norm in seinen Rechten verletzt wurde.

2. Zur behaupteten Verletzung des Rechts auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter:

2.1. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf ein Verfahren vor dem gesetzlichen Richter wird insbesondere dann verletzt, wenn eine an sich zuständige, aber nicht dem Gesetz entsprechend zusammengesetzte Kollegialbehörde entschieden hat (zB VfSlg. 8731/1980, 10.022/1984, 11.350/1987, 13.526/1983).

Da der administrative Instanzenzug als Einheit aufzufassen ist, wird das Recht auf den gesetzlichen Richter auch dann verletzt, wenn in unterer Instanz eine unrichtig zusammengesetzte Kollegialbehörde eingeschritten ist und dies von der belangten Behörde nicht wahrgenommen wurde (vgl. zB VfSlg. 11.677/1988).

2.2. Der Beschwerdeführer behauptet, der Ausschuss der OÖRAK habe seine Zusammensetzung ohne jede Begründung verändert. Nicht alle Mitglieder, die den Beschluss über den in erster Instanz ergangenen Bescheid gefasst hätten, hätten auch an seiner mündlichen Einvernahme teilgenommen. Da ihm das Gesetz ein Recht auf eine mündliche Anhörung einräume, sei überdies die Verlagerung der wesentlichen Erhebungen in eine schriftliche Erhebung mit Fragebogen verfassungswidrig. Dem hält die belangte Behörde entgegen, die Behörde erster Instanz habe ihren Bescheid in der vom Gesetz vorgeschriebenen Weise erlassen. Die Anhörung des Beschwerdeführers im Dezember 2009 sei vor einer Mehrheit der Ausschussmitglieder erfolgt. Dem Gesetz könne nicht entnommen werden, dass jene Ausschussmitglieder, die später den angefochtenen Bescheid erlassen hätten, auch sämtliche der Anhörung beiwohnen müssten. Ebenso wenig könne dem Gesetz entnommen werden, dass die Anhörung des Beschwerdeführers nur mündlich erfolgen dürfe, die Miteinbeziehung schriftlicher Fragebeantwortungen in die Erhebungen verletze den Beschwerdeführer daher in keinem verfassungsgesetzlich geschützten Recht.

2.3. Die von der belangten Behörde vertretene Auffassung ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden: §26 Abs4 RAO in der im vorliegenden Fall anzuwendenden Fassung BGBl. I 141/2009 sieht vor, dass der gemäß §28 Abs1 lita RAO zur Führung der Liste der Rechtsanwälte, insbesondere zur Entscheidung über die Verweigerung der Eintragung zuständige Ausschuss mit einfacher Mehrheit entscheidet, wobei dem Vorsitzenden nur bei Stimmengleichheit ein Stimmrecht zukommt. Zur Beschlussfassung des Ausschusses ist jeweils die Anwesenheit von mindestens der Hälfte seiner Mitglieder erforderlich. Die vorgelegten Verwaltungsakten belegen, dass die Beschlussfassung am 17. März 2010 unter dem Vorsitz des Präsidenten in Anwesenheit der beiden Vizepräsidenten und neun weiterer Ausschussmitglieder einstimmig erfolgte. Der Beschluss wurde daher in einer §26 Abs4 RAO entsprechenden Weise gefasst.

Gemäß §5 Abs2 RAO ist die Eintragung in die Liste zu verweigern, wenn der Bewerber eine Handlung begangen hat, die ihn des Vertrauens unwürdig macht. Der Ausschuss hat die notwendigen Erhebungen zu pflegen und, wenn die Eintragung verweigert werden soll, den Bewerber vorher einzuvernehmen. Entgegen der Ansicht des Beschwerdeführers kann dem Gesetz nicht entnommen werden, dass die Einvernahme des Bewerbers in Anwesenheit aller Mitglieder des entscheidenden Ausschusses zu erfolgen hat. Das Gesetz lässt auch offen, in welcher Weise die notwendigen Erhebungen durch den Ausschuss zu pflegen sind. Die im vorliegenden Fall vom Ausschuss der OÖRAK gewählte Vorgehensweise, dem Beschwerdeführer anlässlich seiner Anhörung einen Fragenkatalog zu übergeben und ihm die Beantwortung binnen einer vierwöchigen Frist aufzutragen, ist aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht zu beanstanden.

3. Das verfassungsgesetzlich gewährleistete Recht auf Freiheit der Erwerbsbetätigung wird nach der ständigen Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes durch einen Bescheid dann verletzt, wenn dieser einem Staatsbürger den Antritt oder die Ausübung einer bestimmten Erwerbsbetätigung untersagt, ohne dass ein Gesetz die Behörde zu einem solchen die Erwerbstätigkeit einschränkenden Bescheid ermächtigt, oder wenn die Rechtsvorschrift, auf die sich der Bescheid stützt, verfassungswidrig oder gesetzwidrig ist, oder wenn die Behörde bei der Erlassung des Bescheides ein verfassungsmäßiges Gesetz oder eine gesetzmäßige Verordnung in denkunmöglicher Weise angewendet hat (zB VfSlg. 10.413/1985, 14.470/1997, 15.449/1999, 17.980/2006; vgl. auch VfSlg. 15.431/1999).

Es ist der belangten Behörde aus verfassungsrechtlicher Sicht nicht entgegenzutreten, dass sich eine Wiedereintragung bei Wahrnehmung der gegenüber dem Anwaltsstand und der rechtsuchenden Bevölkerung bestehenden Verantwortung verbietet.

IV. Ergebnis und damit zusammenhängende Ausführungen

1. Die behauptete Verletzung verfassungsgesetzlich gewährleisteter Rechte hat nicht stattgefunden.

2. Das Verfahren hat auch nicht ergeben, dass der Beschwerdeführer in von ihm nicht geltend gemachten verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt wurde.

3. Der Beschwerdeführer wurde daher durch den angefochtenen Bescheid nicht in verfassungsgesetzlich gewährleisteten Rechten verletzt.

Die Beschwerde war daher als unbegründet abzuweisen.

4. Ob der angefochtene Bescheid in jeder Hinsicht dem Gesetz entspricht, ist vom Verfassungsgerichtshof nicht zu prüfen, und zwar auch dann nicht, wenn sich die Beschwerde - wie im vorliegenden Fall - gegen die Entscheidung einer Kollegialbehörde nach Art133 Z4 B-VG richtet, die beim Verfassungsgerichtshof nicht bekämpft werden kann (vgl. zB VfSlg. 10.659/1985, 12.915/1991, 14.408/1996, 16.570/2002, 16.795/2003).

5. Diese Entscheidung konnte gemäß §19 Abs4 erster Satz VfGG ohne mündliche Verhandlung in nichtöffentlicher Sitzung getroffen werden.

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