OGH 10Ob81/15g

OGH10Ob81/15g22.10.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Fellinger als Vorsitzenden, die Hofräte Univ.‑Prof. Dr. Neumayr und Dr. Schramm sowie die Hofrätinnen Dr. Fichtenau und Mag. Korn als weitere Richter in der Pflegschaftssache des mj M*****, geboren am *****, wegen Übertragung der Obsorge, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter C*****, vertreten durch Prutsch & Partner Rechtsanwälte in Graz, gegen den Beschluss des Landesgerichts Eisenstadt als Rekursgericht vom 28. Juli 2015, GZ 20 R 101/15z, 20 R 102/15x-259, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0100OB00081.15G.1022.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

 

Begründung:

Die Vorinstanzen gingen übereinstimmend von einer objektiven Gefährdung der Interessen des minderjährigen M***** durch die Mutter aus und erachteten die Übertragung der alleinigen Obsorge an den Vater als gerechtfertigt.

Zusammengefasst steht fest, dass der derzeit 9‑jährige M***** seit der Trennung seiner Eltern im Jahr 2010 bei seiner Mutter und deren Eltern lebte. Aufgrund einer am 4. 11. 2013 getroffenen Obsorgeregelung steht die Obsorge beiden Eltern zu, die Betreuung soll (weiterhin) im Haushalt der Mutter erfolgen, zum Vater besteht ein Kontaktrecht. Die Betreuung im Haushalt der Mutter ist für M***** aber sehr belastend, weil diese eine Einschränkung in ihrer Erziehungsfähigkeit aufgrund nicht hinreichender Bindungstoleranz aufweist. Von Sommer 2012 bis November 2013 und seit Ostern 2014 ließ die Mutter keine persönlichen Kontakte des Kindes zum Vater zu. Die Misshandlungsvorwürfe gegen den Vater sind auf massiv suggestive und negative Manipulationen bzw Einflussnahmen der Mutter und der Familie mütterlicherseits auf das Kind zurückzuführen. Die ihm unterstellten Misshandlungen hat der Vater nicht begangen. Die Mutter setzt M***** emotional unter Druck, indem sie ihm zu verstehen gibt, sie sei traurig, wenn er den Vater besuchen würde und manövriert ihn dadurch in einen massiven Loyalitätskonflikt, den er ohne Hilfe von außen nicht auflösen kann. Sie irritiert das Kind mit ihrem Erziehungsverhalten massiv und schränkt es in seiner sozialen, emotionalen und kognitiven Entwicklung massiv ein, ohne Einsicht und eine Veränderungsbereitschaft hinsichtlich ihrer Erziehungsdefizite zu zeigen. Beim Vater sind hingegen keine Hinweise auf eine kognitive oder psychische Beeinträchtigung gegeben, die die allgemeine und/oder spezielle Erziehungsfähigkeit beeinflussen würde. Vielmehr geht er mit dem Kind feinfühlig um und orientiert sich an den kindlichen Bedürfnissen. Er ist auch zur aktiven Unterstützung eines positiven Mutterbildes sowie zur Förderung der Kontaktpflege des Kindes zur Mutter bereit. Zwischen Kind und Vater und den Großeltern väterlicherseits besteht bzw bestand bis zum Kontaktabbruch ein offenes, liebevolles, körperlich und emotional sehr zugeneigtes Kommunizieren. Der Vater kann dem Kind Stabilität und Kontinuität in der Lebenssituation und in der Alltagsbetreuung anbieten.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs der Mutter ist nicht zulässig.

1.1 Nach ständiger Rechtsprechung ist bei der Entscheidung über die Obsorge für ein Kind ausschließlich dessen Wohl maßgebend, wobei nicht nur von der momentanen Situation ausgegangen werden darf, sondern auch Zukunftsprognosen zu stellen sind (RIS-Justiz RS0048632). Im Spannungsverhältnis zwischen Elternrechten und dem Kindeswohl haben erstere naturgemäß zurückzutreten (RIS-Justiz RS0048632 [T7]). Unter dem Begriff der Gefährdung des Kindeswohls ist nicht geradezu ein Missbrauch der elterlichen Befugnisse zu verstehen. Es genügt auch, wenn die Eltern durch ihr Gesamtverhalten das Wohl des Kindes gefährden (RIS-Justiz RS0048633 [T3]; RS0048684). Ob dies zutrifft, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (RIS-Justiz RS0048699 [T18]).

1.2 Wenn die Vorinstanzen im vorliegenden Fall von einer durch das gesamte Familiensystem bei der Mutter gegebenen, chronischen und massiven Beeinträchtigung des Kindeswohls ausgingen und den Wechsel in die Betreuung des Vaters im Hinblick auf die positive Zukunftsprognose als gerechtfertigt ansahen, steht dies im Einklang mit den von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätzen und stellt keine Ermessensüberschreitung dar.

2. Auch mit dem weiteren Revisionsrekursvorbringen wird eine den Vorinstanzen unterlaufene korrekturbedürftige Fehlbeurteilung nicht aufgezeigt:

2.1 Bei Ausübung des Kontaktrechts durch den Vater sind nicht bloß „Schwierigkeiten“ aufgetreten, weil sich das Kind zwischen den Elternteilen „hin- und hergerissen“ fühlt (wie im Revisionsrekurs vorgebracht wird). Vielmehr steht fest, dass die Mutter das Kind emotional unter Druck setzt und dieses Erziehungsverhalten zu einer massiven Einschränkung der sozialen, emotionalen und kognitiven Entwicklung des Kindes führt, ohne dass die Mutter Einsicht und eine Veränderungsbereitschaft zeigt.

2.2 Eine allgemeine Aussage dahingehend, eine Übertragung der Obsorge auf den anderen Elternteil habe immer erst dann zu geschehen, wenn das Kind unter massiven psychischen Problemen, Ängsten und Defiziten leidet, ergibt sich aus der im Revisionsrekurs zitierten Entscheidung 3 Ob 241/12f keineswegs.

2.3 Zwar ist der Wunsch des Kindes in Bezug auf die Zuteilung der Elternrechte und Pflichten nach Maßgabe des Alters entsprechend zu berücksichtigen (RIS-Justiz RS0048981). Nach den Feststellungen der Vorinstanzen ist die Äußerung von M*****, nicht zum Vater auf Besuch zu wollen, aber keine autonome Willensäußerung, sondern sind an der Formulierung dieses Willens massive Fremdeinflüsse durch die Mutter und die Familie mütterlicherseits beteiligt. Es liegt daher auch keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung darin, dass die Vorinstanzen diese Äußerung als Ausfluss des Loyalitätskonflikts angesehen und ihr keine verfahrensentscheidende Bedeutung beigemessen haben.

2.4 Weiters argumentiert die Mutter in ihrem Revisionsrekurs damit, das Gericht hätte vor einer gänzlichen Obsorgeentziehung alle Zwangsmittel ausschöpfen müssen, um sie zur Zulassung des Kontakts zwischen Vater und Sohn zu bewegen. Dabei lässt sie außer Acht, dass das Erstgericht gegen sie ohnedies eine Ordnungsstrafe von 500 EUR zur Erzwingung persönlicher Kontakte zwischen Vater und Kind verhängt hat. Das Argument, diese Entscheidung sei nicht in Rechtskraft erwachsen, erweist sich als nicht tragfähig, weil die Aufhebung der Zwangsstrafe durch das Rekursgericht lediglich deshalb erfolgte, weil zwischenzeitig die Entscheidung über die Obsorgeübertragung an den Vater ergangen und damit die Grundlage für die Verhängung einer Zwangsstrafe weggefallen war.

2.5 Den weiteren Revisionsrekursausführungen ist entgegenzuhalten, dass der Grundsatz der Kontinuität der Erziehung nicht um seiner selbst willen aufrecht erhalten werden darf, sondern dem Wohl des Kindes unterzuordnen ist und er nicht das einzige, sondern nur ein zusätzliches Argument bei der Obsorgeentscheidung darstellt (RIS-Justiz RS0047928). Nach den Feststellungen erfordern aber gerade die Erziehungsdefizite der Mutter den Wechsel des Kindes in den Haushalt des Vaters und ist die bestehende Gefährdung des Kindeswohls nur durch den Betreuungswechsel aufzulösen.

3. Es kann somit dahingestellt bleiben, ob die vom Erstgericht angeordnete Änderung der Obsorge mit Erfolg auch auf eine maßgebliche Änderung der Verhältnisse iSd § 180 Abs 3 ABGB gestützt werden könnte (vgl RIS‑Justiz RS0128809).

Der außerordentliche Revisionsrekurs war daher mangels einer Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung iSd § 62 Abs 1 AußStrG zurückzuweisen.

Stichworte