OGH 10Ob111/15v

OGH10Ob111/15v22.2.2016

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm, die Hofrätin Dr. Fichtenau und den Hofrat Mag. Ziegelbauer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen L*, geboren am *, vertreten durch das Land Kärnten als Kinder‑ und Jugendhilfeträger (Bezirkshauptmannschaft Hermagor, Jugendwohlfahrt, Hauptstraße 44, 9620 Hermagor), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Graz, Marburger Kai 49, 8010 Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom 1. Oktober 2015, GZ 3 R 105/15y, 3 R 108/15i‑40, mit dem infolge Rekurses des Bundes der Beschluss des Bezirksgerichts Hermagor vom 22. April 2015, GZ 1 Pu 38/12a‑28, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:E113997

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs des Bundes wird nicht Folge gegeben.

 

Begründung:

Die am * 2006 geborene L* ist die Tochter von M* (Mutter) und G* (Vater).

Der Vater wurde mit Beschluss des Erstgerichts vom 21. Juni 2012 (ON 4) zu einem monatlichen Unterhalt von 300 EUR ab 1. Jänner 2012 verpflichtet. Mit Beschluss vom 8. November 2012 (ON 6) gewährte das Erstgericht dem Kind Titelvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in der Höhe von 300 EUR für den Zeitraum von 1. September 2012 bis 31. August 2017.

Am 27. Jänner 2015 gab der Vater dem Erstgericht bekannt, dass er sich seit 2. Jänner 2015 in Haft befinde; die Haft ende voraussichtlich am 30. April 2015. Der Vater stellte den Antrag, ihn für die Dauer der Haft von seiner Unterhaltsverpflichtung zu befreien (ON 9).

Mit ‑ mittlerweile rechtskräftigem ‑ Beschluss vom 16. März 2015 enthob das Erstgericht den Vater ab 1. Februar 2015 bis zu seiner Haftentlassung am 30. April 2015 von seiner Geldunterhaltsverpflichtung gegenüber seiner Tochter (ON 13). Mit ‑ ebenfalls rechtskräftigem ‑ Beschluss vom 17. März 2015 verfügte das Erstgericht die Einstellung der Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG mit Ablauf des Monats Jänner 2015 und die Gewährung von Haftvorschüssen gemäß § 4 Z 3 UVG für den Zeitraum von 1. März 2015 bis 30. April 2015 (ON 15).

Dieser Beschluss erwuchs in Rechtskraft.

Am 2. April 2015 wurde der Vater aus der Haft entlassen (ON 20).

Daraufhin stellte der Kinder‑ und Jugendhilfeträger am 7. April 2015 (ON 21)

a) den Antrag, die Haftvorschüsse (§ 4 Z 3 UVG) infolge Beendigung der strafgerichtlichen Anhaltung am 2. April 2015 einzustellen und

b) den Antrag auf Gewährung von Unterhaltsvorschüssen gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG in monatlicher Höhe von 300 EUR aufgrund des Beschlusses des Erstgerichts vom 21. Juni 2012. Im Vergleich zu den Verhältnissen bei Gewährung der Titelvorschüsse mit Beschluss des Erstgerichts vom 8. November 2012 sei keine Änderung der persönlichen und finanziellen Verhältnisse des Vaters eingetreten. Der Kinder‑ und Jugendhilfeträger gab die Erklärung ab, dass die Angaben vollständig und richtig seien.

Ein Datum, zu dem die Haftvorschüsse eingestellt werden sollen, ist dem Antrag ebenso wenig zu entnehmen wie der Zeitraum, für den die Titelvorschüsse beantragt werden.

Inhaltlich entspricht der Antrag nach dem Inhalt des Pflegschaftsakts dem seinerzeit am 25. September 2012 gestellten Antrag auf Titelvorschüsse; zusätzlich waren im seinerzeitigen Antrag Angaben enthalten, dass am 24. September 2012 ein Antrag auf Forderungsexekution nach § 294a EO gegen den Vater eingebracht worden sei und dass per September 2012 ein Unterhaltsrückstand von 2.700 EUR bestehe.

Das Erstgericht stellte mit ‑ rechtskräftigem -Beschluss vom 7. April 2015 (ON 22) die dem Kind gewährten Haftvorschüsse per Ende April 2015 ein und forderte den Kinder- und Jugendhilfeträger mit Verfügung vom selben Tag zur Bekanntgabe auf, ob die im Jahr 2012 eingebrachte Forderungsexekution nach wie vor aufrecht sei, da dies eine Voraussetzung für die Gewährung der Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG sei. Sollte sich mittlerweile der Drittschuldner geändert haben, sei der Nachweis der Einbringung einer neuen Exekution erforderlich (ON 23).

Der Kinder- und Jugendhilfeträger gab dem Erstgericht bekannt, dass er vom Drittschuldner ‑ Arbeitsmarktservice ‑ am 6. März 2015 über die Beendigung des der gepfändeten Forderung zugrunde liegenden Rechtsverhältnisses informiert worden sei. Der Vater sei infolge der Haft mit 2. Jänner 2015 aus dem Leistungsbezug ausgeschieden (ON 26). Die Wirksamkeit des Pfandrechts lebe gemäß § 299 EO wieder auf, falls der Leistungsbezug nicht mehr als zwölf Monate unterbrochen sei.

Das Erstgericht führte daraufhin eine Drittschuldnerabfrage durch, die ergab, dass der Vater seit 7. April 2015 wiederum Leistungen des AMS erhielt (ON 27).

Mit Beschluss vom 22. April 2015 (ON 28) gewährte das Erstgericht dem Kind Unterhaltsvorschüsse gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG für den Zeitraum von 1. Mai 2015 bis 30. April 2020 in der Titelhöhe von 300 EUR.

Der Beschluss wurde damit begründet, dass der Vater am 21. Juni 2012 zu einem monatlichen Unterhalt von 300 EUR verpflichtet worden sei. Das Kind habe am 7. April 2015 die Gewährung von Vorschüssen gemäß §§ 3, 4 Z 1 UVG beantragt. Der Vater habe nach der am 10. Juli 2012 eingetretenen Vollstreckbarkeit den laufenden Unterhalt nicht zur Gänze geleistet. Am 2. Oktober 2012 sei gegen den Unterhaltsschuldner eine Forderungsexekution („ursprünglich mit Einbringung des damaligen Unterhaltsvorschussantrages“) eingebracht worden, die nach wie vor aufrecht sei.

Das Rekurgericht gab dem dagegen erhobenen, auf die Gewährung der Titelvorschüsse nur bis 31. Oktober 2017 gerichteten Rekurs des Bundes nicht Folge.

Der Zweck des Wieder‑in‑Geltung‑Setzens der Titelvorschüsse nach § 7 Abs 2 UVG ohne neuerliche Überprüfung der Gewährungsvoraussetzungen liege in der vereinfachten Abwicklung der Bevorschussung bzw in der Vermeidung einer Unterbrechung von Vorschussleistungen; es solle kein Vakuum zwischen Titelvorschüssen und Haftvorschüssen geben.

Der vorliegende Fall sei allerdings dadurch gekennzeichnet, dass die ursprünglich mit Beschluss vom 8. November 2012 (ON 6) gewährten Titelvorschüsse nicht ohne Unterbrechung in Haftvorschüsse umgewandelt worden seien. Vielmehr seien die Titelvorschüsse mit Beschluss vom 17. März 2015 (ON 15) per Ende Jänner 2015 eingestellt worden; Haftvorschüsse seien erst ab 1. März 2015 gewährt worden (ON 22). Infolge der Unterbrechung der Vorschussgewährung im Monat Februar 2015 bestehe die Möglichkeit des Wiederauflebens der Titelvorschüsse nach § 7 Abs 2 UVG nicht.

Der Revisionsrekurs sei im Hinblick auf das Fehlen höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage zulässig, ob im Fall einer zeitlichen Unterbrechung zwischen der Gewährung eines Titelvorschusses nach §§ 3, 4 Z 1 UVG und dem Haftvorschuss nach § 4 Z 3 UVG § 7 Abs 2 UVG anwendbar sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes mit dem Antrag, den Antrag auf Gewährung der Titelvorschüsse von 300 EUR über den 31. Oktober 2017 hinaus abzuweisen (ON 42).

Der Kinder‑ und Jugendhilfeträger gab eine Stellungnahme ab, in der er nicht auf die hier zu lösenden Rechtsfragen eingeht.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus Gründen der Klarstellung zulässig; er ist jedoch nicht berechtigt.

Im Revisionsrekurs stellt der Präsident des Oberlandesgerichts Graz (als Vertreter des Bundes) in den Vordergrund, dass der am 7. April 2015 gestellte Antrag des Kindes nicht als „Neuantrag“ zu qualifizieren sei, weshalb die vor der Haftvorschussgewährung gewährten Titelvorschüsse ‑ ohne neuerliche Überprüfung der Gewährungsvoraussetzungen nach § 7 Abs 1 Z 1 UVG ‑ ab 1. Mai 2015 von Amts wegen wieder in Geltung zu setzen waren, allerdings nur bis 31. Oktober 2017. Die Unterbrechung der Vorschussgewährung im Februar 2015 könne dem Wieder‑in‑Geltung‑Setzen nicht entgegenstehen. Würde in solchen Situationen ein Wieder‑in‑Geltung‑Setzen ausgeschlossen, würde das gesetzgeberische Ziel des FamRÄG 2009, die Auszahlungskontinuität zu verbessern, konterkariert. Berechtigt seien die Titelvorschüsse daher nur bis 31. Oktober 2017 (die ursprüngliche Gewährungszeit sei um die zwei Monate der Haftvorschussgewährung zu verlängern).

Dazu wurde erwogen:

1. Mit dem FamRÄG 2009 (BGBl I 2009/75) wurde die bereits zuvor in § 7 Abs 2 UVG geregelte Möglichkeit des „Übergangs“ von Titelvorschüssen auf Haftvorschüsse, wenn dem Geldunterhaltsschuldner die Freiheit entzogen wird, auf den umgekehrten Fall, nämlich den der Haftentlassung ausgedehnt. Dem § 7 Abs 2 UVG wurde folgender Satz angefügt:

„Der Beschluss, mit dem Vorschüsse nach den §§ 3 oder 4 Z 1, 2 oder 4 gewährt wurden, ist mit der Beendigung der Freiheitsentziehung auf Antrag oder, falls das Gericht hievon verständigt wurde, von Amts wegen ohne Prüfung der Voraussetzungen der Gewährung wieder in Geltung zu setzen, wenn das Kind zu diesem Zeitpunkt noch minderjährig ist; der Zeitraum, für den die Vorschüsse gewährt wurden, ist dabei um die Dauer der Vorschussgewährung nach § 4 Z 3 zu verlängern.“

2. Da das FamRÄG 2009 das Konzept der unterschiedlichen Strukturierung der Vorschussgründe nicht änderte, ist das Wieder‑in‑Geltung‑Setzen der Titelvorschüsse als Einstellung der Haftvorschüsse mit gleichzeitiger unveränderter Wiedergewährung der früheren Vorschüsse zu verstehen (10 Ob 44/14i und 10 Ob 3/15m, jeweils mit Hinweis auf Neumayr, Unterhaltsvorschuss neu, ÖJZ 2010/20, 164 [167]; zum umgekehrten Fall siehe RIS‑Justiz RS0129721). Der Vorteil des Wieder‑in‑Geltung‑Setzens für das Kind liegt darin, dass die Gewährungsvoraussetzungen nicht im Sinne des § 7 Abs 1 Z 1 UVG zu überprüfen sind (IA 673/A 24. GP 41).

3. Angesichts der Einstellung der früheren Titelvorschüsse und auch der Haftvorschüsse hat es das Kind in der Hand, anstelle des Wieder‑in‑Geltung‑Setzens einen „neuen“ Antrag auf Titelvorschüsse zu stellen, der zwar nicht die beim Wieder‑in‑Geltung‑Setzen vorgesehenen Erleichterungen bietet, aber die Möglichkeit schafft, erneut den vollen fünfjährigen Gewährungszeitraum auszuschöpfen.

Der vom Kind am 7. April 2015 gestellte Antrag geht inhaltlich nicht auf das Wieder‑in‑Geltung‑Setzen ein; inhaltlich ist er als Neuantrag auf Titelvorschüsse zu werten.

4. Entscheidend ist daher die bereits im Rekurs des Bundes angesprochene Frage, ob der vom Kind am 7. April 2015 gestellte Antrag den Erfordernissen eines Neuantrags entspricht; ist dies nicht der Fall, wäre ein Verbesserungsverfahren einzuleiten (§ 10 Abs 4 AußStrG; Neuhauser, Unterhaltsvorschuss, in Deixler‑Hübner [Hrsg] Handbuch Familienrecht [2015] 397 [436]).

4.1. Der Antrag auf Gewährung von Vorschüssen muss weder den begehrten Beginn, noch eine gewünschte Dauer der Bevorschussung enthalten und ist in diesem Fall so zu verstehen, dass die Bewilligung zum frühestmöglichen Zeitpunkt für die längst mögliche Dauer begehrt wird (RIS‑Justiz RS0082193). Bestimmt oder bestimmbar muss dem Antrag die begehrte Vorschusshöhe zu entnehmen sein (§ 5 UVG).

4.2. Gemäß § 11 Abs 2 UVG hat der Antragsteller die Voraussetzungen für Vorschussgewährung primär durch den Inhalt der Pflegschaftsakten, durch Urkunden oder sonst auf einfache Weise nachzuweisen. In zweiter Linie, also subsidiär zum einfachen Nachweis sind die Gewährungsvoraussetzungen durch eine der Wahrheit entsprechende Erklärung des Vertreters des Kindes glaubhaft zu machen (siehe Neuhauser in Deixler‑Hübner, Handbuch Familienrecht 436).

Im vorliegenden Fall wurde eine solche Erklärung abgegeben. Hinsichtlich der Antragsbehauptungen, warum der Anspruch auf Vorschüsse begründet sei, wurde auf den früheren Antrag verwiesen; im Vergleich zu diesem sei keine Änderung der persönlichen und finanziellen Verhältnisse beim Vater eingetreten. Im Rahmen der vom Erstgericht aufgetragenen Verbesserung wurde die Behauptung aufgestellt, dass das aufgrund der Exekutionsbewilligung vom 2. 10. 2012 erworbene Pfandrecht an der Forderung auf Geldleistungen gegenüber dem Arbeitsmarktservice wieder wirksam geworden sei; ein anderer Arbeitgeber scheine im Ergebnis der Abfrage beim Hauptverband der Sozialversicherungsträger nicht auf.

4.3. Bei der gebotenen unformalistischen Betrachtungsweise (10 Ob 82/10x; 10 Ob 67/11t) sind dem Antrag die erforderlichen Informationen zu entnehmen, insbesondere auch, dass gegen den Vater zur Hereinbringung des laufenden Unterhalts ein Exekutionsverfahren mit dem Arbeitsmarktservice als Drittschuldner eingeleitet wurde; dieses ist noch immer anhängig, wobei das Pfandrecht an der Bezugsforderung wieder wirksam geworden ist.

5. Auch wenn das gesetzgeberische Ziel des FamRÄG zweifellos auf die Verbesserung der Auszahlungskontinuität gerichtet war, kommt es für die hier zu beurteilende Frage nicht auf die vom Rekursgericht als entscheidend angesehene ununterbrochene Vorschussgewährung an.

6. Im Ergebnis sind daher die Entscheidungen der Vorinstanzen zu bestätigen.

7. Da es dem Bund nicht gelungen ist, stichhaltige Argumente gegen die Richtigkeit der Entscheidung des Rekursgerichts aufzuzeigen, bleibt der Revisionsrekurs erfolglos.

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