European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:E114628
Spruch:
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird dahingehend abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Begründung:
Der 2006 geborene Antragsteller ist der Sohn des R* N* (im Folgenden nur: „Vater“). Dieser ist nicht nur für den Antragsteller sorgepflichtig, sondern auch für seine einkommenslose Ehefrau und die Kinder mj J*, geboren am * 2009 und C*, geboren am * 2012. Im Jahr 2013 nahm der Vater die 2000 geborene mj K* und den 2002 geborenen mj K* zu 2 P 149/12f des Bezirksgerichts Fünfhaus an Kindes statt an. Im Zuge des Adoptionsverfahrens gab er am 9. 4. 2013 die unwiderrufliche eidesstattliche Erklärung ab, für den Fall der Genehmigung der Adoption auf die Geltendmachung bzw Anrechnung der Unterhaltsleistung für die beiden Wahlkinder in prozentueller Hinsicht bei der Bemessung des Unterhalts des Antragstellers zu verzichten, soweit sich eine Zahlung unter dem jeweils geltenden Regelbedarfssatz betreffend den Antragsteller ergibt bzw ergeben sollte. Auch für die Adoptivkinder ist der Vater nun sorgepflichtig.
Mit gerichtlichen Vergleich vom 4. 12. 2014 verpflichtete sich der Vater zu einer monatlichen Unterhaltsleistung für den Antragsteller in Höhe von 83 EUR für die Zeit vom 1. 4. 2014 bis 31. 8. 2014 und in Höhe von 96 EUR für die Zeit vom 1. 9. 2014 bis 30. 9. 2014. Diesem Vergleich wurde an weiteren Unterhaltspflichten des Vaters ‑ entsprechend der eidesstattlichen Erklärung ‑ nur jene für seine Ehegattin und die mj J* und C* zugrunde gelegt, nicht aber die weitere Unterhaltspflicht für die Adoptivkinder.
Mit rechtskräftigem Beschluss vom 8. 7. 2015 verpflichtete das Erstgericht den Vater zu einer monatlichen Unterhaltsleistung für den Antragsteller in Höhe von 135 EUR ab 1. 10. 2014 und wies das darüber hinausgehende Unterhaltsherabsetzungsbegehren ab. Wie sich aus der Begründung ergibt, wurde auch diesem Beschluss an weiteren Unterhaltspflichten lediglich jene für die Ehegattin und die mj J* und C* zugrunde gelegt, nicht aber die Unterhaltspflicht für die Adoptivkinder.
Das Erstgericht setzte mit Beschluss vom 8. 7. 2015 die dem Antragsteller zuletzt in Höhe von 92 EUR monatlich für den Zeitraum 1. 3. 2014 bis 28. 2. 2019 gewährten Unterhaltsvorschüsse herab, und zwar für den Zeitraum 1. 4. 2014 bis 31. 8. 2014 auf 55 EUR monatlich, für den Monat September 2014 auf 62 EUR und ab 1. 10. 2014 auf 82 EUR monatlich (Punkt 1 des Spruchs), ersuchte den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien um Auszahlung der Vorschüsse (Punkt 2 des Spruchs), ordnete an, dass weder ein Einbehalt zu Unrecht ausbezahlter Vorschussbeträge von den laufenden Beträgen zu erfolgen habe (Punkt 3 des Spruchs), noch dass ein Ersatz der im Zeitraum 1. 4. 2014 bis 31. 7. 2015 zu Unrecht gewährten Vorschüsse zu erfolgen habe (Punkt 4 des Spruchs). Die über Punkt 1 des Spruchs hinausgehenden Anträge des Minderjährigen auf Erhöhung der Unterhaltsvorschüsse wurden abgewiesen (Punkt 5 des Spruchs). Rechtlich war das Erstgericht der Auffassung, aufgrund der vom Vater im Rahmen des Adoptionsverfahrens abgegebenen Verzichtserklärung habe er freiwillig mehr Unterhalt für den Antragsteller geleistet, als seiner gesetzlichen Unterhaltspflicht entspreche, weil auch die Unterhaltspflichten für die beiden Adoptivkinder zu berücksichtigen gewesen wären. Bei der Gewährung von Unterhaltsvorschüssen sei jedoch der gesetzliche Unterhaltsanspruch maßgeblich. Dessen Höhe betrage unter Berücksichtigung der Unterhaltspflichten für die beiden Adoptivkinder sowie der Belastungsgrenze die aus dem Spruch ersichtlichen Beträge.
Das Rekursgericht gab dem gegen die Herabsetzung der Unterhaltsvorschüsse und die Abweisung der Erhöhungsanträge gerichteten Rekurs des Minderjährigen Folge und setzte die diesem gewährten Unterhaltsvorschüsse für den Zeitraum 1. 4. 2014 bis 31. 8. 2014 mit 83 EUR monatlich, für den Zeitraum 1. 9. 2014 bis 30. 9. 2014 mit 96 EUR und ab 1. 10. 2014 mit 135 EUR monatlich fest.
Rechtlich ging das Rekursgericht davon aus, Vorschüsse seien ganz oder teilweise zu versagen, soweit sich in den Fällen der §§ 3 und 4 Z 1 UVG aus der Aktenlage ergebe, dass die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend zu hoch festgesetzt sei. Der Staat solle vor der Gewährung zu hoher Unterhaltsvorschüsse geschützt werden, die offensichtlich nicht der gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechen, weil die Inanspruchnahme von Vorschüssen missbräuchlich wäre (zB bei Unterhaltstiteln, die auf einem Konsensergebnis oder Versäumungsurteilen beruhen), oder sich die Verhältnisse seit der Titelschaffung wesentlich geändert haben. Diese Voraussetzungen seien aber im vorliegenden Fall nicht gegeben. Der Unterhaltstitel sei bei seiner Schaffung weder unangemessen hoch gewesen, noch sei er infolge nachträglicher Änderungen unangemessen geworden. Dies ergebe sich schon daraus, dass einem auf Berücksichtigung der Sorgepflichten für die Adoptivkinder gestützten Herabsetzungsantrag des Vaters kein Erfolg beschieden wäre. Die Verzichtserklärung des Vaters im Verfahren zur Unterhaltsfestsetzung wäre auch dann zu berücksichtigen gewesen, wenn ihr kein Einvernehmen zugrunde gelegen wäre. Die Verzichtserklärung sei daher nicht nur bei der Unterhaltsbemessung, sondern auch im Unterhaltsvorschussverfahren zu berücksichtigen.
Das Rekursgericht erklärte den ordentlichen Revisionsrekurs nachträglich für zulässig, weil es möglicherweise die Rechtsprechung, wonach der Unterhaltsvorschuss der jeweiligen materiellen gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechen solle, unrichtig angewendet habe.
Gegen diese Entscheidung richtet sich der ordentliche Revisionsrekurs des Bundes (vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien) wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Begehren auf Abänderung im Sinn einer Wiederherstellung der erstgerichtlichen Entscheidung.
Eine Revisionsrekursbeantwortung wurde nicht erstattet.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs des Bundes ist zulässig und berechtigt.
Der Revisionsrekurswerber macht zusammengefasst geltend, der Vater leiste an den Antragsteller aufgrund seines freiwilligen Verzichts einen höheren als den ihm nach dem Gesetz obliegenden Unterhalt, sodass die Unterhaltsbeiträge über dem gesetzlichen Unterhaltsanspruch lägen. Da der Unterhaltsvorschuss aber der jeweils materiellen Unterhaltspflicht zu entsprechen habe, seien alle Sorgepflichten ‑ und demnach auch die Sorgepflichten für die Adoptivkinder ‑ anzurechnen.
Dazu ist Folgendes auszuführen:
1. Der Bund hat auf den „gesetzlichen“ Unterhalt minderjähriger Kinder nach diesem Bundesgesetz Vorschüsse zu gewähren (§ 1 UVG) und zwar grundsätzlich in der beantragten Höhe bis zu dem im Exekutionstitel festgesetzten Unterhaltsbeitrag (§ 5 Abs 1 UVG).
2. Das Gericht hat die Vorschüsse ganz oder teilweise zu versagen, soweit sich (in den Fällen der §§ 3 und 4 Z 1 UVG) „aus der Aktenlage ergibt, dass die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht nicht (mehr) besteht oder, der gesetzlichen Unterhaltspflicht nicht entsprechend, zu hoch festgesetzt ist“ (§ 7 Abs 1 Z 1 UVG). Tritt ein Fall des § 7 Abs 1 UVG ein, ohne dass es zur gänzlichen Versagung der Vorschüsse käme, so hat das Gericht gemäß § 19 Abs 1 UVG auf Antrag oder von Amts wegen die Vorschüsse entsprechend herabzusetzen.
3. Der aufgrund eines Exekutionstitels gewährte Vorschuss soll der jeweiligen materiellen Unterhaltspflicht entsprechen (3 Ob 257/05y; Neumayr in Schwimann/Kodek 4 § 7 UVG Rz 1) und zwar unabhängig davon, ob eine Unrichtigkeit schon zum Zeitpunkt der Schaffung des Titels bestand oder sich aus einer zwischenzeitigen Änderung der Verhältnisse ergibt (RIS‑Justiz RS0076391; Neumayr aaO § 7 UVG Rz 4). Der Unterhaltsvorschuss darf außerdem den in § 6 Abs 1 UVG angeführten Betrag nicht überschreiten.
4. § 7 Abs 1 UVG soll vor allem einer missbräuchlichen Inanspruchnahme von Unterhaltsvor-schüssen vorbeugen und es dem Gericht im Fall einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse ermöglichen, die Vorschüsse in der der gesetzlichen Unterhaltspflicht entsprechenden Höhe zu bemessen. Wird ein höherer Unterhalt als der gesetzliche Unterhalt vereinbart, ist nach dem Wortlaut des § 1 UVG nur der gesetzliche Unterhalt maßgebend (RIS‑Justiz RS0129034; 10 Ob 43/13s; 10 Ob 44/13p).
5.1 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem Akteninhalt, dass die Unterhaltsbeträge, zu deren Leistung sich der Vater im Vergleich vom 4. 12. 2014 bereit erklärte bzw zu denen er laut dem Beschluss des Erstgerichts vom 8. 7. 2015 verpflichtet wurde, der Höhe nach über dem gesetzlichen Unterhaltsanspruch liegen. Konkurrieren im Unterhaltsbemessungsverfahren ‑ wie im vorliegenden Fall ‑ Unterhaltsansprüche von Kindern mit den Unterhaltsansprüchen anderer Kinder oder eines Ehegatten, wären diese im Titelverfahren nämlich derart zu berücksichtigen gewesen, dass zunächst zur Wahrung der Gleichmäßigkeit von einer für alle Unterhaltspflichten zur Verfügung stehenden gemeinsamen Unterhaltsbemessungs-grundlage auszugehen ist (RIS‑Justiz RS0047364 [T1]; RS0047323). Die weiteren Unterhaltspflichten für die beiden Adoptivkinder wären durch Abzüge von Prozentpunkten vom maßgebenden Unterhaltssatz zu berücksichtigen gewesen (RIS‑Justiz RS0047485; Neuhauser in Deixler‑Hübner, Handbuch Familienrecht [2015], 370 mwN). Diese Berücksichtigung hatte aber im Hinblick auf die vom Vater im Rahmen des Adoptionsverfahrens zu Gunsten des Antragstellers abgegebene Verzichtserklärung zu unterbleiben.
5.2 Nach § 194 Abs 2 ABGB idF BGBl I 2013/15 ist die Bewilligung der Adoption auch dann zu versagen, wenn ein überwiegendes Anliegen eines leiblichen Kindes des Annehmenden entgegensteht, insbesondere dessen Unterhalt oder Erziehung gefährdet wäre. Liegt der Unterhaltsanspruch leiblicher Kinder ‑ wie im Fall des Antragstellers ‑ unter dem Regelbedarf, wäre die Adoption nicht zu bewilligen gewesen ( Hopf in KBB4 § 194 Rz 3 mwN). Um dem zu begegnen, gab der Vater zu Gunsten des Antragstellers die Verzichtserklärung ab, die im Ergebnis der Zusage bzw des Anerkenntnisses eines höheren als des gesetzlichen Unterhalts gleichkommt.
6. Eine Auswirkung der Verzichtserklärung auf das Unterhaltsvorschussverfahren in dem Sinn, dass ‑ wie das Rekursgericht vermeint ‑ der aus der Verzichtserklärung resultierende höhere vereinbarte Unterhalt dem gesetzlichen Unterhalt gleich zu halten wäre bzw auch die über dem gesetzlichen Unterhalt liegenden Beträge bevorschussungsfähig werden, ist zu verneinen. § 194 Abs 2 ABGB idF BGBl I 2013/15 schützt seiner systematischen Stellung und seinem Inhalt nach lediglich die Interessen der leiblichen Kinder des Annehmenden bei Bewilligung einer Adoption. Die Voraussetzungen einer Herabsetzung der beantragten Unterhaltsvorschüsse nach § 19 Abs 1 iVm § 7 Abs 1 UVG sind daher sowohl nach dem Wortlaut als auch dem Zweck dieser Bestimmungen (Schutz vor missbräuchlicher Inanspruchnahme des Bundes) erfüllt.
7. Der Revisionsrekurs erweist sich daher im Sinne der Wiederherstellung des erstgerichtlichen Beschlusses als berechtigt.
Die Höhe der vom Erstgericht festgesetzten Unterhaltsvorschussbeträge wird im Revisionsrekurs nicht in Frage gestellt.
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