OGH 20Os1/16x

OGH20Os1/16x10.6.2016

Der Oberste Gerichtshof als Disziplinargericht für Rechtsanwälte und Rechtsanwaltsanwärter hat am 10. Juni 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden, den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Fellinger als weiteren Richter und die Rechtsanwälte Dr. Haslinger und Dr. Rothner als Anwaltsrichter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Janisch als Schriftführerin in der Disziplinarsache gegen *****, Rechtsanwalt in *****, wegen der Disziplinarvergehen der Berufspflichtenverletzung und der Beeinträchtigung von Ehre und Ansehen des Standes über die Berufung des Kammeranwalts der Oberösterreichischen Rechtsanwalts-kammer gegen das Erkenntnis des Disziplinarrats der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer vom 16. November 2015, AZ D 69/13 (DV 19/14), TZ 53, nach mündlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Mag. Höpler, des Kammeranwalts Mag. Lughofer, LL.M., des Disziplinarbeschuldigten und dessen Verteidigers Dr. Korp zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0200OS00001.16X.0610.000

 

Spruch:

Der Berufung wird Folge gegeben, das angefochtene Erkenntnis aufgehoben und die Sache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an den Disziplinarrat der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer verwiesen.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Erkenntnis wurde der Disziplinarbeschuldigte ***** von dem gegen ihn erhobenen Vorwurf freigesprochen, [er habe zugelassen], dass ***** W***** entgegen § 21c RAO sowohl als Gesellschafter an der im Firmenbuch des Landesgerichts (richtig) Ried unter FN ***** eingetragenen W***** Rechtsanwälte GmbH als auch als Stifter und selbständig vertretungsbefugter Vorstand der ***** W***** Privatstiftung an der im Firmenbuch des Landesgerichts Ried unter FN ***** eingetragenen WK***** Rechtsanwälte GmbH beteiligt gewesen ist.

Nach den Feststellungen des Disziplinarrats war ***** W***** bis zum Jahr 2005 Gesellschafter und Geschäftsführer der von ihm mitbegründeten (ursprünglichen) WK***** Rechtsanwälte GmbH. Er ist aus dieser Gesellschaft mit Übertragung seiner Anteile an die ***** W***** Privatstiftung ausgeschieden. Das Stammkapital der (nunmehr) unter dem Namen WK***** Rechtsanwälte GmbH firmierenden Gesellschaft beträgt 36.000 Euro, der Anteil der Privatstiftung davon ein Drittel. ***** W***** ist alleinvertretungsbefugter Vorstand der Privatstiftung, deren Stiftungszweck die Versorgung der in der Stiftungsurkunde genannten Begünstigten ‑ die Ehegattin und die Tochter des ***** W***** ‑ ist.

Der Disziplinarbeschuldigte ist Gesellschafter der WK***** Rechtsanwälte GmbH und am Stammkapital mit einem Geschäftsanteil beteiligt, der einer Stammeinlage von 11.880 Euro entspricht. Er ist auch selbständig vertretungsbefugter Geschäftsführer dieser Gesellschaft.

***** W***** gründete am 1. Dezember 2005 die unter FN ***** im Firmenbuch des Landesgerichts Ried eingetragene ***** W***** Rechtsanwalt GmbH (nunmehr W***** Rechtsanwälte GmbH) und brachte sein nicht protokolliertes Einzelunternehmen, nämlich die Rechtsanwaltskanzlei in *****, ein. Er ist gegenwärtig an dieser Gesellschaft, die ein Stammkapital von 35.000 Euro besitzt, mit einem Geschäftsanteil, der einer voll eingezahlten Stammeinlage von 34.685 Euro entspricht, beteiligt. Er ist auch Geschäftsführer dieser Gesellschaft.

Der Disziplinarrat begründete den Freispruch damit, dass die Beteiligung der ***** W***** Privatstiftung an der (nunmehrigen) WK***** Rechtsanwälte GmbH keine Beteiligung im Sinne des § 21c Abs 1 Z 8 RAO darstelle, sodass ***** W***** selbst auch im Zusammenhang mit seiner Gesellschafterstellung in der W***** Rechtsanwälte GmbH nicht gegen das Verbot der sogenannten „Sternbeteiligung“ verstoßen habe. Auch § 21c Abs 1 Z 1 lit e RAO iVm § 21c Z 1 lit b RAO sei ‑ trotz der Tatsache, dass ***** W***** die Privatstiftung als Vorstand vertrete - durch deren Beteiligung nicht verletzt. Feststellungen zur subjektiven Tatseite des Disziplinarbeschuldigten sah der Disziplinarrat aufgrund seiner Rechtsansicht als nicht notwendig an.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich die auf § 281 Abs 1 Z 9 lit a StPO gestützte Berufung des Kammeranwalts: Der von ***** W***** gewählte Weg, die Geschäftsanteile an einer (weiteren) Kapitalgesellschaft unter gleichzeitigem Ausscheiden aus der Gesellschaft an eine Privatstiftung zu übertragen, stelle eine unzulässige Umgehung des in § 21c Abs 1 Z 8 RAO zum Ausdruck kommenden Verbots dar, mehreren Rechtsanwaltsgesellschaften ‑ wenn auch nur in Form einer Kapitalbeteiligung ‑ anzugehören. Überdies folge schon aus dem Gesetzeswortlaut, dass eine Privatstiftung nur dann Gesellschafter einer Rechtsanwaltsgesellschaft sein könne, wenn ‑ neben den anderen einschränkenden Bedingungen ‑ der Rechtsanwalt weiterhin der Gesellschaft angehört.

Der Disziplinarbeschuldigte erstattete eine Gegenausführung.

Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:

§ 21c Abs 1 Z 1 RAO legt abschließend fest, wer bei Gesellschaften zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft Gesellschafter sein darf. Diese Erfordernisse müssen nach dem Einleitungssatz der Bestimmung „jederzeit“ ‑ also für die gesamte Dauer des Gesellschaftsverhältnisses ‑ erfüllt sein. Danach dürfen ‑ unter anderem ‑ Gesellschafter nur sein: Rechtsanwälte (lit a), Ehegatten und Kinder eines der Gesellschaft angehörenden Rechtsanwalts (lit b), ehemalige Rechtsanwälte, die auf die Rechtsanwaltschaft verzichtet haben und die im Zeitpunkt der Verzichtsleistung Gesellschafter waren (lit c), Witwen und Witwer und Kinder eines verstorbenen Rechtsanwalts, wenn dieser bei seinem Ableben Gesellschafter war (lit d) sowie von einem oder mehreren Gesellschaftern errichtete österreichische Privatstiftungen, deren ausschließlicher Stiftungszweck die Unterstützung der in lit a bis d genannten Personen ist (lit e).

Ehegatten und Kinder von Rechtsanwälten dürfen nur dann als Gesellschafter beteiligt sein, wenn der Rechtsanwalt entweder gleichzeitig der Gesellschaft angehört (lit b) oder aber bei seinem Ableben noch (immer) Gesellschafter war (lit d). Auch ein emeritierter Rechtsanwalt darf sich nur dann an einer Gesellschaft (zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft) beteiligen, wenn er bis zu seiner Emeritierung Gesellschafter war (lit c). Dieselben Grundsätze gelten ‑ wie der Oberste Gerichtshof bereits zu 20 Os 14/15g ausgesprochen hat ‑ gleichermaßen für die in lit e geregelte Privatstiftung, weil das Gesetz durch den uneingeschränkten Verweis auf die in den lit a bis d der Z 1 genannten Personen klarstellt, dass die Privatstiftung nur dann der Gesellschaft angehören darf, wenn neben dem eingeschränkten Stiftungszweck ‑ nämlich der Unterstützung eines Rechtsanwalts und bestimmter Angehöriger ‑ auch die übrigen Voraussetzungen der vorangehenden Bestimmungen gegeben sind. Eine dieser Voraussetzungen ist, dass der Rechtsanwalt, dessen Angehörige unterstützt werden, gleichzeitig als Gesellschafter beteiligt ist. Selbst die Unterstützung der Witwe und der Kinder eines verstorbenen Rechtsanwalts verlangt, dass dieser bei seinem Ableben noch immer Gesellschafter war. Liegen die Voraussetzungen nicht oder nicht mehr vor (arg „jederzeit“), kann eine Privatstiftung nicht Gesellschafter sein oder bleiben. Das Ausscheiden des ***** W***** aus der (damaligen) WK***** Rechtsanwälte GmbH im Dezember 2005 bewirkte sohin, dass die Erfordernisse des § 21c Abs 1 Z 1 RAO nicht mehr erfüllt waren, die Privatstiftung der Gesellschaft also (ebenfalls) nicht (mehr) angehören durfte.

Der Disziplinarbeschuldigte hat dadurch, dass er den Beteiligungswechsel zuließ und danach die Beteiligung der ***** W***** Privatstiftung an der WK***** Rechtsanwälte GmbH auch nach dem Ausscheiden des ***** W***** aus dieser Gesellschaft duldete, objektiv gegen § 21c Abs 1 Z 1 lit e RAO verstoßen, ohne dass darauf stiftungsrechtliche Konstruktionen einen Einfluss entfalten können. Dieser rechtswidrige Zustand ist nach wie vor aufrecht.

Aufgrund der Annahme der Straflosigkeit des den Disziplinarbeschuldigten angelasteten Tatvorwurfs hat der Disziplinarrat Feststellungen zur subjektiven Tatseite des Disziplinarbeschuldigten nicht getroffen, obwohl solche durch dessen Kenntnis des den objektiven Tatbestand bejahenden Einstellungsbeschlusses des Disziplinarrats der selben Rechtsanwaltskammer vom 6. Mai 2013, GZ D 16/13‑24, indiziert waren.

In Stattgebung der Berufung des Kammeranwalts war daher ‑ in Übereinstimmung mit der Stellungnahme der Generalprokuratur, jedoch entgegen der dazu erstatteten Äußerung des Disziplinarbeschuldigten ‑ das angefochtene Erkenntnis des Disziplinarrats vom 16. November 2015, GZ D 69/13‑53, aufzuheben und die Disziplinarsache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an diesen Disziplinarrat zu verweisen.

Der Einstellungsbeschluss des Disziplinarrats vom 6. Mai 2013, AZ D 16/13, TZ 24, steht einer disziplinarrechtlichen Ahndung nicht entgegen: Da bei Gesellschaften zur Ausübung der Rechtsanwaltschaft alle in § 21c RAO genannten Voraussetzungen jederzeit erfüllt sein müssen, handelt es sich bei der Verletzung dieser Verpflichtung um ein Dauerdelikt, das erst dann beendet ist, wenn der rechtswidrige Zustand aufhört (Eder‑Rieder in SbgK § 28 Rz 90). Die Einstellung eines Disziplinarverfahrens erfolgt dann, wenn das vorliegende Tatsachensubstrat nicht ausreicht, eine Verurteilung des Disziplinarbeschuldigten für möglich zu halten (Lehner in Engelhart et al RAO9 § 28 DSt Rz 9 mwH; Feil/Wennig Anwaltsrecht8, 931 f). Der Disziplinarrat hielt im den gleichen Vorwurf betreffenden Vorverfahren gegen den Disziplinarbeschuldigten (D 16/13) eine Verurteilung deshalb nicht für wahrscheinlich, weil er ‑ trotz des unmissverständlich festgehaltenen objektiven Vorliegens einer § 21c RAO zuwiderlaufenden „Sternsocietät“ (S 11 f in D 16/13‑24) ‑ aufgrund der früheren (anderslautenden) Rechtsauskunft des Ausschusses der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer die subjektive Vorwerfbarkeit als nicht gegeben ansah. Eine endgültige Erledigung der Sache war damit pro futuro nicht verbunden.

Im fortgesetzten Verfahren wird allerdings der Einwand des Disziplinarbeschuldigten zu prüfen sein, ihm persönlich sei es nicht möglich bzw zumutbar, den gesetzesgemäßen Zustand herzustellen.

Tatsächlich lehnt die herrschende Rechtsprechung (zuletzt 6 Ob 80/11z) entgegen der überwiegenden Lehre (Rauter in Straube/Radtka/Rauter, GmbHG § 75 Rz 131; Koppensteiner/Rüffler GmbHG3 Anh § 71 Rz 14) den Ausschluss eines Gesellschafters ohne entsprechende gesellschaftsvertragliche Regelung ab. Dies gilt auch dann, wenn durch eine allfällige Weigerung der Privatstiftung freiwillig auszuscheiden der Bestand der WK***** Rechtsanwälte GmbH selbst gefährdet ist, weil ihr durch die gegenwärtige Zusammensetzung die Streichung aus der Liste der Rechtsanwaltsgesellschaften (Rohregger in Engelhart et al RAO9 § 1a RAO Rz 27) und damit auch ihre unternehmensrechtliche Auflösung droht: So hat der Oberste Gerichtshof zu 6 Ob 36/08z im Zusammenhang mit dem Entzug der Geschäftsführung betont, dass durch die Einführung des § 21c RAO grundlegende Wertungen des allgemeinen Gesellschaftsrechts nicht aufgehoben worden sind. Von einer solchen ist bei der Verneinung der Ausschlussklage trotz Vorliegens eines wichtigen Grundes auszugehen, sollten die Gesellschafter für diesen Fall nicht vorgesorgt haben. Der Ausschluss der ***** W***** Privatstiftung aus der gemeinsamen Gesellschaft gegen ihren Willen ist dem Disziplinarbeschuldigten trotz Vorliegen eines wichtigen Grundes also verwehrt.

Allerdings bejaht schon die herrschende Meinung die grundsätzliche Möglichkeit, bei Vorliegen eines rechtfertigenden Grundes den Ausschluss von Gesellschaftern ‑ rechtstechnisch in Form von Aufgriffsrechten oder der Kündigung mit Fortsetzungsmöglichkeit ‑ im Gesellschafts-vertrag vorzusehen (RIS‑Justiz RS0102055; Koppensteiner/Rüffler GmbHG3 Anh § 71 Rz 11 mwN). Die Zulässigkeit und Angemessenheit einer derartigen Bestimmung, um die Gesetzwidrigkeit der gesamten Gesellschaft und deren Löschung zu vermeiden, liegt auf der Hand. Im Zusammenhang mit der Prüfung der Verantwortlichkeit des Disziplinarbeschuldigten ist zu beachten, dass § 21d Abs 1 RAO jeden der Gesellschaft angehörenden Rechtsanwalt unter anderem verpflichtet, für die Einhaltung der Bestimmung des § 21c RAO zu sorgen, insbesondere durch eine entsprechende Gestaltung des Gesellschaftsvertrags. Im Hinblick auf berufsfremde Personen, die der Gesellschaft angehören, ordnet § 30 RL‑BA 2015 (wortgleich § 29 RL‑BA 1977) an, dass sich der Rechtsanwalt aus Anlass des Eingehens der Gesellschaft das Recht vorzubehalten hat, das Gesellschaftsverhältnis mit der berufsfremden Person dann zu beenden, wenn diese die Eigenschaft verliert, welche ihr das Eingehen der Gesellschaft ermöglicht hat.

Der Oberste Gerichtshof verkennt nicht die Problematik der Lösung strittiger Rechtsfragen im Rahmen eines Disziplinarverfahrens. Andererseits stehen eben nur die Mittel des Standesrechts zur Verfügung, um die hier in Rede stehenden Verpflichtungen durchsetzen zu können (Feil/Wennig, Anwaltsrecht8 § 1a RAO Rz 9 [S 32]).

Zu bedenken wird weiters sein, dass der Disziplinarrat in seinem Einleitungsbeschluss vom 30. Juni 2014, TZ 20, nicht die gesetzwidrige Beteiligung der ***** W***** Privatstiftung an der WK***** Rechtsanwälte GmbH, sondern eine (dadurch verschleierte) Mehrfachbeteiligung des ***** W***** nach § 21c Abs 1 Z 8 RAO als das zu verfolgende Disziplinarvergehen angesehen hat. Tatsächlich geht der Vorwurf in die Richtung, die Beteiligung der Privatstiftung nach dem Ausscheiden des ***** W***** zugelassen zu haben. Einer Modifikation des ‑ lediglich eine prozessleitende Verfügung darstellenden - Einleitungsbeschlusses bedarf es dennoch nicht (zur fehlenden Bindung Lehner in Engelhart et al RAO9 § 28 Rz 4 DSt; VfGH‑Slg 15.876; 16.557 ua). Ein weiterer Verfolgungsantrag durch den Kammeranwalt ist auch nicht erforderlich, da dieser die Gesetzwidrigkeit der Gesellschafterstellung bereits in seinem Verfolgungsantrag ausdrücklich anführte und somit der Disziplinarbeschuldigte Gelegenheit hatte, auch zu diesem Vorwurf Stellung zu nehmen.

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