OGH 9Ob17/16i

OGH9Ob17/16i25.5.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsrekursgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Hon. Profin. Dr. Dehn, den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Hargassner und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Mag. Korn und Dr. Weixelbraun-Mohr als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj R* F*, geboren am * 2013, wegen Einräumung eines Kontaktrechts, über den ordentlichen (richtig: außerordentlichen) Revisionsrekurs des Vaters E* A*, vertreten durch Brehm & Sahinol Rechtsanwälte OG in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 4. November 2015, GZ 45 R 508/15m‑40, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:E114822

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

Das Erstgericht räumte dem Vater ein Kontaktrecht zu seinem mj. Sohn im Rahmen von begleiteten Besuchskontakten in einer Einrichtung des Wiener Familienbunds im Umfang von zwei Stunden alle vierzehn Tage nach Maßgabe der dortigen Kapazitäten ein. Es trug dem Vater die Teilnahme an zumindest fünf Einheiten eines Beratungs- bzw Schulungsgesprächs bei der Männerberatungsstelle zum Thema Umgang mit Aggression und Impulskontrolle auf und verpflichtete ihn, dem Gericht darüber binnen sechs Monaten eine Bestätigung vorzulegen.

Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs des Vaters teilweise Folge. Das Kontaktrecht wurde als vorläufiges Kontaktrecht iSd § 107 Abs 2 AußStrG eingeräumt, die Entscheidung hinsichtlich des Antrags des Vaters auf Einräumung eines unbegleiteten Kontaktrechts an jedem zweiten Samstag von 9.00 bis 17.00 Uhr aufgehoben und dem Erstgericht insofern eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen. Die vom Erstgericht angeordnete Maßnahme eines Beratungs- bzw Schulungsgesprächs wurde hingegen bestätigt. Diese Maßnahme begründete das Rekursgericht damit, dass der Vater stattgefundene Konflikte mit der Mutter bagatellisiere und negiere. Abgesehen davon, dass die Familiengerichtshilfe aufgrund bestimmter Vorfälle zwischen den Eltern die Inanspruchnahme eines Antiaggressionstrainings des Vaters als indiziert erachte, sei der persönliche Eindruck, den die Erstrichterin vom Vater gewinnen habe können, ausreichend, um dem Vater – letztlich zur Vorbereitung später unbegleiteter Kontaktrechte – fünf Beratungs- bzw Schulungsgespräche bei der Männerberatungsstelle zum Thema Umgang mit Aggression und Impulskontrolle aufzutragen. Gegen den bestätigenden Teil der Rekursentscheidung sei der ordentliche Revisionsrekurs nicht zulässig.

Rechtliche Beurteilung

Der ausschließlich gegen die Bestätigung der Anordnung eines Beratungs- bzw Schulungsgesprächs bei der Männerberatungsstelle zum Thema Umgang mit Aggression und Impulskontrolle erhobene ordentliche (richtig: außerordentliche [siehe ON 47]) Revisionsrekurs des Vaters zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG auf:

1. Ein Verstoß des Rekursgerichts gegen den im Verfahren Außerstreitsachen ausdrücklich angeordneten Unmittelbarkeitsgrundsatz des § 52 Abs 2 AußStrG ist nicht begründet. Das Rekursgericht hat die erstgerichtlichen Feststellungen weder umgewürdigt noch ergänzt. Inwieweit es vom festgestellten Sachverhalt abgewichen sein soll, wird im außerordentlichen Revisionsrekurs nicht aufgezeigt und ist auch nicht ersichtlich. Es hat lediglich bezüglich der endgültigen Entscheidung über das Kontaktrecht das Beweisverfahren als nicht abgeschlossen und die dazu getroffenen Feststellungen als nicht ausreichend erachtet. Die vorliegenden Verfahrensergebnisse (Bagatellisieren und Negieren der zwischen den Eltern bestehenden Konflikte durch den Vater; persönlicher Eindruck der Erstrichterin vom Vater) genügten dem Rekursgericht jedoch sowohl für eine vorläufige Kontaktregelung iSd § 107 Abs 2 AußStrG als auch für die im Revisionsrekurs bekämpfte Anordnung der Maßnahme gemäß § 107 Abs 3 Z 3 AußStrG.

Die weiters geltend gemachten Mangelhaftigkeiten des Rekursverfahrens liegen ebenfalls nicht vor:

In seinem Rekurs gegen die erstgerichtliche Entscheidung hat der Vater – soweit hier relevant – bemängelt, dass kein (ausreichendes) Beweisverfahren zu den von der Mutter behaupteten körperlichen Übergriffen des Vaters ihr gegenüber stattgefunden habe. Das Rekursgericht hat diesen Verfahrensmangel als rechtlich nicht relevant beurteilt, weil es davon ausgegangen ist, dass schon aus anderen Erwägungen (Bagatellisieren und Negieren der zwischen den Eltern bestehenden Konflikte; persönlicher Eindruck der Erstrichterin) die bekämpfte Anordnung gerechtfertigt sei.

Von einer Überraschungsentscheidung iSd § 182a ZPO kann hier schon deshalb nicht gesprochen werden, weil dem Vater die Möglichkeit eingeräumt wurde, sich zur fachlichen Stellungnahme der Familiengerichtshilfe, in der die Inanspruchnahme einer Beratung zur Etablierung einer gewaltfreien Erziehung und eines gewaltfreien Verhaltens in Partnerschaften für erforderlich angesehen wurde (ON 12), zu äußern. Diese Möglichkeit hat er auch wahrgenommen (ON 17). Auch in der mündlichen Verhandlung vom 12. 8. 2015 (ON 26) wurde dieser Punkt thematisiert.

Damit wurde auch das rechtliche Gehör des Vaters ausreichend gewahrt (vgl RIS-Justiz RS0119970).

Im Übrigen können die weiteren, vom Vater nicht schon im Rekurs erhobenen Einwände zur Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens im Revisionsrekursverfahren vor dem Obersten Gerichtshof nicht mehr nachgeholt werden (RIS-Justiz RS0043111 [T22 und T26]).

2. Nach § 107 Abs 3 AußStrG hat das Gericht die zur Sicherung des Kindeswohls erforderlichen Maßnahmen anzuordnen, soweit dadurch nicht Interessen einer Partei, deren Schutz das Verfahren dient, gefährdet oder Belange der übrigen Parteien unzumutbar beeinträchtigt werden. Als derartige Maßnahme kommt ua die Teilnahme an einer Beratung oder Schulung zum Umgang mit Gewalt und Aggression in Betracht (Z 3 leg cit).

Die in § 107 Abs 3 AußStrG geregelten Maßnahmen dienen der Sicherung des Kindeswohls. Eine Gefährdung des Kindeswohls ist nicht Voraussetzung; ebensowenig müssen die Maßnahmen ultima ratio zur Sicherung des Kindeswohls sein, sodass sie erst nach Ausschöpfung anderer Maßnahmen zulässig wären. Allerdings muss das Gericht hier stets den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wahren. Die im Einzelfall angeordnete Maßnahme muss zur Sicherung des Kindeswohls erforderlich und geeignet sein. Außerdem darf der damit verbundene Eingriff in das Privatleben der betroffenen Person nicht außer Verhältnis zu der damit intendierten Förderung der Interessen des Kindes stehen (EB zur RV 2004 BlgNR 24. GP 39; 9 Ob 53/13d; 4 Ob 139/14s; 6 Ob 160/14v).

Maßnahmen nach § 107 Abs 3 AußStrG sind als besondere Verfahrensregelungen zur Sicherung des Rechts auf persönlichen Kontakt anzusehen. Die Entscheidung, ob und welche Maßnahme zur Sicherung des Kindeswohls erforderlich ist und dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entspricht, ist grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls abhängig. Daher kommt ihr im Regelfall keine Bedeutung im Sinne des § 62 Abs 1 AußStrG zu, sofern nicht leitende Grundsätze der Rechtsprechung verletzt wurden (vgl 6 Ob 160/14v).

Die Vorinstanzen haben mit ihren Entscheidungen den ihnen zukommenden Beurteilungsspielraum nicht überschritten. Das Rekursgericht hat seine Entscheidung nicht darauf gestützt, dass sich der Vater gewalttätig gegen die Mutter verhalten hat. Insofern hat es das vom Erstgericht durchgeführte Beweisverfahren als ergänzungsbedürftig erachtet. Schon die festgestellte, beim Vater vorliegende Impulsregulationsproblematik (von der sich die Erstrichterin anlässlich der mündlichen Verhandlung vom 12. 8. 2015 selbst ein Bild machen konnte), die in belastenden Situationen bei einem unbegleiteten Kontakt mit einer Kindeswohlgefährdung einhergehen könnte, lässt die bekämpfte Maßnahme jedenfalls vertretbar erscheinen. Durch den Besuch einer Männerberatungsstelle soll dem Vater ein Problembewusstsein für die aktuelle zwischen den Eltern des Minderjährigen bestehende Konfliktsituation und die damit verbundenen Belastungen für den Minderjährigen geschaffen und ihm der Umgang in Konfliktsituationen mit Kindern gezeigt werden.

3. Der Revisionsrekurswerber regt im Zusammenhang mit seinen verfassungsrechtlichen Erwägungen die Vorlage an den VfGH durch den Obersten Gerichtshof (nur) an (klargestellt durch Stellungnahme des Antragstellers vom 6. 5. 2016), weil § 107 Abs 3 Z 3 AußStrG mangels Einbeziehung bzw Einverständnis der betroffenen Person verfassungswidrig sei.

Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des § 107 Abs 3 AußStrG bestehen beim Obersten Gerichtshof jedoch nicht, weil die vom Revisionsrekurswerber geforderte Verhältnismäßigkeitsprüfung bei der Anordnung sämtlicher Maßnahmen iSd § 107 Abs 3 Z 1 bis 5 AußStrG ohnedies von der Rechtsprechung anerkannt wird (9 Ob 53/13d; 4 Ob 139/14s; 6 Ob 160/14v). Das rechtliche Gehör der Parteien im Zuge der Anordnung dieser Maßnahmen gewährleisten schon die Allgemeinen Bestimmungen der §§ 15, 58 AußStrG.

Mangels einer Rechtsfrage iSd § 62 Abs 1 AußStrG ist der Revisionsrekurs des Vaters daher zurückzuweisen.

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