OGH 16Ok6/16t

OGH16Ok6/16t16.6.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Rekursgericht in Kartellrechtssachen durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schramm und Univ.‑Prof. Dr. Kodek als weitere Richter in der Kartellrechtssache der Antragstellerin Bundeswettbewerbsbehörde, 1020 Wien, Praterstraße 31, gegen die Antragsgegnerinnen 1. P***** GmbH, 2. P***** GmbH, beide *****, beide vertreten durch Dr. Fritz Vierthaler, Rechtsanwalt in Gmunden, wegen Hausdurchsuchung gemäß § 12 Abs 1 und 3 WettbewerbsG, über den Rekurs der Antragsgegnerinnen gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien vom 16. März 2016, GZ 27 Kt 9/16z, 27 Kt 10/16x‑3, in nichtöffentlicher Sitzung den

B e s c h l u s s

gefasst :

 

Spruch:

Dem Rekurs wird nicht Folge gegeben.

B e g r ü n d u n g :

Geschäftszweig der Zweitantragsgegnerin ist unter anderem die Ausübung des Spengler‑, Stuckateur‑ und Trockenbaugewerbes. Die Erstantragsgegnerin ist Gesellschafterin der Zweitantragsgegnerin. Die Firma A***** GmbH & Co KG [in der Folge: Mitbewerberin] ist ebenfalls im Trockenbaugewerbe tätig. Kommanditistin dieser KG ist A***** K*****.

Die Bundeswettbewerbsbehörde beantragte die Erlassung eines Hausdurchsuchungsbefehls ua gegen die Erst‑ und Zweitantragsgegnerin an deren gemeinsamem Geschäftssitz. Es bestehe der begründete Verdacht, dass es bei mehreren Ausschreibungen zwischen den Antragsgegnerinnen und ihren Mitbewerbern zu kartellrechtswidrigen horizontalen Absprachen im Bereich von Trockenbauleistungen gekommen sei, indem die Antragsgegnerinnen bei Ausschreibungen von Trockenbauleistungen die Angebote mit Mitbewerbern abgesprochen hätten.

Aufgrund des begründeten Anfangsverdachts sei es naheliegend, dass sich bei den Antragsgegnerinnen die zur Erlangung von Informationen notwendigen Geschäftsunterlagen befinden könnten. Gelindere Mittel, etwa in Form von Auskunftsverlangen, seien zur Aufklärung des Sachverhalts nicht zielführend. Die beantragte Hausdurchsuchung sei zur Sicherstellung von Beweismitteln erforderlich und angemessen.

Das Erstgericht erließ den beantragten Hausdurchsuchungsbefehl gegenüber der Erst‑ und Zweitantragsgegnerin. Die Abweisung des Antrags auf Erlassung eines Hausdurchsuchungsbefehls auch gegenüber der ursprünglichen Drittantragsgegnerin wurde nicht bekämpft.

Dabei ging das Erstgericht davon aus, dass zwischen den Antragsgegnerinnen und der Mitbewerberin im Zeitraum zwischen April 2012 und Februar 2015 fünf E‑Mails versandt wurden, wobei der Zugang eines E‑Mails nicht festgestellt werden konnte. Die E‑Mails vom 27. 4. 2012 und 4. 9. 2012 enthielten im Begleittext jeweils einen Hinweis auf gleichzeitig übermittelte Datenträger sowie die Wortfolge „mit der Bitte um Abgabe“ und „wie ... besprochen“, wobei der Inhalt der angeschlossenen Dateien nicht feststellbar war. In der Betreffzeile wurde „Angebot B***** AG‑Neubau Bürogebäude“ (Beilage ./A) bzw „Umbau und Erweiterung des E*****“ (Beilage ./B) angeführt. Im Anhang des E‑Mails vom 12. 9. 2013 (Beilage ./C) wurde ein Anbot für Trockenbauarbeiten für das Projekt L*****, übermittelt. Im Anhang des E‑Mails vom 21. 5. 2014 (Beilage ./B) versandte A***** K***** an einen Mitarbeiter der P*****-Gruppe ein Anbot betreffend das Bauvorhaben V***** W*****, wobei der Zugang dieses Mails nicht mehr feststellbar war. Im Begleittext erklärte A***** K*****, für Rücksprachen gerne zur Verfügung zu stehen. Mit E‑Mail vom 9. 2. 2015 (Beilage ./E) schickte A***** K***** wiederum an einen Mitarbeiter der P*****‑Gruppe ein vom Mitbewerber bereits gelegtes Anbot.

Rechtlich sah das Erstgericht den begründeten Tatverdacht als gegeben an und bejahte sowohl die Erforderlichkeit als auch die Verhältnismäßigkeit der beantragten Hausdurchsuchung.

Gegen diesen Beschluss richtet sich der rechtzeitige Rekurs der Erst‑ und Zweitantragsgegnerin.

Die Bundeswettbewerbsbehörde tritt in ihrer Rekursbeantwortung dem Rekurs entgegen und beantragt, diesem nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Der Rekurs ist nicht berechtigt.

1.1. Begründet ist ein Verdacht im Sinne des § 12 WettbG nach ständiger Rechtsprechung, wenn er sich rational nachvollziehbar dartun lässt, wofür Tatsachen vorliegen müssen, aus denen vertretbar und nachvollziehbar geschlossen werden kann, dass eine Zuwiderhandlung gegen Wettbewerbsbestimmungen vorliegt (RIS‑Justiz RS0125748 [T1]). Ein „dringender“ Tatverdacht ist weder nach dem Kartellgesetz bzw Wettbewerbsgesetz noch nach der StPO Voraussetzung für eine Hausdurchsuchung (RIS‑Justiz RS0125748 [T4]).

1.2. Ob ein begründeter Verdacht im Sinne des § 12 WettbG vorliegt, ist durch eine rechtliche Würdigung der tatsächlichen verdachtsbegründend behaupteten Umstände zu ermitteln und daher im Rekursverfahren vor dem Obersten Gerichtshof überprüfbar (RIS‑Justiz RS0125748 [T5]).

2.1. Das Kartellgericht nahm aufgrund des Austausches von Angeboten zwischen den Antragsgegnerinnen und der Mitbewerberin den erforderlichen Verdacht von Absprachen zur Höhe der Angebotssummen als gegeben an. Demgegenüber stehen die Rechtsmittelwerberinnen auf dem Standpunkt, aus der bloßen Tatsache der Übermittlung eines Angebots ohne Hinzutreten konkreter weiterer Umstände sei keinesfalls schlüssig ein Wettbewerbsverstoß abzuleiten.

2.2. Im vorliegenden Fall geht es allerdings nicht um die isolierte Übermittlung eines einzelnen Angebots, sondern um fünf E‑Mails über einen mehrjährigen Zeitraum, in deren Anhang jeweils konkrete Bauvorhaben betreffende Angebote übermittelt wurden. Aus den Begleittexten ergibt sich auch in einem Fall ausdrücklich („wie ... besprochen“), dass vor dem Austausch der E‑Mails eine Kommunikation stattgefunden hat; in den anderen Fällen ist dies mit hoher Wahrscheinlichkeit aufgrund der Kürze des ansonsten unverständlichen Textes („Bitte um Abgabe“ oder „anbei ... Datenträger“) zu vermuten. Eine andere Erklärung für den mehrfachen Austausch von Angeboten zwischen nicht konzernverbundenen Unternehmen ist nicht ersichtlich.

2.3. Dabei ist nicht erforderlich, dass andere Erklärungen im derzeitigen Verfahrensstadium mit Sicherheit ausgeschlossen werden können; ein derartiger Ausschluss würde vielmehr bereits den Beweis der (Mit‑)Täterschaft bedeuten (16 Ok 2/10). Für die Erlassung eines Hausdurchsuchungsbefehls genügt demgegenüber – wie ausgeführt – bereits das Vorliegen eines entsprechenden Verdachts. Dass es allenfalls für die Handlungsweise der Antragsgegnerinnen auch andere Erklärungen gibt, entkräftet die Verdachtslage nicht. Im Übrigen vermögen die Rekurswerberinnen in ihrem Rechtsmittel keinerlei Gründe aufzuzeigen, warum es zwischen ihnen und der Mitbewerberin zu einem derartigen vermehrten Austausch von Angeboten gekommen sei. Aufgrund der eindeutigen Zuordnung des E‑Mails Beilage ./A an die Erstantragsgegnerin und des E‑Mails Beilage ./B an die Zweitantragsgegnerin ging das Erstgericht zutreffend davon aus, dass der Verdacht besteht, dass beide Gesellschaften an den Preisabsprachen beteiligt waren.

2.4. Dass die Bundeswettbewerbsbehörde in ihrem Antrag nicht offenlegt, aufgrund welcher Umstände ihr die betreffenden Urkunden zur Kenntnis gelangten, ist – entgegen den Rekursausführungen – nicht „verwunderlich“. Die Bundeswettbewerbsbehörde ist nicht verpflichtet offenzulegen, aufgrund welcher Informationen sie zu den – die für die Bewilligung der Hausdurchsuchung erforderliche Verdachtslage begründenden – Beweismitteln gelangt ist.

3. Soweit die Rechtsmittelwerber auf die der Bundeswettbewerbsbehörde nach § 11a WettbG eingeräumte Möglichkeit, Auskünfte zu verlangen und geschäftliche Unterlagen einzusehen, verweisen, ist ihnen entgegenzuhalten, dass zwischen den der Bundeswettbewerbsbehörde zustehenden Ermittlungsbefugnissen nach ständiger Rechtsprechung keine hierarchische Ordnung besteht. Es ist daher weder die Durchführung eines Auskunftsverlangens, noch dessen Ankündigung Voraussetzung für die Erlassung eines Hausdurchsuchungsbefehls. Vielmehr sind Auskunftsverlangen und Nachprüfung zwei voneinander unabhängige Ermittlungsinstrumente zur Sachverhaltsaufklärung (RIS‑Justiz RS0127267). Entgegen der Rechtsansicht der Rekurswerberinnen war es daher nicht erforderlich, dass die Bundeswettbewerbsbehörde zuvor andere Ermittlungsschritte setzt, etwa die vorgeschlagene Befragung der Auftraggeber der Bauvorhaben (vgl 16 Ok 10/15d).

4.1. Eine Hausdurchsuchung muss zur Erfüllung der den Wettbewerbsbehörden übertragenen Aufgaben erforderlich sein, also die Prüfung der vermuteten Zuwiderhandlung ermöglichen. Wenn bereits Beweise oder Indizien für Zuwiderhandlungen vorliegen, sind die Behörden berechtigt, zusätzliche Beweise zu erheben und Auskünfte einzuholen, die es ermöglichen, das Ausmaß der Zuwiderhandlung, deren Dauer oder den Kreis der daran beteiligten Unternehmen genauer zu bestimmen (16 Ok 5/11).

4.2. Während § 11a WettbG voraussetzt, dass die Unterlagen bereits bekannt sind bzw freiwillig zur Verfügung gestellt werden, kann bei einer Hausdurchsuchung nach § 12 WettbG nach Informationsquellen gesucht werden, die noch nicht bekannt sind, bzw die Vollständigkeit von bereits vorliegenden Beweisen überprüft werden (RIS‑Justiz RS0127267 [T1]). Zur Erreichung des Zwecks der Aufklärung des begründeten Verdachts ist eine Hausdurchsuchung daher immer dann geeignet und erforderlich, wenn erst nach zur Aufklärung geeigneten Informationsquellen gesucht werden muss und allenfalls auch dann, wenn die Vollständigkeit bereits vorhandener Unterlagen überprüft werden muss (16 Ok 5/11; 16 Ok 10/15d). Die Erforderlichkeit ist anhand des verfolgten und dem Adressaten bekanntgegebenen Zwecks zu beurteilen. Die Ermittlungen sind aber nicht auf Tatsachen beschränkt, die unmittelbar die Tatbestandsvoraussetzungen eines Wettbewerbsverstoßes betreffen, sondern umfassen auch Informationen über den rechtlichen und wirtschaftlichen Zusammenhang, in dem der Verfahrensgegenstand beurteilt werden muss (16 Ok 7/11).

4.3. Weil Hausdurchsuchungen einen schwerwiegenden Eingriff in die Individualsphäre des Betroffenen darstellen, ist an das Interesse an der Sachverhaltsaufklärung ein strengerer Maßstab anzulegen als bei Auskunftsverlangen (RIS‑Justiz RS0127268). Im vorliegenden Fall verfolgt die Bundeswettbewerbsbehörde den begründeten Verdacht von unzulässigen Preisabsprachen zwischen den Antragsgegnerinnen und Mitbewerbern. Die Erfahrung zeigt, dass derartige Absprachen nur selten freiwillig zugestanden werden. Daher besteht die begründete Besorgnis, dass beteiligte Unternehmen Unterlagen beiseite schaffen könnten. Zutreffend ging daher das Erstgericht davon aus, dass die Vornahme der Hausdurchsuchung nicht unverhältnismäßig ist.

5.1. Die Behauptung, die Erstantragsgegnerin entfalte keine operativen Tätigkeiten, wird im Zuge des Verfahrens zu überprüfen sein. Nach der Aktenlage wurde allerdings zumindest ein E‑Mail von einem Mitarbeiter der Erstantragsgegnerin in deren Namen versandt. Im Übrigen kann sich ein Hausdurchsuchungsbefehl auch gegen jede Person richten, in deren Geschäftsräumlichkeiten relevante Informationsquellen erlangt werden können (16 Ok 5/11; 16 Ok 7/11; 16 Ok 10/15d).

5.2. Zu verweisen ist auch auf die ständige Rechtsprechung, wonach dann, wenn zwischen einer Muttergesellschaft und einer Holdinggesellschaft mit dem selben Geschäftssitz eine Hausdurchsuchung angeordnet wird, der Hausdurchsuchungsbefehl auf den Gesamtgebäudekomplex auszudehnen ist. Andernfalls könnten willkürlich und unüberprüft bestimmte Räume den einzelnen Gesellschaften zugeordnet werden bzw bestünde die Gefahr einer raschen Verbringung von belastendem Material innerhalb des Gebäudekomplexes in Räume einer nicht vom Hausdurchsuchungsbefehl betroffenen Gesellschaft (16 Ok 7/13; 16 Ok 10/15d). Soweit die Rekurswerberinnen behaupten, die im Antrag angeführten Handlungen fielen ausschließlich in den Verantwortungsbereich der ursprünglichen Drittantragsgegnerin, der P***** GmbH, sind ihnen die vorstehenden Ausführungen zur Verdachtslage entgegenzuhalten.

6. Zusammenfassend erweist sich der angefochtene Beschluss daher als frei von Rechtsirrtum, sodass dem unbegründeten Rekurs ein Erfolg zu versagen war.

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