OGH 8Ob25/16h

OGH8Ob25/16h17.8.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, den Hofrat Dr. Brenn sowie die Hofrätinnen Mag. Korn und Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj L* F*, geboren am *, wegen Übertragung der Obsorge, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters A* W*, vertreten durch Mag. Julia Fux, Rechtsanwältin in Neunkirchen, gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom 2. Juli 2015, GZ 16 R 175/15x‑270, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:E115473

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Begründung:
Rechtliche Beurteilung

Nach der Lebenserfahrung gehört das Erfordernis der Kontinuität zu den Grundbedingungen für eine erfolgreiche und damit dem Wohl des Kindes dienende Erziehung. Sie ist zwar nicht das alleinige, aber doch ein wesentliches Kriterium für die Frage der Zuweisung der Obsorge (RIS‑Justiz RS0047928 [T10]).

Maßnahmen, die eine Änderung der Pflegeverhältnisse und Erziehungsverhältnisse mit sich bringen, sind nur dann in Betracht zu ziehen, wenn sich die Verhältnisse in der Zwischenzeit derart geändert haben, dass eine Neuregelung im Interesse des Kindes dringend geboten ist.

Die Änderung der Obsorgeverhältnisse darf nur als Notmaßnahme unter Anlegung eines strengen Maßstabs angeordnet werden und bedarf besonders wichtiger Gründe, die im Interesse des Kindes eine so einschneidende Maßnahme dringend geboten erscheinen lassen, weil andernfalls das Wohl des pflegebefohlenen Kindes gefährdet wäre (RIS‑Justiz RS0047903 [T9] = 7 Ob 126/07s; 1 Ob 37/16x).

Diese Voraussetzungen vermag der Revisionsrekurs des Vaters, der die Übertragung der Obsorge für das derzeit 12‑jährige, im Haushalt der Mutter aufgewachsene Kind begehrt, nicht aufzuzeigen. Zwar nimmt er im Revisionsrekurs neuerlich auf eine von ihm vermutete Gefährdung des Kindes Bezug, der die Vorinstanzen mit den von ihnen gepflogenen Erhebungen nicht hinreichend nachgegangen seien, ohne aber darzulegen, welche konkreten Nachteile er für das Kind befürchtet. Nach den Erhebungsergebnissen des Jugendwohlfahrtsträgers lagen keine Anhaltspunkte für eine Vernachlässigung oder sonstige Gefährdung vor, zu deren Abwehr ein Obsorgewechsel als geeignetes Mittel in Betracht käme.

Soweit der Revisionsrekurs bemängelt, dass die vom Vater namhaft gemachten Zeugen nicht gehört wurden, ist festzuhalten, dass sich das Rekursgericht mit diesem Vorbringen bereits befasst und darin keinen Verfahrensmangel erblickt hat. Ein in zweiter Instanz geprüfter und verneinter Verfahrensmangelvorwurf kann im Revisionsrekurs nicht mehr geltend gemacht werden (ua Schramm in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 66 Rz 21). Für eine ausnahmsweise Durchbrechung dieses Anfechtungsverbots im Interesse des Kindeswohls besteht hier keine greifbare Grundlage, weil der Revisionsrekurs nicht erkennen lässt, welche bisher noch nicht berücksichtigten Umstände durch die unterbliebenen Zeugenvernehmungen eigentlich bewiesen werden sollten.

Dem Revisionsrekurs ist darin beizupflichten, dass die gegenwärtige Situation insofern problematisch ist, als das Kind in den seit Jahren hoch eskalierten Obsorgestreit der Eltern verstrickt wurde, seine Position auf Seiten der betreuenden Mutter bezogen hat und den Vater nun kategorisch ablehnt und sogar fürchtet.

Gerade angesichts dieser Situation, so ungünstig sie sein mag, ist die Beschlussfassung der Vorinstanzen nicht unvertretbar, wäre es doch eine weitere schwere emotionale Belastung für das Kind, wenn es plötzlich aus der gewohnten Umgebung herausgerissen, von seinen Bezugspersonen getrennt und zum Zusammenleben mit dem abgelehnten Elternteil gezwungen würde.

Der Oberste Gerichtshof hat im Obsorgeverfahren im Interesse des Kindeswohls – ungeachtet des im Revisionsrekursverfahren an sich herrschenden Neuerungsverbots – auch erst nachträglich eingetretene aktenkundige Entwicklungen zu berücksichtigen, die die bisherige Tatsachengrundlage wesentlich verändern (RIS‑Justiz RS0122192).

Der Akt enthält im vorliegenden Fall aber keinen Hinweis auf solche Umstände, die zu einer Neubeurteilung des Sachverhalts Anlass geben könnten.

Stichworte