European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0060OB00107.16B.0627.000
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die angefochtene Entscheidung wird dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Der Antragsteller ist schuldig, der Antragsgegnerin die mit 380,02 EUR (darin 63,34 EUR Umsatzsteuer) bestimmten Kosten des Revisionsrekursverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Begründung:
Der Antragsteller war als Vater der 1988 geborenen Antragsgegnerin seit Juli 2012 zu einer monatlichen Unterhaltsleistung von 140 EUR verpflichtet. Die Antragsgegnerin verfügt über ein Nettoeinkommen von monatlich durchschnittlich 792,70 EUR einschließlich der Sonderzahlungen und bezieht erhöhte Familienbeihilfe nach § 6 Abs 5 FamLAG von monatlich 367,30 EUR. Sie lebt mit ihrem Freund in dessen Mietwohnung und kommt für die Lebenshaltungskosten beider auf.
Das Erstgericht setzte die monatliche Unterhaltsverpflichtung des Antragstellers – insoweit rechtskräftig – ab 1. 7. 2015 auf 99 EUR herab, lehnte jedoch eine gänzliche Unterhaltsenthebung, wie vom Antragsteller begehrt, ab. Zwar sei das Einkommen der Antragsgegnerin unterhaltsmindernd zu berücksichtigen, nicht jedoch die von ihr bezogene erhöhte Familienbeihilfe. Bei einem Eigeneinkommen von (lediglich) 792,70 EUR verbleibe ein Restgeldunterhaltsanspruch von 99 EUR.
Das Rekursgericht enthob den Antragsteller zur Gänze von seiner Unterhaltsverpflichtung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig ist; es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob der Eigenanspruch eines Kindes auf erhöhte Familienbeihilfe nach § 6 Abs 5 FamLAG als anrechenbares Eigeneinkommen zu berücksichtigen sei.
In der Sache selbst vertrat das Rekursgericht die Auffassung, nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs seien öffentlich‑rechtliche, nicht rückzahlbare Sozialleistungen, über die es frei verfügen kann, anrechenbares Eigeneinkommen des unterhaltsberechtigten Kindes, wozu auch die aufgrund eines Eigenanspruchs bezogene erhöhte Familienbeihilfe nach § 6 Abs 5 FamLAG zähle; diese stehe der Antragsgegnerin zu, weil sie von ihren Eltern nicht überwiegend Unterhalt beziehe. Eine solche Familienbeihilfe stelle auch auf Seiten des Unterhaltspflichtigen einen Teil dessen Unterhaltsbemessungsgrundlage dar. § 12a FamLAG, wonach die Familienbeihilfe nicht als eigenes Einkommen des Kindes gilt, stehe dem nicht entgegen. Diese solle nach dem Willen des Gesetzgebers jenem Haushalt zukommen, in dem das Kind betreut wird; im vorliegenden Fall führe die Antragsgegnerin jedoch einen eigenen Haushalt und betreue sich somit „quasi“ selbst.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig; er ist auch berechtigt.
1. Der erkennende Senat hat erst jüngst klargestellt (6 Ob 37/16h), dass zwar nach § 16 Abs 2 Z 1 RPflG dem Richter stets Berichte an vorgesetzte Behörden vorbehalten bleiben, wozu auch Vorlageberichte nach § 179 Geo gehören. In einem Fall, in dem – wie auch hier – das Rekursgericht den Revisionsrekurs für zulässig erklärt hat, ein solcher auch fristgerecht erhoben und nunmehr von der zuständigen Diplomrechtspflegerin dem Obersten Gerichtshof vorgelegt wurde, würde jedoch eine Rückstellung des Akts an das Erstgericht lediglich zur Unterfertigung des Vorlageberichts durch den Richter einen „leeren Formalismus“ darstellen.
2. Infolge Zustellung der angefochtenen Entscheidung und des Verfahrenshilfebewilligungsbeschlusses sowie des Bescheids der zuständigen Rechtsanwaltskammer über die Bestellung des Vertreters der Antragsgegnerin als Verfahrenshelfer am 23. 3. 2016 endete die vierzehntägige Revisionsrekursfrist des § 65 Abs 1 AußStrG am 6. 4. 2016. Am Tag zuvor übermittelte der Vertreter der Antragsgegnerin dem Erstgericht im elektronischen Rechtsverkehr eine aus einem Blatt bestehende Eingabe, die lediglich das Erstgericht und die Aktenzahl nennt sowie die Parteien, den Vertreter der Antragsgegnerin, den Verfahrensgegenstand und die Bezeichnung „ordentlicher Revisionsrekurs“ enthält. Einen Tag nach Ablauf der Revisionsrekursfrist wurde dem Erstgericht auf demselben Weg die ursprüngliche Eingabe nochmals übermittelt, wobei diese nunmehr einen Verweis auf eine Beilage (ordentlicher Revisionsrekurs) enthält und ihr auch tatsächlich der Revisionsrekurs angeschlossen ist.
Nach der jüngeren Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist zwar die bloße Übermittlung eines „Deckblatts“ eines anwaltlichen Rechtsmittels nicht verbesserbar und führt zu keiner Fristverlängerung. Da diese Beschränkung der gesetzlich vorgesehenen Verbesserungsmöglichkeiten allerdings darauf abzielt, verfahrensrechtliche Vorteile zu verhindern, die durch bewusstes Fehlverhalten bei der Einbringung von Schriftsätzen entstünden, ist grundsätzlich ein Verbesserungsauftrag zu erteilen, wenn nichts darauf hindeutet, dass durch bewusst unvollständige Einbringung – etwa nur des „Deckblatts“ – die Erschleichung eines Verbesserungsauftrags – und damit eine Fristverlängerung – erreicht werden sollten (1 Ob 200/06b; 7 Ob 130/10h SZ 2011/41; 1 Ob 70/13w). In der zuletzt genannten Entscheidung wurde dabei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass gerade mit der automationsunterstützten Verfassung und Einbringung von Schriftsätzen zahlreiche mögliche Fehlerquellen verbunden sind, weshalb bei im Elektronischen Rechtsverkehr übermittelten Eingaben eine Fehlerhaftigkeit oder Unvollständigkeit in der Regel ohne jene böse Absicht erfolgt.
Da auch im vorliegenden Fall nichts darauf hindeutet, dass durch bewusstes Einbringen der lediglich aus einem Blatt bestehenden Eingabe vom 5. 4. 2016 die Erschleichung eines Verbesserungsauftrags – und damit eine Fristverlängerung – erreicht werden sollten, war der zwei Tage später nachgereichte Revisionsrekurs der Antragsgegnerin einer meritorischen Erledigung zuzuführen.
3. Nach § 12a FamLAG gilt die Familienbeihilfe nicht als eigenes Einkommen des Kindes. Weder dessen Wortlaut noch den Gesetzesmaterialien kann dabei entnommen werden, dass § 12a FamLAG eine Differenzierung zwischen der „normalen“ Familienbeihilfe nach § 8 Abs 1 bis 3 FamLAG und der erhöhten Familienbeihilfe nach § 8 Abs 4 bis 7 FamLAG – eine solche bezieht die Antragsgegnerin – beziehungsweise danach vornehmen will, ob dem Kind ein Eigenanspruch auf die Familienbeihilfe zusteht oder diese vom betreuenden Elternteil bezogen wird. In diesem Sinn hat deshalb der Oberste Gerichtshof im Zusammenhang mit der (teilweisen) Anrechnung von Familienbeihilfe und Kinderabsetzbetrag auf den Geldunterhaltsanspruch eines Kindes zwecks (steuerlicher) Entlastung des Unterhaltspflichtigen klargestellt, dass eine solche nicht nur bei Auszahlung der Transferleistungen an den betreuenden Elternteil, sondern auch bei unmittelbarer Auszahlung an den Unterhaltsberechtigten zu erfolgen hat (4 Ob 215/09k).
3.1. Damit scheitert die vom Rekursgericht vertretene Auffassung, die von der Antragsgegnerin aufgrund eines Eigenanspruchs bezogene erhöhte Familienbeihilfe sei anrechenbares Eigeneinkommen, bereits am Wortlaut des § 12a FamLAG. Dabei handelt es sich um eine gesetzgeberische Wertung, die nicht nur bei der Familienbeihilfe zum Tragen kommt, sondern etwa auch bei Studienförderungsmaßnahmen nach § 1 StudFG; nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs ist nämlich etwa die Studienbeihilfegrundsätzlich kein den Unterhaltsanspruch minderndes Eigeneinkommen des unterhaltsberechtigten Kindes (§ 1 Abs 3 StudFG; vgl die Nachweise bei Gitschthaler, Unterhaltsrecht³ [2015] Rz 770), auch wenn dies für den umgekehrten Fall (der Unterhaltspflichtige bezieht Studienbeihilfe) anders gesehen wird (2 Ob 253/09h). Die vom Rekursgericht offensichtlich für notwendig erachtete Gleichbehandlung von Unterhaltspflichtigem und Unterhaltsberechtigtem bei Bezug einer erhöhten Familienbeihilfe aufgrund Eigenanspruchs ist somit nicht zwingend erforderlich.
3.2. § 12a FamLAG wurde mit BGBl 646/1977 mit folgendem Wortlaut eingeführt: „Die Familienbeihilfe gilt nicht als eigenes Einkommen des Kindes und mindert nicht dessen Unterhaltsanspruch.“ Anliegen des Gesetzgebers war es damals (ErläutRV 636 BlgNR XIV. GP , 11), dafür Sorge zu tragen, dass „die Familienbeihilfe in ungeschmälerter Höhe dem Haushalt [zukommt], in dem das Kind betreut wird, und dass dadurch keine Entlastung der Person ein‑[tritt], die zwar für das Kind unterhaltspflichtig ist, bei der jedoch das Kind nicht haushaltszugehörig ist“.
Genau den zuletzt genannten Effekt hätte jedoch die vom Rekursgericht vertretene Auffassung, weshalb es seit jeher der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs entsprach, weder die „normale“ (8 Ob 634/91 mwN) noch die erhöhte (6 Ob 591/95) Familienbeihilfe als anrechenbares Eigeneinkommen des unterhaltsberechtigten Kindes zu betrachten. Daran hat auch die teilweise Aufhebung des § 12a FamLAG („und mindert nicht dessen Unterhaltsanspruch“) als verfassungswidrig mit Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs vom 19. 6. 2002 (G 7/02 ua) nichts geändert (in diesem Sinn auch Schwimann/Kolmasch, Unterhaltsrecht7 [2014] 148). Grund hiefür war vielmehr, dass die Familienbeihilfe nach Auffassung des Verfassungsgerichtshofs aufgrund der damaligen Entwicklung der Familienbesteuerung teilweise die Funktion einer Abgeltung der steuerlichen Mehrbelastung von Unterhaltspflichtigen übernommen hatte, weshalb die Familienbeihilfe nunmehr auch eine steuerliche Entlastung des geldunterhaltspflichtigen Elternteils bewirken soll (stRsp, siehe bloß 7 Ob 175/02i); dies im Übrigen aber auch nur mit dem Grundbetrag und nicht auch im Umfang ihrer Erhöhung nach § 8 Abs 4 ff FamLAG (vgl die Nachweise bei Gitschthaler aaO Rz 748/4).
3.3. Die Überlegungen des Rekursgerichts, die Familienbeihilfe habe den Mindestunterhalt des Kindes zu gewährleisten, das sich hier im eigenen Haushalt „quasi“ selbst betreut, weshalb sie in dieser „besonderen Fallkonstellation“ eine Geldleistung darstellt, die zu den eigenen Einkünften zählt, sind widersprüchlich. Wenn die Familienbeihilfe einen solchen Mindestunterhalt darstellt, ist nicht erkennbar, warum dann ihr Bezug durch das Kind dessen Unterhaltsanspruch schmälern soll.
Im Übrigen verweist die Antragsgegnerin in ihrem Revisionsrekurs zutreffend darauf hin, dass die Auffassung des Rekursgerichts zu einer nicht zu rechtfertigenden Ungleichbehandlung von betreuten Kindern einerseits und eigenständig lebenden Kindern andererseits führen würde. Die Familienbeihilfe soll nach den Intentionen des historischen Gesetzgebers in ungeschmälerter Höhe dem Haushalt zukommen, in dem das Kind betreut wird, weshalb sie in einem solchen Fall nicht als Eigeneinkommen berücksichtigt wird. Zieht das Kind aus diesem Haushalt aus, würde es nach Auffassung des Rekursgerichts nicht nur die bisherige Betreuung, sondern auch einen Teil der Familienbeihilfe verlieren. Hiefür besteht keinerlei sachliche Rechtfertigung.
4. Der Oberste Gerichtshof schließt sich deshalb – vom Rekursgericht ohnehin selbst zitierter – zweitinstanzlicher Rechtsprechung (LG Feldkirch EFSlg 113.599 [2006]) an, wonach (auch nach der teilweisen Aufhebung des § 12a FamLAG durch den Verfassungsgerichtshof) weder der Grundbetrag der Familienbeihilfe noch deren Erhöhungsbetrag nach § 8 Abs 4 ff FamLAG als anrechenbares Eigeneinkommen des Kindes anzusehen sind.
Dass der Antragsgegnerin unter Außerachtlassung der Familienbeihilfe ein monatlicher Unterhaltsbeitrag von 99 EUR zusteht, ist im Revisionsrekursverfahren nicht strittig, womit der erstinstanzliche Beschluss wiederherzustellen war.
5. Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsrekursverfahrens (die Antragsgegnerin hat sich am Rekursverfahren nicht beteiligt) gründet sich auf § 78 Abs 2 AußStrG. Gemäß § 9 Abs 3 RATG beträgt die Bemessungsgrundlage in Kindesunterhaltsverfahren das Einfache der (noch strittigen) Jahresleistung, somit 1.188 EUR (99 x 12).
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