OGH 14Os113/15x

OGH14Os113/15x26.1.2016

Der Oberste Gerichtshof hat am 26. Jänner 2016 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Philipp als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Mag. Hetlinger, die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Nordmeyer und Dr. Oshidari sowie die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Mann in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Mag. Zabl als Schriftführerin in der Strafsache gegen Valentin N* wegen Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien als Schöffengericht vom 27. August 2015, GZ 071 Hv 45/15d‑36, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2016:E113811

Rechtsgebiet: Strafrecht

 

Spruch:

 

In teilweiser Stattgebung der Nichtigkeitsbeschwerde wird das angefochtene Urteil, das im Übrigen unberührt bleibt, in der rechtlichen Unterstellung des Täterverhaltens nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG, demzufolge auch im Strafausspruch (einschließlich der Vorhaftanrechnung) aufgehoben und die Sache in diesem Umfang zu neuer Verhandlung und Entscheidung an das Landesgericht für Strafsachen Wien verwiesen.

Im Übrigen wird die Nichtigkeitsbeschwerde zurückgewiesen.

Mit seiner Berufung wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.

Ihm fallen auch die Kosten des Rechtsmittelverfahrens zur Last.

 

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Valentin N* der Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall, Abs 2 Z 1 SMG schuldig erkannt.

Danach hat er am 28. April 2015 in W* vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b SMG) mehrfach übersteigenden Menge, nämlich 207,2 Gramm Kokain (Reinheitsgehalt zumindest 31,2 % Cocain, Reinsubstanz zumindest 64 Gramm Cocain), einem verdeckten Ermittler des Bundeskriminalamts zu einem Kaufpreis von 10.000 Euro zu überlassen versucht, wobei er die Straftat gewerbsmäßig begangen hat und schon einmal, und zwar mit Urteil des Landesgerichts für Strafsachen Wien vom 13. August 2012, AZ 142 Hv 95/12z, wegen einer Straftat nach § 28a Abs 1 SMG verurteilt worden war.

Rechtliche Beurteilung

Der dagegen aus den Gründen der Z 9 lit b und 10 des § 281 Abs 1 StPO erhobenen Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten kommt teilweise Berechtigung zu.

Die Rechtsrüge (Z 9 lit b) vertritt unter Verweis auf verschiedene Erkenntnisse des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR 9. 6. 1998, 44/1997/828/1034, Teixeira de Castro/Portugal; EGMR 27. 10. 2004, 39647/98 und 40461/98, Edwards und Lewis/Vereinigtes Königreich; EGMR 15. 12. 2005, 53203/99, Vanyan/Russland; EGMR 5. 2. 2008, 74420/01, Ramanauskas/Litauen; EGMR 1. 6. 2010, 28823/04, Bulfinsky/Rumänien; EGMR 4. 11. 2010, 18757/06, Bannikova/Russland und EGMR 23. 10. 2014, 54648/09, Furcht/Deutschland) sowie eine Entscheidung des deutschen Bundesgerichtshofs (vom 10. Juni 2015, 2 StR 97/14) die Ansicht, eine Art 6 Abs 1 MRK widersprechende und solcherart unzulässige Tatprovokation (§ 5 Abs 3 StPO) stelle ‑ entgegen der bisherigen Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs (vgl dazu RIS‑Justiz RS0119618, RS0116456) ‑ ein Verfolgungshindernis dar.

Vorauszuschicken ist, dass unzulässige Tatprovokation dann vorliegt, wenn eine Person durch staatliche Organwalter zur Unternehmung, Fortsetzung oder Vollendung einer Straftat verleitet wird (vgl § 5 Abs 3 StPO). Von einer zulässigen verdeckten Ermittlung (§ 131 StPO) unterscheidet sie sich nach der Rechtsprechung des EGMR dadurch, dass die beteiligten Beamten oder die auf ihre Anweisung handelnden Personen sich nicht auf eine im Wesentlichen passive Ermittlung strafbarer Aktivitäten beschränken, sondern einen solchen Einfluss auf die Person ausüben, dass diese zur Begehung einer Tat verleitet wird, die sie ansonsten nicht begangen hätte.

Als Beurteilungskriterien zieht der EGMR dabei heran, ob objektive Verdachtsmomente dafür bestanden haben, dass die Person (bereits zuvor) an kriminellen Aktivitäten beteiligt oder der Begehung einer Straftat zugeneigt war, und ob auf sie Druck ausgeübt wurde, die Tat zu begehen. Kein Grund für die Annahme des Verdachts einer Beteiligung am Rauschgifthandel besteht etwa dann, wenn die Person nicht vorbestraft war, kein Ermittlungsverfahren gegen sie eingeleitet worden war und nichts darauf hindeutete, dass sie schon tatgeneigt war, bevor sie von Polizeibeamten kontaktiert wurde. Eine im Wesentlichen passive Haltung geben die Behörden dann auf, wenn die Person wiederholt kontaktiert, das Angebot trotz anfänglicher Weigerung wiederholt, die Person beharrlich aufgefordert, überredet oder unter (psychischen) Druck gesetzt wird (EGMR 23. 10. 2014, 54648/09, Furcht/Deutschland, Rz 48 ff mit ausdrücklichem Verweis auf die weiteren in der Nichtigkeitsbeschwerde angeführten EGMR‑Erkenntnisse [Rz 46 ff]; vgl auch zuletzt 15 Os 89/15z).

Nach den insoweit wesentlichen Urteilsannahmen wurde der Angeklagte, der in Österreich (unter anderem) wegen des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 SMG sowie in Deutschland wegen Einfuhr und Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge vorbestraft ist (US 3 f), mehrmals „von dem als Informant für die Polizei tätigen Todor T*“ angerufen, „ob er nicht eine größere Menge Kokain beschaffen und anschließend gewinnbringend verkaufen könnte“. Daraufhin „entschloss“ er sich, „seine Arbeit im Lebensmittelgeschäft seiner Schwester in Bulgarien aufzugeben, nach Österreich zu kommen und erneut seinen Lebensunterhalt durch den gewinnbringenden Verkauf von Kokain zu finanzieren“. „Über Vermittlung des Todor T*“ stellte in der Folge ein verdeckter Ermittler des Bundeskriminalamts, der anlässlich eines persönlichen Treffens zunächst Interesse an einer „größeren Menge Kokain“ bekundete, Kontakt mit dem Angeklagten her. Da der Beschwerdeführer nach seinen Angaben nur maximal 200 Gramm Kokain besorgen konnte, einigte man sich schließlich auf die Überlassung einer entsprechenden Quantität gegen einen Kaufpreis von 10.000 Euro. Am Folgetag wurde Valentin N* bei der versuchten Übergabe von 207,2 Gramm Kokain brutto (Reinsubstanz 64 Gramm Cocain) an den verdeckten Ermittler festgenommen (US 4 f).

Die Rüge scheitert schon deshalb, weil sie ihre Rechtsfolgenbehauptung primär auf die Berücksichtigung einer „Tatprovokation“ als Milderungsgrund im Rahmen der Strafzumessung durch das Erstgericht (US 9) stützt, ohne sie durch konkreten Vergleich des Urteilssachverhalts mit den Kriterien der zuvor dargestellten Rechtsprechung methodengerecht darzulegen.

Die Urteilsannahmen bringen nämlich mit der allgemeinen Formulierung, Todor T* sei „als Informant für die Polizei“ tätig gewesen, insbesondere nicht zum Ausdruck, dass dieser (selbst nicht Polizeibeamter) bei den wiederholten telefonischen Anfragen bezüglich einer Bereitschaft des Beschwerdeführers zur Durchführung von (weder hinsichtlich Menge, Kaufpreis noch sonstiger Modalitäten konkretisierten) Suchtgiftgeschäften oder bei der Kontaktaufnahme mit dem verdeckten Ermittler im Auftrag von Strafverfolgungsbehörden (also in dem Staat zurechenbarer Weise) gehandelt hätte (vgl EGMR 6. 5. 2003, 73557/01, Sequeira/Portugal; 6. 4. 2004, 67537/01, Shannon/Vereinigtes Königreich; 24. 6. 2008, 74355/01, Milinienė/Litauen). Ebensowenig lässt sich dem Urteil entnehmen, dass die Polizeibeamten keine Hinweise auf Tatgeneigtheit des Beschwerdeführers gehabt (vgl EGMR 18. 12. 2014, 14212/10, Scholer/Deutschland), sie diesen unter Druck gesetzt hätten, der Beschwerdeführer keine Möglichkeit gehabt hätte, auf den Inhalt des Scheingeschäfts Einfluss zu nehmen oder dessen Abschluss ganz zu verweigern (vgl vielmehr US 5 und die Feststellungen zu den einschlägigen Vorstrafen [US 4]).

Dies wurde auch weder vom (zum Tatvorwurf geständigen) Beschwerdeführer in der Hauptverhandlung (inhaltlich) behauptet (ON 35 S 7 ff), noch ergaben sich Anhaltspunkte dafür aus der Aussage des in der Hauptverhandlung als Zeuge vernommenen verdeckten Ermittlers, der etwa über Frage des Verteidigers (vgl Art 6 Abs 3 lit d MRK) angab, er sei von Todor T* erst einen Tag vor Abschluss des Scheingeschäfts kontaktiert worden (ON 35 S 25). Davon ausgehend und weil es das Erstgericht ohnehin als erwiesen annahm, dass der Beschwerdeführer über mehrere Wochen, teilweise mehrmals täglich, von Todor T* angerufen worden sei (vgl US 4 und ON 37 S 29), verletzt auch die (von der Verteidigung übrigens nicht bekämpfte) Abweisung des Antrags, diesen als Zeugen dazu in der Hauptverhandlung zu vernehmen, nicht das Recht des Beschwerdeführers auf ein faires Verfahren (vgl EGMR 4. 11. 2010, 18757/06, Bannikova/Russland). Zudem ließ der Antrag ‑ auch unter Berücksichtigung der übrigen Verfahrensergebnisse ‑ nicht erkennen, weshalb die Beweisaufnahme Hinweise auf eine unzulässige (staatlich veranlasste) Tatprovokation hätte erbringen sollen (vgl ON 35 S 27).

In diesem Umfang war die Nichtigkeitsbeschwerde daher bei der nichtöffentlichen Beratung sofort zurückzuweisen (§ 285d Abs 1 StPO), ohne dass es einer Auseinandersetzung mit der Frage allfälliger Rechtsfolgen unzulässiger Tatprovokation bedurft hätte (vgl dazu im Übrigen RIS‑Justiz RS0119618, RS0116456; EGMR 23. 10. 2014, 54648/09, Furcht/Deutschland sowie die nach dem Entwurf zum Strafprozessänderungsgesetz 2015 geplante Novellierung der §§ 133 Abs 5, 281 Abs 1 Z 3, 345 Abs 1 Z 4, 468 Abs 1 Z 3 StPO).

Mit Recht macht demgegenüber die Subsumtionsrüge (Z 10) geltend, dass die Urteilsannahmen die rechtliche Unterstellung des Täterverhaltens (auch) nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG nicht zu tragen vermögen.

Verfolgt der Täter die Absicht, die durch fortlaufende Handlungen verwirklichte Straftat nach § 28a Abs 1 SMG in der Weise zu wiederholen, dass er mittels eines vom Additionsvorsatz umfassten Kleinhandels mehrfach ein die Grenzmenge infolge Zusammenrechnens übersteigendes Suchtgiftquantum (fallbezogen) einem anderen überlässt, so handelt er bei auf eine fortlaufende Einnahme gerichteter Tendenz (§ 70 StGB) gleichermaßen gewerbsmäßig nach § 28a Abs 2 Z 1 SMG wie bei derart begangenen qualifizierten Einzeltaten. Voraussetzung in subjektiver Hinsicht ist dabei jedoch in beiden Konstellationen die Absicht des Angeklagten auf Erzielung eines fortlaufenden Einkommens durch das wiederholte Überlassen von (allenfalls sukzessive zu erreichenden) die Grenzmenge übersteigenden Suchtgiftmengen (RIS‑Justiz RS0114843 [T5], RS0123909, RS0123910; vgl Schwaighofer in WK2 SMG § 28a Rz 27 f).

Eine entsprechende Täterintention ist dem Urteil, das sich insoweit in der Feststellung erschöpft, es sei dem Angeklagten darauf angekommen, „sich durch den wiederkehrenden Verkauf von (mengenmäßig unspezifiziertem) Cocain eine fortlaufende beträchtliche Einnahme zur Finanzierung seines Lebensunterhalts für zumindest mehrere Monate zu verschaffen“ (US 5), nicht zu entnehmen.

Dieser Rechtsfehler mangels Feststellungen macht die Aufhebung des Urteils im aus dem Spruch ersichtlichen Umfang bereits bei der nichtöffentlichen Beratung (§ 285e StPO) samt Anordnung einer neuen Hauptverhandlung und Verweisung der Sache an das Erstgericht erforderlich.

Mit seiner Berufung war der Angeklagte auf diese Entscheidung zu verweisen.

Die Kostenersatzpflicht beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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