OGH 3Ob136/16w

OGH3Ob136/16w18.10.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Vizepräsidentin Dr. Lovrek, die Hofräte Dr. Jensik und Dr. Roch und die Hofrätin Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ing. R*****, vertreten durch MMag. Dr. Verena Rastner, Rechtsanwältin in Lienz, gegen die beklagte Partei I*****, vertreten durch Dr. Kristina Gruber‑Mariacher, Rechtsanwältin in Lienz, wegen Einwendungen gegen den Anspruch gemäß § 35 EO, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 116.165 EUR) gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom 4. März 2016, GZ 3 R 2/16i‑33, womit das Urteil des Bezirksgerichts Lienz vom 4. November 2015, GZ 1 C 51/14d‑27, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0030OB00136.16W.1018.000

 

Spruch:

 

Der außerordentlichen Revision wird teilweise Folge gegeben.

Das Berufungsurteil wird dahin abgeändert, dass das Urteil insgesamt zu lauten hat:

„Der Unterhaltsanspruch der beklagten Partei gegenüber der klagenden Partei aus dem Scheidungsvergleich vom 27. September 1999, AZ 1 C 48/05g des Bezirksgerichts Lienz, auf Zahlung von monatlich 1.453 EUR, wertgesichert nach dem VPI 1996, zu dessen Hereinbringung mit Beschluss des Bezirksgerichts Lienz vom 12. Dezember 2013, AZ 4 E 3028/13z, die Forderungsexekution bewilligt wurde, ist für den Zeitraum

a) vom 1. 1. 2009 bis 31. 12. 2012 zur Gänze,

b) vom 1. 1. bis 31. 12. 2013 im Umfang von monatlich 996,99 EUR,

c) vom 1. 1. bis 31. 12. 2014 im Umfang von monatlich 445,38 EUR,

d) vom 1. 1. bis 30. 6. 2015 im Umfang von monatlich 459,96 EUR und seit 1. 7. 2015 im Umfang von monatlich 371,14 EUR erloschen.

Das Mehrbegehren der klagenden Partei, wonach der Unterhaltsanspruch für den Zeitraum

a) vom 1. 1. bis 31. 12. 2013 im Umfang von weiteren monatlich 456,01 EUR,

b) vom 1. 1. bis 31. 12. 2014 im Umfang von 1.007,62 EUR,

c) vom 1. 1. bis 30. 6. 2015 im weiteren Umfang von monatlich 993,04 EUR und seit 1. 7. 2015 im weiteren Umfang von monatlich 1.081,86 EUR erloschen sei, wird hingegen abgewiesen.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 1.822,32 EUR bestimmten Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens (darin 303,72 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 712,31 EUR bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens (darin 118,72 EUR USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Am 27. September 1999 schlossen die Streitteile, deren Ehe mit Urteil vom 23. März 1995 aus dem alleinigen Verschulden des Klägers geschieden worden war, einen Vergleich über die Scheidungsfolgen, welcher folgende Unterhaltsvereinbarung vorsah:

„... (der Kläger) verpflichtet sich, an ... (die Beklagte) einen monatlichen Unterhalt von 20.000 S (= 1.453,46 EUR) zu bezahlen und zwar zwölfmal jährlich, ... beginnend mit Oktober 1999, ... .

...

Der Unterhaltsbetrag von 20.000 S monatlich bleibt unverändert auch für den Fall geänderter Verhältnisse beider Vergleichsparteien. Die Unterhaltsleistung des ... (Klägers) ändert sich also auch dann nicht, wenn dieser zu einem späteren Zeitpunkt ein weit höheres oder ein niedrigeres Einkommen haben sollte, als dies derzeit der Fall ist.

Lediglich ein eigenes Einkommen von ... (Beklagte), welches 5.000 S (= 363,36 EUR) monatlich übersteigt, ist auf den vereinbarten Unterhaltsbetrag von 20.000 S anzurechnen, und verringert diesen Unterhaltsbetrag dementsprechend. Bei einem Einkommen der ... (Beklagten) bis 5.000 S monatlich ändert sich also an der Unterhaltshöhe von 20.000 S monatlich nichts.“

Die Streitteile gingen seinerzeit davon aus, dass die nunmehrige Beklagte kein Einkommen hatte, der Kläger demgegenüber aber zumindest 80.000 S monatlich verdiente. Der Kläger war Geschäftsführer einer Großtischlerei sowie weiterer Unternehmen. Über diese wurde im Laufe des Jahres 2000 das Konkursverfahren eröffnet, später wurde sowohl das Privathaus als auch ein Mietshaus des Klägers versteigert.

Die Beklagte hatte im Jahr 1999 keinen Einblick in die Geschäftsgebarung des Klägers. Sie war bestrebt, ihren Unterhaltsanspruch hereinzubringen, weshalb die Parteien vereinbarten, dass sie entsprechende Mieteinnahmen aus dem Mietshaus des Klägers erhält, was bis zur Zwangsversteigerung der Liegenschaft am 22. März 2004 auch der Fall war. Die Beklagte sprach zwar in der Exekutionsabteilung des örtlich zuständigen Bezirksgerichts vor, als sie in Erfahrung brachte, dass der Kläger angeblich wieder ein Einkommen haben sollte. Ihr war aber bewusst, dass „nichts zu holen ist“, wenn der Kläger nichts verdient. Jedenfalls von 2006 bis 2013 forderte die Beklagte den Unterhalt vom Kläger nicht exekutiv ein, weil sie wusste, dass er Schulden hatte. Erst im Jahr 2013, als der Kläger vor dem Pensionsantritt stand und die Beklagte zu arbeiten aufhören musste, wollte sie vom Kläger wieder Unterhalt einfordern. Nach einem Gespräch im Herbst 2013 im Zuge dessen der Kläger der Beklagten zusicherte, dass sie etwas bekommen würde, wenn er seine Pension erhalte, wartete die Beklagte zunächst noch mit einer Exekution zu. Erst nachdem der Kläger bei ihrer Arbeitsstelle vorbeigekommen war und ihr erklärt hatte, dass er nunmehr einen Weg gefunden habe, dass seine Pension für sie „unantastbar“ sei, beschritt die Beklagte den Exekutionsweg und erfuhr dadurch von der Forderung und Exekutionsführung einer dritten Person, die dem Kläger insgesamt 26.500 EUR geliehen hatte und diesen Betrag nunmehr einbringlich machte.

Zu 4 E 3028/13z bewilligte das Erstgericht den Antrag der Beklagten vom 11. Dezember 2013 auf Forderungsexekution nach § 294 EO gegen den Kläger zur Hereinbringung rückständigen Unterhalts von Jänner 2009 bis Dezember 2013 (60 Monate zu 1.453 EUR = 87.180 EUR) sowie laufenden Unterhalts ab 1. Jänner 2014. Nachdem die Drittschuldnererklärung ergeben hatte, dass bereits eine vorrangige Exekution (der vorher erwähnten dritten Person) bedient würde, wurde auf Antrag der Beklagten der unpfändbare Freibetrag des Klägers letztlich um 160 EUR herabgesetzt, sodass dem Kläger monatlich 645,43 EUR als Existenzminimum verblieben.

Der Kläger erzielte 2010 ein jährliches Gesamteinkommen von 2.965,32 EUR, 2011 von 7.370,25 EUR, 2012 von 7.032,80 EUR und 2013 von 15.523,75 EUR. Er erhält seit 1. Jänner 2014 eine monatliche Pension von 1.598,87 EUR netto, 14 x jährlich. Seit Juli 2015 erhält der Kläger monatlich 1.675 EUR netto.

Die Beklagte erzielte 2009 ein Nettoeinkommen von 3.434,65 EUR, 2010 von 9.057,86 EUR, 2011 von 6.406,47 EUR, 2012 von 9.342,44 EUR, 2013 von 9.870,42 EUR und 2014 von 5.342,02 EUR. Im Jahr 2015 erhielt die Beklagte noch bis zum 25. Mai, also für insgesamt 145 Tage, Notstandshilfe von 2.114,10 EUR (= täglich 14,58 EUR).

Beide Parteien sind im Hinblick auf mehrfache gravierende Vermittlungshemmnisse als schwer vermittelbare Arbeitssuchende zu qualifizieren. Sie haben faktisch kaum eine Chance auf ein Dienstverhältnis; dies seit Mai 2013 bis laufend. An dieser Situation wird sich voraussichtlich auch nichts mehr ändern.

Mit seiner am 10. Dezember 2014 beim Erstgericht eingebrachten Oppositionsklage begehrte der Kläger die Feststellung, dass der Anspruch der Beklagten gegen ihn aus dem Scheidungsvergleich vom 27. September 1999 ab 1. September 2009 erloschen sei. Seine Einkommensverhältnisse hätten sich seit Jänner 2009 drastisch geändert. Das Beharren der Beklagten auf dem Ausschluss der Umstandsklausel im Scheidungsvergleich sei sittenwidrig und daher unwirksam, weil durch die Änderung der Verhältnisse nicht nur ein krasses Missverhältnis zwischen Verpflichtung und Leistungsfähigkeit des Klägers entstanden sei, sondern ihm durch die Bezahlung des im Vergleich festgesetzten Unterhalts jegliche Existenzgrundlage entzogen werde. Der Unterhaltsbetrag sei daher infolge der geänderten Voraussetzungen neu zu bemessen. Überdies habe die Beklagte nun ein erhebliches Eigeneinkommen. Der rückständige Unterhalt bis einschließlich Dezember 2010 sei verjährt. Dem Kläger selbst sei es aufgrund seines Alters und seiner schlechten Gesundheit nicht mehr möglich, eine entgeltliche Beschäftigung zu finden.

Die Beklagte wendete ein, die in der Sphäre des Klägers eingetretene Verschlechterung seiner finanziellen Situation sei ausschließlich von ihm selbst verschuldet worden. Selbst wenn die vereinbarte Umstandsklausel außer Acht gelassen würde, wäre die Bestreitung der Unterhaltsforderung für die Vergangenheit nach § 72 EheG rechtlich unerheblich, zumal die Minderung der Unterhaltsverpflichtung bis zur Klageführung vom Kläger nie geltend gemacht worden sei. Er habe vielmehr der Beklagten sogar ausdrücklich versprochen, ihr aus seinem Pensionseinkommen Unterhalt zu leisten. Somit sei auch der erhobene Verjährungseinwand unberechtigt.

Das Erstgericht sprach aus, dass der Unterhaltsanspruch der Beklagten für die Zeit vom 1. Jänner 2009 bis 31. Dezember 2012 zur Gänze, für das Jahr 2013 im Umfang von monatlich 996,99 EUR, für das Jahr 2014 im Umfang von monatlich 520,32 EUR, für Jänner bis Juni 2015 im Umfang von monatlich 459,96 EUR und seit 1. Juli 2015 im Umfang von monatlich 475,91 EUR erloschen sei. Das darüber hinausgehende Mehrbegehren des Klägers wies es ab. Mit dem Scheidungsvergleich vom 27. September 1999 hätten die Streitteile die gesetzliche Unterhaltsverpflichtung des Klägers konkretisiert. Das Beharren auf dem grundsätzlich zulässigen Verzicht auf die Umstandsklausel könne sittenwidrig sein, wenn dadurch dem Unterhaltspflichtigen die Existenzgrundlage entzogen würde und wenn ein krasses Missverhältnis zwischen dem dem Verpflichteten verbleibenden Einkommen und dem nunmehrigen Unterhalt des Berechtigten entstünde. Dem Unterhaltspflichtigen werde die Existenzgrundlage aber nicht entzogen, wenn ihm mindestens noch Einkünfte in der Höhe des Richtsatzes für die Ausgleichszulage verblieben. Bei der Verurteilung zu wiederkehrenden Leistungen gelte die längere Verjährungsfrist von 30 Jahren für die bis zur Rechtskraft des Urteils fällig gewordenen Beträge, für die in Zukunft fällig werdenden Leistungen gelte aber die dreijährige Frist. Für die exekutiv betriebenen Forderungen vor dem 12. Dezember 2010 sei daher Verjährung eingetreten. Eine Pflicht des Klägers zur rechtzeitigen Geltendmachung allfälliger Gründe für die Minderung seiner Unterhaltspflicht könne aus § 72 EheG nicht abgeleitet werden. In den Jahren 2010 bis 2012 sei das Einkommen des Klägers deutlich unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz gelegen, sodass der Unterhaltsanspruch für diese Jahre erloschen sei. In den Folgejahren sei seine Verpflichtung soweit zu mindern, dass ihm jeweils ein Einkommen in Höhe des jeweiligen Ausgleichszulagenrichtsatzes verbleibe. In den Jahren 2014 und 2015 müsse der Kläger nicht alles abgeben, was über das Existenzminimum hinausgehe, sondern nur so viel, dass ihm selbst ein Betrag in derselben Höhe wie der zu leistende Unterhalt verbleibe.

Das Berufungsgericht änderte das Ersturteil dahin ab, dass es für das Jahr 2013 die monatliche Unterhaltspflicht im Ausmaß von 1.429 EUR für erloschen erklärte, für das Jahr 2014 im Ausmaß von monatlich 974 EUR, für Jänner bis Mai 2015 im Ausmaß von 960 EUR, für Juni 2015 im Ausmaß von 707 EUR und für den Zeitraum seit Juli 2015 im Ausmaß von monatlich 671 EUR. Mangels Rechtsfragen von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung ließ es die ordentliche Revision nicht zu. Für die Jahre 2009 und 2010 sei Verjährung eingetreten. Für die danach liegenden Zeiträume sei der Unterhalt neu zu bemessen, wobei der Beklagten 40 % der gemeinsamen Einkünfte abzüglich ihres Eigeneinkommens zukämen.

Die außerordentliche Revision der Beklagten strebt die gänzliche Abweisung des klägerischen Oppositionsbegehrens an.

Der Kläger beantragt in der ihm freigestellten Revisionsbeantwortung die gegnerische Revision zurück‑ bzw „abzuweisen“. Die Revision ist wegen des Widerspruchs der berufungsgerichtlichen Rechtsauffassung zur Rechtsprechung zulässig und teilweise auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1. Die Vereinbarung eines Ausschlusses der Umstandsklausel im Vergleich über die nachehelichen Unterhaltsansprüche ist zwar für sich nicht sittenwidrig (RIS‑Justiz RS0016555); sittenwidrig kann aber das Beharren des Unterhaltsberechtigten auf diesem Ausschluss sein. Dies gilt insbesondere dann, wenn ohne Berücksichtigung der veränderten Umstände die Existenz des Verpflichteten oder der Unterhalt Dritter gefährdet wäre oder ein krasses Missverhältnis zwischen Unterhaltsleistung und Einkommensrest bestünde (RIS‑Justiz RS0016555 [T6], RS0016554). Infolge geänderter Verhältnisse kann die ursprünglich zulässige Vereinbarung daher sittenwidrig werden, etwa wegen der Gefahr der Existenzvernichtung (RIS‑Justiz RS0018900 [T9]). Um zu verhindern, dass der an sich zulässige Ausschluss der Umstandsklausel im Nachhinein ohne zwingenden Grund aufgehoben wird, ist aber ein strenger Maßstab anzulegen (RIS‑Justiz RS0016554 [T2]). Im Allgemeinen wird dem Unterhaltspflichtigen die Existenzgrundlage nicht entzogen, wenn ihm zumindest noch Einkünfte in der Höhe des Richtsatzes für die Ausgleichszulage verbleiben (RIS‑Justiz RS0016554 [T4]; Gitschthaler, Unterhaltsrecht3 Rz 1537).

2. Das Argument der Revision, der Unterhaltsvergleich könne nicht aus der restlichen Scheidungsfolgenvereinbarung herausgelöst werden, trifft zwar zu (vgl Gitschthaler, Unterhaltsrecht3 Rz 1538), die Beklagte führt aber in der Revision nicht näher aus, auf welche konkreten sonstigen Vereinbarungen in ihrem Fall Rücksicht zu nehmen wäre. Es ist auch nicht relevant, ob für die Beklagte bei Abschluss des Scheidungsfolgenvergleichs im Jahr 1999 absehbar war, dass sich die finanzielle Situation des Klägers verschlechtern werde, weil ja nicht die Sittenwidrigkeit der Vereinbarung an sich anzunehmen ist, sondern nur das Beharren der Beklagten auf dem vertraglichen Ausschluss der Umstandsklausel angesichts der geänderten aktuellen Verhältnisse. Die vom Kläger ins Treffen geführten Verbindlichkeiten gegenüber der dritten Person, deren Rechtmäßigkeit die Beklagte anzweifelt, haben die Vorinstanzen ohnehin nicht zugunsten des Klägers berücksichtigt.

3. Die im Rechtsmittel erörterte Verjährungsfrage, insbesondere der von der Beklagten weiter verfolgte Gegeneinwand, den sie auf ein Verhalten des Klägers wider Treu und Glauben stützt, ist für die Beurteilung dieses Falles ohne Bedeutung, weil der Kläger im (auch) vom Verjährungseinwand betroffenen Zeitraum (2009 bis 2012) ohnehin ein so geringes Einkommen (unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz) hatte, dass der Unterhaltsanspruch der Beklagten zur Gänze erloschen ist.

4. Völlig zutreffend haben die Vorinstanzen dem § 72 EheG entnommen, dass daraus keine Verpflichtung des zur Leistung von Unterhalt Verpflichteten abzuleiten ist, eine Minderung seiner Leistungsfähigkeit unverzüglich geltend zu machen. Diese Bestimmung macht lediglich die Berechtigung von Unterhaltsforderungen für die Vergangenheit davon abhängig, dass der Unterhaltspflichtige in Verzug gekommen oder der Unterhaltsanspruch rechtshängig geworden ist. § 72 EheG soll also bloß den Unterhaltspflichtigen davor schützen, ohne vorherige Mahnung wegen größerer aufgelaufener Rückstände auf einmal in Anspruch genommen zu werden (3 Ob 139/13g; 10 Ob 47/07w). Im Übrigen räumt die Beklagte selbst ein, dass die von ihr für die Vergangenheit betriebenen Unterhaltsforderungen ohnehin nur mit einem geringen Teil tatsächlich eingebracht werden konnten und sich die missbräuchliche Geltendmachung eines überhöhten Unterhaltsanspruchs schon mit der mangelnden Zahlungsfähigkeit des Klägers erledigt habe.

5. Unterschiedlicher Ansicht waren die Vorinstanzen darüber, wie der Unterhaltsanspruch der Beklagten nach Beurteilung ihres Beharrens auf dem Verzicht auf die Umstandsklausel als sittenwidrig neu zu berechnen sei. Da – wie zu P 1. dargelegt – nicht der Verzicht auf die Umstandsklausel an sich, sondern bloß das Beharren darauf durch die Beklagte sittenwidrig ist, hat keine vom seinerzeitigen Unterhaltsvergleich losgelöste Neuberechnung der Unterhaltsverpflichtung stattzufinden. Es ist lediglich sicherzustellen, dass dem Unterhaltsverpflichteten die weitere Existenz gesichert wird; sein tatsächliches Einkommen ist also nur soweit abzuschöpfen, als ihm ein Einkommen in Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes verbleibt (Gitschthaler, Unterhaltsrecht3 Rz 1537; vgl Zankl/Mondel in Schwimann/Kodek, ABGB‑Praxiskommentar4 § 66 EheG Rz 54 mwN; vgl 7 Ob 154/12s; 1 Ob 592, 593/83; 7 Ob 631/83; 3 Ob133 /00f). Der Umstand allein, dass jemand mehr Unterhalt zahlen muss, als ihm selbst verbleibt, begründet noch kein „krasses Missverhältnis“. Im Hinblick auf die gebotene weitestmögliche Orientierung am seinerzeit geschlossenen Scheidungsfolgenvergleich hat sich die Unterhaltsbemessung in diesem Fall daher ausschließlich an dem für den Unterhaltspflichtigen verbleibenden Einkommen in der Höhe des Ausgleichszulagenrichtsatzes zu orientieren. Ein Vergleich zwischen den nach Unterhaltsleistung sich ergebenden Einkommen der Streitteile hat zu unterbleiben (vgl 3 Ob 133/00f, wonach die Rechtsansicht, es sei jedenfalls sittenwidrig, wenn das monatliche Einkommen um nahezu zwei Drittel reduziert würde, in der Rechtsprechung keine Deckung findet).

6. Entsprechend den oben erörterten Grundsätzen ergibt sich für den vorliegenden Fall:

Für die Jahre 2009 bis 2012 ist der Unterhaltsanspruch der Beklagten zur Gänze erloschen, weil der Kläger bloß ein Einkommen unter dem Ausgleichszulagenrichtsatz hatte.

Im Jahr 2013 hatte der Kläger ein monatliches Einkommen von 1.293,64 EUR, die Beklagte ein anzurechnendes Eigeneinkommen (363,36 EUR übersteigend) von 459,18 EUR, also einen Unterhaltsanspruch von 993,82 EUR. Der Kläger konnte über das Existenzminimum hinaus jedoch nur 456,01 EUR leisten, sodass der restliche Unterhaltsanspruch von 996,99 EUR erloschen ist (so schon das Erstgericht).

Im Jahr 2014 hatte der Kläger ein monatliches Einkommen von 1.865,35 EUR, die Beklagte muss sich 81,81 EUR anrechnen lassen, hätte also einen Unterhaltsanspruch von 1.371,19 EUR. Dem Kläger ist jedoch nur eine Leistung von 1.007,62 EUR zumutbar, weshalb der Unterhaltsanspruch im Umfang von monatlich 445,38 EUR erloschen ist. Dass der Kläger der Beklagten mehr Unterhalt bezahlt, als ihm selbst verbleibt, ist im Hinblick auf die möglichste Aufrechterhaltung des seinerzeitigen Unterhaltsvergleichs ohne Relevanz (s oben).

Von Jänner bis Mai 2015 hatte der Kläger ein monatliches Einkommen von 1.865,35 EUR, die Beklagte muss sich nur mehr 74,04 EUR anrechnen lassen (14,58 EUR x 30, abzüglich 363,36 EUR). Ihr stünden also 1.378,96 EUR monatlicher Unterhalt zu. Da dem Kläger aber nur die Leistung von 993,04 EUR möglich ist, ohne seine Existenz zu gefährden, ist der Unterhaltsanspruch in Höhe von monatlich 459,96 EUR erloschen. Dies gilt auch für den Monat Juni 2015, in dem sich die Beklagte kein Einkommen mehr anrechnen lassen muss.

Was den Unterhalt ab Juli 2015 betrifft, ergibt sich eine mögliche Unterhaltsleistung von 1.081,86 EUR für den Kläger (monatliches Einkommen 1.954,17 EUR). Im Umfang von 371,14 EUR ist der Unterhaltsanspruch der Beklagten erloschen.

7. Die Entscheidung über die erstinstanzlichen Verfahrenskosten gründet sich auf § 43 Abs 1 ZPO. Der Kläger ist mit etwa 70 % seines Begehrens durchgedrungen, weshalb die Beklagte ihm 40 % der erstinstanzlichen Verfahrenskosten zu ersetzen hat.

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens beruht auf § 43 Abs 1 und 2 erster Fall iVm § 50 ZPO. Die Berufung des Klägers blieb letztlich ohne Erfolg; der Berufungserfolg der Beklagten ist als so gering zu bewerten (etwa 3 %), dass er nicht zu berücksichtigen ist. Der Kläger hat daher der Beklagten die Kosten ihrer Berufungsbeantwortung zu ersetzen, die Beklagte dem Kläger die Kosten seiner Berufungsbeantwortung. Im Revisionsverfahren drang die Beklagte zu etwa 17 % ihres Revisionsinteresses durch, weshalb sie dem Kläger 66 % der Kosten seiner Revisionsbeantwortung zu ersetzen hat.

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