OGH 8ObA64/15t

OGH8ObA64/15t28.6.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Brenn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Josef Schleinzer (aus dem Kreis der Arbeitgeber) und Mag. Regina Albrecht (aus dem Kreis der Arbeitnehmer) in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei C***** P*****, vertreten durch Dr. Alice Gao und Mag. Monika Keki‑Angermann, Rechtsanwältinnen in Wien, gegen die beklagte Partei R***** GmbH, *****, vertreten durch Jandl & Schöberl Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen 7.574,04 EUR brutto sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 23. Juli 2015, GZ 10 Ra 35/15p‑15, mit dem das Urteil des Arbeits- und Sozialgerichts Wien vom 24. November 2014, GZ 1 Cga 68/14x‑11, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:008OBA00064.15T.0628.000

 

Spruch:

 

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die Entscheidung zu lauten hat:

„Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei 7.574,04 EUR brutto samt 4 % Zinsen seit 1. 10. 2013 sowie die mit 3.632,43 EUR bestimmten Verfahrenskosten (darin 487,57 EUR USt und 707 EUR Barauslagen) binnen 14 Tagen zu bezahlen.

Das auf Zahlung weiterer 5,8 % Zinsen seit 1. 10. 2013 gerichtete Mehrbegehren wird abgewiesen.“

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 2.173,09 EUR (darin 180,85 EUR USt und 1.088 EUR Barauslagen) an Kosten des Berufungsverfahrens und 2.106,43 EUR (darin 124,07 EUR USt und 1.362 EUR Barauslagen) an Kosten des Revisionsverfahrens zu ersetzen.

 

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war bei der Beklagten vom 1. 6. 1980 bis 30. 9. 2013 als Angestellte beschäftigt. Das Dienstverhältnis wurde wegen Pensionierung der Klägerin beendet.

Wegen einer Änderung der IT‑Infrastruktur mussten die Klägerin und ihre Kollegen in den Jahren 2011 bis 2013 Überstunden leisten. Ein Abbau des Guthabens durch Zeitausgleich war vereinbart, konnte aber nicht erreicht werden. Teilweise mussten die Überstundenguthaben deshalb ausbezahlt werden. Die Klägerin hat im Jahre 2011 insgesamt 304 Überstunden geleistet, 2012 waren es 257,75 und 2013 noch weitere 101,75 Stunden.

Im Hinblick auf die bevorstehende Pensionierung der Klägerin wurden ihr von der Beklagten ab Ende März 2013 (Stand des Überstundenguthabens: 437) bis Juli 2013 monatlich je 40 Überstunden abgerechnet und bezahlt. Die Zahlung des Guthabens in Monatsraten an Stelle eines Einmalbetrags entsprach ihrem Wunsch. Vom 5. 8. bis 6. 9. 2013 konsumierte die Klägerin noch weitere 159 Zeitausgleichsstunden, das restliche Überstunden-guthaben wurde ausbezahlt.

Bei Beendigung des Dienstverhältnisses erhielt die Klägerin eine Abfertigung. Als Bemessungsgrundlage zog die Beklagte das letzte Bruttomonatsentgelt von 4.904,46 EUR, bestehend aus Gehalt und Fixprämie, heran.

Das Klagebegehren richtet sich auf Zahlung jener – der rechnerischen Höhe nach unbestrittenen – Abfertigungsdifferenz, die sich unter Einbeziehung des Durchschnittsentgelts für die im letzten vollen Beschäftigungsjahr (1. 10. 2012 bis 30. 9. 2013) geleisteten 171,75 Überstunden in die Bemessungsgrundlage ergibt.

Die Beklagte wandte (soweit im Revisionsverfahren noch relevant) ein, mit der Klägerin sei ausschließlich Zeitausgleich vereinbart gewesen. Eine einmalige, wenn auch in Raten erfolgte Abgeltung eines nicht mehr ausgleichbaren Überstundenguthabens am Ende des Dienstverhältnisses sei für die Abfertigungsbemessung nicht heranzuziehen.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Abfertigung alt sei auf Grundlage des für den letzten Monat gebührenden Entgelts zu berechnen. Darunter sei der Durchschnittsverdienst zu verstehen, der sich aus den mit gewisser Regelmäßigkeit – auch in größeren als monatlichen Abständen – wiederkehrenden Bezügen zusammensetze, darunter insbesondere auch regelmäßig ausbezahlte Überstundenentgelte.

Bei einem Abbau von Überstunden durch Zeitausgleich komme es hingegen nur zu einer anderen Verteilung der Arbeitszeit, die nicht zu einer Erhöhung des regelmäßigen Entgelts führe und sich daher nicht auf die Abfertigungsbemessung auswirke. Auch wenn am Ende des Dienstverhältnisses eine einmalige Auszahlung eines offenen Restguthabens erforderlich werde, sei diese mangels Regelmäßigkeit des Bezugs nicht in die Abfertigung einzurechnen.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung, trat der rechtlichen Beurteilung des Erstgerichts bei und erklärte die ordentliche Revision für nicht zulässig.

Entgegen diesem Ausspruch ist die von der Klägerin erhobene Revision, mit der sie die Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen anstrebt, zulässig, weil die Anwendung der dargelegten Rechtsprechung durch das Berufungsgericht im Einzelfall einer Klarstellung und Korrektur bedarf.

Die Beklagte hat die ihr freigestellte Revisionsbeantwortung (§ 508a ZPO) erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist berechtigt.

1. Zutreffend sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass die Berechnung des Abfertigungsanspruchs auf der Basis des für den letzten Monat des Dienstverhältnisses regelmäßig gebührenden Durchschnitts-verdienstes beruht. Bei schwankenden Einkünften ist auf den Durchschnitt des im letzten Jahr erworbenen Verdienstes, einschließlich bezahlter Überstundenentgelte, abzustellen.

2. Der Oberste Gerichtshof hat in der schon vom Berufungsgericht zitierten, eine Gleitzeitvereinbarung betreffenden Entscheidung 9 ObA 124/12v (vgl auch schon 9 ObA 213/88) ausführlich dargelegt, dass eine Vereinbarung, dass Zeitguthaben erwirtschaftet werden und durch Zeitausgleich abzubauen sind, lediglich zu einer anderen Verteilung der Arbeitszeit führt, ohne dass die Gewährung eines auf die Normalarbeitszeit anzurechnenden Freizeitausgleichs ein zusätzliches Entgelt für die Zurverfügungstellung der Arbeitskraft darstellen könnte (vgl RIS‑Justiz RS0051784; RS0051781). War in diesem Sinn vereinbart, dass der Arbeitnehmer die durchschnittlich im Monat geleisteten Überstunden durch Zeitausgleich ausgleicht, kann aber ein Teil davon nicht mehr vor Beendigung des Dienstverhältnisses ausgeglichen werden, so ist der dafür bezahlte Geldersatz in die Bemessungsgrundlage für die Abfertigung nicht einzubeziehen, weil es bei dieser bloß einmaligen Zahlung an den Minimalvoraussetzungen für die Annahme eines regelmäßigen Charakters dieses Bezugs mangelt.

Anderes hat aber dann zu gelten, wenn eine Übereinkunft dahin besteht, vom Ausgleich eines Zeitguthabens durch Zeitausgleich abzugehen und dem Arbeitnehmer die Gutstunden regelmäßig als Überstunden zu entlohnen (9 ObA 124/12v; vgl auch 8 ObS 3/94; 9 ObA 213/88).

3. Der vorliegende Sachverhalt weist wesentliche Elemente auf, die ein schlüssiges Abgehen der Streitteile von der grundsätzlichen Zeitausgleichsvereinbarung begründen.

Eine allgemeine Gleitzeitregelung (wie sie der Entscheidung 9 ObA 124/12v zugrunde lag) war zwischen den Parteien nicht vereinbart. Die Leistung zahlreicher Überstunden wurde erst in den letzten drei Jahren des Dienstverhältnisses der Klägerin zur Bewältigung eines plötzlich gestiegenen Arbeitsaufwands erforderlich.

Der zwischen den Streitteilen vereinbarte Abbau dieser Überstunden durch Zeitausgleich gelangte jedoch praktisch von Beginn an nicht zur Verwirklichung. Das Überstundenguthaben der Klägerin wurde nicht ausgeglichen, sondern stieg nach den Feststellungen trotz fallweisen Zeitausgleichskonsums und – nicht näher festgestellter – Auszahlungen stetig an, sodass im März 2013 von den insgesamt seit 2011 geleisteten 663,5 Überstunden noch 437 offen waren.

Ein Abbau dieses Guthabens durch Zeitausgleich (1:1,5) wäre ab März 2013 bis zum Pensionsantritt der Klägerin immer noch möglich gewesen, wenn es auch rund vier Monate ihrer verbleibenden Dienstzeit in Anspruch genommen hätte.

Spätestens mit ihrer im März 2013 getroffenen Vereinbarung, den überwiegenden Teil des Überstunden-guthabens trotz der theoretischen Möglichkeit des Naturalausgleichs auszubezahlen, sind die Streitteile daher einvernehmlich von der ursprünglichen Zeitausgleichs-vereinbarung abgegangen.

4. Das Klagebegehren zielt auf Einrechnung des Durchschnitts der im letzten vollen Jahr vor der Beendigung des Dienstverhältnisses geleisteten 171,75 Überstunden ab. Es bezieht sich daher richtigerweise nicht auf das gesamte im Jahr 2013 ausbezahlte Überstundenentgelt, sondern nur auf jenen Teil, den die Klägerin im Zeitraum ab 1. 10. 2012 verdient hat. Dieser Anteil ist als regelmäßiger Verdienst in die Abfertigungsbemessungsgrundlage einzurechnen.

Das Zinsenmehrbegehren der Klägerin war abzuweisen. Die Verzögerung der Zahlung beruhte auf einer vom Obersten Gerichtshof zwar nicht geteilten, aber nicht schlechthin unvertretbaren Rechtsansicht der Beklagten (§ 49a ASGG).

Der Revision war daher in der Hauptsache Folge zu geben.

Wegen der Abänderung der Entscheidung des Erstgerichts war auch dessen Kostenentscheidung gemäß § 2 ASGG, § 41 ZPO neu zu fassen. Von der Beklagten wurden keine Einwendungen gegen die in erster Instanz von der Klägerin verzeichneten Kosten erhoben (§ 54 Abs 1a ZPO).

Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens gründet sich auf § 2 ASGG, §§ 41 und 50 ZPO.

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