OGH 6Ob148/16g

OGH6Ob148/16g29.11.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kuras als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ.‑Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der außerstreitigen Rechtssache des Beschwerdeführers Mag. E***** G***** am *****, gegen den Beschwerdegegner Bund (Republik Österreich), vertreten durch die Finanzprokuratur, 1011 Wien, Singerstraße 17–19, wegen Datenschutzverletzung (§ 85 GOG), über den Rekurs des Beschwerdeführers gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt vom 25. Mai 2016, GZ 4 Nc 4/15m‑13, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0060OB00148.16G.1129.000

 

Spruch:

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Der Beschwerdeführer ist schuldig, dem Beschwerdegegner die mit 1.241,55 EUR bestimmten Kosten des Rekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs zeigt keine erhebliche Rechtsfrage im Sinne des § 85 Abs 2 GOG iVm § 62 Abs 1 AußStrG auf.

1. Die Fällung der angefochtenen Entscheidung durch einen Senat von drei Richtern führt trotz der in § 7a Abs 3 JN angeordneten grundsätzlichen Einzelrichterzuständigkeit nicht zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Wenngleich § 58 Abs 4 AußStrG die Aufhebung der angefochtenen Entscheidung anordnet, wenn das Gericht „nicht vorschriftsmäßig besetzt“ war, ist dies auf den hier vorliegenden Fall, dass anstelle des Einzelrichters ein Senat entschieden hat, nicht anzuwenden. Die diesbezügliche Regelung des § 477 Abs 3 ZPO ist – ungeachtet des Fehlens eines ausdrücklichen Verweises im AußStrG – zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen analog auch im Außerstreitverfahren anzuwenden, beruht diese doch erkennbar nicht auf vom Außerstreitverfahren abweichenden spezifischen Wertungen des Streitverfahrens. Aus dieser Regelung ist verallgemeinernd der Grundsatz abzuleiten, dass eine höherwertige als die gesetzlich vorgesehene Gerichtsbesetzung keine Nichtigkeit begründet (6 Ob 17/86 = EvBl 1987/208; 6 Ob 156/16h).

2. Gegen eine gemäß § 85 GOG ergangene erstinstanzliche Entscheidung ist nach § 85 Abs 5 Satz 2 GOG ein Rechtsmittel an den Obersten Gerichtshof zulässig, sofern sie nicht ohnedies von diesem gefällt wurde und die Entscheidung von der Lösung einer Rechtsfrage abhängt, der zur Wahrung der Rechtseinheit, Rechtssicherheit oder Rechtsentwicklung erhebliche Bedeutung zukommt.

3. Der Beschwerdeführer releviert Folgendes als derartige Rechtsfrage: Sein Sohn (im Folgenden als „Verstorbener“ bezeichnet) habe am „Costello-Syndrom“ gelitten und sei gestorben. Beim Costello-Syndrom handle es sich um ein sehr seltenes, genetisch bedingtes komplexes Fehlbildungssyndrom. § 1 Abs 1 zweiter Satz DSG 2000 bezeichne die Rückführbarkeit von Daten auf den Betroffenen als ein Kriterium für den Anspruch auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten. Aufgrund der Mendelschen Vererbungslehre seien genetische Daten von Kindern auf deren Eltern rückführbar. Weil der Beschwerdeführer der Vater des Verstorbenen gewesen sei, liege eine Zuordenbarkeit und somit eine Rückführbarkeit der genetischen Daten nicht nur auf den Verstorbenen, sondern auch auf den Beschwerdeführer als dessen Vater vor. Deshalb habe der Beschwerdeführer ein höchstpersönliches Recht auf Datenschutz nach § 1 Abs 1 DSG 2000 betreffend diese genetischen Daten. Die Lösung dieser Rechtsfrage sei von erheblicher Bedeutung und gehe über den konkreten Einzelfall hinaus, weil es für die Entwicklung des Datenschutzrechts einer Klarstellung durch den Obersten Gerichtshof bedürfe, dass genetische Daten verstorbener Personen auch personenbezogene Daten von lebenden nächsten Familienangehörigen (Eltern – Kinder) seien.

4.1. Dem ist schon zu entgegnen, dass bei keiner der acht vom Beschwerdeführer inkriminierten Verhaltensweisen von Organen der Gerichtsbarkeit genetische Daten selbst dokumentiert oder weitergegeben wurden; vielmehr wurde nur dokumentiert oder weitergegeben, dass der Verstorbene am Costello-Syndrom gelitten habe.

4.2. Im Allgemeinen wäre durchaus denkbar, dass Daten von Verstorbenen betreffend Erbkrankheiten auch als Daten etwa jener Personen angesehen werden, von denen sie abstammen (Jahnel, Datenschutzrecht, 39). Voraussetzung wäre aber, dass es sich um eine „Erb“krankheit handelt, diese also an den Sohn weitervererbt wurde. Sonst aber sind – wie der Verwaltungsgerichtshof bereits geklärt hat – diese Daten der Kinder keine personenbezogenen Daten des Vaters (VwGH 2012/17/0115). Der Beschwerdeführer hat aber nicht behauptet, dass es sich beim Costello-Syndrom um eine vererbbare Krankheit handle bzw dass auch er an dieser Krankheit leide. Überdies handelt es sich laut dem festgestellten Eintrag in Wikipedia beim Costello-Syndrom um eine Fehlbildung, die aufgrund einer Mutation eines Gens entsteht. Der Beschwerdeführer hat nicht behauptet, dass diese Mutation nur bei einem bestimmten Erbgut möglich wäre. Der Umstand, dass der Verstorbene am Costello‑Syndrom gelitten hat, lässt somit keine Rückschlüsse auf den Beschwerdeführer betreffende Daten zu. Schon deshalb kann der Rekurswerber nicht in seinem Grundrecht auf Geheimhaltung der ihn betreffenden personenbezogenen Daten verletzt worden sein, weil keine ihn betreffenden Daten verwendet wurden.

5. Den weiteren Rekursausführungen ist Folgendes entgegenzuhalten:

5.1. Der Beschwerdeführer bemängelt, es sei keine mündliche Verhandlung durchgeführt worden und der im Pflegschaftsverfahren zuständige Richter sei nicht als Zeuge einvernommen worden.

Im Außerstreitverfahren gilt der Unmittelbarkeitsgrundsatz nicht. Der Richter ist daher in der Wahl der Beweismittel, durch die er die Wahrheit zu finden erwartet, in keiner Richtung gebunden (RIS‑Justiz RS0006319). Nach § 13 AußStrG ist das Verfahren so zu gestalten, dass eine erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung des Verfahrensgegenstands und eine möglichst kurze Verfahrensdauer gewährleistet sind. Daher besteht im Außerstreitverfahren Beweisaufnahmeermessen. Hinsichtlich des Umfangs der Beweisaufnahme ist der Richter daher nicht streng an die Anträge der Parteien gebunden; er kann darüber hinausgehen, aber auch nach seinem Ermessen im Interesse einer zügigen Verfahrensführung von der Aufnahme einzelner Beweismittel Abstand nehmen, wenn auch auf andere Weise eine (ausreichend) verlässliche Klärung möglich ist (6 Ob 149/06i). Der Beschwerdeführer hat überdies im erstinstanzlichen Verfahren die Einvernahme des Pflegschaftsrichters nicht beantragt. Angesichts der vorliegenden schriftlichen Stellungnahme des Pflegschaftsrichters entspricht es verfahrensökonomischen Grundsätzen, diesen nicht noch weiters als Zeugen einzuvernehmen.

5.2. Der Beschwerdeführer moniert, es fehle im Hinblick auf den Grundsatz der Wesentlichkeit gemäß § 6 Abs 1 Z 3 DSG eine Erörterung durch das Erstgericht, welche näheren Erkenntnisse über das Krankheitsbild des Verstorbenen der Pflegschaftsrichter gewonnen habe, um die zu ergreifenden Maßnahmen nach § 181 Abs 1 ABGB und § 107 Abs 3 AußStrG (?) zu beurteilen. Dabei ist nicht klar, worin der Beschwerdeführer konkret einen Verfahrensmangel erblickt.

5.3. Zur Überprüfung der Tatsachenfeststellungen ist auch im Verfahren nach § 85 GOG der Oberste Gerichtshof nicht berufen (6 Ob 156/16h). Überdies widerspräche die begehrte Ersatzfeststellung der bekämpften Feststellung nicht.

5.4. Der Verweis des Beschwerdeführers auf § 71 Gentechnikgesetz (GTG), der Bestimmungen über den Datenschutz im Gentechnikbereich enthält, geht ins Leere, weil sich die Bestimmung nach ihrem eindeutigen Wortlaut an Personen richtet, die genetische Analysen durchführen oder veranlassen, und dies hinsichtlich des Beschwerdeführers nicht erfolgt ist.

Zu diesen Fragen liegt zwar keine oberstgerichtliche Rechtsprechung vor, doch stellen diese wegen der klaren und eindeutigen gesetzlichen Regelung nach ständiger Rechtsprechung keine erheblichen Rechtsfragen dar, die die Zulässigkeit der Anrufung des Obersten Gerichtshofs begründen könnten (RIS‑Justiz RS0042656).

5.5. Soweit der Beschwerdeführer kritisiert, dass die Information über die Krankheit seines Sohnes (auch) an den Rechtsvertreter des Vaters der Kinder, die aus der ersten Ehe der gemeinsamen Mutter stammen, weitergegeben wurden, ist er darauf zu verweisen, dass er insoweit nicht „Betroffener“ ist (vgl oben).

6. Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf § 78 Abs 2 AußStrG (vgl 6 Ob 45/15h; 6 Ob 156/16h). Der Beschwerdegegner hat auf die Unzulässigkeit des Rekurses hingewiesen.

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