European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:010OBS00116.14B.1117.000
Spruch:
Die Revision wird zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten seines Rechtsmittels selbst zu tragen.
Begründung:
Der Kläger war mit Hauptwohnsitz von 15. 12. 2004 bis 7. 6. 2009 in Salzburg, B*****, gemeldet und danach in Salzburg, S*****, zwischen 3. 5. und 16. 8. 2010 und wieder ab 5. 1. 2011. Seine Ehefrau war von 15. 12. 2004 bis 25. 1. 2011 mit Nebenwohnsitz in Salzburg, B*****, gemeldet. Danach meldete sie sich mit Hauptwohnsitz nach Salzburg, S*****, um. Der Kläger wohnt mit seiner Ehefrau nur selten in Salzburg. Mittlerweile wohnen sie, wenn sie sich in Salzburg aufhalten, in einer 60 m² großen Wohnung in der B*****. Zuvor wohnten sie in Untermiete und nur fallweise in einer 36 m² großen Einzimmerwohnung im S*****. Nebenräume wie Toilette und Kochräume waren nur über den Gang erreichbar und wurden mit anderen Mietern geteilt. Dort befand sich kein eigener Hausrat, sondern neben persönlichen Gegenständen nur ein wenig Geschirr. Eine Haushaltsversicherung bestand nicht. Das Ehepaar bewohnt weitere Wohnungen in München mit 200 m² und in Frankreich, wo auch eigene Möbel vorhanden sind und Familienfeste gefeiert werden. Der Kläger wohnt in München wann er will. Nach Österreich kommt der Kläger selten und dann auch nicht immer mit seiner Ehefrau, sondern hauptsächlich zum Skifahren im Winter und Baden im Sommer. Er und seine Frau sind auch in München polizeilich gemeldet. Das Auto der Ehefrau des Klägers trägt ein Münchener Kennzeichen. Sie hat ihre Ärzte und ihren Steuerberater in München. Der Hauptwohnsitz des Klägers und seiner Ehefrau ist nicht in Österreich, sondern in München, in der T*****.
Der Kläger meldete seine Ehefrau am 17. 12. 2004 bei der beklagten Partei als Angehörige zur Krankenversicherung an und verneinte das Vorliegen eines eigenen Einkommens seiner Ehefrau. Sie bezieht eine deutsche Rente, die hauptsächlich auf eine unselbstständige Beschäftigung in Deutschland zurückzuführen ist. Der Kläger ist Doppelrentner. Er bezieht neben einer deutschen Rente in Höhe von 1.500 EUR eine österreichische Pension in Höhe von 750 EUR. Seine Ehefrau beanspruchte Versicherungsleistungen in Höhe von maximal 27.785,42 EUR.
Mit Bescheid vom 6. 7. 2011 forderte die beklagte Partei die aus der Krankenversicherung an die Ehefrau des Klägers im Zeitraum ab 17. 12. 2004 „bis laufend“ erbrachten Leistungen von 27.785,42 EUR zurück. Der Kläger habe bei Anmeldung seiner Ehefrau als anspruchsberechtigte Angehörige das Vorliegen eines eigenen Rentenanspruchs seiner Ehefrau in Deutschland bewusst verschwiegen.
Mit der gegen diesen Bescheid erhobenen Klage begehrt der Kläger die Verpflichtung der beklagten Partei zur „Unterlassung der Rückforderung der Krankenversicherungsleistungen“. Seine Ehefrau beziehe keine eigene Pension aufgrund einer Erwerbstätigkeit, sondern eine überwiegend auf freiwilligen Beiträgen basierende Hausfrauenrente. Im Meldeblatt der beklagten Partei sei er nach einer eigenen Erwerbstätigkeit seiner Ehefrau gefragt worden. Diese habe kein Erwerbseinkommen in Deutschland. Der Anspruch seiner Ehefrau auf eine Hausfrauenrente sei der beklagten Partei schon bei Antragstellung bekannt gewesen. Er und seine Ehefrau hätten ihren regelmäßigen Aufenthalt in Salzburg.
Die beklagte Partei beantragte die Abweisung des Klagebegehrens und die Verpflichtung des Klägers zur Zahlung von 27.785,42 EUR. Der deutsche Rentenbezug der Ehefrau des Klägers begründe eine Pflichtversicherung in der Krankenversicherung, sodass eine Mitversicherung gemäß § 83 GSVG von Anfang an ausgeschlossen gewesen sei. Da er ein eigenes Einkommen seiner Ehegattin verneint habe, habe er Meldevorschriften und Auskunftspflichten verletzt. Er habe eine bewusste Verschweigung maßgeblicher Tatsachen zu verantworten, sodass der Gesamtaufwand aller Krankenversicherungsleistungen zurückzufordern sei. Eine Anspruchsberechtigung bestehe auch deshalb nicht, weil weder der Kläger noch seine Ehefrau einen Wohnsitz im Inland hätten. Bei einem Wohnsitz des Klägers in Deutschland gebe es im Anwendungsbereich der VO (EWG) 1408/71 keine Erstattung in Höhe der tatsächlichen Aufwendungen, sondern sei nur ein monatlicher Pauschalbetrag an den Wohnsitzträger zu entrichten. Erst mit der VO (EG) 883/2004 erfolge ab 1. 5. 2010 eine Echtkostenverrechnung.
Das Erstgericht wies auch im zweiten Rechtsgang mit Zwischenurteil das Klagebegehren ab und verpflichtete den Kläger, „die erbrachten Leistungen der beklagten Partei aus der Krankenversicherung an die Ehegattin des Klägers, ..., im Zeitraum 17. 12. 2004 bis laufend dem Grunde nach zurückzuzahlen“. Es traf die eingangs wiedergegebenen Feststellungen. In seiner Beweiswürdigung hielt es fest, dass die Feststellung, der Kläger sei in Deutschland nicht krankenversichert und habe keinen Anspruch auf Krankenversicherungsleistungen, nicht getroffen werden könne. Rechtlich führte es aus, bei einem Vergleich der Wohnverhältnisse in Österreich und Deutschland könne nicht von einem gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers und seiner Ehefrau in Österreich ausgegangen werden, der eine Krankenversicherungspflicht in Österreich auslösen könne. Der Kläger und seine Ehefrau hätten in Deutschland ihren gewöhnlichen Aufenthalt.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Die Frage, ob die Ehefrau des Klägers seit (zumindest) 2004 eine Pension aufgrund eigener Erwerbstätigkeit in Deutschland beziehe oder eine sogenannte Hausfrauenrente, sei nicht entscheidungsrelevant, weil erst durch das 3. SRÄG 2009 der Passus „oder eine Pension aufgrund dieser Erwerbstätigkeit bezieht“ in § 83 Abs 7 GSVG eingefügt worden sei. Gemäß § 327 Abs 4 GSVG gelte dieser Ausschluss von der Angehörigeneigenschaft aber nicht für Personen, die am 31. 7. 2009 als Angehörige anspruchsberechtigt seien, solange sich der maßgebliche Sachverhalt nicht geändert habe. Das Erstgericht sei zu Recht von einem gewöhnlichen Aufenthalt des Klägers und seiner Ehefrau in Deutschland und nicht in Österreich ausgegangen. Die Feststellung des Erstgerichts, nicht feststellen zu können, dass der Kläger in Deutschland nicht krankenversichert sei und keinen Anspruch auf Krankenversicherungsleistungen habe, sei unbedenklich. Aus seiner Aussage ergebe sich auch, dass er zwar nie eine gesetzliche Krankenversicherung in Deutschland (offensichtlich aufgrund seiner selbstständigen Tätigkeit) gehabt habe, sehr wohl aber eine private Krankenversicherung, die er gekündigt habe, nachdem er bzw seine Ehefrau in Österreich versichert worden seien. Sich eines Krankenversicherungsanspruchs im Wohnsitzstaat zu begeben, um unter Behauptung eines Scheinwohnsitzes in einem anderen Mitgliedstaat eine gesetzliche Krankenversicherungsleistung in Anspruch zu nehmen, entspreche nicht dem Normzweck des Art 24 Abs 1 VO (EG) 883/2004 bzw des Art 28 Abs 1 lit a VO (EWG) 1408/71. Ziel dieser Bestimmungen sei eine lückenlose Absicherung jener Rentner, bei denen das Sitzland des (der) zuständigen Rentenversicherungsträger(s) und der Mitgliedstaat, in dem sie jetzt (etwa in der Pension) Wohnung genommen haben, unterschiedlich seien. Es sei daher davon auszugehen, dass sich der Kläger nicht auf Art 24 Abs 1 VO (EG) 883/2004 bzw Art 28 Abs 1 lit a VO (EWG) 1408/71 berufen könne. Die Frage nach der Berücksichtigung von Erstattungsbeträgen (Pauschalbeträgen oder Echtkosten) beim Rückforderungsanspruch der Beklagten stelle sich daher nicht. Anzuknüpfen sei an den tatsächlichen Wohnort des Klägers. Somit wäre gemäß Art 23 VO (EG) 883/2004 bzw Art 27 VO (EWG) 1408/71 der deutsche Krankenversicherungsträger sachleistungspflichtig geworden. Die Leistungen der beklagten Partei seien zu Unrecht aufgrund der bewusst unrichtigen Behauptung, dass Österreich der Wohnmitgliedstaat sei, bezogen worden. Der Kläger habe im Antragsformular auf Mitversicherung seiner Ehefrau bei der beklagten Partei seinen Wohnsitz und den seiner Frau in der B***** in Salzburg angegeben. Daher sei die beklagte Partei gemäß § 76 Abs 1 GSVG zur Rückforderung dem Grunde nach berechtigt. Da erst im vorliegenden Verfahren erkennbar geworden sei, dass der Kläger und seine Ehefrau bei Antragstellung und danach nicht ständig in Österreich aufhältig gewesen seien bzw seien, stelle sich die Frage der Verjährung nicht. Es komme daher nicht darauf an, ob die Behauptung der beklagten Partei zutreffe, die Ehefrau des Klägers habe weder gegenüber der deutschen Krankenkasse noch gegenüber der beklagten Partei einen Sachleistungs‑ oder Vergütungsanspruch, weil sie nach deutschem Recht die Bedingungen für eine Mitversicherung (Familienversicherung) nicht erfülle.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil oberstgerichtliche Rechtsprechung zum Anwendungsbereich der Art 23, 24 Abs 1 VO (EG) 883/2004 bzw Art 27, 28 Abs 1 lit a VO (EWG) 1408/71 im Zusammenhang mit Sachleistungen an Familienangehörige von Doppelrentnern fehle.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die unbeantwortet gebliebene Revision des Klägers mit dem Antrag auf Abänderung im Sinn einer Klagestattgebung.
Die Revision ist nicht zulässig.
Rechtliche Beurteilung
1. An die Beurteilung der Zulässigkeit der Revision durch das Berufungsgericht ist der Oberste Gerichtshof nicht gebunden (§ 508a Abs 1 ZPO). Die Zulässigkeit erfordert, dass die vom Berufungsgericht oder vom Rechtsmittelwerber in der Revision als im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO erheblich bezeichnete Rechtsfrage präjudiziell ist; die Entscheidung muss also von der Lösung dieser Rechtsfrage abhängen (RIS‑Justiz RS0088931; E. Kodek in Rechberger 4 § 508a ZPO Rz 1 mwN; Zechner in Fasching/Konecny ² § 502 Rz 60 mwN).
2.1. Ein Fall fehlender Präjudizialität liegt hier vor:
2.2. Der Revisionswerber macht geltend, entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts sei die Frage, ob er in Deutschland einen Anspruch auf (Sach‑)Leistungen aus der Krankenversicherung habe, eine Rechtsfrage, die nach deutschem Recht zu lösen sei. Nach den maßgeblichen deutschen Rechtsvorschriften habe keine Versicherungspflicht für Selbstständige bestanden. Vor seinem Wechsel in den Ruhestand sei er sein gesamtes Erwerbsleben lang unbestrittenermaßen ausschließlich selbstständig erwerbstätig gewesen. Er sei in Deutschland nur privat krankenversichert gewesen und in Deutschland auch als Rentner nicht versicherungspflichtig in der Krankenversicherung, weil er die Voraussetzungen des § 5 Abs 1 Z 11 SGB V nicht erfülle. Aufgrund ihrer unrichtigen Rechtsansicht hätten sowohl das Erstgericht als auch das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen, die eine rechtliche Beurteilung anhand der maßgeblichen deutschen Rechtsnormen ermöglicht hätten. Sie nähmen die rechtliche Beurteilung bzw Konsequenz, dass der Revisionswerber keinen Anspruch auf Krankenversicherungsleistungen in Deutschland habe bzw dort nicht krankenversichert sei, unrichtigerweise als negative Tatsachenfeststellung vorweg. Dies trotz der Tatsache, dass dieser Umstand von der Beklagten im gesamten Verfahren nie bestritten und daher eigentlich als unstrittig anzusehen sei. Der Kläger könne sich tatsächlich auf Art 24 Abs 1 VO (EG) 883/2004 bzw Art 28 Abs 1 lit a VO (EWG) 1408/71 berufen, sodass die beklagte Partei im Rahmen der aushelfenden Sachleistungserbringung dem deutschen Krankenversicherungsträger gegenüber ersatzpflichtig sei und daher eine Rückzahlungspflicht zumindest in Höhe des Erstattungsbetrags nicht in Betracht kommen könne.
3.1. Rechtsstreitigkeiten über die Pflicht zum Rückersatz einer zu Unrecht empfangenen Versicherungsleistung sind Sozialrechtssachen nach § 65 Abs 1 Z 2 ASGG. Wird in einer solchen Rechtsstreitigkeit die Klage abgewiesen, weil eine Rückersatzpflicht des Klägers besteht, so ist ihm nach § 89 Abs 4 Satz 1 ASGG unter einem der Rückersatz an die beklagte Partei aufzuerlegen. In einer solchen Rechtsstreitigkeit darf nach § 87 Abs 4 ASGG eine Klage wegen Bestehens einer Rückzahlungspflicht des Klägers nur abgewiesen werden, wenn die beklagte Partei das Vorliegen dieser Pflicht beweist. Obwohl der Rückzahlungspflichtige im Prozess vor dem Sozialgericht formell als Kläger aufzutreten und ein negatives Feststellungsbegehren zu stellen hat, etwa dahin, dass die von der beklagten Partei behauptete Rückersatzpflicht nicht zu Recht bestehe, kommt in einem solchen Verfahren die materielle Klägerrolle dem beklagten Versicherungsträger zu, der bereits erbrachte Versicherungsleistungen zurückfordert. Wird dieses Rückforderungsbegehren ausdrücklich auf einen bestimmten Rechtsgrund gestützt, so ist das Gericht daran gebunden und darf dem Begehren nicht aus einem anderen Rechtsgrund stattgeben (10 ObS 156/92, SSV-NF 6/143 mwN; RIS‑Justiz RS0086067). Der beklagte Versicherungsträger hat einen Rückforderungstatbestand zu behaupten und zu beweisen (10 ObS 68/99v, SSV‑NF 13/46).
3.2. Das Erstgericht ist mit Zwischenurteil vorgegangen. Einem Urteil über den Grund des Anspruchs (Zwischenurteil) steht nicht entgegen, dass noch streitig ist, ob der Anspruch überhaupt mit irgendeinem Betrag zu Recht besteht (§ 393 Abs 1 ZPO).
3.3. Das Berufungsgericht bejahte die Rückzahlungspflicht des Klägers aufgrund des Rückforderungstatbestands nach § 76 Abs 1 GSVG, weil der Kläger durch bewusst unwahre Angaben über einen ständigen Aufenthalt seiner selbst und seiner Ehefrau im Inland die ‑ mangels Anspruchsberechtigung nach dem GSVG ‑ zu Unrecht geleisteten Kostenersätze (vgl § 85 GSVG) für von seiner Ehefrau ‑ nach dem unstrittigen Prozessvorbringen der beklagten Partei ‑ mit einer Ausnahme nicht im Inland in Anspruch genommene Leistungen der Krankenversicherung nach dem GSVG herbeigeführt habe.
3.4. Die Revision tritt dieser Beurteilung nicht entgegen. Die in der Revision angeschnittene Rechtsfrage der Anwendbarkeit des Art 24 Abs 1 VO (EG) 883/2004 bzw des Art 28 Abs 1 lit a VO (EWG) 1408/71 betrifft nicht den Grund des Anspruchs (Rückzahlungspflicht), sondern nur die Höhe der Rückforderung. Denn der Kläger macht damit geltend, dass sich die Höhe der Rückforderung zu Unrecht nach dem GSVG erbrachter Leistungen der beklagten Partei um jene Beträge vermindere, die die beklagte Partei dem nach den genannten Bestimmungen zur aushelfenden Sachleistungserbringung berufenen deutschen Träger hätte zahlen müssen, hätte die Ehefrau Sachleistungen des deutschen Trägers in Anspruch genommen. Demnach ist die in der Revision angesprochene Rechtsfrage nicht präjudiziell.
4.1. Dennoch soll aus verfahrensökonomischen Gründen schon jetzt zur Beurteilung des Berufungsgerichts Stellung genommen werden, der Kläger könne sich nicht auf Art 24 Abs 1 VO (EG) 883/2004 bzw Art 28 Abs 1 lit a VO (EWG) 1408/71 berufen.
4.2. Nach dem Akteninhalt bezogen der Kläger und seine Ehefrau die Rentenleistungen schon vor Dezember 2004.
5.1. Art 28 VO (EWG) 1408/71, enthalten im Titel III Kapitel 1 Abschnitt 5 „Rentenberechtigte und deren Familienangehörige“, bestimmt unter der Überschrift „Rentenanspruch aufgrund der Rechtsvorschriften eines einzigen oder mehrerer Staaten, falls ein Anspruch auf Leistungen im Wohnland nicht besteht“:
„(1) Ein Rentner, der nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats zum Bezug einer Rente oder nach den Rechtsvorschriften von zwei oder mehr Mitgliedstaaten zum Bezug von Renten berechtigt ist und keinen Anspruch auf Leistungen nach den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats hat, in dessen Gebiet er wohnt, erhält dennoch diese Leistungen für sich und seine Familienangehörigen, sofern ‑ gegebenenfalls ‑ unter Berück‑ sichtigung von Artikel 18 und Anhang VI ‑ nach den Rechtsvorschriften des Staates, aufgrund deren die Rente geschuldet wird, oder zumindest eines der Mitgliedstaaten, nach deren Rechtsvorschriften eine Rente geschuldet wird, Anspruch auf Leistungen bestünde, wenn er im Gebiet des betreffenden Staates wohnte. Diese Leistungen werden wie folgt gewährt:
a) Die Sachleistungen gewährt der Träger des Wohnorts für Rechnung des in Absatz 2 bezeichneten Trägers, als ob der Rentner nach den Rechtsvorschriften des Staates, in dessen Gebiet er wohnt, zum Bezug einer Rente berechtigt wäre und Anspruch auf Sachleistungen hätte;
...
(2) In den in Absatz 1 genannten Fällen wird der Träger, zu dessen Lasten die Sachleistungen gehen, wie folgt bestimmt:
a) Hat der Rentner Anspruch auf diese Sachleistungen aufgrund der Rechtsvorschriften nur eines Mitgliedstaats, so übernimmt der zuständige Träger dieses Staates die Kosten;
...“
Nach Art 95 Abs 1 VO (EWG) 574/72 erstatten die zuständigen Träger den Trägern, die die Sachleistungen gemäß Art 28 Abs 1 VO (EWG) 1408/71 gewährt haben, den Betrag dieser Sachleistungen auf der Grundlage eines Pauschbetrags. Wie dieser Pauschbetrag zu ermitteln ist, regeln die Abs 2 und 3 des Art 95 Abs 1 VO (EWG) 574/72.
5.2. Art 28 VO (EWG) 1408/71 enthält nach der Rechtsprechung des EuGH eine „Kollisionsnorm“ (EuGH 3. 7. 2003, C‑156/01, van der Duin und Anoz Zorgverzekeringen, ECLI:EU:C:2003:389 [Slg 2003 I‑7045] Rz 39 ff). Durch die Regelung der aushilfsweisen Sachleistungserbringung in Abs 1 lit a und der Bestimmung des primär (endgültig) leistungspflichtigen Trägers in Abs 2 werden inzident auch die anzuwendenden Rechtsvorschriften bestimmt ( Schuler in Fuchs , Europäisches Sozialrecht 4 Art 28 Rz 3). Für Mehrfachrentner ohne primären Leistungsanspruch für den Fall der Krankheit nach den Rechtsvorschriften des Wohnsitzstaats gilt das Statut der Krankenversicherung der Rentner‑Anspruchsberechtigung, wenn die Anspruchs‑ berechtigung nur nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats besteht (Abs 2 lit a). Ist daher der Rentenempfänger nach den Rechtsvorschriften seines Wohnlandes für den Fall der Krankheit nicht (gesetzlich) versichert bzw (primär) leistungsberechtigt, so besteht nach der Regelung des Art 28 Abs 1 lit a VO (EWG) 1408/71 dennoch ein Leistungsanspruch gegen den zuständigen Träger des Wohnlandes, sofern er nach dem Recht zumindest eines anderen Mitgliedstaats (bei unterstelltem Inlandswohnsitz und gegebenenfalls unter Berücksichtigung fremdmitglied‑ staatlicher Zeiten) leistungsberechtigt ist. Der Träger des Wohnlandes wird als aushelfender Träger nach Maßgabe des Art 28 Abs 1 Satz 2 VO (EWG) 1408/71 tätig. Es gelten daher auch die allgemeinen Grundsätze zur aushilfsweisen Sachleistungserbringung. Insbesondere werden die Sachleistungen nach dem Leistungsrecht des Wohnlandes für Rechnung des primär leistungszuständigen bzw kostentragungspflichtigen Trägers erbracht. Demnach kann der Bezieher (einer deutschen und) einer fremdmitgliedstaatlichen Rente mit Wohnsitz in Deutschland, der die Voraussetzungen für die deutsche Krankenversicherung für Rentner nicht erfüllt, (aushilfsweise) Sachleistungen von dem zuständigen deutschen Krankenversicherungsträger erhalten, wenn er nach dem Recht eines anderen Mitgliedstaats leistungsberechtigt ist, erforderlichenfalls bei unterstelltem dortigen Aufenthalt ( Schuler in Fuchs , Europäisches Sozialrecht 4 Art 28 Rz 3 ff).
5.3. Für die Gruppe von Rentenbeziehern, die keinen Anspruch auf Leistungen bei Krankheit nach dem Recht ihres Wohnmitgliedstaats haben, jedoch nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten anspruchsberechtigt wären, nach deren Rechtsvorschriften sie eine Rente beziehen, wenn sie dort wohnten, enthält Art 24 VO (EG) 883/2004 eine inhaltsgleiche Regelung ( Schuler in Fuchs , Europäisches Sozialrecht 6 Art 24 Rz 1 bis 3). Die Ansicht, dass diese Bestimmung (nur) jene Fälle regle, in denen eine Person eine oder mehrere Renten aus anderen Mitgliedstaaten als dem Wohnortstaat bezieht ( Zaglmayer in Spiegel , Zwischenstaatliches Sozialversicherungsrecht, Art 24 VO [EG] 883/2004 Rz 1), teilt der Senat im Hinblick auf den Wortlaut der Bestimmung, dem eine solche Einschränkung nicht zu entnehmen ist, nicht.
5.4. Art 24 VO (EG) 883/2004 ersetzt seit 1. 5. 2010 Art 28 VO (EWG) 1408/71 (vgl Art 90 Abs 1 iVm Art 91 Satz 2 VO [EG] 883/2004 und Art 97 VO [EG] 987/2009). Nach Art 35 VO (EG) 883/2004 sind die vom Träger eines Mitgliedstaats für Rechnung des Trägers eines anderen Mitgliedstaats gewährten Sachleistungen in voller Höhe nach Maßgabe der VO (EG) 987/2009 zu erstatten (vgl Art 62 ff dieser VO).
5.5. Der Ausdruck „Rechtsvorschriften“ bezeichnet im vorliegenden Zusammenhang für jeden Mitgliedstaat die Gesetze, Verordnungen, Satzungen und alle anderen Durchführungsvorschriften in Bezug auf den Leistungen bei Krankheit betreffenden Zweig der sozialen Sicherheit (Art 1 lit l iVm Art 3 Abs 1 lit a VO [EG] 883/2004; Art 1 lit j iVm Art 4 Abs 1 lit a VO [EWG] 1408/71).
5.6. Hätte der Kläger im für die Entscheidung relevanten Zeitraum in Österreich und nicht in Deutschland gewohnt, wäre er als nach dem GSVG in der Krankenversicherung pflichtversicherter Pensionsbezieher (§ 3 Abs 1 Z 1 GSVG) anspruchsberechtigt.
5.7. Die Frage, ob der Kläger im maßgeblichen Zeitraum nach den Rechtsvorschriften seines Wohnlandes (Deutschland), von dem er auch eine Rente erhält, für den Fall der Krankheit nicht (gesetzlich) versichert bzw (primär) leistungsberechtigt war, ist, wie der Revisionswerber zutreffend aufzeigt, eine Rechtsfrage.
a) Der Kläger gab an, dass er infolge seiner selbstständigen Erwerbstätigkeit in Deutschland nicht Mitglied der gesetzlichen Krankenversicherung gewesen sei, seine Ehefrau nie gesetzlich krankenversichert gewesen sei und sie beide nicht in der deutschen Krankenversicherung der Rentner versichert seien. Die beklagte Partei führte zuletzt in der Tagsatzung vom 5. 12. 2013 aus (ON 35, AS 252), der Kläger beziehe zwar eine Rente aus Österreich und Deutschland, seine Angehörige bzw er selbst habe aber in Deutschland keinen Leistungsanspruch. Damit ist aber außer Streit gestellt (§ 266 Abs 1 ZPO), dass der Kläger und seine Ehefrau die Voraussetzungen für die deutsche Krankenversicherung der Rentner nicht erfüllen und daher nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats nicht sachleistungsberechtigt sind.
b) Nach ständiger Rechtsprechung sind ausdrücklich zugestandene Tatsachen grundsätzlich als wahr anzunehmen und der Entscheidung zugrundezulegen (RIS‑Jusitz RS0039949). Hätte das Erstgericht das Gegenteil des Geständnisses festgestellt, so läge darin nach einem Teil der Rechtsprechung kein Verfahrensmangel (17 Ob 19/11k mwN) und nach einem anderen Teil zwar ein Verfahrensmangel, der aber nicht erheblich ist (RIS‑Justiz RS0039949 [T7]). Der Widerspruch zwischen dem Geständnis und der gegenteiligen Überzeugung des Gerichts wird daher durch den Vorrang der vom Gericht getroffenen Feststellung aufgelöst. Die Ausführung des Erstgerichts, die Feststellung, der Kläger sei in Deutschland nicht krankenversichert und habe keinen Anspruch auf Krankenversicherungsleistungen, könne nicht getroffen werden, ist indes unbeachtlich, weil bei einer bloßen Negativfeststellung in Bezug auf die diesen Rechtsverhältnissen zugrunde liegenden Tatsachen ein solcher Widerspruch nicht vorliegt: Dass das Gericht von der Richtigkeit der Tatsachenbehauptungen einer Partei nicht überzeugt ist, schließt nicht aus, dass die Gegenpartei die Richtigkeit dieser Behauptung zugesteht. In diesem Fall hat das Geständnis aufgrund der Dispositionsmaxime Vorrang (17 Ob 19/11k).
5.8. Der Kläger erfüllte demnach entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts im maßgeblichen Zeitraum die Voraussetzungen der Art 28 VO (EWG) 1408/71, Art 24 VO (EG) 883/2004 (vgl Linka / Siedl / Spiegel , Die Durchführung der Verordnung (EWG) Nr 1408/71 in Österreich, SozSi 1998, 668 [674]), nicht aber jene nach Art 27 VO (EWG) 1408/71, Art 23 VO (EG) 883/2004. Denn letztere erfordern, dass der Rentner vom Wohnmitgliedstaat eine Rente erhält und nach den Vorschriften dieses Mitgliedstaats Anspruch auf Sachleistungen hat (vgl Schuler in Fuchs , Europäisches Sozialrecht 6 Art 23 Rz 3; ders in Fuchs , Europäisches Sozialrecht 4 Art 27 Rz 3).
6.1. Den Begriff „Familienangehöriger“ definiert Art 1 lit f sublit i VO (EWG) 1408/71 für die Zwecke dieser Verordnung als jede Person, die in den Rechtsvorschriften, nach denen Leistungen gewährt werden, oder in den Fällen des Art 22 Abs 1 lit a und des Art 31 der VO (EWG) 1408/71 in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sie wohnt, als Familienangehöriger bestimmt, anerkannt oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet ist (s dazu Windisch‑Graetz , Europäisches Krankenversicherungsrecht 185 ff). Der EuGH hat zu dieser Bestimmung für den Bereich der Krankenversicherung ausgesprochen (EuGH 8. 6. 1995, C‑451/93, Delavant , ECLI:EU:C:1995:176 [Slg 1995 I-1545] Rz 18; s dazu Windisch-Graetz , Europäisches Krankenversicherungsrecht 192 ff), dass sie nicht die Voraussetzungen der Versicherungszugehörigkeit oder der Entstehung eines Anspruchs der Familienangehörigen eines Arbeitnehmers auf Leistungen der sozialen Sicherheit regelt, sondern lediglich für die Frage, ob die betroffenen Personen als Familienangehörige zu qualifizieren sind, auf die Rechtsvorschriften verweist, nach denen die Leistungen gewährt werden.
6.2. In Bezug auf Sachleistungen bei Krankheit bezeichnet der Begriff „Familienangehöriger“ nach der Legaldefinition des Art 1 lit i Z 1 sublit ii VO (EG) 883/2004 jede Person, die in den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dem sie wohnt, als Familienangehöriger bestimmt oder anerkannt wird oder als Haushaltsangehöriger bezeichnet wird.
6.3. Der Ehegatte des Versicherten gilt sowohl nach den österreichischen als auch nach den deutschen Rechtsvorschriften für die Krankenversicherung als Familienangehöriger (§ 83 Abs 2 Z 1 GSVG; § 10 Abs 1 SGB V). Demnach ist die Ehefrau als Familienangehörige zu qualifizieren.
6.4. Einen selbstständigen Sachleistungs‑ anspruch, der dem abgeleiteten Anspruch auf Leistungen für Familienangehörige vorginge (Art 32 Abs 1 VO [EG] 883/2004; Art 34 Abs 2 VO [EWG] 1408/71), hat die Ehefrau des Klägers nach den Verfahrensergebnissen nicht.
7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 77 Abs 1 Z 2 lit b ASGG. Berücksichtigungswürdige Einkommens‑ und Vermögensverhältnisse des Klägers, welche einen ausnahmsweisen Kostenzuspruch nach Billigkeit rechtfertigen könnten, wurden nicht geltend gemacht und sind auch aus der Aktenlage nicht ersichtlich.
Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)