OGH 4Ob127/15b

OGH4Ob127/15b22.9.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Musger, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Rassi als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Gheneff‑Rami‑Sommer Rechtsanwälte OG in Wien, gegen die beklagte Partei M***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Zöchbauer und Dr. Peter Borbas, Rechtsanwälte in Wien, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Streitwert im Sicherungsverfahren 34.000 EUR), über die außerordentlichen Revisionsrekurse beider Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Rekursgericht vom 28. Mai 2015, GZ 4 R 212/14x‑12, den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die außerordentlichen Revisionsrekurse werden gemäß §§ 78, 402 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung

Rechtliche Beurteilung

I. Zum Revisionsrekurs der klagenden Partei:

1. Bei der Prüfung der Zulässigkeit der Anfechtung einer zweitinstanzlichen Entscheidung, die einen auf Rechtsbruch gestützten Verstoß gegen § 1 UWG wegen Vertretbarkeit der Rechtsansicht der beklagten Partei verneint hat, geht es nicht darum, ob das Zweitgericht diese lauterkeitsrechtliche Vertretbarkeitsfrage richtig gelöst hat, sondern nur darum, ob ihm dabei eine krasse Fehlbeurteilung vorzuwerfen ist (RIS‑Justiz RS0124004).

2. Der Revisionsrekurs hat sich mit der Frage, ob die Vertretbarkeit vom Rekursgericht in unvertretbarer Weise angenommen wurde, nicht auseinandergesetzt. Das Rechtsmittel beschränkte sich vielmehr auf den knappen Hinweis, dass die Rechtsansicht der beklagten Partei unvertretbar und jene des Rekursgerichts „verfehlt“ sei. Eine krasse Fehlbeurteilung wird damit nicht aufgezeigt.

3. Eine solche liegt auch nicht vor. Das Rekursgericht ging davon aus, dass die von der beklagten Partei vertretene Rechtsansicht, wonach eine Untersagung der Zustellung unadressierter Werbung durch sogenannte „Werbeverweigerer“ nicht auch ein Verbot der Zustellung von (unadressierten) Zeitungen umfasse, vertretbar sei. In dieser Beurteilung kann keine krasse Fehlbeurteilung erblickt werden. Die angefochtene Entscheidung bedarf in diesem Umfang somit keiner höchstgerichtlichen Korrektur, weshalb der Revisionsrekurs der klagenden Partei zurückzuweisen ist.

II. Zum Revisionsrekurs der beklagten Partei:

1. Auch die beklagte Partei macht in ihrem Rechtsmittel keine erhebliche Rechtsfrage geltend. Wie die angesprochenen Kreise eine Werbeaussage verstehen und ob sie demnach zur Irreführung geeignet ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und begründet daher in der Regel ebenso wenig eine Rechtsfrage erheblicher Bedeutung (RIS‑Justiz RS0107771; RS0043000; RS0053112) wie die Frage, ob eine andere Beurteilung der festgestellten Äußerung vertretbar ist (RIS‑Justiz RS0107768).

2. Bei der Rechtsansicht der Vorinstanzen, die beklagte Partei habe in ihrer (sich an Inseratenkunden gerichteten) Werbung insbesondere durch die Hinweise „ Sie erreichen ALLE Wiener “, „ Erreichen Sie Wien wie nie zuvor “, „ wir haben für Sie ab sofort eine neue, besonders reichweitenstarke Werbe-Idee für Wien “, „ die neue starke NUMMER 1 in Wien “ in irreführender Weise die Anzahl der versandten, zugestellten oder sonst verbreiteten Exemplare der beworbenen Gratiszeitung erkennbar mit dem Begriff der Reichweite dieser Zeitung gleichgesetzt und in diesem Zusammenhang auch unrichtig eine Spitzenstellung behauptet, handelt es sich jedenfalls nicht um eine krasse Fehlbeurteilung, die im Interesse der Rechtssicherheit wahrgenommen werden muss (RIS‑Justiz RS0107771; RS0043000 [T7]).

3. Vielmehr bewegten sich die Vorinstanzen im Rahmen der ständigen Rechtsprechung, wonach es bei der Beurteilung einer Werbeaussage immer auf den Gesamtzusammenhang und den dadurch vermittelten Gesamteindruck der beanstandeten Äußerung ankommt (zB 4 Ob 233/10h ‑ Größte Gratis-Tageszeitung; 4 Ob 68/13y -Sparen Sie jetzt 100) und sich jeder, der eine mehrdeutige Äußerung macht, die für ihn ungünstigste Auslegung gegen sich gelten lassen muss (RIS‑Justiz RS0079648), sofern diese Auslegung noch ernstlich in Betracht kommt (4 Ob 91/11b ‑ Konkursantrag).

4. Damit wird auch nicht das Recht der beklagten Partei auf freie Meinungsäußerung verletzt. Es ist Stand der Rechtsprechung, dass auch im Lauterkeitsrecht eine Abwägung mit Grundrechten zu erfolgen hat und die Unklarheitsregel daran zu messen ist (RIS‑Justiz RS0121107; vgl auch RS0077899). Das vom Rekursgericht im Anlassfall gewonnene Ergebnis bedarf keiner Korrektur durch gegenteilige Sachentscheidung.

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