OGH 4Ob142/15h

OGH4Ob142/15h23.2.2016

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache des Klägers S***** B*****, vertreten durch Ploil Krepp Boesch Rechtsanwälte GmbH in Wien, gegen die Beklagte S***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Raimund Danner, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen Unterlassung, Beseitigung, Rechnungslegung, Leistung und Urteilsveröffentlichung (Gesamtstreitwert 35.000 EUR) sA, über die Revisionen des Klägers und der Beklagten gegen das Teilurteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 19. Mai 2015, GZ 2 R 74/15p‑20, womit das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom 10. Februar 2015, GZ 7 Cg 7/14m‑16, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0040OB00142.15H.0223.000

 

Spruch:

 

Der Revision der Beklagten wird Folge gegeben.

Das angefochtene Teilurteil wird dahin abgeändert, dass hinsichtlich des Unterlassungsanspruchs das klageabweisende Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

Der Revision des Klägers wird nicht Folge gegeben.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem Erstgericht vorbehalten.

 

Entscheidungsgründe:

Der Kläger ist Grafikdesigner und professioneller Schriftgestalter. Er entwickelt eigene Schriften, die von Grafikern verwendet werden können. Im konkreten Fall nahm der Kläger die Handschrift einer ihm Bekannten, vergrößerte sie und bearbeitete sie mit dem Ziel, dass die einzelnen Buchstaben und Buchstabenkombinationen eine flüssige Verbindung miteinander eingingen. Danach digitalisierte der Kläger die einzelnen Buchstaben durch Scannen und machte sie mit einem Schriftgestaltungsprogramm digital verwendbar. Das durch diese Schritte generierte, als Schriftart in digitaler Form entstandene Computerprogramm (Font) verkauft der Kläger gegen Entgelt an Grafiker, die dann diese Schriftart („Betti“ oder „Bettis Hand“) verwenden können. Dabei handelt es sich um eine gut lesbare, schlichte Schreibschrift. Sie hat folgendes Aussehen:

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Im Sommer 2013 stieß der Kläger beim Lesen einer Tageszeitung auf einen von der Beklagten gestalteten Katalog, in dem die Schrift „Bettis Hand“ mehrfach verwendet wurde. Die Beklagte lehnte die Zahlung des vom Kläger verlangten Nutzungshonorars ab.

Mit der gegenständlichen Klage begehrt der Kläger von der Beklagten Unterlassung der Verwendung seines Zeichensatzes, die Beseitigung der „Betti“ enthaltenden Eingriffsgegenstände, Rechnungslegung, angemessenes Entgelt und Urteilsveröffentlichung. Er habe die den Gegenstand des Verfahrens bildenden Schriftzeichen in Anlehnung an die Handschrift einer Bekannten selbst geschaffen und die technische Umsetzung für die Verwendung mit gängigen Computerprogrammen aufbereitet. Er habe nach der Vorlage die einzelnen Zeichen händisch vergrößert und zum Zweck der Verbindbarkeit als flüssig erscheinende Handschrift die einzelnen Buchstaben und Buchstabenkombinationen optimiert. Danach seien diese einzelnen Buchstaben durch Scannen digitalisiert und dann mit dem Schriftgestaltungsprogramm digital verwendbar gemacht worden. Dem Kläger stünden daher nach dem Urheberrecht die geltend gemachten Ansprüche nach §§ 81, 82, 87a, 86 und 85 UrhG zu. Auf den Schutz des Computerprogramms nach § 40 UrhG stützte sich der Kläger nicht.

Die Beklagte bestritt schutzwürdige Rechte des Klägers im Sinn des UrhG an der Schrift „Bettis Hand“. Eine lediglich digitale Aufbereitung enthalte keine wie immer geartete schutzwürdige Leistung, auch nicht ein Adaptieren und Bereinigen. Das Umsetzen einer Schriftart in druckbare Form habe nichts mit dem Designen bzw Schaffen einer Schriftart zu tun. Die behauptete Zeichensatzerstellung und Digitalisierung sei mangels Vorliegens einer eigentümlichen geistigen Schöpfung kein Werk im Sinne des UrhG.

Das Erstgericht wies die Klage zur Gänze ab. Der Schriftart „Bettis Hand“ sei der Charakter eines urheberrechtlich geschützten Werks nicht zuzubilligen. Aus ihrer Gestaltung lasse sich keine über das Landläufige, Alltägliche und üblicherweise Hervorgebrachte hinausreichende Originalität und keine individuelle Einzigartigkeit der Schöpfung erschließen. Doch selbst wenn man „Bettis Hand“ als urheberrechtlich geschütztes Werk betrachte, wäre dem Kläger der begehrte Schutz zu versagen, weil der Beitrag des Klägers nur als Bearbeitung zu qualifizieren sei, der kein urheberrechtlicher Schutz zukomme. Das bloße Vergrößern einer Handschrift und deren Optimierung im Sinn eines flüssigeren Erscheinungsbildes sei keine eigentümliche geistige Schöpfung, das Digitalisieren durch Scannen kein urheberrechtlich schützenswerter Akt.

Das Berufungsgericht bestätigte mit Teilurteil die Abweisung des Beseitigungs-, Rechnungslegungs- und Urteilsveröffentlichungsbegehrens, gab dem Unterlassungs-begehren statt und hob das Urteil hinsichtlich des Leistungsbegehrens auf und verwies die Rechtssache insoweit zur neuerlichen Entscheidung nach allfälliger Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurück. Der Kläger habe sich nicht auf ein bloßes Vergrößern und Einscannen beschränkt, sondern aus einer Handschrift einer dritten Person einen flüssigen Schriftsatz entwickelt, der an diese Handschrift angelehnt sei. Dieser sei das Ergebnis schöpferischer geistiger Tätigkeit, der seine Eigenheit, die den Schriftsatz von anderen Werken unterscheide, aus der Persönlichkeit seines Schöpfers empfangen habe, auch wenn er gleichzeitig den Charakter der Inspirationsquelle widerspiegle. Dabei komme es nicht darauf an, ob der von „Betti“ verwendeten Handschrift bereits Werkcharakter im Sinne des UrhG zuzuerkennen sei, weil selbst die Bearbeitung, soweit sie eine eigentümliche geistige Schöpfung sei, Schutz nach § 5 UrhG genieße. Dass der Urheber sein Werk an eine Vorlage anlehne, nehme diesem noch nicht die Eigentümlichkeit und Individualität. Der Kläger könne daher die Unterlassung der Eingriffe in seine ausschließlichen Nutzungsrechte begehren. Es stehe aber nicht fest, ob die von der Beklagten hergestellten Publikationen noch vorhanden seien, weshalb das Beseitigungsbegehren abzuweisen sei. Das Urteilsveröffentlichungsbegehren sei abzuweisen, weil dem Kläger das berechtigte Interesse daran fehle, zumal der Urheber der in einer Werbeaussendung verwendeten Schrifttypen üblicherweise nicht angeführt werde. Das Rechnungslegungsbegehren sei abzuweisen, weil der Kläger das Leistungsbegehren auf Grundlage seines Vorbringens zum Entgeltanspruch bereits beziffert habe, sodass mangels darüber hinausgehender Behauptungen zum Eintritt eines Schadens oder weiteren Entgeltanspruchs für ein Rechnungslegungsbegehren kein Raum bleibe. Im Umfang des Leistungsbegehrens sei die Sache noch nicht spruchreif, weil keine Feststellungen zum üblicherweise bezahlten Entgelt getroffen worden seien. Die ordentliche Revision und der Rekurs gegen den Aufhebungsbeschluss seien zulässig, weil der Entscheidung, inwieweit eine Schriftart Urheberrechtsschutz beanspruchen könne, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukomme.

Gegen die Stattgebung des Unterlassungsbegehrens richtet sich die Revision der Beklagten und gegen die Abweisung des Rechnungslegungs- und Urteilsveröffentlichungsbegehrens die Revision des Klägers. Die Abweisung des Beseitigungsanspruchs erwuchs unbekämpft in Rechtskraft. Unbekämpft blieb auch der Aufhebungsbeschluss hinsichtlich des Leistungsbegehrens.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist zulässig und berechtigt, jene des Klägers nicht berechtigt.

1.1. Werke im Sinne des § 1 Abs 1 UrhG sind eigentümliche geistige Schöpfungen auf den Gebieten der Literatur, der Tonkunst, der bildenden Künste und der Filmkunst.

Ob eine Schöpfung urheberrechtlichen Schutz genießt, ist eine Rechtsfrage (RIS‑Justiz RS0043530).

1.2. Unter einem Werk ist nur das Ergebnis einer schöpferischen geistigen Tätigkeit zu verstehen, das seine Eigenheit, die es von anderen Werken unterscheidet, aus der Persönlichkeit seines Schöpfers empfangen hat (RIS‑Justiz RS0076841). Der künstlerische Wert einer Schöpfung ist für die Frage ihrer urheberrechtlichen Schutzfähigkeit ohne Bedeutung (RIS‑Justiz RS0076252), die „statistische Einmaligkeit“ (mithin die bloße Tatsache, dass sich eine Schöpfung mit hoher Wahrscheinlichkeit von allen bisher dagewesenen unterscheidet) reicht aber nicht aus (4 Ob 216/07d ‑ Joey Racino Show; 4 Ob 274/02a - Felsritzbild). Ausschlaggebend ist vielmehr die individuelle Eigenart: Die Leistung muss sich vom Alltäglichen, Landläufigen und üblicherweise Hervorgebrachten abheben (RIS‑Justiz RS0076397; RS0115496). Die Schöpfung muss zu einem individuellen und originellen Ergebnis geführt haben. Beim Werk müssen persönliche Züge seines Schöpfers ‑ insbesondere durch die visuelle Gestaltung und durch die gedankliche Bearbeitung ‑ zur Geltung kommen. Dem Allerweltserzeugnis, der rein handwerklichen Leistung, die jedermann mit durchschnittlichen Fähigkeiten ebenso zustande bringen würde, fehlt die erforderliche Individualität (RIS‑Justiz RS0076913; RS0076367 [T14]; RS0076435). Es genügt, dass eine individuelle Zuordnung zwischen Werk und Schöpfer insofern möglich ist, als dessen Persönlichkeit aufgrund der von ihm gewählten Gestaltungsmittel zum Ausdruck kommt und eine Unterscheidbarkeit bewirkt (4 Ob 162/08i ‑ Schokoladeschuh).

1.3. Zu den Werken der bildenden Künste gehören auch solche des Kunstgewerbes (RIS‑Justiz RS0076423), weil es auf den Zweck des Werks nicht ankommt. Auch ein bloßer Gebrauchszweck schadet nicht (RIS‑Justiz RS0076575 [T2]). Erfasst werden daher auch Werke der Gebrauchsgrafik (RIS‑Justiz RS0076187; 4 Ob 53/92 ‑ Lindwurm; 4 Ob 159/99g ‑ Zimmermann FITNESS = ÖBl 2000, 130 [krit Kucsko]), wenn sie schöpferische Eigenart aufweisen. Rein handwerkliche, routinemäßige Leistungen sind aber auch bei Gebrauchsgrafiken nicht schutzfähig (RIS‑Justiz RS0115332). Ebenfalls schutzunfähig ist der künstlerische Stil als solcher (RIS‑Justiz RS0076695; RS0076734).

2. Eine „Bearbeitung“ im Rechtssinn (§ 5 UrhG) ist die Umgestaltung äußerer Merkmale bei gleichzeitiger Identität des Werks, also eine ‑ nicht rein mechanische, sondern aus eigener schöpferischer Gestaltungskraft entwickelte ‑ Änderung der äußeren Form unter Beibehaltung des Kerns des Werks, nicht aber eine geringfügige Änderung der Umgestaltung des Originals (RIS‑Justiz RS0076389; vgl auch RS0076406). Sie lässt das Werk in seinem Wesen unberührt, muss ihm aber wenigstens in der äußeren Form eine neue Gestalt geben, die als eigentümliche geistige Schöpfung des Bearbeiters zu werten ist (RIS‑Justiz RS0076413). Eine „Bearbeitung“ setzt damit ein Werk iSd § 1 Abs 1 UrhG voraus (vgl RIS‑Justiz RS0076443).

3.1. Der Oberste Gerichtshof beschäftigte sich bisher erst einmal in einer strafrechtlichen Entscheidung (Os 1254/27 = SSt VIII/58) mit dem urheberrechtlichen Schutz eines Zeichensatzes. Danach kann Gebrauchswerken der Schutz des UrhG zukommen, wenn in ihnen ein künstlerisch-persönlicher Formgedanke zum Ausdruck kommt. Auch Schriftzeichen sind zur künstlerischen Gestaltung fähig, weil auch Erzeugnisse, bei denen der künstlerische Gedanke etwa nur in Form der Linienführung zum Ausdruck kommt, Schutz genießen (vgl demgegenüber jedoch RIS‑Justiz RS0076695; RS0076734, wonach der bloße Stil nicht schutzfähig ist). Dies wurde hinsichtlich der dort in Rede stehenden Koch-Schriften bejaht, weil sie nach den auf einem Sachverständigen-Gutachten basierenden Feststellungen des Erstgerichts von den üblichen Gebrauchsschriften abweichen und eine „eigenständige rhythmische Durchführung“ zeigen.

3.2. In folgenden Entscheidungen nahm der Oberste Gerichtshof ua auch zur Schutzfähigkeit von Schriftzeichen Stellung:

3.2.1. Die Entscheidung 3 Ob 403/53 ‑ Kinder-creme hielt (entgegen Os 1254/27) fest, dass die bloße Formgebung alleine keine eigentümliche geistige Schöpfung bewirkt und Gemeingut vom Schutz des UrhG ausgeschlossen ist. Gemeingut sind unter anderem die Blockbuchstaben, auch wenn diesen ein senkrechter Strich innerhalb der einzelnen Buchstaben und abgerundete Ecken hinzugefügt wird. Der Signet‑Entwurf des (dortigen) Klägers weist daher keine eigentümliche Schöpfungskraft auf, weil er von jedem des Schreibens Kundigen hergestellt werden kann. Dass der Kläger Gebrauchsgrafiker ist, ändert daran nichts.

3.2.2. Ebenfalls die Gestaltung eines Signets betraf 4 Ob 2385/96f. Dort wurde der Schutz versagt, weil sich der Kläger bei der Erstellung des Schriftzugs einer herkömmlichen, auf käuflichen Schriftbögen und in Computerprogrammen verwendeten Schriftart bediente, deren Zeichen er lediglich näher zusammengerückt hatte. Die Werkeigenschaft wurde verneint.

3.2.3. In der Entscheidung 4 Ob 159/99g ‑ Zimmermann FITNESS wurde einem aus zwei Worten in verschiedener Schriftart bestehenden Logo aufgrund der speziellen Kombination der beiden Elemente Schutz nach dem Urheberrecht zuerkannt.

3.2.4. Zuletzt sprach 4 Ob 103/07m aus, dass Blockbuchstaben zum Gemeingut gehören und kleine Unregelmäßigkeiten noch nicht als eigentümliche geistige Schöpfung anzusehen sind.

4.1. Nach Gaderer (Schutz von Schriftarten, ecolex 2010, 168 ff) müsse sich eine Schriftart aus zum Gemeingut gehörenden Grundformen bedienen, um gebrauchsfähig zu sein; es bleibe jedoch genug Spielraum für individuelle Gestaltung. Eine Unterscheidung zwischen Gebrauchsschriften und Kunstschriften lehnt er für die Frage des Urheberrechtsschutzes ab. Auch Gebrauchsschriften unterschieden sich untereinander durch ihre Typometrie (Dicke, Serifen, Ober‑ und Unterlängen). Ihnen komme daher im Allgemeinen Werkcharakter zu, wobei aber doch aufgrund der eingeschränkten Gestaltungsmöglichkeiten von einem engeren Schutzumfang auszugehen sei. Der Urheberrechtsschutz beziehe sich auf den gesamten Zeichensatz und nicht auf einzelne Schriftzeichen.

4.2. Dittrich (Urheberrechtlicher Schutz von Schriftzeichen, ÖBl 2010/39, 204 ff) bejaht zwar ebenfalls die grundsätzliche Schutzfähigkeit von (Gebrauchs‑) Schriftzeichen, ist aber weit zurückhaltend als Gaderer. Jede technische Maßnahme (wie etwa Vergrößerungen) müsse außer Betracht bleiben. Wenn jedes einzelne Element (Buchstabe, Ziffer, Satz- und Sonderzeichen) Gemeingut sei, müsse es auch der Schriftzeichensatz sein. Zwischenräume könnten ebenfalls nicht schutzbegründend sein, weil sonst auch die Größe des Zwischenraums monopolisiert würde. Je weniger Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung stünden, desto weniger gehe von der Individualität des Schöpfers in das Werk ein, desto schwächer sei sein Schutz.

5.1. Der deutsche Bundesgerichtshof anerkannte in seiner Leitentscheidung I ZR 21/57 ‑ Candidaschrift = GRUR 1958, 562, zwar grundsätzlich die Schutzfähigkeit sowohl von „Brotschriften“ (= Gebrauchsschriften) als auch von Kunstsschriften, zog die Grenzen jedoch sehr eng. Wenngleich es auf die Beifügung von schmückenden oder besonders künstlerischen Elementen nicht ankomme, setze eine Gebrauchsschrift eine einfache, klare und leicht lesbare Linienführung voraus. Die Buchstabenformen seien gewissermaßen technisch bedingt vorgegeben und ließen nur geringen Spielraum für künstlerische Gestaltung. Die „Candida“-Schrift gehe nicht wesentlich über andere Antiqua‑Schriften hinaus, unterscheide sich von diesen vielmehr nur durch subtile Nuancen, sodass Werkhöhe nicht erreicht werde.

5.2. Dem folgt ua das Oberlandesgericht München zu 6 U 3738/79 ‑ John Player = GRURInt 1981, 180. Das dort klagsgegenständliche Signet gehe nicht über eine geschickte Anpassung vorbekannter Buchstaben an eine bestimmte Geschmacksrichtung hinaus und begründe somit kein Urheberrecht.

5.3. Die deutsche Kommentarliteratur folgt dieser Judikatur, indem sie zwar die Schutzfähigkeit grundsätzlich anerkennt, jedoch den nicht durch alphabetische Notwendigkeit bedingten Spielraum derart klein sieht, dass kaum praktische Anwendungsmöglichkeiten verblieben (Schulze in Dreier/Schulze, Urheberrechtsgesetz4 § 2 Rz 81; A. Nordemann in Nordemann/Nordemann/Nordemann, Urheberrechtsgesetz10 § 2 Rz 182; Loewenheim in Schricker/Loewenheim, Urheberrecht4, § 2 Rz 172). Jaeger/Koglin (Der rechtliche Schutz von Fonts, CR 2002, 169 [172]) sind, was Gebrauchsschriften betrifft, ebenfalls skeptisch; bei den Zierschriften sei die erforderliche Schöpfungshöhe eher anzunehmen (vgl auch Blank, Schriftschutz ‑ Schutz typographischer Schriftzeichen und Schriften im schweizerischen Immaterialgüter- und Lauterkeitsrecht, 21 ff).

6. Ob die dem Kläger als Vorlage dienende Handschrift ein geschütztes Werk ist oder nicht, kann ungeprüft bleiben; die vom Kläger gefertigte Computerschrift ist nämlich weder als Bearbeitung ein Werk zweiter Hand nach § 5 UrhG, noch ein nach einer Vorlage ohne urheberrechtlichen Schutz geschaffenes originäres Werk nach § 1 UrhG.

6.1. Der Kläger hat nach den unbekämpften Feststellungen des Erstgerichts die Handschrift einer dritten Person („Betti“) vergrößert und sie mit dem Ziel bearbeitet, dass die einzelnen Buchstaben und Buchstabenkombinationen eine flüssige Verbindung miteinander eingingen. Danach digitalisierte er die einzelnen Buchstaben durch Scannen und machte sie mit einem Schriftgestaltungsprogramm digital verwendbar. Dem Ergebnis dieses Vorgangs mangelt es an der erforderlichen schöpferischen Eigenart. Anders als in dem der Entscheidung 4 Ob 274/02a ‑ Felsritzbild zugrundeliegenden Sachverhalt hat der Kläger nicht etwa Teile der Vorlage aufgrund eigenständiger geistiger Entscheidung weggelassen oder hinzugefügt, weil sie das Gesamtbild stören oder verbessern. Seine Tätigkeit war vielmehr durch die Notwendigkeit bestimmt, dass handschriftartige Computerschriften zwingend voraussetzen, dass die Zeichen miteinander flüssig verbunden werden können. Darin liegt zwar zweifellos eine kunsthandwerkliche Leistung, das Ergebnis besitzt aber nicht das erforderliche Maß an schöpferischer Gestaltungskraft.

6.2. Der Handschrift eines Menschen kommt in der Regel kein Werkcharakter zu. Wenn auch in der Judikatur gelegentlich die Metapher verwendet wird, ein Werk müsse, um als solches zu gelten, die „individuelle Handschrift“ des Urhebers tragen (4 Ob 274/02a; 4 Ob 201/04v), so ist dies nicht wörtlich zu verstehen. Die Handschrift ist zweifellos individuell; ihre Einzigartigkeit ergibt sich aber nicht aus dem Ausdruck künstlerischer Gestaltung, sondern aus jahrelangem, in kleinsten Nuancen geschehenden Verschleifen der gelernten Lateinschrift. Damit ist sie nicht Produkt individueller Schöpfungskraft, sondern bezieht ihre Einzigkartigkeit ausschließlich aus der statistischen Unwahrscheinlichkeit, dass eine andere Person genau dieselbe Schrift verwendet.

6.3. Dieses Ergebnis lässt sich auch aus der Rechtsprechung ableiten, wonach die bloße Form, der Stil und die Manier eines Künstlers nicht geschützt sind, sondern nur deren konkretes Ergebnis (RIS‑Justiz RS0076695; RS0076734). Ebenso wenig wie eine bestimmte Pinselführung, eine charakteristische Farbwahl oder in verschiedenen Bildern immer wiederkehrende Formgebungen für sich ein Werk sind (sondern nur das konkrete Bild), kann eine ‑ wenngleich individuelle ‑ Art der Schriftführung an sich Urheberrechtsschutz genießen.

6.4. Die Zuerkennung von Werkcharakter an eine Handschrift in ihrer konkreten Ausformung wäre nur denkbar, wenn sie sich ausreichend vom vorbekannten Formenschatz abhebt und eigentümliche und individuelle Zeichen aufweist, die als Neuschöpfung zu beurteilen wären. Dies trifft auf den vom Kläger geschaffenen Zeichensatz jedoch nicht zu.

6.5. Ebenso wie etwa der Abstand zwischen einzelnen Zeichen (Dittrich, Urheberrechtlicher Schutz von Schriftzeichen, ÖBl 2010/39, 204 [205]; vgl auch 4 Ob 2385/96f) oder die Abrundung von Blockbuchstaben unter Beifügung eines senkrechten Strichs keinen Urheberrechtsschutz begründet (3 Ob 403/53), gilt dies auch für die durch die Form einer Handschrift bedingte Bearbeitung derselben zwecks Herstellung einer flüssigen Verbindung (vgl RIS‑Justiz RS0076654, wonach je weniger Gestaltungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, desto weniger von der Individualität des Schöpfers in das Werk eingeht). Die Verbindung ist durch den Zweck der Schrift zwingend vorgegeben (vgl 4 Ob 125/91 betreffend Spezialkarten, deren Zweck eine bestimmte Darstellung vorschreiben kann). Dass sich der Kläger einer über die übliche Zeichenverbindung hinausgehenden Idee befleißigt und diese in seinem Schriftsatz umgesetzt hätte (vgl 4 Ob 55/93), hat der dafür behauptungs‑ und beweispflichtige Kläger (vgl RIS‑Justiz RS0076536) weder substanziiert dargelegt, noch ist solches ersichtlich.

7. Damit kommt dem vom Kläger gestalteten (Computer-)Schriftsatz „Bettis Hand“ keine Werkeigenschaft und somit kein Urheberrechtsschutz zu. Der Kläger ist auf einen nach § 1 Abs 3 MuSchG zu erlangenden Musterschutz zu verweisen.

8. Der Revision der Beklagten ist daher Folge zu geben. Die angefochtene Entscheidung ist dahin abzuändern, dass im Hinblick auf das Unterlassungsbegehren das abweisende Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.

9. Der Kläger ist mit seiner Revision auf die obige Begründung zu verweisen. Besteht kein Urheberrechtsschutz, so sind neben dem Unterlassungsanspruch auch die Ansprüche auf Rechnungslegung und Urteilsveröffentlichung zu versagen.

Die Abweisung des Beseitigungsbegehrens ist mangels Anfechtung durch den Kläger bereits rechtskräftig. Ebenso unbekämpft blieb der Aufhebungsbeschluss des Berufungsgerichts in Bezug auf das Leistungsbegehren.

10. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 Abs 3 ZPO.

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