OGH 9ObA29/16d

OGH9ObA29/16d21.4.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn und Dr. Weixelbraun‑Mohr sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Robert Hauser als weitere Richter in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei M*****, vertreten durch Dr. Josef Pfurtscheller, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei Österreichisches Rotes Kreuz, Bezirksstelle *****, vertreten durch Dr. Thomas Praxmarer, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Feststellung des aufrechten Dienstverhältnisses, über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 20. Jänner 2016, GZ 15 Ra 132/15x‑29, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:009OBA00029.16D.0421.000

 

Spruch:

Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO iVm § 2 Abs 1 ASGG).

Begründung

Der Kläger ist seit 1. Dezember 1997 bei der Beklagten im Rahmen eines Angestelltendienstverhältnisses beschäftigt. Zu Beginn seines Dienstverhältnisses erhielt er einen ‑ zuvor besprochenen, von den dafür zuständigen Personen der Beklagten formulierten ‑ Dienstzettel, den er selbst und der damalige Obmann der Beklagten unterfertigten. Im Punkt „4. Kündigungsfrist und -termin“ sowie in Punkt „12. Anzuwendende Regelungen“ verweist dieser Dienstzettel (dessen inhaltliche Übereinstimmung mit dem zwischen den Parteien abgeschlossenen Dienstvertrag hier nicht strittig ist) auf das „ALÜ“, ein im Jahr 1992 vom Österreichischen Roten Kreuz, Landesverband *****, (als Dienstgeber und Bevollmächtigter für alle ***** Bezirksstellen des Österreichischen Roten Kreuzes), mit dem Österreichischen Gewerkschaftsbund, Gewerkschaft Handel ‑ Transport - Verkehr, Landesorganisation *****, geschlossenes „Arbeits- und lohnrechtliches Übereinkommen“, das nur für ***** galt. Laut diesem ALÜ waren ‑ soweit es selbst keine anderen Regelungen enthält ‑ für alle Dienstnehmer die Bestimmungen des Vertragsbedienstetengesetzes (VBG) 1948 anzuwenden. Im Jahr 2006 trat ein vom Österreichischen Roten Kreuz und dem Österreichischen Gewerkschaftsbund geschlossener Kollektivvertrag in Kraft.

Der Kläger wurde mit Schreiben vom 15. August 2014 zum nächstmöglichen Kündigungstermin (31. Dezember 2014) gekündigt, wobei dafür keine Gründe genannt wurden.

Die Vorinstanzen stellten fest, dass das Dienstverhältnis des Klägers weiterhin aufrecht bestehe.

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagte vertritt zusammengefasst die Rechtsauffassung, dass sich der Kläger wegen des seit 2006 geltenden Kollektivvertrags auf eine Anwendung des ALÜ (und damit auch des VBG 1948) nicht berufen könne. Es gelingt ihr jedoch nicht, in ihrer außerordentlichen Revision eine Rechtsfrage von der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen:

1. Die von der Beklagten behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor. Eine (vertragliche) Vereinbarung der Streitteile, nach der das ALÜ (nur) als „Ersatz“ für einen Kollektivvertrag dienen und bei Inkrafttreten eines „echten“ Kollektivvertrags durch diesen ersetzt werden sollte, lässt sich den Feststellungen nicht entnehmen. Daher sind die Ausführungen des Berufungsgerichts zu diesem Punkt der Rechtsrüge (in dem die Beklagte ebenfalls argumentierte, das ALÜ sei ‑ entsprechend der vertraglichen Einigung ‑ vom Kollektivvertrag abgelöst worden und daher nicht mehr anwendbar), die darauf verweisen, dass sich die Rechtsmittelwerberin damit vom Sachverhalt entferne, nicht zu beanstanden.

2. Wesentliches weiteres Argument der Beklagten ist die Behauptung, der Kläger habe nach dem Inkrafttreten des Kollektivvertrags dessen Anwendbarkeit über einen Zeitraum von neun Jahren nicht „widersprochen“ und er sei seiner „Klarstellungsverpflichtung“ nicht nachgekommen, weshalb er sich auf für ihn günstigere Bestimmungen des ALÜ nicht (mehr) berufen könne.

Es steht fest, dass sowohl der Kläger als auch die für die Beklagte als Arbeitgeberin tätigen Personen beim Inkrafttreten des Kollektivvertrags im Jahr 2006 davon ausgingen, dass das ALÜ für die zu diesem Zeitpunkt bereits bei der Beklagten beschäftigten Personen weiterhin anzuwenden sei.

Die Beklagte argumentiert zwar, sie habe sich seit dem Inkrafttreten des Kollektivvertrags nicht mehr an das ALÜ gehalten, es ist jedoch unstrittig, dass damit seither für den Kläger ‑ abgesehen von einer Besserstellung in Form einer halbstündigen bezahlten Mittagspause ‑ keine Änderungen im täglichen Arbeitsablauf oder den Entgeltbedingungen verbunden waren. Die Beurteilung der Vorinstanzen, nach der dem Kläger daher sein Schweigen auf solche Verbesserungen oder auf die ihm von der Beklagten mit monatlichen Gehaltszetteln zugestellten Informations-schreiben über den Kollektivvertrag und die Aufhebung des ALÜ nicht als Zustimmung zu einer Änderung des Inhalts seines Dienstvertrags gewertet werden kann, ist jedenfalls vertretbar.

3. Der Revisionsgrund der Aktenwidrigkeit ist nur gegeben, wenn Feststellungen auf aktenwidriger Grundlage getroffen werden (RIS‑Justiz RS0043347 [T3]), er kann aber nicht als Ersatz für eine im Revisionsverfahren generell unzulässige Beweisrüge herangezogen werden (RIS‑Justiz RS0117019).

Die Frage, ob im Hinblick auf den Inhalt der Prozessbehauptungen eine bestimmte Tatsache als vorgebracht anzusehen ist, stellt eine solche des Einzelfalls dar und kann die Zulässigkeit der Revision daher grundsätzlich nicht begründen (vgl RIS‑Justiz RS0042828). Hier hat das Berufungsgericht ‑ nicht unvertretbar ‑ die Feststellung, dass die Beklagte bereits beim Beginn des Dienstverhältnisses des Klägers von der mangelnden Qualität des ALÜ als Kollektivvertrag Kenntnis hatte, als vom Vorbringen umfasst angesehen, zumal im zweiten Rechtsgang unter anderem der Kenntnisstand der Beklagten zu klären war. Die von der Revision aufgeworfene Frage, ob der Kläger selbst das ALÜ damals für einen „echten“ Kollektivvertrag gehalten hat, ist jedoch für die Beurteilung des Inhalts seines Dienstvertrags nicht ausschlaggebend.

Die damit im Zusammenhang stehende, unbegründete Geltendmachung eines Nichtigkeitsgrundes führt nicht dazu, dass eine erhebliche Rechtsfrage vorliegt (RIS‑Justiz RS0043067); andernfalls könnte auf diese Weise die Revisionsbeschränkung des § 502 Abs 1 ZPO umgangen werden (10 Ob 64/11a mwN).

4. Andere für die Lösung des Falls erhebliche Gründe macht die Revision nicht geltend, weshalb sie insgesamt keine Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO aufwirft.

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