Spruch:
Die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird nicht bewilligt.
Der Beschwerde gegen den Beschluss gemäß § 285a Z 2 StPO wird nicht Folge gegeben.
Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde wird der Angeklagte auf diese Entscheidung verwiesen.
Zur Entscheidung über die Berufung und die Beschwerde gemäß § 498 Abs 3 StPO werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.
Text
G r ü n d e :
Mit dem angefochtenen Urteil wurde Terry O***** des Verbrechens des Suchtgifthandels als Beteiligter nach § 12 zweiter Fall StGB, § 28a Abs 1 (ergänze:) zweiter und dritter Fall, Abs 2 Z 1, Abs 4 Z 1 und 3 SMG sowie des Verbrechens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 (ergänze:) fünfter Fall, Abs 2 Z 1 und 3, Abs 4 Z 1 SMG schuldig erkannt.
Danach hat er zu nachstehenden Zeiten in den Niederlanden als Mitglied einer kriminellen Vereinigung, wobei er in der Absicht handelte, sich durch die wiederkehrende Begehung der unten angeführten Taten eine fortlaufende Einnahme zu verschaffen und schon einmal wegen einer Strafttat nach § 28a Abs 1 StGB verurteilt wurde, Florian L*****
A.) durch die Beauftragung mit dem Suchtgiftschmuggel gegen Entgelt, die Beschaffung des Suchtgifts, die Organisation des Suchtgiftverkaufs und die Finanzierung der Suchtgifttransporte dazu bestimmt, vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfundzwanzigfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge ein- und auszuführen, nämlich
1.) Ende Februar/Anfang März 2008 zum Transport von 3 bis 3,5 Kilo Kokain mit einem Reinhaltsgehalt von zumindest 1.500 Gramm Kokain von Sao Paulo/Brasilien nach Amsterdam;
2.) Mitte März 2008 zum Transport von 500 Gramm Kokain mit einem Reinhaltsgehalt von zumindest 250 Gramm Kokain von Amsterdam nach Zürich;
3.) Ende April/Anfang Mai 2008 zum Transport von 5 bis 6 Kilo Kokain mit einem Reinhaltsgehalt von zumindest 2.500 Gramm Kokain von Sao Paulo/Brasilien nach Amsterdam;
4.) Ende Mai 2008 zum Transport von 500 Gramm Kokain mit einem Reinhaltsgehalt von zumindest 250 Gramm Kokain von Amsterdam nach Oslo;
5.) Anfang/Mitte Juni 2008 zum Transport von 2,5 Kilo Heroin mit einem durchschnittlichen Reinhaltsgehalt von zumindest 75 Gramm Heroin bzw Diacetylmorphin von Amsterdam nach Teneriffa;
B.) vorschriftswidrig Suchtgift in einer das Fünfzehnfache der Grenzmenge (§ 28b SMG) übersteigenden Menge überlassen, nämlich nachstehende Mengen Kokain im Wert von 40 EUR/Gramm, und zwar
1.) je 300 Gramm mit einem Reinhaltsgehalt von zumindest 150 Gramm Kokain
a) Anfang Mai 2008 anstelle der von Florian L***** zusätzlich begehrten Bargeldzahlung für den laut Pkt. A.) 3.) durchgeführten Suchtgifttransport;
b) Ende Mai 2008 gegen Zahlung von 12.000 EUR;
2.) Anfang/Mitte Juni 2008 50 Gramm mit einem Reinhaltsgehalt von zumindest 25 Gramm Kokain gegen Zahlung von 2.000 EUR.
Nach Urteilsverkündung erklärte der Angeklagte nach Rücksprache mit seiner Wahlverteidigerin Dr. G*****, alle zur Verfügung stehenden Rechtsmittel zu erheben und ausdrücklich (auch) Nichtigkeitsbeschwerde anzumelden. Bestimmte Nichtigkeitsgründe wurden anlässlich der Rechtsmittelanmeldung nicht deutlich und bestimmt bezeichnet und wurden auch Tatumstände, die einen Nichtigkeitsgrund bilden sollten, nicht ausdrücklich oder doch durch deutliche Hinweisung angeführt (ON 64, S 22).
Die schriftliche Urteilsausfertigung wurde der Wahlverteidigerin am 9. Dezember 2009 zugestellt. Mit am 23. Dezember 2009 eingelangtem Schriftsatz gab sie bekannt, das Vollmachtsverhältnis zum Angeklagten aufgelöst zu haben, und ersuchte, ihm für die Ausarbeitung der Nichtigkeitsbeschwerde, der Strafberufung bzw der Beschwerde gegen den Widerruf der bedingten Strafnachsicht (gemeint: Entlassung) einen Verfahrenshilfeverteidiger zur Seite zu stellen (ON 71).
Antragsgemäß bewilligte das Erstgericht am 28. Dezember 2009 die Beigebung eines Verteidigers nach § 61 Abs 2 StPO (offenbar irrtümlich lediglich) zur Ausführung der Berufung gegen das Urteil vom 19. November 2009. Mit Bescheid der Oberösterreichischen Rechtsanwaltskammer wurde Mag. E***** zum Verfahrenshelfer bestellt (ON 72).
Da eine Ausführung der angemeldeten Nichtigkeitsbeschwerde innerhalb der gemäß § 285 Abs 1 StPO offenstehenden Frist von vier Wochen, somit bis 7. Jänner 2010, nicht überreicht wurde und Nichtigkeitsgründe auch anlässlich deren Anmeldung nicht deutlich und bestimmt bezeichnet worden waren, wies der Vorsitzende des Schöffengerichts die angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde mit Beschluss vom 15. Jänner 2010 gemäß § 285a Z 2 StPO zurück (ON 73).
Am 29. Jänner 2010 stellte der Verfahrenshilfeverteidiger einen Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde, der Berufung und der Beschwerde gegen den Widerruf der bedingten Strafnachsicht (gemeint: bedingten Entlassung), führte diese Rechtsmittel aus und erhob Beschwerde gegen den Beschluss gemäß § 285a Z 2 StPO.
Rechtliche Beurteilung
Sowohl der Wiedereinsetzungsantrag als auch die Beschwerde gegen die Zurückweisung der Nichtigkeitsbeschwerde erweisen sich als nicht berechtigt.
Die genannte Mitteilung von der Auflösung des Vollmachtsverhältnisses hatte zufolge § 63 Abs 2 erster Satz StPO (wonach der Lauf einer durch eine Zustellung an den Verteidiger ausgelösten Frist nicht dadurch unterbrochen oder gehemmt wird, dass die Vollmacht des Verteidigers zurückgelegt oder gekündigt wird) keinen Einfluss auf die bereits mit der Urteilszustellung an die Wahlverteidigerin am 9. Dezember 2009 in Gang gesetzte Vierwochenfrist des § 285 Abs 1 StPO. Vielmehr hat der Verteidiger in diesem Fall gemäß § 63 Abs 2 zweiter Satz StPO weiterhin die Interessen des Beschuldigten (§ 48 Abs 2 StPO) zu wahren und innerhalb der Frist erforderliche Prozesshandlungen nötigenfalls vorzunehmen, es sei denn, dieser hätte ihm dies ausdrücklich untersagt (wobei auch Letzteres am Lauf der Frist nichts ändern würde, 14 Os 42/09x, EvBl-LS 2009/170, 1020).
Anzumerken bleibt, dass die Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers ohne Einfluss auf den Lauf der Frist für die Ausführung der Nichtigkeitsbeschwerde war: § 63 Abs 1 StPO gilt nämlich nicht für Fälle bereits erfolgter Zustellung an den Wahlverteidiger (13 Os 142/09w mwN).
Sein Begehren auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gründet der Angeklagte im Wesentlichen darauf, dass es seinem Verfahrenshilfeverteidiger innerhalb der ihm zur Verfügung stehenden Frist von bloß einem Werktag vor Ablauf der Rechtsmittelfrist unter Berücksichtigung der im Bestellungsdekret enthaltenen Belehrung, dass Fristen für die Ausführung eines Rechtsmittels oder eine sonstige Prozesshandlung mit der Zustellung des Bescheides über die Verteidigerbestellung von neuem zu laufen beginnen, und der Unterlassung eines wie immer gearteten Hinweises, ob und wann das Urteil der Wahlverteidigerin zugestellt worden wäre, faktisch unmöglich gewesen sei, die Nichtigkeitsbeschwerde fristgerecht auszuführen.
Nach § 364 Abs 1 Z 1 StPO ist die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand einem Angeklagten - neben anderen, hier nicht aktuellen Fällen - gegen die Versäumung der Frist zur Ausführung eines Rechtsmittels zu bewilligen, sofern er nachweist, dass ihm die Einhaltung der Frist durch unvorhergesehene oder unabwendbare Ereignisse unmöglich war, es sei denn, dass ihm oder seinem Vertreter ein Versehen nicht bloß minderen Grades zur Last liegt. Damit hat der Wiedereinsetzungswerber nicht nur für sein eigenes Verschulden, sondern auch für das seines Rechtsvertreters einzustehen, der einem erhöhten Sorgfaltsmaßstab unterliegt (RIS-Justiz RS0101272).
Im vorliegenden Fall wäre die Wahlverteidigerin - wie dargelegt - gemäß § 63 Abs 2 zweiter Satz StPO verpflichtet gewesen, die angemeldete Nichtigkeitsbeschwerde ungeachtet des von ihr gestellten Antrags auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers und dessen tatsächlicher Bestellung zur Ausführung zu bringen (vgl auch Achammer, WK-StPO § 63 Rz 16 ff), zumal ihr anlässlich der Vollmachtsauflösung die Vornahme weiterer Prozesshandlungen vom Angeklagen nicht ausdrücklich untersagt wurde (vgl auch ON 71). Dass ihr dies infolge unvorhergesehener oder unabwendbarer Ereignisse nicht möglich gewesen wäre, wird im Wiedereinsetzungsantrag nicht einmal behauptet noch bietet der Akteninhalt jedweden Hinweis darauf. Diese Säumnis ist dem Angeklagten zuzurechnen, sodass bereits aus diesem Grund die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung nicht vorliegen. Die Prüfung, ob sie beim Verfahrenshilfeverteidiger erfüllt gewesen wären, kann daher auf sich beruhen.
Da die Beigebung eines Verteidigers gemäß § 61 Abs 2 StPO nach Zustellung des Urteils an die Wahlverteidigerin ungeachtet des Verfahrenshilfeantrags ohne Einfluss auf den Lauf der Frist zur Rechtsmittelausführung war (RIS-Justiz RS0116182), kommt auch der gegen den Zurückweisungsbeschluss gemäß § 285a Z 2 StPO gerichteten Beschwerde, in der im Ergebnis der Neubeginn der Rechtsmittelfrist mit der Bestellung des Verfahrenshilfeverteidigers behauptet wird, keine Berechtigung zu; ihr war daher keine Folge zu geben.
Mit seiner Nichtigkeitsbeschwerde wird der Angeklagte auf die Zurückweisung der Beschwerde verwiesen.
Die Nichtigkeitsbeschwerde wäre im Übrigen auch bei Rechtzeitigkeit zurückzuweisen gewesen, weil der unter der Z 3 des § 281 Abs 1 StPO gerügte Verstoß gegen § 247a StPO nicht mit Nichtigkeit bedroht ist, sich die Verfahrensrüge (Z 4) auf unzulässige Erkundungsbeweisführung stützt, die Mängelrüge (Z 5) nicht an der Gesamtheit der Entscheidungsgründe Maß nimmt (vgl Ratz, WK-StPO § 281 Rz 394), die Tatsachenrüge (Z 5a) auf Aktenbasis keine erheblichen Bedenken gegen die als erwiesen angenommenen entscheidenden Tatsachen zu erwecken vermag, die Rechtrüge (Z 9 lit a) einerseits das Vorliegen inländischer Gerichtsbarkeit im Wege hypothetischer Überlegungen zu bestreiten sucht und deren Fehlen bloß begründungslos behauptet, andererseits anlässlich des Einwands mangelnder Bestimmungstäterschaft zu A./ die zur prozessordnungsgemäßen Ausführung dieses Nichtigkeitsgrundes notwendige Orientierung am Urteilssachverhalt vermissen lässt und schlussendlich auch der in der Sanktionsrüge (Z 11) behauptete Verstoß gegen das Doppelverwertungsverbot urteilswidrig von der Annahme bloß einem Verbrechen nach § 28a SMG zu unterstellender Tathandlungen ausgeht.
Über die (angemeldete) Berufung und Beschwerde wird demnach das Oberlandesgericht Linz zu entscheiden haben (§§ 285i, 498 Abs 3 StPO).
Eine Kostenentscheidung hatte nicht zu ergehen (arg. „... nach den §§ 389, 390 zum Kostenersatz Verpflichteten ...“ in § 390a Abs 1 StPO; vgl Lendl, WK-StPO § 390a Rz 11, 19).
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