OGH 29Ns1/16t

OGH29Ns1/16t8.9.2016

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 8. September 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Schroll als Vorsitzenden und den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hradil als weiteren Richter sowie die Rechtsanwälte Dr. Hajek und Dr. Kölly als Anwaltsrichter in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, AZ D 16/01 des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Burgenland, sowie gegen *****, Rechtsanwalt in *****, *****, Rechtsanwalt in *****, *****, Rechtsanwalt in *****, und *****, Rechtsanwältin in *****, AZ D 16/06 des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Burgenland, über die Delegierungsanträge des Disziplinarbeschuldigten ***** vom 26. April 2016 und des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Burgenland vom 13. Mai 2016 nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung gemäß § 60 Abs 1 OGH‑Geo. 2005 den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0290NS00001.16T.0908.000

 

Spruch:

Die Durchführung des Disziplinarverfahrens gegen ***** wird dem Disziplinarrat der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer übertragen.

Die Durchführung des Disziplinarverfahrens gegen *****, *****, ***** und ***** wird dem Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien übertragen.

Gründe:

Am 7. April 2016 fasste der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Burgenland unter dem Vorsitz des Präsidenten ***** durch seine Mitglieder *****, ***** und ***** sowie des Untersuchungskommissärs ***** zu AZ D 16/01 den Einleitungsbeschluss, wonach Grund zur Disziplinarbehandlung von *****, Rechtsanwalt in *****, wegen des Vorwurfs bestehe, Berufspflichten verletzt und die Ehre und das Ansehen des Standes beeinträchtigt zu haben, weil er seiner damaligen Mandantschaft, der B***** AG einen Schaden in der Höhe von 227.957 Euro zugefügt hätte, indem er für angebliche Beratungsleistungen die Rechnung vom 2. April 2002 über ein Honorar von 227.957 Euro gelegt und seine Mandantin dadurch zur Überweisung dieses Betrags veranlasst hatte, obwohl dieser Rechnung keine entsprechenden, noch nicht abgerechneten Leistungen gegenübergestanden wären, sowie dadurch, dass er spätestens im Jahr 2006 davon erfahren hätte, dass im Jahr 2002 über seine Kanzlei gelaufenen Zahlungen an ***** fingiert gewesen wären und er trotzdem seine Mandantschaft hievon nicht sofort verständigt hätte.

Mit am 26. April 2016, also rechtzeitig (§ 25 Abs 1 erster Satz DSt) an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Burgenland gerichteten Eingabe lehnte der Disziplinarbeschuldigte mit Ausnahme von ***** sämtliche zuvor genannten Mitglieder dieses Disziplinarrats als befangen ab und begehrte, die Disziplinarsache dem Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Wien abzutreten. Nach seinem Vorbringen bestehe zwischen ihm und den abgelehnten Mitgliedern des Disziplinarrats ein teils durch Mandantenwechsel verschärftes unmittelbares Wettbewerbsverhältnis sowie teilweise auch ein durch wechselseitige Aversionen geprägtes schlechtes persönliches Verhältnis. Zudem wären einzelne Mitglieder bereits in früheren, mit hoher Emotionalität ausgetragenen Disziplinarverfahren gegen den Disziplinarbeschuldigten ***** in nach seiner Ansicht nach offenbar unangemessener Weise eingeschritten.

Im Zusammenhang mit dem genannten Einleitungsbeschluss erstatte der Disziplinarbeschuldigte ***** am 2. Mai 2016 eine an den Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Burgenland gerichtete Stellungnahme, in der er unter einem eine Disziplinaranzeige gegen die als befangen abgelehnten Mitglieder des Disziplinarrats erstatte.

Daraufhin übermittelte der Disziplinarrat der Rechtsanwaltskammer Burgenland mit seinen an den Präsidenten des Obersten Gerichtshofs gerichteten Schreiben vom 29. April 2016 und vom 13. Mai 2016 neben dem ***** betreffenden Akt AZ D 16/01 auch den zu AZ D 16/06 gegen *****, *****, ***** und ***** geführten Disziplinarakt und beantragte gemäß § 25 Abs 1 DSt zugleich, „die Durchführung des Disziplinarverfahrens D 16/06 an einem vom OGH zu bestimmenden Disziplinarrat zu übertragen“, weil sich bis auf zwei Mitglieder des Disziplinarrats alle weiteren Mitglieder sowie der Kammeranwalt und dessen Stellvertreter für befangen erklärt hatten.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 25 Abs 1 erster Satz DSt kann die Durchführung des Disziplinarverfahrens wegen Befangenheit der Mitglieder des Disziplinarrats oder aus anderen wichtigen Gründen unter anderem auf Antrag des Disziplinarbeschuldigten oder des Disziplinarrats selbst einem anderen Disziplinarrat übertragen werden.

Befangenheit ist entweder eine tatsächliche Hemmung der unparteiischen Entschließung durch unsachliche psychologische Motive oder aber eine besondere Fallgestaltung, die einen unbefangenen Außenstehenden in begründeter Weise an der unparteiischen Entscheidungsfindung zweifeln lassen kann (RIS‑Justiz RS0114514).

Der Umstand, dass sich zum Disziplinarverfahren AZ D 16/06 mit Ausnahme zweier Personen alle weiteren Mitglieder des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Burgenland für befangen erklärt hatten, die Mitglieder dieses im Übrigen auch nicht mehr über eine ausreichende Zahl unbefangener Entscheidungsträger verfügenden und damit beschlussunfähigen Disziplinarrats über Anschuldigungen gegen weitere aktive Mitglieder desselben Disziplinarrats zu entscheiden hätten und die an der Fassung des ***** betreffenden Einleitungsbeschlusses vom 7. April 2016 mitwirkenden Mitglieder des Disziplinarrats selbst von der wider sie erhobenen Anzeige betroffen sind, bildet – auch zwecks Vermeidung des Anscheins der Befangenheit – einen wichtigen Grund für die Delegierung dieses Verfahrens an den Disziplinarrat einer anderen Rechtsanwaltskammer (RIS‑Justiz RS0114514, RS0083346, RS0056894).

Mit Blick auf die durch den Disziplinarbeschuldigten ***** durchaus konkret und keineswegs bloß pauschal (vgl RIS‑Justiz RS0056962, RS0114514) relevierten Ausschließungsgründe gegen die an der Fassung des gegen ihn gerichteten Einleitungsbeschlusses mitwirkenden Mitglieder des Disziplinarrats, auf den engen sachlichen Zusammenhang der beiden Disziplinarverfahren AZ D 16/01 und AZ D 16/06 des Disziplinarrats der Rechtsanwaltskammer Burgenland, auf den Umstand, dass der Disziplinarrat seinen Befangenheitsantrag zu beiden Disziplinarsachen übermittelte und auf die unbedenklichen Befangenheitserklärungen war auch das zu AZ D 16/01 gegen ***** geführte Disziplinarverfahren zwecks Vermeidung jeglichen Anscheins einer Befangenheit dem Disziplinarrat einer anderen Rechtsanwaltskammer zuzuweisen, weil ein wichtiger Grund zur Delegierung unter anderem darin besteht, zwei Verfahren, die Beschuldigungen und Gegenbeschuldigungen enthalten, nicht vom gleichen Disziplinarrat durchführen zu lassen (RIS‑Justiz RS0055513).

Die Durchführung des Disziplinarverfahrens AZ D 16/01 gegen ***** war daher dem Disziplinarrat der Steiermärkischen Rechtsanwaltskammer zu übertragen.

Die Durchführung des Disziplinarverfahrens AZ D 16/06 gegen *****, *****, ***** und ***** war hingegen dem Disziplinarrat der Wiener Rechtsanwaltskammer zu übertragen.

Stichworte