OGH 7Ob150/15g

OGH7Ob150/15g2.9.2015

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Rechtssache der gefährdeten Partei C***** K*****, vertreten durch Dr. Walter Hausberger und andere Rechtsanwälte in Wörgl, gegen den Gegner der gefährdeten Partei Mag. J***** K*****, vertreten durch Dr. Hans Christian Lass, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Erlassung einer einstweiligen Verfügung gemäß § 382b EO, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Gegners der gefährdeten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts Innsbruck als Rekursgericht vom 29. April 2015, GZ 2 R 113/15d‑43, den

Beschluss

gefasst:

European Case Law Identifier: ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00150.15G.0902.000

 

Spruch:

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird gemäß §§ 402 Abs 4, 78 EO iVm § 526 Abs 2 Satz 1 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 528 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

1. Im Sicherungsverfahren ist die Überprüfung der Beweiswürdigung des erkennenden Richters durch das Rekursgericht insoweit ausgeschlossen, als dieser den Sachverhalt aufgrund vor ihm abgelegter Zeugen‑ oder Parteiaussagen als bescheinigt angenommen hat (6 Ob 650/93 [verst Senat] = RIS‑Justiz RS0012391 = SZ 66/164). Das gilt auch dann, wenn für eine bestimmte Feststellung darüber hinaus auch mittelbar aufgenommene Bescheinigungen verwertet wurden (7 Ob 104/15t; RIS‑Justiz RS0012391 [T5]). Da der Erstrichter den Sachverhalt auch aufgrund der vor ihm abgelegten Aussage des Antragsgegners als bescheinigt annahm, hat das Rekursgericht zu Recht eine Überprüfung dieses Sachverhalts abgelehnt. Die behauptete Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens liegt damit nicht vor.

2. Soweit der Antragsgegner nicht von dem als bescheinigt angenommenen Sachverhalt ausgeht und sich weiterhin gegen die Beweiswürdigung des Erstgerichts wendet, ist er darauf hinzuweisen, dass der Oberste Gerichtshof (auch) im Provisorialverfahren nur Rechtsinstanz, nicht jedoch Tatsacheninstanz ist und daher an den vom Rekursgericht als bescheinigt angenommenen Sachverhalt gebunden ist (RIS‑Justiz RS0002192).

3.1. Maßgeblich für die Beurteilung der Unzumutbarkeit eines weiteren Zusammenlebens nach § 382b EO sind Ausmaß, Häufigkeit und Intensität der angedrohten oder gar verwirklichten Angriffe und bei (ernst gemeinten oder als solche verstandenen) Drohungen die Wahrscheinlichkeit deren Ausführung. Je massiver das dem Antragsgegner zur Last fallende Verhalten auf die körperliche und seelische Integrität des Opfers eingewirkt hat, desto eher wird nach den maßgeblichen Umständen des Einzelfalls von einer Unzumutbarkeit auszugehen sein. Je leichtere Folgen das Verhalten des Antragsgegners gezeigt hat, je länger es ‑ ohne weitere „einschlägige“ Vorkommnisse ‑ zurückliegt und je mehr sich der Antragsgegner in der Folge bewährt hat, desto eher wird man dem betroffenen Ehegatten das weitere Zusammenleben zumuten können. Jeder körperliche Angriff und jede ernsthafte und substanzielle Drohung mit einem solchen entspricht aber dem Unzumutbarkeitserfordernis. Als Verfügungsgrund reicht bereits eine einmalige und ihrer Art nach nicht völlig unbedeutende tätliche Entgleisung, weil das persönliche Recht auf Wahrung der körperlichen Integrität absolut wirkt (RIS‑Justiz RS0110446 [insbes T5]).

3.2. Ob ein bestimmtes Verhalten einer Person den an sie gerichteten Auftrag zum Verlassen der Wohnung gemäß § 382b EO rechtfertigt, ist grundsätzlich keine Rechtsfrage im Sinn des § 528 Abs 1 ZPO (RIS‑Justiz RS0110446 [T7]; RS0118857; RS0123926).

3.3. Anders als nach § 382e EO, auf dessen Interessenabwägung sich der Antragsgegner erkennbar beruft, bedarf es einer solchen bei einer einstweiligen Verfügung nach § 382b EO nicht (RIS‑Justiz RS0127363 [T1]; 7 Ob 201/11a = SZ 2011/141 = EF‑Z 2012/47 [ Beck ] = iFamZ 2012/76, 104 [ Deixler/Hübner ]).

3.4. Nach dem bescheinigten Sachverhalt bestehen zwischen den Ehegatten seit Jänner 2014 Auseinandersetzungen. Bei einem Vorfall versuchte der Antragsgegner nach Beschimpfungen der Antragstellerin auf den Hinterkopf zu „klapsen“, erwischte sie aber nicht, er verabreichte ihr ein anderes Mal nach einer unpassenden Äußerung einen „Klaps“ oder eine Ohrfeige und versetzte ihr am 4. 9. 2014 einen Stoß, wodurch sie gegen einen Zaun fiel und eine schmerzhafte Verletzung erlitt.

Die Beurteilung des Rekursgerichts, dass es sich beim Vorfall vom 4. 9. 2014 um keinen „einmaligen Ausrutscher“ des Antragsgegners handelte, es bereits zuvor zu körperlicher Gewalt gekommen sei, weitere Eskalationen nicht ausgeschlossen werden könnten und das Zusammenleben der Parteien unzumutbar sei, ist jedenfalls vertretbar. Auch wenn keine weiteren Tätlichkeiten feststehen, kann sich nicht ergeben, dass bezogen auf den maßgeblichen Zeitpunkt der Erlassung der einstweiligen Verfügung (vgl RIS‑Justiz RS0004877) das weitere Zusammenleben der Parteien zumutbar wäre.

4. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§§ 528a iVm 510 Abs 3 ZPO).

Stichworte