OGH 13Os22/16h

OGH13Os22/16h13.4.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 13. April 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon.‑Prof. Dr. Kirchbacher als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Lässig, Mag. Michel, Dr. Oberressl und Dr. Brenner in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Margreiter, LL.B., als Schriftführerin in der Strafsache gegen ArwandH***** wegen Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 achter Fall StGB und anderer strafbarer Handlungen, AZ 42 Hv 27/15v des Landesgerichts für Strafsachen Wien, über die von der Generalprokuratur gegen das Urteil dieses Gerichts vom 1. Juli 2015, GZ 42 Hv 27/15v‑57, erhobene Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes nach öffentlicher Verhandlung in Anwesenheit des Vertreters der Generalprokuratur, Generalanwalt Dr. Eisenmenger, zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0130OS00022.16H.0413.000

 

Spruch:

 

In der Strafsache AZ 42 Hv 27/15v des Landesgerichts für Strafsachen Wien verletzt das Urteil vom 1. Juli 2015 (ON 57), §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 achter Fall StGB.

Dieses Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, wird in den Schuldsprüchen I, demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

 

Gründe:

Mit dem unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen, in gekürzter Form ausgefertigten Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 1. Juli 2015, GZ 42 Hv 27/15v‑57, wurde Arwand H***** ‑ soweit hier von Bedeutung (Schuldsprüche I) ‑ mehrerer Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 achter Fall StGB schuldig erkannt.

Danach hat er in Wien (zusammengefasst) vom 10. November 2014 bis zum 11. März 2015 in 13 ‑ im angefochtenen Urteil einzeln bezeichneten ‑ Angriffen durch telefonisch „gegenüber der Kriminalpolizei“ geäußerte „Bombendrohungen“ jeweils des Inhalts, er habe in einem bestimmten Bahnhof, einer bestimmten U‑Bahn‑Haltestelle, einem bestimmten Krankenhaus oder einem bestimmten Supermarkt „eine Bombe versteckt“ oder er werde dort „eine Bombe hochgehen lassen“, somit durch gefährliche Drohung mit Sprengmitteln, „Beamte der Landespolizeidirektion Wien zu einer Handlung, nämlich zum Einschreiten im Rahmen der Gefahrenabwehr eines gefährlichen Angriffs nach dem Sicherheitspolizeigesetz, genötigt“.

 

Rechtliche Beurteilung

Wie die Generalprokuratur in ihrer zur Wahrung des Gesetzes erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde zutreffend aufzeigt, steht das Urteil insoweit mit dem Gesetz nicht im Einklang:

 

Die Tathandlung sowohl des § 105 Abs 1 StGB als auch des ‑ dazu im Verhältnis der Spezialität stehenden (Danek in WK2 StGB § 269 Rz 1, 48, 89; RIS‑Justiz RS0093283 [T1]) ‑ § 269 Abs 2 StGB ist „Nötigen“. Sie liegt nur dann vor, wenn eine Drohung (oder Gewaltanwendung) als Mittel der Willensbeeinflussung dazu bestimmt und geeignet ist, denjenigen, gegen den sie sich richtet, zu einem seinen wahren Intentionen nicht entsprechenden Willensakt zu zwingen. Daran fehlt es aber, wenn ‑ wie hier nach dem Referat der entscheidenden Tatsachen im Erkenntnis (§ 260 Abs 1 Z 1 StPO), das beim gekürzt ausgefertigten Urteil (§ 270 Abs 4 StPO) die Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) als Bezugspunkt für die materiell‑rechtliche Beurteilung substituiert (RIS‑Justiz RS0125764 [T1, T2, T4]) ‑ über den Polizeinotruf fingierter Bombenalarm gegeben wird, weil hiedurch eine Polizeiaktion zwar ausgelöst, aber nicht erzwungen wird. Denn die Pflicht der Behörde (des Polizeibeamten), aufgrund einer Bombendrohung einzuschreiten, ersetzt nicht den für eine Nötigung erforderlichen Zwang (SSt 48/53; RIS‑Justiz RS0095838, RS0093362, RS0093432; Danek in WK2 StGB § 269 Rz 89).

Ausgehend davon erweist sich die Subsumtion der von den Schuldsprüchen I erfassten Taten als Verbrechen der schweren Nötigung nach §§ 105 Abs 1, 106 Abs 1 Z 1 achter Fall StGB als verfehlt. Entsprechende Feststellungen vorausgesetzt könnten sie jedoch als Vergehen des Landzwangs nach § 275 Abs 1 StGB oder der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1, Abs 2 StGB sowie (gegebenenfalls idealkonkurrierend) als Vergehen der Vortäuschung einer mit Strafe bedrohten Handlung nach § 298 Abs 1 StGB beurteilt werden (vgl Jerabek in WK2 StGB § 74 Rz 24; Pilnacek/Swiderski in WK2 StGB § 298 Rz 13; Fabrizy, StGB12 § 298 Rz 3; RIS‑Justiz RS0093157; 11 Os 22/03; SSt 48/53).

Da sich die aufgezeigte Gesetzesverletzung zum Nachteil des Angeklagten ausgewirkt hat, sah sich der Oberste Gerichtshof veranlasst, ihre Feststellung auf die im Spruch ersichtliche Weise mit konkreter Wirkung zu verknüpfen (§ 292 letzter Satz StPO).

Die auf den kassierten Urteilsaussprüchen beruhenden Anordnungen und Verfügungen gelten gleichfalls als beseitigt, ohne dass es ihrer förmlichen Aufhebung bedürfte (RIS‑Justiz RS0100444; Ratz, WK‑StPO § 292 Rz 28).

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