OGH 10Ob3/15m

OGH10Ob3/15m24.2.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden und durch die Hofräte und Hofrätinnen Univ.‑Prof. Dr. Neumayr, Dr. Schramm, Dr. Fichtenau und Mag. Korn als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj N*****, geboren am *****, vertreten durch das Land Wien als Kinder‑ und Jugendhilfeträger (Magistrat der Stadt Wien, Magistratsabteilung 11, Amt für Jugend und Familie ‑ Bezirk 10, 1100 Wien, Van der Nüll‑Gasse 20), wegen Unterhaltsvorschuss, über den Revisionsrekurs des Bundes, vertreten durch den Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien, 1010 Wien, Schmerlingplatz 11, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom 29. Oktober 2014, GZ 45 R 421/14s‑147, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 10. September 2014, GZ 7 Pu 285/09m‑132, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0100OB00003.15M.0224.000

 

Spruch:

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass der Beschluss des Erstgerichts in seinem Punkt 1. ‑ einschließlich des bereits in Rechtskraft erwachsenen Teils ‑ zu lauten hat:

„1. Der dem Kind mit Beschluss des Bezirksgerichtes Innere Stadt Wien, GZ 7 Pu 285/09m‑71 vom 17. 09. 2010 für die Zeit vom 01. 11. 2010 bis 31. 10. 2015 weitergewährte und mit Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom 29. 11. 2012, GZ 7 Pu 285/09m‑101, für die Zeit von 1. 11. 2012 bis 31. 01. 2016 wieder in Geltung gesetzte monatliche Unterhaltsvorschuss von 180 EUR wird

a) von 01. 11. 2012 bis 31. 01. 2014 auf monatlich 205 EUR

b) von 01. 02. 2014 bis 28. 02. 2014 auf monatlich 190 EUR und

c) von 01. 03. 2014 bis 31. 01. 2016 auf monatlich 225 EUR

erhöht.

Höchstgrenze bleibt der Richtsatz für pensionsberechtigte Halbwaisen gemäß §§ 293 Abs 1 Buchstabe c bb erster Fall, 108 f des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG).“

 

Begründung:

Die am ***** 2004 geborene N***** ist die Tochter von A***** (Mutter) und H***** (Vater).

Mit Beschluss vom 17. September 2010 (ON 71) hat das Erstgericht die auf die Geldunterhaltspflicht des Vaters gewährten Titelvorschüsse (§§ 3, 4 Z 1 UVG) für den Zeitraum von 1. November 2010 bis 31. Oktober 2015 in einer monatlichen Höhe von 180 EUR weitergewährt.

Dem Vater wurde aufgrund einer Anordnung in einem strafgerichtlichen Verfahren ab 23. Juli 2012 die Freiheit entzogen. Daraufhin stellte das Erstgericht mit Beschluss vom 12. Oktober 2012 (ON 95) die Titelvorschüsse, mit deren Auszahlung ab 1. November 2011 innegehalten worden war (ON 86), für den Zeitraum von 1. August 2012 bis 30. November 2012 auf Haftvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG um. Ungeachtet eines bereits am 21. Oktober 2011 (ON 85) gestellten Antrags des Vaters, ihn von seiner Unterhaltsverpflichtung ab 1. März 2010 zu entheben, blieb der Unterhaltstitel vorerst aufrecht.

Am 15. Oktober 2012 wurde der Vater aus der Strafhaft entlassen (ON 96 und 99). Daraufhin beendete das Erstgericht mit Beschluss vom 29. November 2012 (ON 101) die Auszahlung der Unterhaltsvorschüsse gemäß § 4 Z 3 UVG per 31. Oktober 2012 und setzte die Titelvorschüsse für den Zeitraum von 1. November 2012 bis 31. Jänner 2016 wieder in Geltung (§ 7 Abs 2 UVG).

Am 7. Mai 2013 beantragte der Vater, seine Unterhaltsverpflichtung ab 1. Juni 2013 auf monatlich 50 EUR herabzusetzen und ihn im Hinblick auf die Haft für den Zeitraum von 1. August 2012 bis 31. Oktober 2012 von seiner Unterhaltsverpflichtung zu entheben (ON 107). Darauf wurde die Innehaltung mit der Auszahlung der Titelvorschüsse teilweise aufgehoben; ab 1. Juni 2013 wurde wiederum ein monatlicher Vorschussbetrag von 50 EUR ausgezahlt (ON 110).

Mit Beschluss vom 13. Dezember 2013 (ON 119) enthob das Erstgericht den Vater für den Zeitraum von 1. August 2012 bis 31. Oktober 2012 von seiner Unterhaltsverpflichtung und wies die weiteren Anträge des Vaters, ihn auch für die Zeiträume von 1. Februar 2010 bis 31. Juli 2012 sowie von 1. November 2012 bis 31. Mai 2013 von seiner Unterhaltsverpflichtung zu entheben und die Unterhaltsverpflichtung ab 1. Juni 2013 auf 50 EUR monatlich herabzusetzen, ab.

Am 17. März 2014 stellte das Kind, vertreten durch den Kinder‑ und Jugendhilfeträger, den Antrag, den Vater zu einem höheren Unterhalt als 180 EUR monatlich zu verpflichten, nämlich in Höhe von 205 EUR für die Zeit von 1. April 2011 bis 31. Jänner 2014, in Höhe von 190 EUR für die Zeit von 1. Februar 2014 bis 28. Februar 2014 und in Höhe von 225 EUR für die Zeit ab 1. März 2014, (ON 127).

Mit Beschluss vom 31. Juli 2014 (ON 131) erhöhte das Erstgericht den vom Vater zu leistenden Unterhalt von 180 EUR monatlich

a) für die Zeit von 1. April 2011 bis 31. Juli 2012 auf 205 EUR monatlich,

b) für die Zeit von 1. November 2012 bis 31. Jänner 2014 auf 205 EUR monatlich,

c) für die Zeit von 1. Februar 2014 bis 28. Februar 2014 auf 190 EUR monatlich und

d) ab 1. März 2014 auf 225 EUR monatlich.

Mit Beschluss vom 10. September 2014 erhöhte das Erstgericht die Titelvorschüsse in entsprechender Weise (ON 132).

Das Rekursgericht gab dem auf Abstandnahme von der Vorschusserhöhung für den Zeitraum von 1. April 2011 bis 31. Juli 2012 gerichteten Rekurs des Bundes nicht Folge (ON 147). Der Revisionsrekurs wurde im Hinblick auf das Fehlen von höchstgerichtlicher Rechtsprechung zur Frage zugelassen, ob Titelvorschüsse, die gemäß § 7 Abs 2 UVG nach der Gewährung von Haftvorschüssen wieder in Geltung gesetzt wurden, auch für die Zeit vor Gewährung von Haftvorschüssen erhöht werden können.

Gegen diese Entscheidung richtet sich der Revisionsrekurs des Bundes aus dem Revisionsrekursgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit dem Antrag, von der Erhöhung der Titelvorschüsse für den Zeitraum von 1. April 2011 bis 31. Juli 2012 Abstand zu nehmen (ON 150).

In seiner Revisionsrekursbeantwortung lehnt der Kinder‑ und Jugendhilfeträger ‑ erkennbar ‑ eine Abstandnahme von der Erhöhung ab. Der Vater und die Mutter haben sich am Revisionsrekursverfahren nicht beteiligt.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist aus dem vom Rekursgericht genannten Grund zulässig; er ist auch berechtigt.

Das Revisonsrekursvorbringen lässt sich dahin zusammenfassen, dass die in § 7 Abs 2 UVG geregelte Umstellung auf Haftvorschüsse als Einstellung der Titelvorschüsse und Neugewährung von Haftvorschüssen ab dem folgenden Monatsersten zu sehen sei. Da die Umstellung auf Haftvorschüsse den Bezug der Titelvorschüsse unterbrochen habe und keine ununterbrochene Gewährung von Unterhaltsvorschüssen des gleichen Typs vorliege, sei es ausgeschlossen, die Titelvorschüsse im Zeitraum vor der Umstellung auf Haftvorschüsse rückwirkend zu erhöhen.

Mit der hier zu lösenden Rechtsfrage hat sich der Oberste Gerichtshof ausführlich in der Entscheidung 10 Ob 44/14i auseinandergesetzt. Er hat auf seine ständige Rechtsprechung verwiesen, dass bei einer Erhöhung der Unterhaltsvorschüsse von Amts wegen diejenige Periode, für die die Vorschüsse gewährt wurden, im Zeitpunkt der Beschlussfassung über die Erhöhung weder abgelaufen noch auch durch einen davor gefassten Einstellungsbeschluss beendet sein darf (RIS‑Justiz RS0076743 [T4]). Demnach muss der Beschluss über die Vorschusserhöhung gemäß § 19 Abs 2 UVG auch nach der aktuellen Rechtslage nach dem FamRÄG 2009 innerhalb einer ununterbrochenen Kette von Bevorschussungsperioden gefasst werden. Hingegen kommt eine Vorschusserhöhung nach § 19 Abs 2 UVG nicht in Betracht, wenn keine „ununterbrochene Gewährung von Unterhaltsvorschüssen des gleichen Typs“ vorliegt(Neumayr in Schwimann/Kodek,ABGB4, § 19 UVG Rz 24).

Zur Umwandlung von Titelvorschüssen in Haftvorschüsse und das Wiederingeltungsetzen der Titelvorschüsse nach dem Ende der Haft (§ 7 Abs 2 UVG) führte der Oberste Gerichtshof in der genannten Entscheidung aus, dass die Umstellung auf Haftvorschüsse als Einstellung der Titelvorschüsse und Neugewährung von Haftvorschüssen ab dem folgenden Monatsersten zu sehen ist. Die Rückwandlung in Titelvorschüsse wiederum ist als Einstellung der Haftvorschüsse mit gleichzeitiger unveränderter Wiedergewährung der früheren Vorschüsse zu verstehen (Neumayr, Unterhaltsvorschuss neu ‑ Änderungen des UVG mit dem FamRÄG 2009, ÖJZ 2010/20, 164 [167]).

Unter Bezugnahme auf die Intentionen des Gesetzgebers des FamRÄG 2009 folgerte der Oberste Gerichtshof, dass für rückwirkende Erhöhungen der Titelvorschüsse für Bezugsperioden vor einer Umwandlung in Haftvorschüsse (weiterhin) keine gesetzliche Grundlage besteht; eine betragsmäßige Anpassung der Vorschüsse nach oben oder unten kommt nicht in Betracht, wenn keine „ununterbrochene Gewährung von Unterhaltsvorschüssen des gleichen Typs“ gegeben ist.

In diesem Sinn ist auch im vorliegenden Fall dem Revisionsrekurs des Bundes dahin Folge zu geben, dass von einer Erhöhung der Titelvorschüsse auch für den Zeitraum von 1. April 2011 bis 31. Juli 2012 Abstand zu nehmen ist.

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