OGH 9ObA4/16b

OGH9ObA4/16b21.4.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hopf als Vorsitzenden, die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Dehn und Mag. Korn sowie die fachkundigen Laienrichter KR Mag. Paul Kunsky und Robert Hauser in der Arbeitsrechtssache der klagenden Partei Mag. R*****, vertreten durch Freimüller Obereder Pilz RechtsanwältInnen GmbH in Wien gegen die beklagte Partei F*****-GmbH, *****, vertreten durch Dr. Daniel Stanonik, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, wegen 9.941,87 EUR brutto sA, über die Revision der beklagten Partei (Revisionsinteresse 8.105,97 EUR brutto sA) gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 28. Oktober 2015, GZ 7 Ra 88/15k‑15, mit dem über Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeits‑ und Sozialgerichts Wien vom 15. Juni 2015, GZ 29 Cga 41/15h‑9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 744,43 EUR (darin 124,07 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin war ab 7. 1. 2014 bei der Beklagten als Fotoredakteurin beschäftigt. Mit Schreiben vom 29. 9. 2014, der Klägerin zugegangen am 12. 10. 2014 kündigte die Beklagte das Dienstverhältnis zum 31. 12. 2014.

Auf das Dienstverhältnis ist der Kollektivvertrag für journalistische Mitarbeiter/innen bei österreichischen Zeitschriften und Fachmedien (KV) anzuwenden.

§ 32 des KV regelt die Arbeitgeberkündigung:

1.1. Mangels einer für den/die Dienstnehmer/in günstigeren Vereinbarung kann der/die Dienstgeber/in das Dienstverhältnis mit Ablauf eines jeden Kalendervierteljahres durch vorgängige Kündigung lösen.

Die Kündigungsfrist muss mindestens drei Monate betragen; sie erhöht sich ‑ sofern das Journalistengesetz nicht zur Anwendung kommt ‑ nach achtjähriger ununterbrochener Dauer des Dienstverhältnisses auf vier Monate, nach fünfzehn Jahren auf fünf, nach fünfundzwanzig Jahren auf sechs Monate.

1.2. Diese Kündigungsfristen können durch Vereinbarung nicht unter die oben bestimmte Dauer herabgesetzt werden.

Der zwischen den Parteien vereinbarte Dienstvertrag enthält folgende Regelung:

Die Kündigung des Dienstverhältnisses kann nach Maßgabe der kollektivvertraglichen und gesetzlichen Bestimmungen zum 15. oder Letzten eines jeden Monats unter Einhaltung einer gesetzlichen Kündigungsfrist erfolgen.

Die Klägerin begehrte 9.941,87 EUR brutto sA und brachte vor, die Kündigung sei fristwidrig erfolgt. Nach § 32 Abs 1 KV hätte das Dienstverhältnis frühestens zum 31. 3. 2015 aufgelöst werden können. Ihr stehe daher eine Kündigungsentschädigung und eine Urlaubsersatzleistung samt Sonderzahlung in Höhe des Klagsbetrags zu.

Die Beklagte wendete ein, der KV enthalte zwar eine Regelung, dass Kündigungsfristen nicht verkürzt werden dürften, jedoch keine, dass vom Kündigungstermin zum Quartal nicht abgegangen werden dürfe. Daher sei § 20 Abs 3 AngG heranzuziehen, wonach eine Vereinbarung, wie sie im Dienstvertrag mit der Klägerin getroffen worden sei, zulässig sei.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt und führte aus, der KV lege die Quartalskündigung mangels einer für den Dienstnehmer günstigeren Regelung als „Mindeststandard“ fest, weiters sehe er eine dreimonatige Kündigungsfrist vor. Im Günstigkeitsvergleich sei die als Einheit zu sehende Quartalskündigung mit Dreimonatsfrist des KV für die Klägerin günstiger, sodass die dienstvertragliche Regelung nicht anzuwenden sei. Die Klägerin habe daher in analoger Anwendung des § 1162b ABGB Anspruch auf Kündigungsentschädigung und Urlaubsentschädigung.

Der gegen einen Zuspruch von 8.105,97 EUR gerichteten Berufung der Beklagten gab das Berufungsgericht nicht Folge. Es führt aus, dass § 32 Pt 1.1. KV die Modalitäten der Dienstgeberkündigung regle, im ersten Satz den Kündigungstermin, im zweiten die Kündigungsfrist. Durch den Hinweis, dass eine Kündigung „mangels einer für den Dienstnehmer günstigeren Vereinbarung“ zum Quartal erfolgen könne, hätten die Kollektivvertragsparteien deutlich zum Ausdruck gebracht, einen Mindeststandard setzen zu wollen. Dafür spreche auch Pt 1.2., wonach die Kündigungsfristen durch Vereinbarung nicht unter die oben bestimmte Dauer herabgesetzt werden könnten. Gerade wenn man berücksichtige, dass die kollektivvertragliche Regelung in wesentlichen Teilen § 20 AngG entspreche, sei auffällig, dass der zweite Halbsatz des § 20 Abs 3 AngG, der die Möglichkeit einer Vereinbarung zusätzlicher Kündigungstermine vorsehe, fehle. Nach § 3 Abs 1 ArbVG könnten die Bestimmungen in Kollektivverträgen soweit sie die Rechtsverhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern regeln, durch Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag weder aufgehoben noch beschränkt werden. Sondervereinbarungen seien, sofern sie der Kollektivvertrag nicht ausschließe, nur gültig, soweit sie für den Arbeitnehmer günstiger seien oder Angelegenheiten beträfen, die im Kollektivvertrag nicht geregelt seien. Da nach der im KV enthaltenen Regelung abgesehen von für den Arbeitnehmer günstigeren Vereinbarungen (nur) Arbeitgeberkündigungen zum Quartalsende zulässig seien, komme der Vereinbarung von weiteren Kündigungsterminen im Dienstvertrag keine Wirksamkeit zu.

Die Revision ließ das Berufungsgericht zu, weil der Auslegung von Kollektivverträgen regelmäßig eine über den Einzelfall hinausreichende Bedeutung zukomme.

Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, es dahingehend abzuändern, dass das Klagebegehren im Umfang von 8.105,97 EUR abgewiesen wird. In eventu wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen, in eventu, ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig, jedoch nicht berechtigt.

1. Nach ständiger Rechtsprechung hat die Auslegung normativer Bestimmungen eines Kollektivvertrags objektiv nach den Regeln der §§ 6 und 7 ABGB zu erfolgen (RIS‑Justiz RS0010088). Dabei ist in erster Linie der Wortsinn ‑ auch im Zusammenhang mit den übrigen Regelungen ‑ zu erforschen und die sich aus dem Text des Kollektivvertrags ergebende Absicht der Kollektivvertragsparteien zu berücksichtigen (RIS‑Justiz RS0010089). Im Zweifel ist zu unterstellen, dass die Kollektivvertragsparteien eine vernünftige, zweckentsprechende und praktisch durchführbare Regelung treffen sowie einen gerechten Ausgleich der sozialen und wirtschaftlichen Interessen herbeiführen und eine Ungleichbehandlung der Normadressaten vermeiden wollten (RIS‑Justiz RS0008828).

2. Vorab kann auf die überzeugende Argumentation des Berufungsgerichts zur Auslegung der relevanten kollektivvertraglichen Bestimmungen verwiesen werden (§ 510 Satz 2 ZPO).

3. § 32 KV entspricht in seinem Aufbau weitestgehend § 20 Abs 2 und 3 AngG. Pt 1.1. sieht entsprechend § 20 Abs 2 AngG in Satz 1 vor, dass die Kündigung durch den Arbeitgeber „mangels einer für den/die Dienstnehmer/in günstigeren Vereinbarung“ zum Quartalsende zu erfolgen hat. Satz 2 enthält die von der Dauer des Dienstverhältnisses abhängige Kündigungsfrist. Pt 1.2. regelt entsprechend § 20 Abs 3 AngG, dass diese Kündigungsfristen nicht verkürzt werden dürfen. Anders als im AngG wird dem Arbeitgeber jedoch keine Möglichkeit eingeräumt, weitere Kündigungstermine zu vereinbaren.

Bereits aufgrund dieser Systematik ist erkennbar, dass die Kollektivvertragsparteien anders als das AngG ein Abweichen vom in Pt 1.1. vorgesehenen Kündigungstermin zulasten des Arbeitnehmers ausschließen wollten.

4. Daraus, dass der KV für den Fall, dass im KV relevante Regelungen fehlen, auf die Anwendbarkeit des AngG verweist, ist für die Beklagte nichts zu gewinnen. Der KV regelt in § 32 sowohl die einzuhaltenden Kündigungsfristen als auch die möglichen Kündigungstermine. Dass dabei in einem relevanten Punkt vom AngG abgewichen wird, bedeutet nicht, dass die Bestimmung gegenüber § 20 Abs 3 AngG unvollständig ist, sondern in dieser Frage einen anderen normativen Inhalt aufweist:

Aufgrund der Nichtübernahme der in § 20 Abs 3 AngG eingeräumten Möglichkeit der Vereinbarung weiterer Kündigungstermine sind zwischen den Parteien getroffene, vom Kollektivvertrag abweichende Regelungen nur zulässig, soweit sie für den Arbeitnehmer günstiger sind. Da Pt 1.1. Satz 1 nur die Kündigungstermine regelt, Pt 1.2. dagegen die Vereinbarung kürzerer Kündigungsfristen ausschließt, betreffen beide Bestimmungen auch nicht denselben Regelungsgegenstand, Pt 1.2. ist daher entgegen den Revisionsausführungen auch bei der hier vertretenen Auslegung nicht überflüssig.

Aus der Verwendung des Wortes „kann“ in Pt 1.1. ist für die Beklagte ebenfalls nichts zu gewinnen, bezieht sich dieses doch auf die Möglichkeit, ein unbefristetes Arbeitsverhältnis durch Kündigung beenden zu können und lässt keine Rückschlüsse auf die Zulässigkeit der Vereinbarung von Kündigungsterminen zu.

5. Wenn die Beklagte ausführt, dass der Ausschluss von Sondervereinbarungen durch einen Kollektivvertrag ausdrücklich zu erfolgen habe, übersieht sie, dass nach § 3 Abs 1 ArbVG Bestimmungen in Kollektivverträgen, soweit sie die Rechtsverhältnisse zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern regeln, durch Betriebsvereinbarung oder Arbeitsvertrag weder aufgehoben noch beschränkt werden können. Durch § 3 Abs 1 ArbVG wird klargestellt, dass die Normen des einwirkungsfähigen normativen Teils eines Kollektivvertrags zugunsten des Arbeitnehmers einseitig zwingende Wirkung haben. Die Kollektivvertragsnormen stellen daher den Mindeststandard zugunsten des Arbeitnehmers dar. Die im zweiten Satz des § 3 Abs 1 ArbVG vorgesehene Möglichkeit des Ausschlusses von Sondervereinbarungen gibt dagegen den Normen des Kollektivvertrags zweiseitig zwingende Wirkung, die eine Abänderung nach jeder Richtung hin verhindert (8 ObA 2052/96i). Dieser Ausschluss von Sondervereinbarungen muss daher ausdrücklich geschehen (4 Ob 71/89) oder zumindest ohne jeden Zweifel angeordnet werden ( Mosler/Felten in Gahleitner/Mosler , Arbeitsverfassungsrecht 2² [2015] § 3 Rz 17). Ein ausdrücklicher Ausschluss von für den Arbeitgeber gegenüber dem KV günstigeren Vereinbarungen durch den KV ist demnach nicht erforderlich.

6. In der Revision der Beklagten wird nicht bestritten, dass die im Dienstvertrag zur Arbeitgeberkündigung getroffene Vereinbarung für die Klägerin ungünstiger ist als die Regelung im KV. Sie ist daher unwirksam. Richtig sind die Vorinstanzen davon ausgegangen, dass das Arbeitsverhältnis nach dem KV frühestens mit 31. 3. 2015 hätte beendet werden dürfen. Der Klägerin steht aufgrund der fristwidrigen Kündigung bis zu diesem Zeitpunkt die der Höhe nach nicht mehr strittige Kündigungsentschädigung zu (vgl RIS‑Justiz RS0028223).

Der Revision war daher nicht Folge zu geben.

Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO.

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