OGH 13Os70/16t

OGH13Os70/16t23.11.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 23. November 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Rathgeb als Schriftführerin in der Strafsache gegen J*****, andere Beschuldigte und einen belangten Verband wegen des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1 und Abs 3, 148 zweiter Fall StGB sowie weiterer strafbarer Handlungen, AZ 608 St 1/08w der Staatsanwaltschaft Wien, über die Anträge des belangten Verbandes M***** AG auf Erneuerung des Strafverfahrens nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0130OS00070.16T.1123.000

 

Spruch:

Die Anträge werden zurückgewiesen.

Gründe:

Am 5. Juni 2014 (ON 5038) ordnete die Staatsanwaltschaft Wien gemäß § 110 Abs 1 und 2 StPO die Sicherstellung mehrerer Unterlagen (darunter sämtliche die M***** AG betreffende Berichte und mit dieser sowie mit der Österreichischen Nationalbank über die M***** AG geführte Korrespondenz) bei der Abteilung I/3 der Österreichischen Finanzmarktaufsicht (im Folgenden FMA) an (I). Zugleich erging – aufgrund entsprechender Bewilligung des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom selben Tag (ON 5038 S 7) – gemäß §§ 109 Z 3 lit a und b, 116 Abs 1 und 2 StPO die Anordnung der Auskunft über Bankkonten und Bankgeschäfte sowie der Aufhebung des Bankgeheimnisses, soweit die unter I genannten Unterlagen von diesem Geheimnis umfasst waren (II).

Mit auf § 106 Abs 1 Z 2 StPO gestütztem Einspruch wegen Rechtsverletzung vom 10. Dezember 2014 (ON 5333) begehrte der belangte Verband die Feststellung, dass „die Anordnung der Staatsanwaltschaft Wien vom 05. 06. 2014 auf Auskunftserteilung über Bankkonten und Bankgeschäfte infolge Verletzung der §§ 109 Z 3 lit a und b und 116 Abs 1 und 2 StPO iVm Art 90 B‑VG und Art 6 EMRK rechtswidrig ist und alle durch diese Ermittlungsmaßnahme gewonnenen Ergebnisse dem Strafverfahren zu entziehen und an die Einschreiterin rückauszufolgen und allfällig angefertigte Kopien zu vernichten sind“ und dass „bei der Durchführung der Anordnung der Staatsanwaltschaft Wien vom 05. 06. 2014 auf Auskunft über Bankkonten und Bankgeschäfte die StPO, insbesondere in der Bestimmung des § 116 StPO, verletzt wurde und damit rechtswidrig ist und alle durch diese Ermittlungsmaßnahme gewonnenen Ergebnisse dem Strafverfahren zu entziehen und an die Einschreiterin rückauszufolgen und allfällig angefertigte Kopien zu vernichten sind“.

Zugleich erhob der belangte Verband gemäß § 106 Abs 2 StPO Beschwerde gegen den Bewilligungsbeschluss des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 5. Juni 2014 mit dem Ziel, diesen Beschluss aufzuheben und den ihm zugrunde liegenden Antrag der Staatsanwaltschaft Wien abzuweisen.

Mit Beschluss vom 10. Juli 2015, AZ 22 Bs 366/14f (ON 5644), wies das Oberlandesgericht Wien den Einspruch wegen Rechtsverletzung ab und gab der zugleich erhobenen Beschwerde „mit der Maßgabe, dass die Aufhebung des Bankgeheimnisses die FMA (Österreichische Finanzmarktaufsicht) betrifft,“ nicht Folge.

Am 10. Dezember 2014 (ON 5334) erhob der belangte Verband neuerlich einen auf § 106 Abs 1 Z 2 StPO gestützten Einspruch wegen Rechtsverletzung. Mit diesem begehrte er die Feststellung, dass „die Anordnung der Sicherstellung der Staatsanwaltschaft Wien vom 05. 06. 2014 infolge Verletzung des § 110 rechtswidrig ist und alle durch diese Ermittlungsmaßnahme gewonnenen Ergebnisse dem Strafverfahren zu entziehen und an die Einschreiterin rückauszufolgen und allfällig angefertigte Kopien zu vernichten sind“ sowie dass „bei der Durchführung der Anordnung der Sicherstellung der Staatsanwaltschaft Wien vom 05. 06. 2014 die StPO, insbesondere in der Bestimmung des § 110 StPO, verletzt wurde und damit rechtswidrig ist und alle durch diese Ermittlungsmaßnahme gewonnenen Ergebnisse dem Strafverfahren zu entziehen und an die Einschreiterin rückauszufolgen und allfällig angefertigte Kopien zu vernichten sind“.

Mit Beschluss vom 10. März 2015 (ON 5478) gab das Landesgericht für Strafsachen Wien diesem Einspruch nicht Folge.

Der hiegegen erhobenen Beschwerde des belangten Verbandes (ON 5516) folgte das Oberlandesgericht Wien mit Beschluss vom 20. November 2015, AZ 22 Bs 97/15y (ON 5753), nicht.

Rechtliche Beurteilung

Die mit Bezug auf die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Wien als Beschwerdegericht vom 10. Juli 2015 (ON 5644) und vom 20. November 2015 (ON 5753) erhobenen Anträge auf Erneuerung des Strafverfahrens des belangten Verbandes sind – wie die Generalprokuratur zutreffend aufzeigt – unzulässig.

Die Anträge behaupten mehrere Verletzungen der Garantien des Art 6 MRK, nämlich

(1) des „nemo tenetur“‑Grundsatzes, also des Rechts, zu schweigen und sich nicht selbst zu belasten (Art 6 Abs 2 MRK [ Grabenwarter/Pabel , EMRK 5 § 24 Rz 138; Meyer‑Ladewig , EMRK³ Art 6 Rz 131, jeweils mwN], unter dem Aspekt des § 363a StPO unverständlich auch „Art 90 Abs 2 B‑VG“),

(2) des Rechts auf Entscheidung durch ein auf Gesetz beruhendes Gericht (Art 6 Abs 1 erster Satz MRK, unter dem Aspekt des § 363a StPO unverständlich auch „Art 83 B‑VG“) und

(3) des Anspruchs auf Begründung gerichtlicher Entscheidungen (Art 6 Abs 1 MRK [ Grabenwarter/Pabel , EMRK 5 § 24 Rz 76; Meyer‑Ladewig , EMRK³ Art 6 Rz 109; jeweils mwN]).

Die Anträge beziehen sich somit ausschließlich auf Konventionsgarantien, welche auf die Entscheidung über eine strafrechtliche Anklage zielen ( Grabenwarter/Pabel , EMRK 5 § 24 Rz 28) und die demgemäß in der Hauptverhandlung (§ 238 StPO) oder im Rahmen der Urteilsanfechtung (§ 281 Abs 1 StPO) im Sinn des Art 13 MRK wirksam durchgesetzt werden können (13 Os 51/15x; vgl auch 11 Os 119/10z, SSt 2010/75, und RIS‑Justiz RS0126370). Da die Anträge nicht erkennen lassen, weshalb der belangte Verband hier dennoch bereits im Ermittlungsverfahren in seinen durch Art 6 MRK garantierten Rechten verletzt sein soll, legen sie die Opfereigenschaft (Art 34 MRK) nicht deutlich und bestimmt dar (13 Os 51/15x, 13 Os 90/15g, im gegenständlichen Verfahren jüngst 13 Os 64/16k).

Die Anträge auf Erneuerung des Strafverfahrens waren daher gemäß § 363b Abs 1 und 2 StPO schon bei der nichtöffentlichen Beratung als unzulässig zurückzuweisen.

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