OGH 7Ob126/15b

OGH7Ob126/15b16.10.2015

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei J***** R*****, vertreten durch Mag. Robert Stadler, Rechtsanwalt in Gallneukirchen, gegen die beklagte Partei G***** AG, *****, vertreten durch Dr. Roland Mühlschuster, Rechtsanwalt in Wels, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom 22. April 2015, GZ 2 R 60/15d‑13, womit das Urteil des Landesgerichts Linz vom 16. Februar 2015, GZ 31 Cg 20/14y‑8, bestätigt wurde, zu Recht erkannt:

 

Spruch:

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 1.680,84 EUR (darin enthalten 280,14 EUR an USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Entscheidungsgründe:

Zwischen den Parteien besteht eine Betriebshaftpflichtversicherung, der die Allgemeinen Bedingungen für die Betriebshaftpflichtversicherung Eurotop 2004 idF 7/2012 (in Folge: AHVB) zu Grunde liegen. Sie lauten auszugsweise wie folgt:

„Art 8 ‑ Ausschlüsse vom Versicherungsschutz:

[...]

2. Vorsatz:

Die Versicherung erstreckt sich nicht auf Schadenersatzverpflichtungen

2.1 der Personen, die den Schaden, für den sie von einem Dritten verantwortlich gemacht werden, vorsätzlich und rechtswidrig herbeigeführt haben;

Als vorsätzlich gilt auch eine Handlung oder Unterlassung, welche die betreffende Person nicht vermeidet, obwohl sie die wahrscheinlichen, schädlichen Folgen voraussehen musste, diese jedoch in Kauf genommen hat (z.B. im Hinblick auf die Wahl einer kosten- oder zeitsparenden Arbeitsweise);

2.2 die Kenntnis der Mangelhaftigkeit oder Schädlichkeit von hergestellten oder gelieferten Sachen oder von geleisteten Arbeiten bzw sonstigen Tätigkeiten;

2.3 infolge bewussten Zuwiderhandelns gegen Vorschriften. Der Versicherer ist von der Verpflichtung zur Leistung frei, wenn der Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt wurde und bewusst ‑ insbesondere im Hinblick auf die Wahl einer kosten‑ oder zeitsparenden Arbeitsweise ‑ den für den versicherten Betrieb oder Beruf geltenden Gesetzen, Verordnungen oder behördlichen Vorschriften zuwider gehandelt wurde […].“

Im Jahr 2007 errichtete der Kläger als Subunternehmer eines Bauträgers ein Stiegengeländer.

Bei einem Gespräch am 23. 8. 2007 zwischen dem Kläger, einem Dienstnehmer der Generalunternehmerin, und den Bauherren wurde aus optischen Gründen beschlossen, dass die Abstände der Geländerstäbe im waagrechten Bereich normwidrige 17 cm betragen. Dabei wurden die Bauherren vom Kläger über die Möglichkeit einer Ergänzung des Geländers mit Lochblech oder Glas informiert. Dies wurde von ihnen abgelehnt. Gleichfalls wurde über die Möglichkeit einer späteren Fertigstellung durch den Kläger gesprochen.

Zum Zeitpunkt der Ausführung hatten die Bauherren noch kein Kind. Am 31. 1. 2014 kam es jedoch aufgrund der Ausführung des Stiegengeländers zu einem Unfall der Tochter der Familie. Das am 8. 12. 2012 geborene Mädchen stürzte durch das Stiegengeländer 3 m in die Tiefe und verletzte sich.

Der Kläger begehrt die Feststellung der Verpflichtung zur Deckung aus der Betriebshaftpflichtversicherung. Er habe mehrfach ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Ausführung des Geländers nicht den technischen Vorschriften entspreche; das Geländer sei bewusst und gewollt im Wissen darüber von den Bauherren in Auftrag gegeben, abgenommen und bezahlt worden. Er habe auch darauf hingewiesen, dass zur Einhaltung baubehördlicher Vorschriften etwa die Montage eines Glases oder Lochbleches nötig sei und dies auch angeboten, was von den Bauherren mit dem Hinweis abgelehnt worden sei, sie würden dies später machen. Für die Absicherung des Geländers seien daher die Bauherren verantwortlich gewesen, weshalb ein Haftungsausschluss nach Art 8.2 der AHVB nicht gegeben sei.

Die Beklagte bestreitet. Der Kläger habe wissentlich ein nicht den bautechnischen Vorschriften entsprechendes Geländer errichtet und sowohl gegen § 27 Oö BauTG 2013 als auch die Oö Bautechniker-Verordnung verstoßen, weshalb der Haftungsausschluss des Art 8.2 AHVB greife. Er habe den Schaden zumindest mit Eventualvorsatz herbeigeführt, jedenfalls aber von der Mangelhaftigkeit und Schädlichkeit des Geländers gewusst und den Unfall grob fahrlässig herbeigeführt.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. § 27 Oö BauTG 2013 verpflichte zur Anbringung geeigneter Schutzvorrichtungen gegen das Abstürzen von Personen. Insbesondere wenn absturzgefährliche Stellen dem Verwendungszweck entsprechend auch für Kinder zugänglich seien, seien diese so auszuführen, dass ein Durchschlüpfen nicht möglich und ein Hochklettern erschwert sei. Durch die ‑ diesen Vorschriften nicht entsprechende Ausführung des Geländers ‑ sei der Risikoausschluss des Art 8.2 AHVB in allen drei Ausprägungen verwirklicht, weil (1.) sich der Vorsatz des Versicherungsnehmers nur auf das Zuwiderhandeln gegen bautechnische Vorschriften, nicht aber auf die Schadenszufügung beziehen müsse; (2.) der Kläger auch in Kenntnis darüber gewesen sei, dass seine Arbeit mangelhaft und schädlich sei, indem sie gegen die genannten Schutzvorschriften verstoße und (3.) der Kläger den Versicherungsfall grob fahrlässig herbeigeführt habe, weil er bewusst den für den versicherten Betrieb geltenden Gesetzen, Verordnungen oder behördlichen Vorschriften zuwider gehandelt habe.

Das Berufungsgericht bestätigte dieses Urteil. Da die Bauherren zum Zeitpunkt der Auftragserteilung noch kinderlos gewesen seien, habe sich der Vorsatz des Klägers nicht auf eine Schadenszufügung richten können, sodass der Ausschluss nach Art 8.2.1 AHVB nicht vorliege. Doch habe er gewusst, dass die Ausführung im Hinblick auf die Sicherheit nicht den geltenden Normen entspreche, und damit um die Mangelhaftigkeit und Schädlichkeit der Sache. Der Risikoausschluss des Art 8.2.2 AHVB sei verwirklicht.

Der Hinweis, § 27 Oö BauTG 2013 sehe eine kindersichere Ausführung einer Absturzsicherung nur dort vor, wo nach dem Verwendungszweck mit Kindern zu rechnen sei, könne schon deshalb nicht überzeugen, weil der hier ‑ richtig ‑ zur Anwendung gelangende § 17 Oö BauTG 1994 in der 2007 geltenden Fassung unabhängig vom Verwendungszweck einen ausreichenden Schutz von Kindern angeordnet habe. Ziele die Norm erkennbar auf den Schutz vor Absturz und damit der körperlichen Sicherheit ab, so bedeute auch die Vereinbarung einer nicht diesen Sicherheitsanforderungen entsprechenden Ausführung die grob fahrlässige Herbeiführung des Schadenseintritts im Sinn des Art 8.2.3 AHVB. Inwieweit die Bauherren selbst schuldhaft ursächlich für den Schadeneintritt geworden seien, sei im Deckungsverhältnis zwischen Versicherungsnehmer und Versicherer nicht zu erörtern.

Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision nachträglich für zulässig. Es erscheine eine höchstgerichtliche Klarstellung geboten, ob der Risikoausschluss nach Art 8.2.2 und Art 8.2.3 AHVB 2004 auch dann greife, wenn der Vertragspartner des Versicherungsnehmers die Einhaltung der einschlägigen Sicherheitsvorschriften trotz entsprechender Warnung ablehne.

Gegen dieses Urteil wendet sich die Revision des Klägers mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Rechtliche Beurteilung

Die Beklagte begehrt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr keine Folge zu geben.

Die Revision ist zur Klarstellung zulässig, sie ist aber nicht berechtigt.

1. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914, 915 ABGB) auszulegen, und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RIS‑Justiz RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]). Es findet deshalb auch die Unklarheitenregelung des § 915 ABGB Anwendung. Unklarheiten gehen daher zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RIS‑Justiz RS0050063 [T3]). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen (RIS‑Justiz RS0008901).

Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung. Durch sie wird in grundsätzlicher Weise festgelegt, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind. Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikoabgrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (RIS‑Justiz RS0080166 [T10]). Als Ausnahmetatbestände, die die vom Versicherer übernommene Gefahr einschränken oder ausschließen, dürfen Ausschlüsse nicht weiter ausgelegt werden, als es ihr Sinn unter Betrachtung ihres wirtschaftlichen Zwecks und der gewählten Ausdrucksweise sowie des Regelungszusammenhangs erfordert. Den Beweis für das Vorliegen eines Risikoausschlusses als Ausnahmetatbestand hat der Versicherer zu führen (RIS‑Justiz RS0107031).

1.2 Art 8.2.3 AHVB regelt einen Risikoausschluss (RIS‑Justiz RS0081678, RS0081866). Um Leistungsfreiheit nach dieser Bestimmung annehmen zu können, muss kumulativ die Herbeiführung des Versicherungsfalls und das bewusste Zuwiderhandeln gegen für den versicherten Betrieb oder Beruf geltende Gesetze, Verordnungen und Vorschriften vorliegen (RIS‑Justiz RS0119745). Der Versicherungsnehmer muss die Verbotsvorschrift zwar nicht in ihrem Wortlaut und in ihrem genauen Umfang kennen, er muss sich aber bei seiner Vorgangsweise bewusst sein, dass er damit gegen Vorschriften verstößt, muss also das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit seiner Handlungen haben (RIS‑Justiz RS0052282 [T5]).

1.3 § 17 Abs 1 Oö BauTG 1994 in der 2007 geltenden Fassung normierte, dass an allen Stellen einer baulichen Anlage, an der Absturzgefahr besteht und zu denen der Zutritt möglich ist, standsichere Geländer oder Brüstungen anzubringen und so auszuführen sind, dass auch Kinder ausreichend geschützt sind.

1.4 Der Kläger geht selbst davon aus, bewusst § 17 Oö BauTG zuwider gehandelt zu haben. Er argumentiert aber, dass Art 8.2.3 AHVB durch die Wortfolge „insbesondere im Hinblick auf die Wahl einer kosten‑ oder zeitsparenden Arbeitsweise“ ein besonders gelagertes Fehlverhalten umschreibe. Nur ein solches Verhalten des Versicherungsnehmers, das aus unlauteren Motiven und um sich selbst zu begünstigen zu Lasten eines Dritten gesetzt werde, sei vom Ausschluss umfasst. Der Hinweis „insbesondere im Hinblick auf die Wahl einer kosten‑ oder zeitsparenden Arbeitsweise“ hat ‑ wie bereits das Wort insbesondere zeigt ‑, bloß demonstrativen Charakter. Das Motiv des Zuwiderhandelns ist nicht relevant ( Reisinger in Fenyves/Schauer VersVG § 152 Rz 36). Damit ist die erste Voraussetzung des Art 8.2.3 AHVB erfüllt.

2. Grobe Fahrlässigkeit wird allgemein im Versicherungsvertragsrecht dann als gegeben erachtet, wenn schon einfachste, naheliegende Überlegungen nicht angestellt und Maßnahmen nicht ergriffen werden, die jedermann einleuchten müssen; wenn jedenfalls völlige Gleichgültigkeit gegen das vorliegt, was offenbar unter den gegebenen Umständen hätte geschehen müssen (RIS‑Justiz RS0080371). Grobe Fahrlässigkeit setzt also ein Verhalten voraus, von dem der Versicherungsnehmer wusste oder wissen musste, dass es geeignet ist, die Gefahr des Eintritts eines Versicherungsfalls herbeizuführen oder zu vergrößern (RIS‑Justiz RS0030324, RS0080414).

2.1 Der Kläger ‑ als ausführender Unternehmer -errichtete ein nicht kindersicheres Geländer in einem Wohnhaus. Er musste die besondere Gefährlichkeit des Stiegengeländers, dessen horizontalen Traversen einen Abstand von 17 cm aufwiesen, im Hinblick auf die Gefahr des Durchfallens eines Kindes kennen. Selbst wenn er damals davon ausging, dass die Bauherren kein Kind hätten, konnte er zum einen nicht annehmen, dass der Haushalt weiterhin kinderlos bleibt; zum anderen musste ihm auch klar sein, dass die beschriebene Gefährlichkeit des Stiegengeländers auch im Hinblick auf Kinder, die zu Besuch kommen, besteht.

Die Vorinstanzen haben unter diesen Umständen zu Recht das Vorliegen grober Fahrlässigkeit bejaht.

2.2 Dem hält der Kläger entgegen, dass in der höchstgerichtlichen Judikatur die Frage ungeklärt sei, wie die Haftungsausschlussklauseln des Art 8 AHVB zu deuten seien, „wenn der Versicherungsnehmer alle Vorkehrungen, die nach dem jeweiligen Stand der technischen Wissenschaften in dieser Hinsicht üblich sind, treffen wollte, um das Eintreten des von diesem befürchteten Schaden abzuwenden, von seinem Vorhaben aber durch Faktoren abgehalten wurde, die nicht in seinem Einflussbereich standen bzw diesem von Dritten die Einhaltung des konkreten übertretenen Schutzgesetzes unmöglich gemacht wurde“.

Hier entfernt sich der Kläger vom festgestellten Sachverhalt. Die dem Gesetz entsprechende Errichtung wurde ihm nicht unmöglich gemacht, vielmehr stellte er das dem Gesetz widersprechende ‑ weil nicht kindersichere Stiegengeländer ‑ im Einvernehmen mit den Bauherren her. Lehnt aber der Versicherungsnehmer die dem Kundenwunsch entsprechende gesetzwidrige Ausführung nicht ab, sondern übernimmt er diese vereinbarungsgemäß, so ist ihm dies im Vertragsverhältnis zum Versicherer vorzuwerfen. Die vage Annahme, der Kunde werde die Möglichkeit einer späteren Fertigstellung des Geländers noch veranlassen, exkulpiert den Kläger in dieser Situation ebenso wenig, steht ihm doch keine juristische Handhabe zur Verfügung, eine solche Fertigstellung zu erreichen.

3. Da bereits Leistungsfreiheit der Beklagten aufgrund Art 8.2.3 AHVB besteht, erübrigt sich ein Eingehen auf die weiteren geltend gemachten Ausschlussgründe.

4. Der Revision war der Erfolg zu versagen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41, 50 ZPO.

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