OGH 1Ob47/16t

OGH1Ob47/16t28.4.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon.‑Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer‑Zeni‑Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** G*****, vertreten durch GKP Gabl Kogler Leitner Stöglehner Bodingbauer RAe OG, Linz, gegen die Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1, Singerstraße 17‑19, wegen 9.666,11 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom 23. November 2015, GZ 14 R 141/15f‑25, mit dem das Urteil des Landesgerichts St. Pölten vom 30. Juni 2015, GZ 4 Cg 58/14a‑18, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0010OB00047.16T.0428.000

 

Spruch:

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 694,90 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung

Der Kläger begehrt, gestützt auf das Amtshaftungsgesetz (AHG), den Ersatz von 9.666,11 EUR sA für in einem vor dem Landesgericht Linz als Erstgericht gegen den Käufer seines Lokals geführten Prozess (kurz: Anlassverfahren) aufgelaufene, aber beim Gegner uneinbringliche Prozesskosten sowie 620,98 EUR sA an Rekurskosten im Verfahrenshilfeverfahren für den vorliegenden Amtshaftungsprozess. Er brachte zum Anlassverfahren vor, es seien ihm 1.387,62 EUR wegen einer vom Erstgericht auf eine unvertretbare Rechtsansicht gestützten Unterbrechung erwachsen. Im Umfang von letztlich 7.657,51 EUR sA stützte er sich auf die in der Sache vom Landesgericht Linz und vom Oberlandesgericht Linz als Berufungsgericht vertretene, seiner Ansicht nach unhaltbare Rechtsansicht im ersten Rechtsgang.

Das Erstgericht sprach dem Kläger 7.657,51 EUR sA zu und wies das Mehrbegehren von 1.387,82 EUR sA (das sind die Kosten einer Tagsatzung) und im Umfang von 620,98 EUR (das sind die Rekurskosten im Verfahrenshilfeverfahren) ab.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht, wohl aber jener der beklagten Partei Folge und wies das gesamte Klagebegehren ab. Über den mit der Revision verbundenen Antrag des Klägers änderte es seinen Zulässigkeitsausspruch dahin ab, dass es die Revision in Ansehung der Begehren auf Ersatz der Kosten der Verhandlung vom 29. 2. 2008 (1.387,62 EUR) und auf Ersatz der Rekurskosten (620,98 EUR) für jedenfalls unzulässig erklärte, im Übrigen aber aussprach, hinsichtlich des Begehrens auf Zahlung von 7.764,60 EUR sA sei die Revision (doch) zulässig, weil zur Frage, ob aus der Zulassung einer außerordentlichen Revision in Fällen, in denen es um die Beurteilung rechtsgeschäftlicher Erklärungen im Einzelfall gehe, jedenfalls der (Umkehr‑)Schluss auf die Unvertretbarkeit der Rechtsansicht des Berufungsgerichts zu ziehen sei, fehle und der Revisionswerber dem Berufungsgericht darüber hinaus vorwerfe, es habe in unzulässiger Weise die sorgfältigen Überlegungen, die von den Gerichten im Anlassfall unterlassen worden seien, in unzulässiger Weise nachgeholt.

Rechtliche Beurteilung

1. Die Revision ist hinsichtlich der Begehren von 620,98 EUR sA und 1.387,62 EUR sA nach § 502 Abs 2 ZPO jedenfalls unzulässig. Diese Ansprüche sind mangels Zusammenhangs iSd § 55 Abs 1 Z 1 JN mit den übrigen nicht zusammenzurechnen. Den Argumenten des Berufungsgerichts dazu tritt der Revisionsrekurswerber auch gar nicht entgegen.

2.1. Im Übrigen (7.764,60 EUR sA) ist die Revision entgegen dem ‑ den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO; RIS‑Justiz RS0042392 [T5]) ‑ Ausspruch des Berufungsgerichts mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zulässig. Dies ist gemäß § 510 Abs 3 ZPO ‑ kurz ‑ zu begründen:

2.2. Ausschließlich die Amtshaftungsgerichte entscheiden über ein Verschulden der Organe (RIS‑Justiz RS0049819; RS0117584) und die Kausalität (1 Ob 16/97b = RIS‑Justiz RS0049819 [T5]); sie haben diese Frage erstmals (1 Ob 86/09t) aus Eigenem (1 Ob 5/89 mwN = SZ 62/89) zu prüfen. Der erste Senat stellte als Fachsenat zu Erkenntnissen des Verfassungsgerichtshofs klar, dass die Amtshaftungsgerichte an dessen Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Bescheids, und zwar nur wegen § 11 Abs 1 AHG gebunden sind, nicht aber ‑ bei Beurteilung der Vertretbarkeit eines individuellen oder generellen Verwaltungsakts ‑ an darin enthaltene die Verschuldensfrage berührende Wertungen (vgl RIS‑Justiz RS0117584; RS0049819). So wie für Erkenntnisse des Verwaltungsgerichtshofs (vgl 1 Ob 8/95 = SZ 68/191; vgl auch zur Bindung inter partes an Entscheidungen von Schiedsgerichten 1 Ob 86/09t = RIS‑Justiz RS0117584 [T1 = RIS‑Justiz RS0049819 [T8]) ist letzteres auch für Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs selbst nicht anders zu sehen; dies gilt auch im vorliegenden Fall, und zwar ganz abgesehen davon, dass dieser in seinem im Anlassverfahren ergangenen Aufhebungsbeschluss ohnehin bloß ausgesprochen hatte, dass die Revision zulässig sei, und sich seinen weiteren Ausführungen (nur) entnehmen ließ, dass er die Rechtsansicht der Vorinstanzen nicht teilte und die Feststellungen ergänzungsbedürftig waren.

2.3. Während im Rechtsmittelverfahren des Anlassverfahrens die Richtigkeit einer Entscheidung zu prüfen ist (vgl nur 1 Ob 8/95; Schragel , AHG Rz 196), ist nur im Amtshaftungsverfahren ‑ bei Unrichtigkeit der Anlassentscheidung ‑ zusätzlich zu prüfen, ob sie auf einer vertretbaren Rechtsauffassung, somit auf einer bei pflichtgemäßer Überlegung vertretbaren Rechtsauslegung oder Rechtsanwendung beruhte, weil die bloße Unrichtigkeit einer Entscheidung noch keine Schadenersatzpflicht begründet (RIS‑Justiz RS0049951 [T1], RS0049955; vgl auch RS0050216).

2.4. Der Revisionswerber führt selbst aus, dass das Fehlen des „Ausspruchs“ durch den Obersten Gerichtshof dazu, warum er im Anlassverfahren die Revision zugelassen habe, nicht heiße, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts vertretbar gewesen sein müsse, und weist zutreffend darauf hin, dass es nicht die Aufgabe des Höchstgerichts gewesen sei, die Vertretbarkeit der Entscheidung der Vorinstanz zu prüfen oder zu präjudizieren. In jedem Amtshaftungsverfahren ist die Vertretbarkeit der Rechtsauffassung anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls vom Amtshaftungsgericht zu beurteilen. Weil diese Prüfung aber ganz von diesen Umständen abhängig ist, entzieht sie sich, wie auch der Kläger einräumt, regelmäßig einer Beurteilung als erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0110837).

2.5. Dabei ist anzumerken, dass es für das vom Revisionswerber im Anlassverfahren vermisste „begründete Abweichen“ von einer ständigen Rechtsprechung nicht darauf ankommt, ob „offen“ und ausdrücklich oder bloß im Ergebnis abgewichen wird (vgl Kodek in Rechberger , ZPO 4 § 502 ZPO Rz 15 mwN), sondern darauf, ob die Entscheidung sorgfältige Überlegungen erkennen lässt (RIS‑Justiz RS0049912; RS0049951 [T4]; RS0049955 [T8]).

2.6. Der Kläger wirft dem Berufungsgericht vor, es habe solche (angeblich vom Oberlandesgericht Linz gar nicht angestellten) sorgfältigen Überlegungen „nachgeholt“, um die Entscheidungen im Anlassverfahren als vertretbar qualifizieren zu können. Das Berufungsgericht befasste sich aber im vorliegenden Fall eingehend mit der ausführlichen Begründung des Oberlandesgerichts Linz. Es stellte in seiner Auseinandersetzung mit der Frage der Vertretbarkeit der Rechtsansicht dieses Gerichts einzelne Elemente von dessen Entscheidungsbegründung vertiefend dar und verdeutlichte erkennbare Gedankengänge. Dabei überschritt es den zulässigen Rahmen bei Auslegung dieser Beurteilung nicht, wenn es etwa die Überlegungen des Oberlandesgerichts Linz zur Frage, ob mit dem als „verbindlichen Vorvertrag“ titulierten Schriftstück ein Haupt‑ oder Vorvertrag vorlag, erläuterte. Dass ‑ wie der Revisionswerber unterstellt ‑ die Annahme eines bloßen Vorvertrags unvertretbar sein soll, weil diese Qualifizierung doch in keiner Weise dem Vertragstext habe entnommen werden können (wohl aber schon dem in der Revision selbst angeführten Titel des Vertrags) und das Lokal schon unverzüglich nach der Unterfertigung übernommen worden sei, ist nicht richtig. Das Oberlandesgericht Linz hatte sich für seine Annahme, es habe zu diesem Punkt keinen Konsens gegeben, auf den Umstand berufen, dass (richtig) dem Beklagten des Anlassverfahrens von den „Vermittlern“ (welche beide als Partner des Klägers tätig und am verkauften Lokal finanziell beteiligt gewesen waren) mitgeteilt worden war, dass zunächst die nötigen Schritte für die Betriebsübernahme gesetzt würden und erst danach (nach den Feststellungen des Erstgerichts einen Monat später) der Hauptvertrag aufgesetzt werde. Unrichtig ist zudem die Behauptung, das Oberlandesgericht Linz habe sich mit der Frage der Diskrepanz der Einschätzung der konkreten Höhe der zu übernehmenden Steuerverbindlichkeiten (bei Übernahme eines Lokals) nicht auseinandergesetzt. Vielmehr hatte es ausdrücklich festgehalten, dass die Höhe der zu übernehmenden Verbindlichkeiten noch nicht verbindlich geregelt worden sei.

2.7. Die Beurteilung der im Anlassfall vom Gericht zweiter Instanz vertretenen Rechtsmeinung als vertretbar ist demnach nicht zu korrigieren, weswegen die Revision zurückzuweisen ist.

3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 50 Abs 1 iVm § 41 Abs 1 ZPO. Die beklagte Partei wies in ihrer Revisionsbeantwortung auf die mangelnde Zulässigkeit der Revision hin, sodass ihr Schriftsatz der zweckentsprechenden Rechtsverteidigung diente.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte