OGH 11Os113/15z

OGH11Os113/15z17.9.2015

Der Oberste Gerichtshof hat am 17. September 2015 durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Schwab als Vorsitzenden sowie die Hofrätinnen des Obersten Gerichtshofs Dr. Bachner‑Foregger, Mag. Michel und Mag. Fürnkranz und den Hofrat des Obersten Gerichtshofs Dr. Oberressl als weitere Richter in Gegenwart der Richteramtsanwärterin Dr. Pottmann als Schriftführerin in der Strafsache gegen Ferki P***** wegen Verbrechen des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB und weiterer strafbarer Handlungen über die Nichtigkeitsbeschwerde und die Berufung des Angeklagten gegen das Urteil des Landesgerichts Linz als Schöffengericht vom 8. Juni 2015, GZ 22 Hv 7/15t‑40, nach Anhörung der Generalprokuratur in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

 

Spruch:

Die Nichtigkeitsbeschwerde wird zurückgewiesen.

Zur Entscheidung über die Berufung werden die Akten dem Oberlandesgericht Linz zugeleitet.

Dem Angeklagten fallen die Kosten des bisherigen Rechtsmittelverfahrens zur Last.

Gründe:

Mit dem angefochtenen Urteil wurde Ferki P***** jeweils mehrerer Verbrechen des sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 207 Abs 1 StGB (A) und des schweren sexuellen Missbrauchs von Unmündigen nach § 206 Abs 1 StGB (B), weiters der Vergehen des Missbrauchs eines Autoritätsverhältnisses nach § 212 Abs 1 Z 1 StGB (C), der gefährlichen Drohung nach § 107 Abs 1 StGB (D 1) und der Körperverletzung nach § 83 Abs 2 StGB (D 2) schuldig erkannt.

Danach hat er in L***** und andernorts

(A) von Sommer 1999 bis 17. Dezember 2001 in mehreren Angriffen mit der am 17. Dezember 1988 geborenen, sohin unmündigen Anna-Maria S***** außer dem Fall des § 206 StGB geschlechtliche Handlungen vorgenommen, indem er sie jeweils unterhalb der Bekleidung im Genitalbereich streichelte;

(B) von 18. Dezember 2001 bis 16. Dezember 2002 in mehreren Angriffen mit der Genannten, sohin Unmündigen dem Beischlaf gleichzusetzende geschlechtliche Handlungen unternommen, indem er jeweils einen Finger in ihre Scheide einführte;

(C) durch die zu A und B beschriebenen Taten sowie, indem er der Genannten von 17. Dezember 2002 bis Anfang 2006 in mehreren Angriffen jeweils einen Finger in die Scheide einführte und einmal den Vaginalverkehr an ihr vollzog, mit seiner minderjährigen Stieftochter geschlechtliche Handlungen vorgenommen;

(D) am 5. April 2014 Amir D*****

(1) gefährlich mit der Zufügung einer Körperverletzung bedroht, um ihn in Furcht und Unruhe zu versetzen, indem er wiederholt äußerte „ich stech' dich ab“ und ihm dabei durch eine Geste zu verstehen gab, dass er ein Messer eingesteckt habe;

(2) am Körper misshandelt und dadurch fahrlässig in Form einer Zerrung der Halswirbelsäule und einer Prellung des linken Jochbeins verletzt, indem er ihn in den Würgegriff nahm und zu Boden zog.

Rechtliche Beurteilung

Dagegen wendet sich die aus Z 4, 5 und 5a des § 281 Abs 1 StPO erhobene Nichtigkeitsbeschwerde des Angeklagten.

Seinen die Schuldsprüche A bis C tragenden Feststellungen legte das Schöffengericht die (von ihm als glaubhaft erachteten) zeugenschaftlichen Angaben der Anna-Maria S***** in der gemäß § 165 StPO ‑ im Beisein des Angeklagten und seiner Verteidigerin ‑ durchgeführten gerichtlichen Vernehmung im Ermittlungsverfahren (ON 12) zugrunde (US 11). Deren Ton- und Bildaufnahmen sowie das darüber angefertigte Protokoll wurden in der Hauptverhandlung vorgeführt (§ 252 Abs 1 Z 2a StPO), ohne dass der Beschwerdeführer dem widersprochen hätte (ON 39 S 15, 17).

Soweit die Verfahrensrüge (Z 4) Verteidigungsrechte des Angeklagten dadurch verkürzt glaubt, dass in der kontradiktorischen Vernehmung des Opfers einzelne Fragen seiner Verteidigerin „nicht zugelassen“ worden seien, scheitert sie schon an der Voraussetzung eines in der Hauptverhandlung gestellten Antrags (RIS‑Justiz RS0099244 [T1], RS0099250), diesen Beweismittelinhalt nicht vorkommen zu lassen.

Dass der Angeklagte keine Gelegenheit gehabt hätte, sich an dieser Vernehmung zu beteiligen (dazu Kirchbacher, WK‑StPO § 252 Rz 80 ff), was im Fall nicht einverständlicher (§ 252 Abs 1 Z 4 StPO) Verlesung des darüber aufgenommenen Protokolls (mangels Vorliegens der Kriterien des § 252 Abs 1 Z 2a StPO) Nichtigkeit aus Z 3 zur Folge gehabt hätte, behauptet das Rechtsmittel ‑ aktenkonform ‑ ohnedies nicht.

In der Hauptverhandlung beantragte der Beschwerdeführer die ergänzende Befragung der genannten Zeugin „zum Beweis dafür, dass der Angeklagte die inkriminierten Tathandlungen nicht begangen hat“. Es erscheine „zur Beurteilung der Glaubwürdigkeit“ ihrer Angaben „notwendig, sie auch mit den Aussagen der heute einvernommenen Zeugen (Ehegattin, Stiefsohn des Angeklagten und des Großvaters) zu konfrontieren, weil da doch Widersprüche zu den eigenen Angaben bestehen und weil es auch zur Ausübung der Verteidigungsrechte notwendig ist, dass man der Zeugin diese Aussagen vorhält“ (ON 33 S 83; ON 39 S 9).

Entgegen der weiteren Verfahrensrüge (Z 4) kam das Schöffengericht diesem Antrag zu Recht nicht nach. Denn er legte weder dar, warum die begehrte Beweisaufnahme das behauptete Ergebnis erwarten ließe ( Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 330), noch, weshalb erwartet werden könne, dass sich die Zeugin ‑ trotz ihrer unmissverständlichen Erklärung, von ihrer Aussagebefreiung (§ 156 Abs 1 Z 2 StPO) Gebrauch machen zu wollen (ON 12 S 13 verso) ‑ zur Aussage bereit finden werde (RIS‑Justiz RS0117928).

Das den Beweisantrag ergänzende Beschwerdevorbringen hat mit Blick auf das aus dem Wesen des herangezogenen Nichtigkeitsgrundes resultierende Neuerungsverbot auf sich zu beruhen.

Der Erledigung der Mängelrüge (Z 5) ist vorauszuschicken, dass die sachverhaltsmäßige Bejahung oder Verneinung der (speziellen) Glaubwürdigkeit von Aussagen (die in der Aussagepsychologie ‑ im Unterschied zur [allgemeinen] Glaubwürdigkeit als Persönlichkeitsmerkmal ‑ als „Glaubhaftigkeit“ bezeichnet wird; zu dieser Begrifflichkeit und deren Entwicklung siehe nur Greuel et al, Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage [1998] 4 und 280; vgl auch 12 Os 121/10a mwN) eines Zeugen oder Angeklagten durch die Tatrichter der unternommenen Anfechtung entzogen ist (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 431; RIS‑Justiz RS0106588 [T10, T12]). Die Beurteilung der Überzeugungskraft von Personalbeweisen kann jedoch unter dem Aspekt der Unvollständigkeit (Z 5 zweiter Fall) mangelhaft erscheinen, wenn sich das Gericht mit gegen die Glaubwürdigkeit sprechenden Beweisergebnissen nicht auseinandergesetzt hat. Der Bezugspunkt besteht jedoch nicht in der Sachverhaltsannahme der Glaubwürdigkeit oder Unglaubwürdigkeit, sondern ausschließlich in den Feststellungen über entscheidende ‑ nämlich für die Schuld- oder die Subsumtionsfrage bedeutsame (zum Begriff Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 398 ff) ‑ Tatsachen (RIS‑Justiz RS0119422 [T2, T4]).

Die auf Z 5 zweiter Fall des § 281 Abs 1 StPO gestützten Einwände des Rechtsmittelwerbers erschöpfen sich großteils in dem Vorwurf, das Erstgericht habe es unterlassen, sich mit bestimmten Zeugenaussagen „bei der Begründung seiner Beweiswürdigung“ „zu Gunsten“ des Angeklagten „auseinanderzusetzen“. Indem er dabei ‑ ohne Bezugnahme auf entscheidende Tatsachen ‑ Aussageinhalte, die angeblich gegen die „Glaubwürdigkeit“ von (nicht näher genannten) „Angaben“ der Anna-Maria S***** sprächen, bloß referiert, ohne darzulegen, weshalb und in welcher Hinsicht dies der Fall sein soll, verlässt er den Anfechtungsrahmen der Mängelrüge.

Ohnehin hat das Schöffengericht die von der Beschwerde relevierten Aussagen der Zeugen Thomas S*****, Elhami I*****, Eduard A***** und Sabine P***** - in Befolgung des Gebots zu gedrängter Darstellung der Entscheidungsgründe (§ 270 Abs 2 Z 5 StPO) ‑ vollständig erwogen und dargelegt, weshalb es ihnen nichts abgewann, was die Aufrichtigkeit der Anna‑Maria S***** infrage gestellt hätte (US 13 ff und 17 ff).

Dies gilt auch für die Bekundung des Zeugen I***** (ON 17 S 19; ON 39 S 5), sie sei zum Zeitpunkt dessen ersten Geschlechtsverkehrs mit ihr (ab April 2005) nicht mehr „Jungfrau“ gewesen (US 15, 17), was ‑ entgegen dem Beschwerdevorbringen (Z 5 zweiter Fall) ‑ keineswegs der Aussage des Opfers (zu Schuldspruch C) widerspricht, wonach sie „zwischen 16 und 17 Jahre“ alt gewesen sei, als der Angeklagte (demnach ab Ende 2004) erstmals den Vaginalverkehr mit ihr vollzogen habe (ON 4 S 47 verso f; ON 12 S 3, 7 f).

Mit eigenständig entwickelten Überlegungen zu seinem Sexualverhalten, seinem „Charakter“ und seiner „Lebenseinstellung“ sowie indem er aus den Umständen der Anzeigenerstattung durch Anna-Maria S***** und daraus, dass Thomas S***** (der Bruder des Opfers) und Sabine P***** (die Mutter des Opfers und Ehefrau des Angeklagten) „eindeutig“ zu ihm „halten“, seinem Standpunkt günstigere Schlüsse zieht als die Tatrichter, bekämpft er bloß unzulässig die Beweiswürdigung des Schöffengerichts nach Art einer ‑ im kollegialgerichtlichen Verfahren nicht vorgesehenen ‑ Berufung wegen des Ausspruchs über die Schuld.

Das Erstgericht bejahte die Glaubhaftigkeit der den Angeklagten belastenden Zeugenaussage der Anna-Maria S***** ‑ anhand vernetzter Betrachtung der Verfahrensergebnisse ‑ aufgrund einer Vielzahl von Umständen (US 11 bis 21). Unter anderem stützte es sich dabei auf das Gutachten einer zur Beurteilung dieser Frage beigezogenen Sachverständigen aus dem Fach der Aussagepsychologie (US 15 f).

Das Rechtsmittel wendet (der Sache nach aus Z 5 vierter Fall) ein, dieses Gutachten dürfe „der Entscheidungsfindung keinesfalls zu Grunde gelegt“ werden, weil es „in sich widersprüchlich“ sei und „keinerlei Aussagekraft“ habe.

Diese Beschwerdekritik versagt schon deshalb, weil die Tatrichter im Kalkül der Sachverständigen ‑ erkennbar ‑ keine notwendige Bedingung für die Konstatierung einer entscheidenden Tatsache erblickten (Ratz, WK‑StPO § 281 Rz 410):

Abgesehen davon hat der Angeklagte, nachdem das Gutachten in der Hauptverhandlung erörtert worden war (ON 33 S 23 bis 37), weder eine Mangelhaftigkeit (§ 127 Abs 3 StPO) desselben aufgezeigt noch eine Überprüfung von Befund und Gutachten durch einen weiteren Sachverständigen beantragt ( Hinterhofer , WK‑StPO § 127 Rz 73; Ratz , WK‑StPO § 281 Rz 351). Mit (bloß) gegen die materielle Überzeugungskraft einer ‑ im Sinn des § 127 Abs 3 StPO mängelfreien ‑ Expertise gerichtetem Vorbringen aber wird ein formaler Mangel (§ 281 Abs 1 Z 5 StPO) einer auf das betreffende Gutachten gestützten Urteilsbegründung nicht einmal behauptet (RIS‑Justiz RS0097433, RS0099508).

In welcher Hinsicht welche konkreten ‑ vom Erstgericht nicht ohnedies berücksichtigten (US 21 bis 24) ‑ Aussagen der Zeugen Sabine P*****, Anna-Maria S***** und Amir D***** welchen die Schuldsprüche D 1 und 2 tragenden Feststellungen aus welchem Grund erörterungsbedürftig entgegenstehen sollten (Z 5 zweiter Fall), sagt die Beschwerde nicht.

Mit dem Hinweis, das Vorbringen der ‑ wesensmäßig verschiedenen ‑ Mängelrüge „hilfsweise“ auch als Tatsachenrüge (Z 5a) geltend zu machen, wird dieser Nichtigkeitsgrund nicht deutlich und bestimmt bezeichnet (RIS‑Justiz RS0115902; vgl auch RS0116773).

Weder die „bisherige Unbescholtenheit“ noch die „leugnende Verantwortung“ des Angeklagten noch der „Umstand, dass die Kernfamilie der Belastungszeugin“ diesem „glaubt, nicht aber der Belastungszeugin“, weckt beim Obersten Gerichtshof erhebliche Bedenken gegen die Richtigkeit dem Ausspruch über die Schuld zugrunde gelegter entscheidender Tatsachen.

Die Nichtigkeitsbeschwerde war daher gemäß § 285d Abs 1 StPO schon bei nichtöffentlicher Beratung sofort zurückzuweisen, woraus die Zuständigkeit des Oberlandesgerichts zur Erledigung der Berufung folgt (§ 285i StPO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 390a Abs 1 StPO.

Lizenziert vom RIS (ris.bka.gv.at - CC BY 4.0 DEED)

Stichworte