OGH 11Os147/14y

OGH11Os147/14y17.9.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. September 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner-Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Pottmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Gerd B***** wegen des Verbrechens des schweren gewerbsmäßigen Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 3, 148 zweiter Fall StGB und weiterer strafbarer Handlungen über den Antrag des Angeklagten auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wider die Versäumung der Frist zur Ausführung der Rechtsmittel sowie über dessen Nichtigkeitsbeschwerde und Berufung, sowie über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung der Dr. Katrin H***** gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Schöffengericht vom 25. Juli 2014, GZ 24 Hv 164/13a-63, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0110OS00147.14Y.0917.000

 

Spruch:

Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgewiesen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten und die (angemeldete) Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld werden zurückgewiesen.

Die Rechtsmittel der Dr. Katrin H***** werden zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung des Angeklagten wegen des Ausspruchs über die Strafe werden die Akten dem Oberlandesgericht Innsbruck zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil, das auch einen unbekämpft in Rechtskraft erwachsenen Freispruch von gleichartigen Vorwürfen (und überflüssig von der rechtlichen Kategorie ‑ Lendl, WK‑StPO § 259 Rz 1, 11) enthält, wurde Gerd B***** (richtig:) des Verbrechens des gewerbsmäßigen schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 1 Z 1, Abs 3, 148 zweiter Fall, 15 StGB (I./1./ bis 4./), des Verbrechens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 zweiter Fall StGB (II./1./) und des Vergehens der Verleumdung nach § 297 Abs 1 erster Fall StGB (II./2./) schuldig erkannt.

Danach hat er in K***** und andernorts ‑ zusammengefasst wiedergegeben ‑

I./ mit auf unrechtmäßige Bereicherung gerichtetem Vorsatz und in der Absicht, sich durch die wiederkehrende Begehung von schweren Betrugshandlungen eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen, andere durch Täuschung über seine (Rück-)Zahlungsfähigkeit und -willigkeit zu Handlungen verleitet und zu verleiten versucht, wobei der Schaden insgesamt 50.000 Euro übersteigt und er teilweise gefälschte Beweismittel und Urkunden vorlegte, nämlich

1./ am 22. August 2012 Berechtigte der U***** AG zur Gewährung eines Kredits in Höhe von 138.500 Euro;

2./ am 26. September 2012 Berechtigte der U***** AG zur Gewährung eines Betriebsmittelkredits in Höhe von 20.000 Euro;

3./ am 23. Jänner 2013 Berechtigte der K***** OHG zum Verkauf und zur Lieferung von drei Anhängern im Gesamtwert von 84.940 Euro;

4./ am 4. Dezember 2013 Berechtigte der M***** M***** GmbH zur Ausfolgung von zwei Radladern und einer Schneefräse im Gesamtwert von 38.700 Euro;

II./ am 15. April 2014 in dem an die Staatsanwaltschaft übermittelten Schreiben andere der Gefahr einer behördlichen Verfolgung ausgesetzt, indem er sie von Amts wegen zu verfolgender mit Strafe bedrohter Handlungen falsch verdächtigte, wobei er wusste, dass die Verdächtigungen falsch sind, und zwar

1./ Helmut M***** des Verbrechens des schweren Betrugs nach §§ 146, 147 Abs 2 StGB, indem er behauptete, dieser habe ihm beim Verkauf der zu I./4./ genannten Geräte einen einwandfreien Zustand zugesichert, Mängel bewusst verschwiegen und Einzelteile vor Lieferung ausgetauscht;

2./ Günther M***** des Vergehens der falschen Beweisaussage nach § 288 Abs 1, Abs 4 StGB, indem er behauptete, dieser habe bei seiner Vernehmung als Zeuge vor der Polizei am 22. Jänner 2014 falsch ausgesagt.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen richtet sich eine auf § 281 Abs 1 Z 5, 9 lit a, lit b und Z 11 StPO gestützte Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde der früheren Amtsverteidigerin und eine vom ‑ durch den Obersten Gerichtshof beigegebenen ‑ Amtsverteidiger bei gleichzeitigem Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand ausgeführte, aus den selben Gründen erhobene Nichtigkeitsbeschwerde.

Mit Schriftsatz vom 28. Juli 2014 meldete die Wahlverteidigerin Mag. Annamaria R***** ‑ ohne Nichtigkeitsgründe deutlich und bestimmt zu bezeichnen ‑ „Berufung wegen Nichtigkeit, Schuld und des Ausspruchs über die Strafhöhe“ an (ON 64).

Die zur Ausführung der solcherart ausreichend angemeldeten Nichtigkeitsbeschwerde (RIS‑Justiz RS0100007, RS0101785) zur Verfügung stehende Frist wurde am 9. September 2014 durch Zustellung des Urteils an die Wahlverteidigerin ausgelöst (Zustellnachweis bei ON 63). Da die in der Strafprozessordnung bestimmten Fristen nur in gesetzlich ausdrücklich angeführten Fällen verlängert werden können (RIS-Justiz RS0111614) und eine einmal ausgelöste Rechtsmittelfrist nicht durch die Zurücklegung oder Kündigung der Vollmacht des Verteidigers gehemmt oder unterbrochen wird (§ 63 Abs 2 StPO), vermochte weder die konkret am 11. September 2014 erklärte Zurücklegung der Vollmacht der Wahlverteidigerin (ON 67) noch die neuerliche Zustellung des Urteils an die ‑ wie nachfolgend ausgeführt wird ‑ zu diesem Zeitpunkt nicht mehr als Amtsverteidigerin einschreitende Rechtsanwältin Dr. Katrin H***** am 22. September 2014 (Zustellnachweis bei ON 68) den Lauf der Rechtsmittelfrist zu beeinflussen, sodass diese am 7. Oktober 2014 endete.

Da die Wahlverteidigerin ‑ ungeachtet der sie selbst nach Zurücklegung des Mandats treffenden Verpflichtung zur Ausführung des angemeldeten Rechtsmittels (Achammer, WK-StPO § 63 Rz 20) ‑ innerhalb der hiezu zur Verfügung stehenden Rechtsmittelfrist keine Nichtigkeitsbeschwerde einbrachte und auch bei deren Anmeldung die Nichtigkeitsgründe nicht deutlich und bestimmt bezeichnet wurden, war die von ihr angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde ebenso wie die im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehene Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld bereits bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen (§§ 285d Abs 1 Z 1 iVm § 285a Z 2 StPO; §§ 294 Abs 4, 296 Abs 2 StPO).

Das Gericht war auch nicht dazu verhalten, die Einhaltung der der Wahlverteidigerin gemäß § 63 Abs 2 letzter Satz StPO, § 11 Abs 2 RAO obliegenden Verpflichtung durch diese zu überprüfen oder innerhalb laufender Frist einen Amts- oder Verfahrenshilfeverteidiger zu bestellen oder den Angeklagten auf die Bestimmung des § 63 Abs 1 StPO hinzuweisen (wonach die Beigebung eines Verfahrenshelfers fristunterbrechend beantragt werden kann), weil diese Bestimmung nicht für Fälle bereits erfolgter Zustellung an einen Wahlverteidiger gilt (RIS‑Justiz RS0116182; Achammer, WK-StPO § 63 Rz 4, 8; Ratz, WK‑StPO § 285 Rz 2; 11 Os 204/09y).

Eine ‑ vom EGMR nur in Betreff grober Versäumnisse des Pflichtverteidigers bejahte (vgl Pühringer, RZ 2009, 230 [233]) ‑ Verpflichtung nationaler Behörden, in derartigen Fällen zu Gunsten des Angeklagten einzugreifen, besteht nicht, weil das Verhältnis zwischen Angeklagtem und einem Wahlverteidiger nicht unter dem Schutz des Art 6 Abs 3 MRK steht.

Die von Dr. H***** nach Fristablauf erst am 17. Oktober 2014 eingebrachte Nichtigkeitsbeschwerde (ON 70) kann dem Angeklagten nicht zugerechnet werden: Diese war zwar am 12. Juni 2014 zur Amtsverteidigerin des Angeklagten bestellt (ON 44 und ON 47) und trotz des am 18. Juni 2014 erklärten Einschreitens der Wahlverteidigerin (ON 50) zur Vermeidung weiterer Verzögerungen „durch neuerliche Vollmachtsniederlegung“ mit Beschluss vom 20. Juni 2014 auch weiterhin in dieser Funktion belassen worden, was im Hinblick auf die unbedingte Anordnung des § 62 Abs 4 StPO nur als neuerliche Beigebung verstanden werden kann, (ON 51; vgl Achammer, WK-StPO § 61 Rz 73). Diese endete jedenfalls mit der am 4. August 2014 an die zuständige Rechtsanwaltskammer ergangenen Verständigung, wonach „die Amtsverteidigerin nicht mehr benötigt wird, da eine Vollmachtskündigung der gewählten Verteidigerin im Rechtsmittelverfahren nicht mehr zu befürchten steht“ (ON 65). Da die ursprüngliche Bestellung zum Amtsverteidiger bei Kündigung oder Widerruf der Vollmacht des Wahlverteidigers nicht wieder auflebt (Achammer, WK‑StPO § 61 Rz 78) und nach Zurücklegung der Vollmacht durch Mag. R***** am 11. September 2014 (ON 67) Dr. H***** nicht neuerlich als Amtsverteidigerin (§ 61 Abs 3 StPO) beigegeben wurde, war diese zum Zeitpunkt der Einbringung der vorliegenden Rechtsmittel mangels Vertretungsmacht für den Angeklagten zu deren Ausführung nicht berechtigt. Die dennoch von ihr eingebrachten Rechtsmittel waren sofort zurückzuweisen, weil sie von einer Person eingebracht wurden, welcher die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung nicht zukommt (§ 285d Abs 1 Z 1 StPO iVm § 285a Z 1 StPO; §§ 294 Abs 4, 296 Abs 2 StPO; SSt 32/66).

Wie bereits dargelegt, wird gemäß § 63 Abs 2 StPO eine durch Zustellung an einen Verteidiger ausgelöste Frist nicht dadurch unterbrochen oder gehemmt, dass die Vollmacht des Verteidigers zurückgelegt oder gekündigt wird. Nach der genannten Bestimmung hat dieser vielmehr weiterhin die Interessen des Beschuldigten zu wahren und innerhalb der Frist erforderliche Prozesshandlungen nötigenfalls vorzunehmen, es sei denn, der Beschuldigte hätte ihm dies ausdrücklich untersagt (RIS-Justiz RS0125686). Abgesehen davon entfällt die erwähnte Pflicht des solcherart ehemaligen Verteidigers nur dann, wenn sein „Nachfolger“ die gebotene Rechtshandlung zuverlässig ausführt (Achammer, WK-StPO § 63 Rz 20).

Die Annahme einer solchen Zuverlässigkeit ‑ und damit auch des Entfalls der den ehemaligen Verteidiger gemäß § 63 Abs 2 zweiter Satz StPO treffenden Verpflichtung ‑ setzt notwendigerweise geeignete, der Vergewisserung dienende Schritte des Genannten voraus und erfordert daher ‑ schon im Hinblick auf den bei Rechtsvertretern anzusetzenden Sorgfaltsmaßstab (Lewisch, WK-StPO § 364 Rz 25) ‑ jedenfalls mehr als dessen bloßes Vertrauen auf das rechtzeitige Einschreiten eines anderen.

Derartige Schritte der Wahlverteidigerin lassen sich fallaktuell jedoch weder dem Akt noch dem vorliegenden Wiedereinsetzungsantrag entnehmen. Ihr ersichtlich bloß aus der (verfehlten) Annahme einer nach wie vor aufrechten Bestellung einer Amtsverteidigerin, deren Verständigung von der Vollmachtsauflösung (vgl ON 68 S 2) sowie der in weiterer Folge lediglich erwarteten Zustellung des Urteils an diese abgeleitetes Vertrauen darauf, „dass ein weiteres Einschreiten ihrerseits zur Ausführung des Rechtsmittels nicht notwendig ist“, entspricht diesem Erfordernis jedenfalls nicht.

Demnach stellt das ‑ aus der schon dem bloßen Gesetzeswortlaut widersprechenden Ansicht, nach fristauslösender Zustellung des Urteils am 9. September 2014 (Zustellnachweis bei ON 63) nicht mehr tätig werden zu müssen, resultierende ‑ Unterbleiben der fristgerechten Rechtsmittelausführung ein dem Angeklagten zuzurechnendes (RIS-Justiz RS0101272) und die Wiedereinsetzung jedenfalls ausschließendes grobes Verschulden der Wahlverteidigerin im Sinn des § 364 Abs 1 Z 1 StPO dar.

Deshalb kann dahinstehen, dass das Erstgericht angesichts der Vollmachtskündigung der Wahlverteidigerin während offener Rechtsmittelfrist (ON 67) ‑ rechtsgrundlos und in Bezug auf die darin genannte Frist (vgl § 63 Abs 2 erster Satz StPO) darüber hinaus unrichtig ‑ das Urteil der ehemaligen Amtsverteidigerin am 22. September 2014 zur Ausführung des Rechtsmittels „binnen vier Wochen“ zustellte (ON 68 S 2; 12 Os 12/10x; Lewisch, WK-StPO § 364 Rz 21).

Mit Blick auf § 290 Abs 1 zweiter Satz erster Fall StPO bleibt festzuhalten, dass die in der angefochtenen Entscheidung vorgenommene getrennte Beurteilung der Betrugsfakten als mehrere Verbrechen des schweren gewerbsmäßigen Betrugs und des Vergehens des Betrugs verfehlt ist. Denn zufolge § 29 StGB sind alle in einem Verfahren demselben Täter angelasteten Vermögensdelikte derselben Art, mögen sie auch weder örtlich noch zeitlich zusammenhängen und allenfalls jedes für sich rechtlich verschiedener Art sein, bei ihrer rechtlichen Beurteilung zu einer Subsumtionseinheit (sui generis) zusammenzufassen (RIS-Justiz RS0114927).

Die unrichtige Subsumtion und die erschwerende Wertung des Zusammentreffens von (zahlenmäßig verfehlt:) „drei Verbrechen mit zwei Vergehen“ (US 28 drittletzter Absatz; § 281 Abs 1 Z 11 zweiter Fall StPO) waren im konkreten Fall für den Angeklagten nicht nachteilig, weil die Tatrichter die bei richtiger einheitlicher Subsumtion eigentlich gebotene Berücksichtigung der Tatwiederholung und der Höhe des die Qualifikationsgrenze des § 147 Abs 3 StGB überschreitenden Schadensbetrags nicht gleichzeitig erschwerend berücksichtigten. Ein amtswegiges Vorgehen ist im Hinblick auf die solcherart vorliegende Fehlerkompensation daher nicht erforderlich (RIS-Justiz RS0114927). Im Übrigen besteht hinsichtlich der verfehlten Subsumtion keine (dem Angeklagten zum Nachteil gereichende) Bindung an den Ausspruch des Erstgerichts über das anzuwendende Strafgesetz nach § 295 Abs 1 erster Satz StPO (RIS-Justiz RS0118870).

Anzumerken verbleibt, dass die in der nunmehr eingebrachten Beschwerde geltend gemachten Nichtigkeitsgründe dem Urteil ebensowenig anhaften wie von Amts wegen wahrzunehmende.

Demnach war insgesamt wie aus dem Spruch ersichtlich zu entscheiden, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung (ON 64) folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

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