OGH 5Ob127/16m

OGH5Ob127/16m25.8.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Hradil als Vorsitzenden, den Hofrat Dr. Höllwerth, die Hofrätin Dr. Grohmann sowie die Hofräte Mag. Wurzer und Mag. Painsi als weitere Richter in der außerstreitigen Wohnrechtssache der Antragstellerin I***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Mag. Thomas Blaho, Rechtsanwalt in Wien, gegen sämtliche Mit‑ und Wohnungseigentümer der Liegenschaft EZ ***** KG ***** als Antragsgegner, darunter 1. Dr. P***** T*****, 7. DI I***** B***** und 9. Dr. R***** R*****, beide vertreten durch PETSCH FROSCH KLEIN ARTURO RECHTSANWÄLTE OG in Wien, wegen § 16 Abs 2 iVm § 52 Abs 1 Z 2 WEG 2002, über den Revisionsrekurs der Antragstellerin gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 30. März 2016, GZ 39 R 368/15d‑16, mit dem der Sachbeschluss des Bezirksgerichts Fünfhaus vom 28. Juli 2015, GZ 5 Msch 9/15y‑8, aufgehoben wurde, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0050OB00127.16M.0825.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Die Kosten des Revisionsrekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Die Antragstellerin begehrte die Duldung der Widmungsänderung ihres Wohnungseigentumsobjekts Geschäftslokal 3+4 als Tanzstudio und des Ausbaus dieses Objekts gemäß dem vorgelegten Einreichplan.

Das Erstgericht bestimmte den Erstantragsgegner als jenen Wohnungseigentümer, dem der verfahrenseinleitende Antrag nach § 52 Abs 2 Z 4 WEG 2002 zugestellt werden sollte. Es setzte die mündliche Verhandlung für den 2. 7. 2015 an, wobei den Ladungen folgender Beisatz angeschlossen war:

Aufforderung zur Äußerung zu einem Antrag (§ 17 AußStrG)

Das Gericht übermittelt Ihnen mit dieser Ladung den beiliegenden Antrag gemäß § 16 WEG. Sie haben die Möglichkeit, sich zu diesem Antrag zu äußern. Dies hat anlässlich der mündlichen Verhandlung zu erfolgen. Sollten Sie sich zu dem Antrag anlässlich der Verhandlung nicht äußern, so wird gemäß § 17 AußStrG angenommen, dass Sie den Angaben im Antrag keine Einwendungen entgegensetzen . Gegen diese Aufforderung ist ein Rechtsmittel nicht zulässig.

Diese Ladung wurde nur dem Antragstellervertreter individuell zugestellt. Im Übrigen wurde ein Aushang des Antrags sowie der Ladung im Haus für die Dauer von 30 Tagen angeordnet. Der Hausanschlag erfolgte am 13. 5. 2015. Der verfahrenseinleitende Antrag wurde dem Erstantragsgegner nachweislich (mit RSb) zugestellt.

Der Erstantragsgegner teilte noch vor der Verhandlung mit, dass er mit Zeichnung und Rücksendung der Pläne dem Antrag zustimme.

Zur Tagsatzung kam lediglich der Antragstellervertreter.

Das Erstgericht gab dem Antrag statt. Nach (zusammengefasster) Wiedergabe des Vorbringens der Antragstellerin führte es aus, dass den Antragsgegnern Gelegenheit zur Äußerung zum gegenständlichen Antrag gegeben worden sei, dies unter dem Hinweis, dass, sollte sich zum gegenständlichen Antrag nicht geäußert werden, gemäß § 17 AußStrG angenommen würde, dass dem Antrag keine Einwendungen entgegengesetzt würden. Die Antragsgegner hätten sich nicht geäußert und am weiteren Verfahren nicht teilgenommen. Daher werde gemäß § 17 AußStrG angenommen, dass keine Einwendungen gegen die Angaben der Antragstellerin und gegen eine beabsichtigte Entscheidung aufgrund des bekannten Inhalts der Erhebungen bestehe. Das Vorbringen der Antragstellerin werde daher als Sachverhalt festgestellt. Der angeschlossene Plan bilde einen Bestandteil des Sachbeschlusses. In rechtlicher Hinsicht sei im Hinblick auf die Umstände des festgestellten Einreichplans und der Nichtäußerung der Antragsgegner festzuhalten, dass die von der Antragstellerin geplanten Änderungen inklusive Widmungsänderung den Erfordernissen des § 16 Abs 2 WEG entsprächen, weshalb die Duldung der Antragsgegner zu den entsprechenden Änderungen festzustellen gewesen sei.

Das Rekursgericht gab dem Rekurs der Siebtantragsgegnerin und des Neuntantragsgegners Folge, hob den angefochtenen Sachbeschluss auf und trug dem Erstgericht eine neue Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. Rechtlich folgerte es zusammengefasst, dass im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren nach dem WEG die allgemeinen Bestimmungen des AußStrG mit einigen Besonderheiten gälten. Die besondere Zustellvorschrift des § 52 Abs 2 Z 4 WEG für typische Mehrparteienverfahren sei keine lex specialis zu § 17 AußStrG, der einen völlig anderen Inhalt habe. Diese Bestimmung enthalte eine besondere Säumnisfolgenregelung und diene daher der Verfahrensbeschleunigung. Wenn alle Voraussetzungen für die Anwendung des § 17 AußStrG erfüllt seien, bewirke die Säumnis der zur Äußerung aufgeforderten bzw geladenen Partei einen Einwendungsausschluss auf Tatsachenebene, im Ergebnis ein Zugeständnis jener bekannt gegebenen Tatsachen, die im zu beurteilenden Antrag vorgebracht oder vom Richter zur beabsichtigten Entscheidung erhoben worden seien. Die Aufforderung zur Äußerung oder die Ladung müssten gemäß § 17 Satz 3 AußStrG wie eine Klage zugestellt werden. Die gesetzmäßige Zustellung sei elementare Voraussetzung für die Gewährleistung des verfahrensrechtlichen Grundrechts auf rechtliches Gehör. Die spezielle Zustellvorschrift des § 17 Satz 3 AußStrG gehe den „allgemeinen“ Zustellvorschriften des WEG vor. Nach dem WEG sei somit grundsätzlich die Ladung durch Hausanschlag ausreichend, an diese Ladung dürften jedoch nicht die Rechtsfolgen des § 17 AußStrG geknüpft werden. Da der erstgerichtliche Sachbeschluss auf dem Einwendungs-ausschluss des § 17 AußStrG beruhe, erweise sich die Mängelrüge im Ergebnis als berechtigt. Die zu Unrecht ergangene Säumnisentscheidung sei mit dem Anfechtungsgrund des § 58 Abs 1 Z 1 AußStrG behaftet. Sie sei deshalb zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufzuheben.

Das Rekursgericht ließ den ordentlichen Revisionsrekurs zu, weil der Oberste Gerichtshof soweit überblickbar bislang noch nicht zum Verhältnis der Zustellvorschrift des § 52 Abs 2 Z 4 WEG zu jener des § 17 AußStrG Stellung bezogen habe.

Der von der – Siebtantragsgegnerin und dem Neuntantragsgegner beantworteteRevisionsrekurs der Antragstellerin ist zulässig, aber nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Im wohnungseigentumsrechtlichen Außerstreit-verfahren gelten nach § 52 Abs 2 WEG 2002 die allgemeinen Bestimmungen des AußStrG mit den in § 37 Abs 3 Z 1, 6, 8, 10 bis 19 sowie Abs 4 MRG genannten und unter anderem folgenden Besonderheiten:

4. Zustellungen an mehr als sechs Wohnungseigentümer können durch Anschlag im Sinn des § 24 Abs 5 vorgenommen werden. Der Anschlag darf frühestens nach 30 Tagen abgenommen werden. Die Zustellung des verfahrenseinleitenden Antrags gilt mit Ablauf dieser Frist als vollzogen, spätere Zustellungen hingegen schon mit dem Anschlag. Die Gültigkeit der Zustellung wird dadurch, dass der Anschlag noch vor Ablauf dieser Frist abgerissen oder beschädigt wurde, nicht berührt. Der verfahrenseinleitende Antrag ist überdies einem vom Gericht zu bestimmenden Wohnungseigentümer mit Zustellnachweis zuzustellen. Die Zustellung an einen Ersatzempfänger ist zulässig.

Nach § 24 Abs 1 AußStrG sind die Bestimmungen der Zivilprozessordnung über Zustellungen und das Zustellgesetz anzuwenden, soweit nichts angeordnet ist. Diese Gesetze sehen keine Zustellung durch Hausanschlag vor.

Nach § 8 Abs 2 AußStrG müssen verfahrenseinleitende Anträge, sofern sie nicht zugleich ab- oder zurückzuweisen sind, allen aktenkundigen Parteien wie eine Klage zugestellt werden.

Wie Klagen zuzustellen sind, regelt § 106 Abs 1 ZPO. Bis zum Inkrafttreten des Budgetbegleit-gesetzes (BBG) 2009, BGBl I 2009/52, waren Klagen eigenhändig (daher mit RSa) zuzustellen. Nunmehr ordnet § 106 Abs 1 ZPO die Zustellung mit Zustellnachweis und die Zulässigkeit der Zustellung an einen Ersatzempfänger an.

Der geänderten Rechtslage zur Zustellung von Klagen trägt § 52 Abs 2 Z 4 Satz 5 und 6 WEG 2002 in der Fassung BGBl I 2010/111 Rechnung. Verfahrenseinleitende Anträge müssen dem vom Gericht bestimmten Wohnungseigentümer nicht mehr eigenhändig zugestellt werden.

Die Zustellung des verfahrenseinleitenden Antrags ist im vorliegenden Fall erfolgt, wie es § 52 Abs 2 Z 5 WEG 2002 vorschreibt.

§ 17 AußStrG gilt – dort völlig neu (Würth, Was ist neu am neuen wohnrechtlichen Außerstreitverfahren?, wobl 2004, 319 [322]) – zufolge § 37 Abs 3 MRG, § 52 Abs 2 WEG 2002, und § 22 Abs 4 WGG auch für wohnrechtliche Außerstreitverfahren (Höllwerth in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 17 Rz 32). Satz 3 dieser Bestimmung ordnet an, dass die Aufforderung zur Äußerung sowie die Ladung (im Sinn des Satz 1) wie eine Klage zuzustellen sind.

Diese für den Eintritt der Säumnisfolgen (§ 17 Satz 2 AußStrG) notwendige Voraussetzung war bereits in § 185 Abs 3 AußStrG 1854 enthalten. Diese Bestimmung entsprach – abgesehen von ihrem eingeschränkten Anwendungsbereich (in Vormundschafts‑ und Pflegschaftssachen, wenn das Wohl eines Minderjährigen oder Pflegebefohlenen die dringende Erledigung eines Antrags erforderte) – weitgehend der Nachfolgebestimmung des § 17 AußStrG, der in seiner Stammfassung bislang unverändert blieb (vgl Höllwerth aaO Rz 13, 24).

Nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu § 185 Abs 3 AußStrG 1854 setzte der Eintritt der Säumnisfolgen eine wirksame (nach damaliger Rechtslage) eigenhändig vorzunehmende Zustellung voraus (RIS‑Justiz RS0006783 [T1]).

Mit der Säumnisregelung des § 17 AußStrG bezweckt der Gesetzgeber, der Verschleppung des Verfahrens durch eine Partei entgegenzuwirken, eine Verfahrensbeschleunigung zu erzielen und möglichst rasch die Grundlagen für eine Sachentscheidung zu erlangen (ErläutRV 224 BlgNR 22. GP  33; Höllwerth aaO Rz 26). Die Säumnis der Partei bewirkt – wie schon nach dem AußStrG 1854 – keine Anerkenntnisfiktion, sondern einen Einwendungsausschluss auf Tatsachenebene (RIS‑Justiz RS0006941 [T10]; Höllwerth aaO Rz 82; Rechberger in Rechberger AußStrG² § 17Rz 6; Fucik/Kloiber AußStrG § 17 Rz 2).

Die Säumnisfolgen sind darauf beschränkt, dass das Außerstreitgericht auch bei Nichtäußerung der Partei schon zufolge des Untersuchungsgrundsatzes notwendige Erhebungen durchzuführen und die für die Stattgebung des Antrags maßgeblichen rechtlichen Voraussetzungen zu prüfen hat. So wäre ein unschlüssiger Antrag abzuweisen, auch wenn die Partei auf die Aufforderung zur Äußerung nicht reagiert hat (Höllwerth aaO Rz 85; Rechberger aaO mwN).

Die Säumnisfolgen des § 17 AußStrG ähneln den Wirkungen des im wohnrechtlichen Außerstreitverfahren ausnahmslos geltenden Neuerungsverbots (§ 37 Abs 3 Z 14 MRG iVm § 52 Abs 2 WEG 2002 iVm § 22 Abs 4 WGG). Auch eine Partei, die nicht nach § 17 AußStrG zur Äußerung aufgefordert wurde, sich aber im Verfahren erster Instanz nach gesetzmäßiger Zustellung des verfahrenseinleitenden Antrags nicht beteiligt, darf im Rekurs keine neuen Tatsachen behaupten.

§ 17 AußStrG erlaubt es allerdings dem Außerstreitgericht, einer stattgebenden Entscheidung das tatsächliche schlüssige Vorbringen ohne weitere Beweisaufnahme zugrunde zu legen. Die mögliche Beeinträchtigung der materiellen Wahrheitsfindung ist nur dann zu rechtfertigen, wenn eine besonders penible Einhaltung der das effektive rechtliche Gehör sichernden Anwendungsvoraussetzungen gewährleistet ist (Höllwerth aaO Rz 28 mwN).

Die Zustellung durch Hausanschlag stellt eine gesetzliche Fiktion der Kenntnismöglichkeit für die Betroffenen dar (5 Ob 263/09a = wobl 2011/39, 82 mwN). Die Anpassung des § 52 Abs 2 Z 4 Satz 5 und 6 WEG 2002 an § 106 Abs 1 ZPO idF BGBl 2009/52 zeigt in Verbindung mit dem allgemeinen Verweis auf die Bestimmungen des AußStrG, dass die Möglichkeit einer Zustellung durch Hausanschlag Vorschriften des AußStrG über die Zustellung bestimmter Schriftsätze wie Klagen nur im ausdrücklich geregelten Fall der Zustellung des verfahrenseinleitenden Schriftsatzes erweitert. Die Forderung nach einem effektiven Schutz des rechtlichen Gehörs verbietet die Zustellung einer Aufforderung nach § 17 AußStrG nur durch Hausanschlag.

Es ist noch anzumerken, dass der Antrag diverse Ungereimtheiten aufwies. Die begehrte Änderung sollte sich nach dem Antrag auf 606/2362‑Anteile der Antragstellerin an der Liegenschaft, verbunden mit Wohnungseigentum am Geschäftslokal 1 auf Stiege 2 beziehen. Begehrt wird aber nur die Duldung der Änderung des Geschäfts-lokals 3+4a/Kellergeschoß Stiege 1. Dieses Wohnungs-eigentumsobjekt ist nach dem Antrag (entsprechend dem Grundbuchstand) mit 181/2362‑Anteilen verbunden. Die bereits durchgeführten Änderungen hätten nach dem Vorbringen ausschließlich im Wohnungseigentumsobjekt stattgefunden und sollten (offenbar) nur nach § 16 Abs 2 Z 1 WEG 2002 beurteilt werden. Dann spricht die Antragstellerin in ihrem Antrag wieder von der Verkehrsüblichkeit ihrer Änderungen im Sinn des § 16 Abs 2 Z 2 WEG 2002. Eingangs des Antrags ist von einer Widmung als Geschäftslokal die Rede, dann findet sich jedoch zur Widmung auf Seite 3 die Bezeichnung „Wohnung“.

Das Vorbringen im Antrag hätte das Erstgericht somit zu weiteren Erhebungen veranlassen müssen, selbst wenn die Aufforderung zur Äußerung nach § 17 AußStrG gesetzmäßig zugestellt worden wäre.

Ergebnis: Die Säumniswirkung des § 17 AußStrG konnte nicht eintreten, weil die Aufforderung zur Äußerung nicht allen Antragsgegnern individuell wie eine Klage zugestellt wurde. Die Aufhebung der Entscheidung des Erstgerichts ist zutreffend erfolgt.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 37 Abs 3 Z 17 MRG iVm § 52 Abs 2 WEG 2002. Erst nach Abschluss des Verfahrens kann beurteilt werden, ob und in welchem Ausmaß Billigkeitserwägungen den Zuspruch von Kosten rechtfertigen (RIS‑Justiz RS0123011 [T1]).

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