European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0130OS00096.16S.0906.000
Spruch:
Die Grundrechtsbeschwerde wird zurückgewiesen.
Gründe:
Das Landesgericht für Strafsachen Graz verhängte mit Beschluss vom 12. Dezember 2015 (ON 113) über den am 8. Dezember 2015 festgenommenen (ON 110 S 1) Harrison I***** die Untersuchungshaft aus dem Grund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO und setzte diese (jeweils nach Durchführung einer Haftverhandlung) mit Beschlüssen vom 28. Dezember 2015 (ON 157), vom 28. Jänner 2016 (ON 173) und vom 25. März 2016 (ON 181) aus demselben Haftgrund fort.
Da Harrison I***** am 11. Juli 2016 seine Enthaftung beantragt hatte (ON 203), führte das Landesgericht für Strafsachen Graz am 19. Juli 2016 erneut eine Haftverhandlung durch (ON 207). In dieser hob es die Untersuchungshaft unter Anwendung der gelinderen Mittel des § 173 Abs 5 Z 4 und 5 StPO auf (ON 208).
Mit der angefochtenen Entscheidung gab das Oberlandesgericht Graz der Beschwerde der Staatsanwaltschaft (ON 209) gegen den Beschluss des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 19. Juli 2016 (ON 208) Folge und ordnete die neuerliche Festnahme des Harrison I***** sowie die Fortsetzung der Untersuchungshaft aus dem Grund der Tatbegehungsgefahr nach § 173 Abs 2 Z 3 lit b StPO an.
Dabei ging das Beschwerdegericht hinsichtlich des dringenden Tatverdachts (§ 173 Abs 1 erster Satz StPO) vom mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Graz vom 6. Juli 2016 (ON 200) erfolgten rechtskräftigen (ON 199a S 31) Schuldspruch des Harrison I***** wegen der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 zweiter Fall, Abs 4 Z 3 SMG (C/I) und nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 3 SMG (C/II), des Verbrechens der Vorbereitung von Suchtgifthandel nach § 28 Abs 1 zweiter Fall, Abs 2 SMG (C/III) sowie mehrerer Vergehen des unerlaubten Umgangs mit Suchtgiften nach § 27 Abs 1 Z 1 zweiter Fall, Abs 2 SMG (D/2) aus.
Danach hat er in Graz und an anderen Orten
(C) mit auf Tatbildverwirklichung in Teilmengen gerichtetem Vorsatz, der auch die kontinuierliche Tatbegehung über einen längeren Zeitraum und den daran geknüpften Additionseffekt umfasste, vorschriftswidrig Suchtgift, nämlich Cannabiskraut,
(I) in einer das 25‑fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge eingeführt, indem er
1) im August 2015 1.000 Gramm (150 Gramm Delta‑9‑THC‑Reinsubstanz),
2) im September 2015 1.500 Gramm (225 Gramm Delta‑9‑THC‑Reinsubstanz),
3) vom 10. Oktober 2015 bis zum 16. Oktober 2015 4.997,6 Gramm (815,36 Gramm Delta‑9‑THC‑Reinsubstanz) und
4) vom 1. Dezember 2015 bis zum 8. Dezember 2015 998 Gramm (151,18 Gramm Delta‑9‑THC‑Reinsubstanz)
von Tschechien nach Österreich brachte,
(II) in einer das 15‑fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge anderen überlassen, indem er die von den Schuldsprüchen C/I/1 und C/I/2 umfassten Suchtgiftmengen Collins E***** aushändigte,
(III) in einer das 15‑fache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge mit dem Vorsatz besessen, dass es in Verkehr gesetzt werde, indem er
1) am 16. Oktober 2015 die vom Schuldspruch C/I/3 umfasste Suchtgiftmenge und
2) am 8. Dezember 2015 die vom Schuldspruch C/I/4 umfasste Suchtgiftmenge
zum Verkauf bereithielt, sowie
(D/2) vom Oktober 2015 bis zum 8. Dezember 2015 zum persönlichen Gebrauch besessen.
Rechtliche Beurteilung
Die dagegen erhobene Grundrechtsbeschwerde des Harrison I*****, welche die Annahme des dringenden Tatverdachts nicht bekämpft, orientiert sich nicht am Gesetz:
Gegenstand des Erkenntnisses über eine Grundrechtsbeschwerde ist – anders als bei einer Haftbeschwerde an das Oberlandesgericht – nicht die Haft, sondern die Entscheidung über diese (13 Os 125/06s, EvBl 2007/47, 252; RIS‑Justiz RS0061004 [T5], RS0112012 [T5] und RS0121605 [T3]).
Demzufolge prüft der Oberste Gerichtshof im Rahmen des Grundrechtsbeschwerdeverfahrens die rechtliche Annahme der in § 173 Abs 2 StPO genannten Gefahr (Prognoseentscheidung) darauf, ob sich diese angesichts der zugrunde gelegten bestimmten Tatsachen als willkürlich, also nicht oder nur offenbar unzureichend begründet, darstellt (14 Os 138/03, SSt 2003/81; RIS‑Justiz RS0117806). Vergleichsbasis des Willkürverbots sind – mit Blick auf § 173 Abs 2 StPO, der nur verlangt, dass die angenommenen Haftgründe auf bestimmten Tatsachen beruhen – ausschließlich die der Prognoseentscheidung zugrunde gelegten Tatsachen.
Diesen Anfechtungsrahmen verlässt die Grundrechtsbeschwerde, indem sie einerseits einen Teil der insoweit relevanten Tatsachenbasis (ES 4 f) übergeht und andererseits einwendet, vom Beschwerdegericht nicht erörterte Umstände würden gegen die Annahme von Tatbegehungsgefahr sprechen (hiezu 13 Os 118/03; 15 Os 165/10v, SSt 2010/79; RIS‑Justiz RS0117806 [T1]).
Gleiches gilt für den Einwand der Substituierbarkeit der Untersuchungshaft durch gelindere Mittel (§ 173 Abs 5 StPO), weil die Beschwerde eine Auseinandersetzung mit den diesbezüglichen Erwägungen des Oberlandesgerichts (ES 5 f) vermissen lässt (RIS‑Justiz RS0116422 [T1]).
Die Behauptung, es seien ohne Vorliegen der Voraussetzungen des § 178 Abs 2 StPO zwischen der Verhängung der Untersuchungshaft und dem Beginn der Hauptverhandlung mehr als sechs Monate verstrichen, hat schon deshalb auf sich zu beruhen, weil sie sich von der Aktenlage entfernt. Danach wurde nämlich die Untersuchungshaft am 12. Dezember 2015 verhängt (ON 113) und begann die Hauptverhandlung rund fünfeinhalb Monate später, konkret am 1. Juni 2016 (ON 194a S 1).
Hinzugefügt sei, dass nach dem Beginn der Hauptverhandlung gelegene Haftzeiten unter dem Aspekt des § 178 Abs 2 StPO unbeachtlich sind (11 Os 71/10s, SSt 2010/36; RIS‑Justiz RS0125949; Kirchbacher/Rami , WK‑StPO § 178 Rz 7).
Die Grundrechtsbeschwerde war somit ohne Kostenzuspruch (§ 8 GRBG) zurückzuweisen.
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