OGH 8ObA25/15g

OGH8ObA25/15g26.2.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen durch den Vizepräsidenten Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden, die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner und den Hofrat Dr. Brenn als weitere Richter sowie die fachkundigen Laienrichter Dr. Christoph Kainz und Harald Kohlruss in der Arbeitsrechtssache der klagenden Parteien 1. K***** B*****, 2. G***** O*****, 3. N***** L*****, alle vertreten durch Korn & Gärtner Rechtsanwälte OG in Salzburg, gegen die beklagte Partei Ö***** GmbH, *****, vertreten durch Kunz Schima Wallentin Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht in Arbeits‑ und Sozialrechtssachen vom 25. November 2014, GZ 11 Ra 78/14s‑17, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg als Arbeits‑ und Sozialgericht vom 5. Mai 2014, GZ 16 Cga 174/13f‑13, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:008OBA00025.15G.0226.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Begründung

Die Kläger sind bei der Beklagten als Triebfahrzeugführer im wechselschichtigen Turnusdienst beschäftigt. Alle drei sind bzw waren Mitglieder oder Ersatzmitglieder des Betriebsrats. Auf ihre Dienstverhältnisse sind die "Allgemeinen Vertragsbedingungen für Dienstverträge bei den Österreichischen Bundesbahnen" (AVB) in deren jeweils geltenden Fassung anzuwenden.

Bis zum 31. 12. 2004 gewährten die AVB allen Bediensteten, die während des gesamten dem laufenden Urlaubsjahr vorangegangenen Urlaubsjahres im Lokomotiv-, Zugbegleit-, Kraftwagenfahr-, Seilbahn- oder Verschubdienst im Schichtdienst beschäftigt waren, zusätzlich zum regulären Urlaubsausmaß 8 Urlaubstage als „Turnusurlaubszuschlag“.

Diese Regelung wurde mit Wirksamkeit ab 1. 1. 2005 durch § 17 Punkt 4 Z 8d AVB über den „Zusatzurlaub bei Nachtarbeit“ ersetzt, der eine Kürzung und Staffelung des bisherigen Zusatzurlaubs mit sich brachte. Aufgrund dieser Änderung gebührte ÖBB‑Angestellten für jedes Urlaubsjahr, in dem sie mindestens 21 bis 30 mal in der Zeit zwischen 22:00 Uhr und 5:00 Uhr mindestens 3 Stunden zur Arbeitsleistung herangezogen wurden (Nachteinsatz) Zusatzurlaub im Ausmaß von 3 Werktagen, bei 31 bis 40 Nachteinsätzen betrug der Zusatzurlaub 4 Werktage, bei 41 bis 50 Nachteinsätzen 5 und bei mehr als 50 Nachteinsätzen 6 Werktage.

Auf Grundlage einer im Rahmen des Gehaltsabkommens 2012 zwischen dem Vorstand der ÖBB‑Holding AG und der Konzernvertretung abgeschlossenen Vereinbarung über Maßnahmen zur Reduktion der Arbeitszeit wurden die AVB mit Wirksamkeit ab 1. Jänner 2013 dahin geändert, dass die Bestimmungen des Punktes 8b über den „Zusatzurlaub bei Nachtarbeit“ für jene Mitarbeiter (darunter die Kläger) außer Kraft trat, auf die der Kollektivvertrag zur Regelung der Arbeitszeit für Mitarbeiter der ÖBB in der ab 1. 1. 2013 geltenden Fassung Anwendung zu finden hatte.

Die Kläger begehren die Feststellung, dass ihnen auch ab 1. 1. 2013 weiterhin Zusatzurlaub für Nachtarbeit in dem in § 17 Punkt 4 Z 8d AVB geregelten Ausmaß zustehe.

Die Änderung der AVB sei mangels gehöriger Kundmachung unwirksam. Jedenfalls aber bewirke die gänzliche Streichung des Zusatzurlaubs einen gravierend verschlechternden und daher einseitig unzulässigen Eingriff in die arbeitsvertraglichen Ansprüche der Kläger. Im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung dürfe nicht übersehen werden, dass sich ‑ neben zahlreichen anderen dienstrechtlichen Verschlechterungen ‑ bereits die Änderung der AVB mit der Streichung des „Turnusurlaubszuschlags“ für die betroffenen Dienstnehmer erheblich nachteilig ausgewirkt habe. Auch wenn nun die Gesamtarbeitszeit verkürzt worden sei, fehle doch jeglicher spürbare Ausgleich für die mit der Nachtarbeit verbundene besondere Belastung. Die Triebfahrzeugführer würden gegenüber anderen nachts tätigen Bediensteten überproportional benachteiligt, weil sie zwingend betriebsbedingte Pausen einzuhalten hätten, auf die der „Nachtfaktor“ nicht angerechnet werde.

Die Beklagte wandte ein, die strittige Änderung der AVB sei im Einvernehmen mit dem Konzernbetriebsrat zustandegekommen und ordnungsgemäß, unter anderem im Intranet, kundgemacht worden. Sie berücksichtige die Belegschaftsinteressen in angemessener Weise, zumal die Durchführung des Gehaltsabkommens für die Arbeitgeberseite insgesamt mit erheblichen Mehrkosten verbunden sei.

Das Ziel der Verhandlungen sei gewesen, die zeitliche Beanspruchung der Dienstnehmer insgesamt zu reduzieren. Dazu seien die kollektivvertragliche Normalarbeitszeit von 40 auf 38,5 Stunden pro Woche herabgesetzt und der Nachtzeitraum von 22:00 Uhr bis 6:00 Uhr (vorher 5:00 Uhr) ausgedehnt worden. Wegen des von 0,9 auf 0,8 veränderten Nachtfaktors würden nun für jeweils 48 Minuten tatsächlicher Arbeitszeit innerhalb des Nachtzeitraums 60 Minuten angerechnet. Die Neuregelung sei deutlich fairer als der gestaffelte Zusatzurlaubsanspruch, für den nur Nachtdienste von mindestens 3 Stunden Dauer gezählt hätten, wogegen nun der erhöhte Nachtfaktor jede Arbeitsleistung in der Nacht aufwerte. Mit der Streichung des Zusatzurlaubs sei ein Sonderrecht der AVB‑Mitarbeiter abgeschafft worden, das immer wieder zu Diskussionen in der Öffentlichkeit und zu Beanstandungen in Rechnungshofberichten geführt habe.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Die Kläger hätten de facto keine Verschlechterung ihrer dienstrechtlichen Bedingungen darlegen können. Die entfallene Möglichkeit des Ansammelns von Urlaubsguthaben sei durch die im Gegenzug erfolgte Herabsetzung der Wochendienstzeit auf 38,5 Stunden, die Erhöhung des Nachtfaktors auf 0,8 sowie die Erweiterung des Nachtzeitraums um eine Stunde mehr als kompensiert worden. Ein Eingriff in ein nach § 40 DO als unveränderlich gewährleistetes Recht liege nicht vor, weil Urlaubsguthaben nach der ständigen Rechtsprechung keine „ständigen Bezüge“ im Sinn des Vorbehalts darstellten.

Das Berufungsgericht gab dem Rechtsmittel der Kläger keine Folge.

Auch unter gebotener Berücksichtigung der im Jahre 2004 erfolgten Änderungen der einschlägigen Bestimmungen der AVB im Sinne einer Gesamtbewertung sei der von den Klägern erhobene Vorwurf einer „Salamtitaktik“ nicht berechtigt. Die Frage, ob eine Maßnahme sich noch innerhalb der Änderungsbefugnis des Dienstgebers bewege, erfordere eine umfassende Abwägung der Vor- und Nachteile aus der Neuregelung und der wirtschaftlichen Gründe, aus denen sie getroffen wurde. Die Zulässigkeit der 2004 erfolgten gestaffelten Verkürzung des Zusatzurlaubs für Nachtarbeit sei bereits wiederholt in höchstgerichtlichen Entscheidungen bestätigt worden. Der restlose Entfall des Zusatzurlaubs im Rahmen des Gehaltsabkommens 2012 stehe in einem mathematisch fassbaren Austauschverhältnis zu den gleichzeitig getroffenen Maßnahmen zur Kürzung und Neuverteilung der Arbeitszeiten.

Das Argument, die Dienstnehmergruppe der Triebfahrzeugführer sei gegenüber der Mehrheit der übrigen Dienstnehmer unsachlich diskriminiert worden, verstoße gegen das Neuerungsverbot.

Dem Argument, dass die Verkürzung der Nachtdienste aufgrund des geänderten Nachtfaktors den besonders belasteten Dienstnehmern keinen mit einem Urlaubstag vergleichbaren Erholungswert biete, sei die Feststellung des Erstgerichts entgegenzuhalten, dass sich die bezahlte Freizeit der Kläger im Jahre 2013 aufgrund des geänderten Nachtfaktors erhöht habe, im Fall des Drittklägers immerhin um 27,58 Nachtfaktor‑Stunden im Vergleich zum Vorjahr. Soweit sich die Kritik der Kläger auf eine individuelle Dienstplangestaltung beziehe, verlasse sie den Verfahrensgegenstand. Der Wegfall von Überstunden aufgrund neuer Arbeitszeitvorschriften könne nicht als einseitige Verschlechterung bewertet werden.

Die Bekanntmachung der Änderung der AVB in dem dafür vorgesehenen internen Medium sowie im Intranet stelle eine gehörige Kundmachung dar.

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil Rechtsprechung zu den relevierten, für eine nicht unbedeutende Zahl von Arbeitnehmern maßgeblichen Fragen des Dienstrechts der Beklagten noch nicht vorliege.

In ihrer Revision halten die Kläger ihren Rechtsstandpunkt aufrecht, die AVB‑Änderung sei mangels ausreichender Kundmachung ihnen gegenüber nicht wirksam geworden. Jedenfalls aber sei der Entfall des Zusatzurlaubs selbst unter Berücksichtigung der flankierenden Arbeitszeitmaßnahmen keine bloß maßvolle Änderung des Einzelvertrags, zumal nicht nur die unmittelbar sachlich zusammenhängenden Vertragsbestimmungen, sondern sämtliche in der jüngeren Vergangenheit durch Gesetz oder Vertragsänderung zahlreich herbeigeführten Verschlechterungen der Arbeitsbedingungen der Kläger in die Gesamtbewertung einzubeziehen seien. Das Berufungsgericht habe auch das in erster Instanz erstattete Vorbringen, der Berufsgruppe der Kläger sei ein Sonderopfer auferlegt worden, ohne sachliche Rechtfertigung als unzulässige Neuerung behandelt.

Die Beklagte hat eine Revisionsbeantwortung erstattet.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Kläger ist aus dem vom Berufungsgericht dargelegten Grund zulässig und im Sinne ihres eventualiter gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1. Die mit 1. 1. 1996 in Kraft getretenen Allgemeinen Vertragsbedingungen für Dienstverträge bei den Österreichischen Bundesbahnen (AVB) sind eine Vertragsschablone, die erst mit Abschluss des jeweiligen Einzelvertrags rechtlich wirksam wird (RIS‑Justiz RS0052622 ua; 8 ObA 175/02x). Änderungen von Einzelvereinbarungen unterliegen grundsätzlich nicht den Formerfordernissen für die wirksame Kundmachung von Betriebsvereinbarungen, Kollektivverträgen oder Gesetze.

Die bekämpfte einseitige Änderung der Vertragsbedingungen war den Klägern jedenfalls spätestens bei Klagseinbringung bekannt. Wann und auf welche Weise sie diese Kenntnis erlangen konnten, spielt für die hier zu beurteilenden individuellen Feststellungsbegehren keine Rolle mehr. Auf die einschlägigen Ausführungen der Vorinstanzen muss schon aus diesem Grund nicht weiter eingegangen werden.

2. Nach der ständigen, von den Revisionswerbern auch nicht in Frage gestellten Rechtsprechung haben die Dienstnehmer der Beklagten mit dem in ihren Dienstverträgen enthaltenen Verweis auf die AVB in der jeweils gültigen Fassung ein Gestaltungsrecht eingeräumt, das diese nach Treu und Glauben und nach billigem Ermessen berechtigt, Vertragsbestimmungen einseitig abzuändern. In diesem Rahmen sind ‑ in zumutbarem Ausmaß ‑ auch Verschlechterungen der Stellung des Arbeitnehmers möglich (RIS‑Justiz RS0112269; RS0052618; 9 ObA 121/08x; Resch , Änderungsvorbehalt des AG in einer Vertragsschablone, DRdA 2001, 325; Krejci , Grenzen einseitiger Entgeltbestimmung durch den Arbeitgeber, ZAS 1983, 203 ff).

3. Nach der neuen Vertragslage wird den Klägern für geleistete Nachtarbeit wie bisher ein aliquotes Ausmaß an bezahlter Freizeit gewährt. Im Unterschied zu der seit 2005 geltenden Regelung besteht diese nur mehr im Nachtfaktor, der von 6 Minuten pro Stunde auf 12 Minuten verdoppelt wurde. Letztlich unstrittig geblieben ist, dass die Kläger diese Zeitgutschrift in aller Regel nicht ‑ wie üblichen Zeitausgleich ‑ geblockt als mehrstündige oder ganztägige Erholungszeiträume konsumieren können, sondern die Einsatzzeiten im Rahmen des normalen Dienstplans bereits um die Nachtfaktor-Minuten gekürzt werden.

Das Größenverhältnis zwischen dem bisher geltenden Zusatzurlaub und den Nachtfaktorstunden ist mathematisch quantifizierbar, allerdings ist die von den Vorinstanzen angewandte Berechnungsweise dafür nicht geeignet. Ob sich die Änderungen für die Kläger insgesamt neutral auswirken, wie die Vorinstanzen angenommen haben, oder verschlechternd sind, kann mangels Verallgemeinerungsfähigkeit nicht anhand der zufällig in zwei Jahren bei den Klägern angefallenen Nachtdienste gemessen werden, sondern bedarf einer abstrakten Vergleichsrechnung.

Allein der Umstand, dass sich bei den drei Klägern die Anzahl der Nachtdienste im Vergleichszeitraum ganz unterschiedlich entwickelt hat, deutet darauf hin, dass solche Schwankungen individuelle Gründe haben und weder unmittelbare Folge der strittigen Änderungen im Arbeitszeitmanagement der Beklagten sind, noch daraus eine Zukunftsprognose abgeleitet werden kann.

4. Den Revisionswerbern ist auch beizupflichten, dass die für alle Dienstnehmer geltende Verkürzung der Normalarbeitszeit von 40 auf 38,5 Wochenstunden kein taugliches Argument darstellt, um einer bestimmten Dienstnehmergruppe einen Vorteil zu entziehen, der diesen Personen als Ausgleich für eine nur sie treffende besondere körperliche und psychische Belastung zusteht. Bei der Vergleichsrechnung zwischen alten und neuen Nachtarbeitsbedingungen muss die allgemeine Verkürzung der Normalarbeitszeit daher außer Betracht bleiben.

5. Die Vorinstanzen haben beim punktuellen Vergleich von Zusatzurlaub alt mit Nachtfaktorstunden neu zudem nicht berücksichtigt, dass ein Nachtfaktor von 6 Minuten pro Stunde bereits vor der Änderung in Kraft gestanden ist, der im Rahmen des Gehaltsabkommens lediglich verdoppelt wurde. Es kann daher nicht die Gesamtzahl der von den Klägern nach Inkrafttreten der Arbeitszeitmaßnahmen erworbenen Nachtfaktorstunden in die Vergleichsrechnung einbezogen werden, sondern nur die Hälfte davon.

6. Die maximal mögliche Dauer einer Nachtschicht (neu) beträgt 8 Stunden. Einem Triebwagenführer ist nach den „Dienstrechtlichen Vorgaben für den Einsatz der TriebfahrzeugführerInnen“ (Beilage ./V) in diesem Zeitraum zumindest eine unbezahlte 30‑minütige (bei mehr als 8 Stunden 45‑minütige) unbezahlte Pause anzurechnen, die für den Nachtfaktor nicht heranzuziehen ist, sodass innerhalb einer achtstündigen Nachtschicht maximal 450 für den Nachtfaktor zu berücksichtigende Arbeitsminuten verbleiben. Die Erhöhung des Nachtfaktors um 10 % bewirkt pro 8 Stunden Nachtschicht daher eine (neue, zusätzliche) Zeitgutschrift von 45 Minuten; bei 3 Nachtstunden (= der für einen Zusatzurlaubsanspruch nach § 17 AVB erforderlichen Mindestanzahl) sind es zusätzliche 18 Minuten.

7. Ein rechnerischer Vergleich der alten und neuen Regelung ergibt für die in der Tabelle angenommenen Modellfälle folgendes Bild:

Nachtdienste pro Jahr

Entfallender Zusatzurlaub Alt

Erhöhung Nachtfaktor bei

3 Nachtstunden

Erhöhung Nachtfaktor bei

8 Nachtstunden

21

24 h (1.440 Min)

6,3 h (378 Min)

15,75 h (945 Min)

31

32 h (1.920 Min)

9,3 h (558 Min)

23,25 h (1.395 Min)

41

40 h (2.400 Min)

12,3 h (738 Min)

30,75 h (1.845 Min)

51

48 h (2.880 Min)

15,3 h (918 Min)

38,25 h (2.295 Min)

    

Der mit der Umstellung auf den erhöhten Nachtfaktor verbundene quantitative Verlust der Kläger an bezahlter Freizeit bewegt sich unter diesen Modellannahmen zwischen 20 % und 74 %. Entgegen der Ansicht der Vorinstanzen kann hier von neutralen oder sogar günstigeren Auswirkungen der Änderung selbst dann nicht die Rede sein, wenn man den qualitativen Aspekt eines unterschiedlichen Erholungswerts ausklammert.

Allerdings lässt die Systemumstellung theoretisch auch eine höhere als dem Zusatzurlaub alt entsprechende Nachtfaktor-Zeitgutschrift zu, wenn mindestens 65 Nachtdienste pro Jahr (zu je 8 Stunden; ansonsten entsprechend mehr) geleistet werden. Günstiger ist der erhöhte Nachtfaktor auch für Dienstnehmer, deren Dienste weniger als drei Nachtstunden umfassen und die damit keinen Anspruch auf Zusatzurlaub erwerben hätten können. Ob sich diese möglichen Vorteile in der gelebten Diensteinteilungspraxis tatsächlich für die Kläger realisieren lassen, kann anhand des festgestellten Sachverhalts derzeit nicht beurteilt werden.

8. Unter dem Gesichtspunkt des angestrebten Erholungswerts ist a priori davon auszugehen, dass längere zusammenhängende Freizeitperioden wirksamer sind als eine Verkürzung der Nachtdienste um je höchstens 45 Minuten. Die besonderen psychischen und physischen Belastungen des Nacht‑ und Schichtdienstes, vor allem die Störung des Tag/Nacht-Rhythmus und die Erschwerung eines geregelten Familienlebens, werden kaum spürbar erleichtert, wenn ein Nachteinsatz nur 7 statt 8 Stunden dauert.

9. Ist von einer verschlechternden Vertragsänderung auszugehen, stellt sich die Frage, ob die Beklagte dabei den ihr offen stehenden Ermessensspielraum überschritten hat.

Das Kriterium des „billigen Ermessens“, das die Gestaltungsbefugnis des Arbeitgebers begrenzt, ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Konkretisierung eine umfassende Analyse und Bewertung der Sachlage und der maßgeblichen Interessen beider Vertragsparteien erfordert.

Billigkeit bedeutet nach herrschender Auffassung die Herstellung von Austauschgerechtigkeit im Einzelfall, gemessen auch am Rahmen des in vergleichbaren Fällen etwa Üblichen. Als Beurteilungskriterien kommen vor allem die Bedürfnisse beider Vertragspartner, die Dauer des Rechtsverhältnisses, wirtschaftliche Interessen oder Belastungen, auch soziale Gesichtspunkte und persönliche Umstände, Art und Ausmaß der Nachteile, unter Umständen auch Interessen der Allgemeinheit in Frage ( Krejci aaO; Verschraegen in Kletečka/Schauer , ABGB‑ON 1.03 § 1056 Rz 25; Aicher in Rummel , ABGB³ § 1056 Rz 8; vgl auch Würdinger in MüKomm BGB 7 § 315 Rn 31 mwN).

Nicht von entscheidender Bedeutung ist es, ob die Ausübung eines arbeitsvertraglichen Änderungsvorbehalts im Einvernehmen mit der Personalvertretung erfolgt ist. Die Änderung eines Dienstvertrags ist nicht kollektivrechtlicher Natur. Zwar kann die Zustimmung der Personalvertretung als Indiz dafür angesehen werden, dass die Maßnahme auch aus Sicht der Arbeitnehmerinteressen maßvoll und ausgewogen ist, ein allfälliger Verstoß gegen das billige Ermessen könnte aber durch die Einbindung der Personalvertretung nicht beseitigt werden (9 ObA 77/00i).

10. Im Rahmen der Interessenabwägung kann es geboten sein, auch in der Vergangenheit getroffene verschlechternde Maßnahmen zu berücksichtigen, die den selben Regelungsbereich betroffen haben. Eine für sich allein noch maßvoll erscheinende Verschlechterung der Arbeitsbedingungen könnte anders zu beurteilen sein, wenn es in kürzeren Abständen wiederholt zu nachteiligen Änderungen gekommen ist und der Eindruck einer „Salamitaktik“ des Arbeitgebers entsteht.

Die Kläger haben bereits in erster Instanz auf die Abschaffung des „Turnusurlaubszuschlags“ per 1. 1. 2005 bei gleichzeitiger Einführung eines gestaffelten und insgesamt reduzierten Zusatzurlaubs verwiesen. Der Oberste Gerichtshof war mit der Prüfung dieser Änderung bereits in mehreren Entscheidungen befasst und hat sie im Ergebnis nicht beanstandet (9 ObA 40/06g; 8 Ob 32/07z), dies allerdings ohne eine inhaltliche Beurteilung anhand der Billigkeitskriterien, weil eine Überschreitung des Ermessensspielraums nicht (schlüssig) behauptet worden war.

11. Bei einem Dauerschuldverhältnis, wie es auch durch den Abschluss eines Dienstvertrags begründet wird, sind nicht nur die Umstände bei Vertragsabschluss, sondern auch nachfolgende Entwicklungen zu beachten. Die rechtliche Relevanz geänderter Verhältnisse gehört zum Wesen jeder auf Dauer angelegten Rechtsbeziehung (RIS‑Justiz RS0018345).

Wenn ein Arbeitgeber aus wichtigen Gründen zu einer Umorganisation seines Betriebs genötigt ist und es ihm nicht zugemutet werden kann, den bisherigen Zustand unverändert aufrecht zu halten, muss der Arbeitnehmer im Rahmen einer weiteren Auslegung des Dienstvertrags allenfalls auch andere, gleichwertige Dienste leisten oder im Bereich des Verkehrsüblichen (9 ObA 140/03h) maßvoll geänderte Bedingungen hinnehmen (RIS‑Justiz RS0077414; RS0021387). Auch hier kommt es immer auf die Umstände des Einzelfalls an.

12. Im vorliegenden Fall stellt sich die Entwicklung rückblickend so dar, dass der bis 2004 geltende Nachturlaubszuschlag von acht Urlaubstagen innerhalb von acht Jahren in zwei Stufen zur Gänze durch den Nachtfaktor ersetzt wurde. Eine sachliche Begründung, weshalb eine im Jahre 2005 eingeführte Zusatzurlaubsregelung für Nachtarbeiter, deren Gestaltung sich am geltenden Nachtschwerarbeitsgesetz orientierte (§ 10a UrlG; vgl 8 Ob 32/07z) bereits acht Jahre später nicht mehr zeitgemäß sein sollte, ist dem Beklagtenvorbringen nicht zu entnehmen.

Den Revisionswerbern kann daher nicht entgegengetreten werden, wenn sie meinen, dass diese Entwicklung innerhalb eines überschaubaren Zeitraums bei objektiver Betrachtung den Eindruck einer scheibchenweisen Durchsetzung vorausgeplanter Veränderungen erweckt.

Diese Vorgangsweise an sich begründet allerdings auch noch nicht den Schluss, dass die Änderung in ihrer Gesamtheit unzulässig wäre, zumal für eine stufenweise Verwirklichung durchaus beachtliche Gründe bestehen können. In die Beurteilung, ob der Arbeitgeber mit der letzten Änderung seinen einseitigen Ermessensspielraum überschritten hat, ist bei der gegebenen Sachlage aber eine Gesamtbetrachtung der Auswirkungen einzubeziehen.

13. Den Standpunkt, der Wegfall der Zusatzurlaubsregelung sei ein Eingriff in die ihnen nach § 40 DO gewährleisteten Rechte, haben die Kläger im Revisionsverfahren nicht mehr weiter verfolgt (vgl 8 ObA 32/07z). Umgekehrt kann auch der in der Revisionsbeantwortung nicht mehr thematisierte Einwand der Beklagtenseite, die Kläger hätten den gemäß § 4 DO zur Wahrung gewährleisteter Rechte erforderlichen Vorbehalt nicht rechtzeitig erhoben, auf sich beruhen.

14. Da die Vorinstanzen aufgrund ihrer vom Obersten Gerichtshof nicht geteilten Rechtsansicht, dass sich die Abschaffung des Zusatzurlaubs für die Kläger ohnedies nicht nachteilig auswirke, auf die von der Beklagten vorgebrachten Rechtfertigungsgründe nicht näher eingehen mussten, ist zur Vermeidung einer Überraschungsentscheidung eine Präzisierung und Erörterung dieser Gründe im Rahmen einer Verfahrensergänzung erforderlich.

So hat sich die Beklagte im Verfahren zwar auf den Zusammenhang der Streichung des Zusatzurlaubs mit dem Inkrafttreten des Arbeitszeitkollektivvertrags sowie auf die Erhöhung des Nachtfaktors berufen. Inwiefern diese Maßnahmen mit einem gleichzeitig weiter für die besonders belastete Dienstnehmergruppe geltenden Zusatzurlaub zwingend unvereinbar wären, kann jedoch aus dem bisherigen Vorbringen nicht erschlossen werden.

Unklar geblieben ist auch, ob sich die Beklagte auf wirtschaftliche Gründe für die gegenständliche Maßnahme berufen will. Einerseits hat sie nämlich auf einen bestehenden Sanierungsbedarf verwiesen, andererseits aber vorgebracht, die Umsetzung des Gehaltsabkommens verursache einen Mehraufwand von 9 Mio EUR. Inwieweit mit der Maßnahme der Streichung des Zusatzurlaubs ein Beitrag zur Sanierung der Beklagten geplant war bzw erreicht werden konnte, ist jedenfalls ein für die Billigkeitsprüfung relevanter Faktor und wird daher im fortgesetzten Verfahren ebenfalls näher zu erörtern sein.

Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 2 ASGG, § 52 ZPO.

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