European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:0030OB00262.15Y.0217.000
Spruch:
1. Die Revision der beklagten Partei wird zurückgewiesen.
2. Der Revision der klagenden Parteien wird Folge gegeben.
Das angefochtene Urteil wird dahin abgeändert, dass das Ersturteil
wiederhergestellt wird.
Die beklagte Partei ist schuldig, den klagenden Parteien die mit 7.854,62 EUR (darin enthalten 1.271,70 EUR USt und 224,40 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Entscheidungsgründe:
Die Erstklägerin ist eine Holdinggesellschaft. Ihre 100 %ige Tochter, die Zweitklägerin, ist eine nicht börsennotierte Aktiengesellschaft, deren Unternehmens-gegenstand der Erwerb und die Verwaltung von Beteiligungen ist.
Die Klägerinnen haben es aufgrund des vollstreckbaren Urteils des Oberlandesgerichts Linz vom 24. März 2014, GZ 3 R 37/14b‑29, im geschäftlichen Verkehr zu unterlassen, ihre Offenlegungspflicht gemäß § 277 iVm § 280 UGB zu verletzen, insbesondere dadurch, dass sie es verabsäumen, ihre Konzernabschlüsse jeweils innerhalb von neun Monaten nach dem Bilanzstichtag beim zuständigen Firmenbuchgericht einzureichen.
Die dortige Klägerin (und nunmehrige Beklagte) hatte ihre auf § 1 Abs 1 Z 1 UWG gestützte Klage insbesondere darauf gestützt, dass die (dort) Beklagten sich im Wettbewerb durch einen Rechtsbruch einen unlauteren Vorteil verschaffen wollten, indem sie die von ihnen errichteten Konzernabschlüsse für das Jahr 2011 und hinsichtlich der Erstbeklagten auch für das Jahr 2010 nicht offengelegt hätten. Auf diese Weise hätten sie verschwiegen, dass mehrere im Ausland situierte Tochtergesellschaften der Konzerngruppe der Beklagten ohne laufende Zuschüsse seitens der Unternehmensgruppe zahlungsunfähig wären.
Die Erstklägerin hat am 24. Juni 2013 ihren Konzernabschluss für das Geschäftsjahr 2012 beim zuständigen Firmenbuchgericht eingereicht. In diesen Konzernabschluss wurde die Zweitklägerin iSd § 245 UGB einbezogen.
Mit Schriftsatz vom 23. April 2014 beantragte die hier Beklagte als Betreibende aufgrund des genannten Titels die Bewilligung der Exekution gemäß § 355 EO gegen die (nunmehrigen) Klägerinnen als Verpflichtete, weil die Zweitklägerin im Zeitraum 11. bis 22. April 2014 nach wie vor keinen einzigen Konzernabschluss beim Firmenbuchgericht eingereicht habe, also insbesondere nicht jene für die Jahre 2010 bis 2012, und die Erstklägerin lediglich jenen zum 31. Dezember 2012, also entgegen dem Titel nicht auch die Konzernabschlüsse für die Jahre 2010 und 2011. In weiterer Folge brachte die Betreibende insgesamt zehn Strafanträge (ON 3 bis ON 12) mit dem Vorbringen ein, dass beide Verpflichteten auch im Zeitraum 23. April bis einschließlich 6. Mai 2014 weiterhin gegen den Titel verstoßen hätten und die Erstverpflichtete auch noch am 7. Mai 2014 ihren Konzernabschluss für das Jahr 2011 nicht offen gelegt habe.
Mit Beschluss vom 17. Juli 2014, GZ 53 R 166/14i‑17, bewilligte das Landesgericht Salzburg als Rekursgericht der Betreibenden die beantragte Exekution und verhängte wegen der im Exekutionsantrag und in den Strafanträgen behaupteten Verstöße gegen den Titel Geldstrafen von insgesamt 105.000 EUR gegen die Erstverpflichtete und von insgesamt 100.000 EUR gegen die Zweitverpflichtete.
Die Klägerinnen machten in ihrer Impugnationsklage geltend, dass die Erstklägerin bereits vor Einbringung des Exekutionsantrags und der Strafanträge ihren Konzernabschluss für das Geschäftsjahr 2012 (fristgerecht) beim Firmenbuchgericht eingereicht habe und die Konzernabschlüsse für die vorangegangenen Geschäftsjahre 2010 und 2011 damals für die angesprochenen Verkehrskreise, vor allem Lieferanten einer der beiden Konzerngesellschaften, nicht mehr von Bedeutung gewesen seien. Lieferanten hätten sich, beispielsweise im Hinblick auf einen zu gewährenden Warenkredit, ab Veröffentlichung des Konzernabschlusses für 2012 nicht mehr für die wirtschaftliche Situation des Konzerns in den vorangegangenen Geschäftsjahren interessiert. Auch potenzielle Aktionäre hätten ausschließlich Interesse an aktuellen Informationen über die wirtschaftliche Lage der Klägerinnen. Im Konzernabschluss für das Jahr 2012 sei auch ein Vergleich mit dem Geschäftsjahr 2011 erfolgt, sodass eine allfällige Trendanalyse auch aufgrund eines einzigen Konzernabschlusses möglich sei. Es fehle deshalb an der erforderlichen Spürbarkeit des inkriminierten Verstoßes.
Im Hinblick auf die Einreichung des Konzernabschlusses für das Jahr 2012 durch die Erstklägerin sei die Zweitklägerin als 100 %ige Tochter der Erstklägerin gemäß § 245 UGB von der Verpflichtung zur Vorlage eines eigenen Konzernabschlusses befreit.
Die Beklagte wendete ein, die von den Klägerinnen aufgeworfene Frage der wettbewerbsrechtlichen Relevanz sei ebenso wie die Anwendbarkeit des § 245 UGB eine reine Rechtsfrage. Eine Überprüfung der rechtlichen Qualifikation des der Unterlassungsexekution zugrunde liegenden Sachverhalts sei im Impugnationsprozess jedoch ausgeschlossen. Die Klägerinnen hätten sich bereits im Anlassexekutionsverfahren erfolglos auf die nun eingewendeten Rechtsgründe gestützt. Im Übrigen habe der Oberste Gerichtshof bereits im Titelverfahren (zu 4 Ob 95/14w) den ‑ von den dortigen Beklagten bestrittenen -Informationswert eines Konzernabschlusses für Dritte bejaht. Der Einwand der mangelnden Spürbarkeit sei also bereits im Titelverfahren entkräftet worden.
Das Erstgericht erklärte die im Anlassverfahren bewilligte Unterlassungsexekution samt den anlässlich der Bewilligung der Exekution und der weiteren Strafanträge verhängten Geldstrafen für unzulässig. Die von den Klägerinnen erhobenen rechtlichen Einwendungen seien, wie sich aus der Entscheidung 3 Ob 150/14a ergebe, mit der der außerordentliche Revisionsrekurs der Klägerinnen gegen die Exekutionsbewilligung zurückgewiesen worden sei, taugliche Impugnationsgründe. Die Auffassung der Klägerinnen zur fehlenden Spürbarkeit der Wettbewerbsverletzung sei auch überzeugend.
Das Berufungsgericht änderte dieses Urteil in teilweiser Stattgebung der Berufung der Beklagten dahin ab, dass es die Anlassexekution nur insoweit für unzulässig erklärte, als die Nichtvorlage des Konzernabschlusses der Zweitklägerin für das Jahr 2012 inkriminiert wurde. Das restliche Klagebegehren wies es ab. Im Titelverfahren sei rechtskräftig geklärt worden, dass die Erstklägerin ihre Konzernabschlüsse für die Jahre 2010 und 2011 und die Zweitklägerin ihren Konzernabschluss für das Jahr 2011 nicht frist‑ und formgerecht offengelegt habe. Die Berufung der Zweitklägerin auf den Befreiungstatbestand des § 245 UGB sei daran gescheitert, dass ihre Muttergesellschaft, die Erstklägerin, ihre Konzernabschlüsse ebenfalls nicht veröffentlicht habe. Im Exekutionsverfahren sei die Verletzung der Offenlegungspflicht der Erstklägerin für die Jahre 2010 und 2011 und der Zweitklägerin für die Jahre 2010 bis 2012 inkriminiert worden. Soweit sich Titel‑ und Exekutionsverfahren deckten, also hinsichtlich der Konzernabschlüsse für die Jahre 2010 und 2011 hinsichtlich der Erstklägerin und für das Jahr 2011 hinsichtlich der Zweitklägerin, sei es nicht zulässig, die ‑ im Titelverfahren rechtskräftig festgestellten ‑ inkriminierten Titelverstöße in Frage zu stellen. Darüber hinaus sei bereits im Titelverfahren die Spürbarkeit des Wettbewerbsverstoßes der Klägerinnen bejaht worden. Die Klägerinnen hätten im Impugnationsverfahren nicht dargetan, warum hier entgegen der Rechtsprechung zum „Wettbewerbsvorsprung durch Rechtsbruch“ kein Wettbewerbsverstoß vorliegen sollte.
Der Zweitklägerin sei der Nachweis gelungen, dass sie, weil ihre Muttergesellschaft ihren Konzernabschluss für das Geschäftsjahr 2012 am 24. Juni 2013 (und damit fristgerecht) beim Firmenbuchgericht eingereicht habe, bei Einbringung des Exekutionsantrags gemäß § 245 Abs 1 UGB (gemeint: in der damals geltenden Fassung vor Inkrafttreten des RÄG 2014) von der Vorlage eines eigenen Konzernabschlusses befreit gewesen sei. (Nur) in diesem Umfang sei das Klagebegehren deshalb berechtigt.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands hinsichtlich jedes Verstoßes 30.000 EUR übersteige, und ließ die ordentliche Revision zur Klärung der Frage zu, ob durch die Vorlage der Konzernbilanz für ein Folgejahr der Unterlassung der (rechtzeitigen) Vorlage der Konzernbilanzen für die Vorjahre die Eignung genommen werde, den Wettbewerb spürbar zu beeinflussen. Außerdem habe der Oberste Gerichtshof bisher noch nicht deutlich entschieden, inwiefern der teilweise Erfolg der Impugnationsklage schon im Impugnationsprozess selbst zu einer Abänderung der Strafaussprüche führe oder unter welchen Voraussetzungen es im Exekutionsverfahren zu einer Abänderung der verhängten Strafen kommen könne.
Gegen dieses Berufungsurteil richten sich die Revisionen beider Streitteile. Die Klägerinnen streben primär die vollständige Stattgebung ihres Klagebegehrens, hilfsweise die Reduktion der über sie verhängten Geldstrafen an, während die Beklagte die gänzliche Klageabweisung begehrt.
In ihren Revisionsbeantwortungen beantragen die Parteien jeweils, die Revision der Gegenseite zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Die Revision der Beklagten zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf. Die Revision der Klägerinnen ist hingegen wegen einer vom Obersten Gerichtshof aufzugreifenden Fehlbeurteilung durch das Berufungsgericht zulässig und auch berechtigt.
Rechtliche Beurteilung
1. Zur Revision der Beklagten:
1.1. Bestreitet der Verpflichtete, dass der behauptete Sachverhalt rechtlich ein Zuwiderhandeln gegen das titelmäßige Duldungs‑ oder Unterlassungsgebot darstellt, steht ihm dafür schon nach dem Wortlaut des § 36 Abs 1 letzter Halbsatz EO („ ... falls sie nicht mittels Rekurs gegen die Exekutionsbewilligung angebracht werden können ... “) nur der Rekurs und nicht auch die Impugnationsklage zur Verfügung (RIS‑Justiz RS0123123; zuletzt 3 Ob 242/14f).
Es trifft zwar zu, dass sich die Zweitklägerin bereits im Anlassexekutionsverfahren auf den Ausnahmetatbestand des § 245 UGB berufen hat. Dieser Einwand konnte dort allerdings nicht inhaltlich behandelt werden, weil sich die nun feststehende Stellung der Zweitklägerin (Zweitverpflichteten) als 100 %iges Tochterunternehmen der Erstklägerin (Erstverpflichteten) weder aus dem Spruch des Exekutionstitels noch aus den Behauptungen der Betreibenden in den Exekutions‑ und Strafanträgen ergab (3 Ob 150/14a).
Das Berufungsgericht hat also zutreffend den ‑ nach den Feststellungen berechtigten ‑ Einwand der Zweitklägerin berücksichtigt, dass sie in den bereits vor Einbringung des Exekutionsantrags offen gelegten Konzernabschluss der Erstklägerin als ihrer Muttergesellschaft einbezogen wurde, weshalb sie insoweit keine eigenständige Veröffentlichungspflicht mehr trifft.
1.2. Das Vorliegen eines der Ausschluss-tatbestände des § 245 Abs 1 UGB aF hat die ‑ dafür nach dem allgemeinen Grundsatz „negativa non sunt probanda“ behauptungs‑ und beweispflichtige ‑ Beklagte in erster Instanz nicht geltend gemacht.
1.3. Es kann auch keine Rede davon sein, dass es wegen der Vielzahl der inkriminierten Verstöße „im Ergebnis bedeutungslos“ wäre, ob sich die Zweitklägerin auf den Befreiungstatbestand des § 245 UGB (aF) berufen kann.
Die Revision der Beklagten ist deshalb mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen.
2. Zur Revision der Klägerinnen:
2.1. Die Klägerinnen zeigen zutreffend auf, dass im Titelverfahren nicht über die für die Beurteilung der Berechtigung der Impugnationsklage entscheidende (dort offensichtlich gar nicht thematisierte) Frage abgesprochen wurde, ob die ‑ vom Obersten Gerichtshof zu 4 Ob 95/14w im Hinblick auf den Informationswert des Konzernabschlusses für Dritte bejahte ‑ Spürbarkeit der Wettbewerbsverletzung auch dann gegeben ist, wenn zwar ältere Konzernabschlüsse (hier: für 2010 und 2011) nicht veröffentlicht wurden, der bei Einbringung des Exekutionsantrags und der Strafanträge im April bzw Mai 2014 aktuellste (hier: für 2012) allerdings fristgerecht beim Firmenbuchgericht eingereicht wurde.
2.2. Entgegen der von der Beklagten auch noch in ihrer Revisionsbeantwortung vertretenen Auffassung kann keine Rede davon sein, dass die fehlende Spürbarkeit nicht mittels Impugnationsklage eingewendet werden könnte. Im Gegenteil wurden die Klägerinnen im Exekutionsverfahren ausdrücklich auf die Einbringung einer Impugnationsklage verwiesen, weil die von ihnen behauptete mangelnde Spürbarkeit damals nicht aktenkundig war (3 Ob 150/14a, P 5.).
2.3. Im Impugnationsverfahren hat die Beklagte das von den Klägerinnen zur Frage der (fehlenden) Spürbarkeit erstattete Vorbringen und damit auch dessen Tatsachensubstrat inhaltlich nicht substanziiert bestritten. Der Entscheidung ist deshalb der damit unstrittige Sachverhalt zugrunde zu legen, dass die „angesprochenen Verkehrskreise“ ‑ das heißt einerseits die Marktgegenseite (Kunden und Lieferanten) und andererseits die Mitbewerber der Klägerinnen (vgl 4 Ob 229/08t), und außerdem potenzielle Aktionäre der Erstklägerin ‑ nur Interesse an aktuellen Informationen haben, sodass für sie nur der (jeweils) jüngste (aktuellste) Konzernabschluss von Bedeutung ist, in dem ohnehin ein Vergleich mit dem vorangegangenen Geschäftsjahr angestellt wird, sodass auch eine allenfalls erforderliche Trendanalyse möglich ist.
2.4. Ausgehend davon fehlt aber den inkriminierten Titelverstößen der Erstklägerin (Nichtveröffentlichung ihrer Konzernabschlüsse für die Jahre 2010 und 2011) im Hinblick auf die Offenlegung ihres Konzernabschlusses für das Jahr 2012 tatsächlich die Spürbarkeit, also die Eignung, den Wettbewerb zum Nachteil von Unternehmen nicht nur unerheblich zu beeinflussen (vgl RIS‑Justiz RS0123661).
2.5. Da die Offenlegung des Konzernabschlusses der Erstklägerin, wie bereits ausgeführt, die Zweitklägerin gemäß § 245 UGB aF von ihrer eigenen Veröffentlichungsverpflichtung befreite, erweist sich die Impugnationsklage zur Gänze als berechtigt, sodass das Urteil des Erstgerichts wiederherzustellen ist.
2.6. Die weitere vom Berufungsgericht formulierte ‑ und im Übrigen bereits zu 3 Ob 317/01s (RIS‑Justiz RS0116291) beantwortete ‑ Rechtsfrage bezüglich der Rechtsfolgen eines teilweisen Erfolgs der Impugnationsklage stellt sich hier nicht.
2.7. Die Kostenentscheidung beruht auf den §§ 41, 50 ZPO. Die Klägerinnen haben in ihrer Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten hingewiesen (RIS‑Justiz RS0035962).
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