OGH 8Ob33/15h

OGH8Ob33/15h29.10.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofs Prof. Dr. Spenling als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Tarmann‑Prentner, die Hofräte Mag. Ziegelbauer und Dr. Brenn und die Hofrätin Dr. Weixelbraun‑Mohr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G*****, vertreten durch Dr. Josef Habersack, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei T*****, vertreten durch Mag. Peter Sixt, Rechtsanwalt in Graz, wegen 14.000 EUR sA, über die Revision der beklagten Partei gegen das Zwischenurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Graz vom 2. Dezember 2014, GZ 3 R 242/14a‑17, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Graz‑Ost vom 3. Oktober 2014, GZ 256 C 56/14w‑13, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0080OB00033.15H.1029.000

 

Spruch:

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.

 

Begründung:

Der Kläger brachte sein Mercedes Cabrio im Juli 2013 zum Beklagten, der einen Betrieb für Lack-Kleinreparaturen und Kfz-Dellen-Behebungen führt. Das Fahrzeug befand sich in einem sehr guten Zustand und hatte keine Schäden, abgesehen von einem leichten Korrosionsschaden, den der Beklagte beheben sollte. Als die Reparatur nicht zum vereinbarten Termin fertiggestellt werden konnte, vereinbarten die Parteien, dass der Beklagte das Fahrzeug noch behalten und die Arbeiten später durchführen sollte. Der Beklagte stellte das Cabrio ‑ so wie alle von ihm zur Reparatur übernommenen Fahrzeuge ‑ in eine von ihm im Juni 2013 angemietete Halle, die stets ordnungsgemäß verschlossen wurde. Am 30. Juli 2013 kam es zu einem Sturm, durch den eine Fensterglasscheibe eingedrückt wurde und auf das Fahrzeug des Klägers fiel, wobei das Glas auch noch einen Lichtbalken mitriss und drei weitere Fahrzeuge beschädigte. Ursache für das Einstürzen der ‑ in einer Höhe von vier bis fünf Metern befindlichen ‑ Fensterscheibe war, dass die Verglasung zu dünn ausgeführt war und nicht dem Stand der Technik entsprach.

Der Kläger begehrte vom Beklagten 14.000 EUR als Ersatz für den Totalschaden am Fahrzeug. Der Beklagte habe das Cabrio in einer untauglichen Halle verwahrt. Die Stärke der Verglasung sei zu gering gewesen, was zu einer zu hohen Spannung und Durchbiegung des Glases geführt habe. Der Beklagte hafte auch nach § 1319 ABGB.

Der Beklagte wendete ein, die Vermieterin sei für den Schaden verantwortlich, weil Ursache die nicht ordnungsgemäße Verglasung gewesen sei. Ihn treffe kein Verschulden. Als er die Halle in Bestand genommen habe, habe er davon ausgehen können, dass sie in ordnungsgemäßem Zustand und die Verglasung mangelfrei sei. Er habe keinen Anlass gehabt, den Angaben des Vermieters nicht zu glauben. Der Beklagte habe die Verglasung aufgrund der örtlichen Gegebenheiten auch nicht überprüfen können. Hinweise auf die Mangelhaftigkeit habe es nicht gegeben. Den Sturm habe er nicht vorhersehen können. Außerdem werde auch die Höhe des Schadens bestritten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab.

Über den eingangs wiedergegebenen Sachverhalt hinaus traf es folgende Feststellungen:

Der Beklagte hat die Halle im Juni 2013 angemietet. Die Vermieterin hat ihm einen ordnungsgemäßen Zustand der Werkshalle zugesichert. Die Gebäudesicherung war Aufgabe der Vermieterin. Baumängel, insbesondere Mängel der Fenster, hat der Beklagte nicht festgestellt. Er ist zum in Rede stehenden Fenster, das sich in vier bis fünf Metern Höhe befunden hat, nicht hinaufgestiegen. Auch wenn er es in Augenschein genommen hätte, wäre ihm die mangelhafte Verglasung nicht aufgefallen. Vor der Aufnahme seiner betrieblichen Tätigkeit erwirkte der Beklagte eine Betriebsstättengenehmigung, der ua eine maschinenbautechnische Begehung voranging. Beanstandungen gab es in diesem Zusammenhang nicht.

In rechtlicher Hinsicht verneinte das Erstgericht ein Verschulden des Beklagten. Für ihn sei die mangelhafte Verglasung nicht erkennbar gewesen; er habe nicht damit rechnen müssen, dass sie den Witterungsbedingungen nicht standhalte. Auch nach § 1319 ABGB hafte er nicht, weil ihm nicht vorgeworfen werden könne, er habe Sorgfaltspflichten oder Kontrollmaßnahmen vernachlässigt.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers Folge und stellte das Klagebegehren als dem Grunde nach zu Recht bestehend fest. Der Beklagte sei seiner Verwahrungspflicht ‑ als Nebenpflicht aus dem Werkvertrag ‑ nicht ordnungsgemäß nachgekommen, weil er sich auf die Zusage der Vermieterin, die Halle sei in einem ordnungsgemäßen Zustand, verlassen habe. Darauf, dass der Beklagte bei persönlicher Kontrolle den Mangel der Verglasung nicht habe erkennen können, komme es nicht an. Bei der ‑ für den Beklagten umgebauten ‑ Halle handle es sich nach dem Steiermärkischen Baugesetz um ein bewilligungspflichtiges Vorhaben. Da den Beklagten im Verhältnis zu seinen Kunden die erhöhte Sorgfaltspflicht des § 1299 ABGB treffe, sei er verpflichtet gewesen, die Vermieterin zu fragen, ob eine Benützungsbewilligung für den Umbau vorliege oder nicht. Der Beklagte habe aber in erster Instanz nicht vorgebracht, dass er sich darüber bei der Eigentümerin erkundigt habe, obwohl der Kläger ihm die Untauglichkeit der Halle für eine Verwahrung des Cabrios vorgeworfen habe. Der Beklagte hafte daher für den „Zufall“, dass die mangelhafte Verglasung durch den Sturm eingedrückt und das Fahrzeug des Klägers beschädigt worden sei. Die Höhe des konkret eingetretenen Schadens stehe nach dem Sachverhalt noch nicht fest, weshalb nur die Haftung dem Grunde nach abschließend beurteilt werden könne.

Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mit der Begründung zu, dass zum Tatbestand des „verschuldeten Zufalles“ im Sinn des § 964 ABGB nur ältere höchstgerichtliche Entscheidungen vorhanden seien und eine andere Auslegung des vom Verwahrer zu vertretenden Zufalls auch dazu führen könne, dass der Beklagte nicht hafte. Bei Anwendung des § 1319 ABGB stelle sich die Rechtsfrage, ob der Beklagte alle zur Gefahrenabwehr erforderlichen (vernünftigen) Schutzvorkehrungen getroffen habe; diese Frage sei wegen der Häufigkeit von Verträgen mit Reparaturwerkstätten und damit zusammenhängenden Verwahrerpflichten erheblich.

Gegen dieses Zwischenurteil richtet sich die Revision des Beklagten wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, das Klagebegehren abzuweisen; hilfsweise wird die Aufhebung der Entscheidung beantragt.

Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig und im Sinn des Aufhebungsantrags auch berechtigt.

1.  Verträge wie der zwischen den Parteien geschlossene Reparaturvertrag werden als Werkverträge mit der Nebenpflicht (RIS‑Justiz RS0008963; 8 Ob 35/04m) zur sorgfältigen Verwahrung des für die Zeit bis zur Rückgabe abgestellten und damit im Sinn des § 957 ABGB in Obsorge übernommenen Fahrzeugs qualifiziert (vgl RIS‑Justiz RS0019378 mwN; ebenso Schubert in Rummel , ABGB 3 § 960 Rz 3; Parapatits in Schwimann , ABGB 4 , § 961 Rz 17 ff). § 961 ABGB definiert als Hauptpflicht eines Verwahrers, die ihm anvertraute Sache sorgfältig aufzubewahren und sie nach Ablauf der vereinbarten Verwahrungszeit oder bei Aufkündigung des Verwahrungsvertrags in dem Zustand, in dem sie übernommen wurde, samt allfälligem Zuwachs zurückzustellen. Darunter ist nicht nur die rein passive Verwahrung zu verstehen, sondern der Verwahrer ist auch zu einzelnen positiven Handlungen verpflichtet, die zur Erhaltung der Sache bzw zur Verhinderung ihrer Verschlechterung erforderlich sind (RIS‑Justiz RS0019366). Das Ausmaß der Obsorgepflicht richtet sich nach der Parteienvereinbarung und nach der Art der verwahrten Sache; ohne besondere Vereinbarung muss der Verwahrer die ihm anvertraute Sache so sorgfältig aufbewahren, dass sie weder Schaden erleidet, noch gestohlen wird ( Griss in KBB 4 , § 961 Rz 1 mwN; Karner in Kletečka / Schauer , ABGB‑ON, § 961 Rz 2 mwN).

2.  Der Verwahrer haftet nach § 964 ABGB dem Hinterleger für den aus der Unterlassung der pflichtmäßigen Obsorge verursachten Schaden, aber nicht für Zufall (die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung EvBl 1947/794 [„verschuldeter Zufall“] besagt im Ergebnis nichts anderes, zumal sie ebenfalls von einer verschuldeten Vernachlässigung von Verwahrerpflichten ausgeht, die das unmittelbare Schadensereignis ermöglichte). Der Verwahrer haftet für jeden Schaden, der durch (auch bloß fahrlässige) Vernachlässigung der nach den Umständen erforderlichen pflichtgemäßen Obsorge verursacht wurde (§ 964 ABGB), wobei sich das Ausmaß der Sorgfaltspflicht im Einzelfall nach §§ 1297 und 1299 ABGB bestimmt (6 Ob 249/03s).

3.  Kann der Verwahrer die ihm anvertraute Sache nicht in dem bei Übernahme bestandenen Zustand zurückgeben, weil sie während der Verwahrung beschädigt oder zerstört wurde oder verloren ging, verletzt er die Rückstellungsverpflichtung des § 961 ABGB mit der Konsequenz, dass aufgrund der festgestellten Beschädigung (bzw des Verlusts) und des dadurch entstandenen Schadens die Entlastung nach § 1298 ABGB bei ihm liegt (1 Ob 36/12v mwN; RIS‑Justiz RS0026060). Der Verwahrer muss daher beweisen, dass es ohne sein Verschulden zum Verlust oder zur Beschädigung der verwahrten Sache gekommen ist. Der Hinterleger wird in diesem Fall nicht mit dem Beweis einer objektiven Sorgfaltswidrigkeit belastet, was auf der Überlegung beruht, dass der Schaden im von ihm nicht überblick- und beherrschbaren Gefahren- und Verantwortungsbereich des Verwahrers eingetreten ist (vgl RIS‑Justiz RS0026060). Der Verwahrer hat im Rahmen seiner Verwahrungspflichten gemäß § 1313a ABGB auch für jedes Verschulden seiner Erfüllungsgehilfen einzustehen (1 Ob 36/12v; 2 Ob 101/99p; Parapatits in Schwimann 4 § 964 Rz 3).

4.  Im hier zu beurteilenden Fall ist der Verwahrer (der Beklagte) seiner in diesem Sinne bestehenden Behauptungs- und Beweislast nicht bzw nicht ausreichend nachgekommen:

Das Berufungsgericht ist grundsätzlich zutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte im Verhältnis zu seinen Kunden im Rahmen seiner werkvertraglichen Nebenpflicht zur sicheren Verwahrung der übernommenen Kraftfahrzeuge dafür Sorge zu tragen hat, dass die von ihm angemietete Halle, in der zur Reparatur übernommene Fahrzeuge abgestellt werden, sicher ist. Er muss sich daher vor der Anmietung im Rahmen des Zumutbaren durch geeignete Maßnahmen von der Tauglichkeit und Sicherheit der Halle überzeugen. Dass er selber den Mangel der Verglasung nicht entdecken konnte, reicht für die Verneinung seiner Haftung nicht aus. Wie das Berufungsgericht richtig erkannt hat, ist vom Verwahrer vielmehr zu erwarten, dass er sich durch geeignete (zumutbare) Erkundigungen oder Überprüfungen davon überzeugt, dass die von ihm angemietete Halle für den beabsichtigten Zweck geeignet und insbesondere sicher ist. Das Vorbringen des Beklagten, er habe bei Anmietung der Halle davon ausgehen können, dass sie in ordnungsgemäßem Zustand und die Verglasung mangelfrei sei, reicht für die Annahme, er habe die von ihm in diesem Zusammenhang zu erwartende Sorgfalt aufgewendet, nicht aus. Gleiches gilt für die nicht näher konkretisierte Behauptung, er habe keinen Anlass gehabt, den Angaben des Vermieters, er übernehme eine ordnungsgemäße Halle, nicht zu glauben, zumal völlig unklar bleibt, worüber er mit dem Vermieter gesprochen hat und welche konkreten Angaben der Vermieter gemacht haben soll.

Die darüber hinaus vom Erstgericht getroffene Feststellung, der Vermieter habe die Gebäudesicherung übernommen, ist durch Vorbringen des Beklagten nicht gedeckt und findet in Wahrheit auch in der Aussage des Beklagten als Partei keine Deckung, zumal er dort lediglich angab, er habe zur Gebäudesicherung nichts getan, weil „das ist Sache des Vermieters“. Ob er damit lediglich seine Rechtsauffassung wiedergibt oder auf Gespräche oder Vereinbarungen mit dem Vermieter (welche?) Bezug nimmt, ist in keiner Weise erkennbar. Die Feststellung ist daher überschießend und vermag die daraus vom Erstgericht gezogenen Schlüsse nicht zu rechtfertigen. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts reichen das bisherige Vorbringen und die ermittelte Sachverhaltsgrundlage demnach nicht aus, um von einer Entlastung des Beklagten auszugehen.

5.  Das Berufungsgericht hat dem Beklagten vorgeworfen, er habe nicht behauptet, den Vermieter nach der Benützungsbewilligung für die Halle gefragt zu haben.

Die Überprüfung des Vorliegens einer Benützungsbewilligung kann durchaus eine jener Maßnahmen sein, mit denen der potentielle Mieter die Tauglichkeit der zur Anmietung ins Auge gefassten Halle überprüfen kann (vgl § 83 Abs 2 Z 1 Stmk BauG, wonach eine der Grundlagen der Benützungsbewilligung die Fertigstellungsanzeige ist, die wiederum eine Bescheinigung des Bauführers, eines Ziviltechnikers mit einschlägiger Befugnis, eines konzessionierten Baumeisters oder eines Holzbau-Meisters im Rahmen seiner gewerberechtlichen Befugnis über die bewilligungsgemäß und den Bauvorschriften entsprechende Bauführung zu enthalten hat). Dem Unterlassen einer solchen Überprüfung kommt aus Kausalitätsgründen aber nur dann Bedeutung zu, wenn eine Benützungsbewilligung (hier in Bezug auf die in einer Höhe von vier bis fünf Metern errichteten Glasfenster) nicht besteht.

Diese Fragen nach dem Vorliegen der Benützungsbewilligung und deren Überprüfung durch den Beklagten wurden auf Tatsachenebene nicht geklärt. Dieser Themenkomplex ist im erstinstanzlichen Verfahren gar nicht vorgekommen, weshalb in dieser Hinsicht eine Überraschungsentscheidung vorliegt. Auch das Berufungsgericht darf die Parteien in seiner Entscheidung nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen, die sie nicht beachtet haben und auf die sie das Gericht nicht aufmerksam gemacht hat (RIS‑Justiz RS0037300).

6.  Insgesamt ergibt sich, dass die den Beklagten nach § 1298 ABGB treffende Behauptungs- und Beweislast und deren Reichweite im erstinstanzlichen Verfahren nicht erkannt wurden. Die dazu vom Obersten Gerichtshof aufgezeigten, für die Frage der Haftung des Beklagten relevanten Umstände müssen daher im fortgesetzten Verfahren zunächst mit den Parteien erörtert werden. Den Parteien ist sodann Gelegenheit zu geben, dazu ergänzendes Vorbringen und weitere Beweisanbote zu erstatten. Schließlich wird die Sachverhaltsgrundlage entsprechend zu verbreitern sein.

Das Verfahren erweist sich somit als ergänzungsbedürftig, weshalb eine abschließende Beurteilung noch nicht möglich ist.

7.  Auch die vom Kläger subsidiär geltend gemachte Anspruchsgrundlage des § 1319 ABGB vermag die sofortige Bejahung der Haftung des Beklagten nicht zu rechtfertigen. Eine Haftung des Beklagten nach dieser Bestimmung würde voraussetzen, dass die von der mangelhaft verglasten Fensterscheibe ausgehende Gefahr für ihn erkennbar oder vorhersehbar gewesen wäre und der Beklagte die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen nicht getroffen hätte (RIS‑Justiz RS0023525). Davon kann aber nach den bisherigen Verfahrensergebnissen nicht ausgegangen werden.

8.  Der Kostenvorbehalt beruht auf § 52 Abs 1 ZPO.

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